Bund "Bayern und Reich", 1921-1935: Unterschied zwischen den Versionen
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Nach Auflösung der Einwohnerwehren 1921 gegründeter paramilitärischer Dachverband mit engen Kontakten zur Reichswehr. Unter dem Vorsitz von Otto Pittinger (bis 1926), Otto von Stetten und Robert Ritter von Xylander (bis 1929) entwickelte sich der Bund bis Mitte 1922 zur stärksten paramilitärischen Vereinigung in Bayern. Er vertrat föderalistisch-monarchische Ziele, war im Herbst 1923 an den Vorbereitungen eines Marsches auf Berlin beteiligt, zerfiel langsam nach 1923 und ging 1929 im "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" auf. | Nach Auflösung der Einwohnerwehren 1921 gegründeter paramilitärischer Dachverband mit engen Kontakten zur Reichswehr. Unter dem Vorsitz von Otto Pittinger (bis 1926), Otto von Stetten und Robert Ritter von Xylander (bis 1929) entwickelte sich der Bund bis Mitte 1922 zur stärksten paramilitärischen Vereinigung in Bayern. Er vertrat föderalistisch-monarchische Ziele, war im Herbst 1923 an den Vorbereitungen eines Marsches auf Berlin beteiligt, zerfiel langsam nach 1923 und ging 1929 im "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" auf. | ||
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Christoph Hübner, Bund "Bayern und Reich", 1921-1935, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <span class="url"><nowiki><https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bund_"Bayern_und_Reich",_1921-1935></nowiki></span> ({{CURRENTDAY}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}}) | Christoph Hübner, Bund "Bayern und Reich", 1921-1935, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <span class="url"><nowiki><https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bund_"Bayern_und_Reich",_1921-1935></nowiki></span> ({{CURRENTDAY}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}}) | ||
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Aktuelle Version vom 3. Januar 2022, 19:35 Uhr
Nach Auflösung der Einwohnerwehren 1921 gegründeter paramilitärischer Dachverband mit engen Kontakten zur Reichswehr. Unter dem Vorsitz von Otto Pittinger (bis 1926), Otto von Stetten und Robert Ritter von Xylander (bis 1929) entwickelte sich der Bund bis Mitte 1922 zur stärksten paramilitärischen Vereinigung in Bayern. Er vertrat föderalistisch-monarchische Ziele, war im Herbst 1923 an den Vorbereitungen eines Marsches auf Berlin beteiligt, zerfiel langsam nach 1923 und ging 1929 im "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" auf.
Die Anfänge: Otto Pittinger und die Organisation Pittinger
Die Einwohnerwehren waren 1920/21 ein dauernder Streitpunkt zwischen der bayerischen Regierung, der Reichsregierung und der Entente, die die Entwaffnung auch der deutschen Zivilbevölkerung forderte; sie wurden im Juni 1921 endgültig verboten. Die wichtigsten Förderer des Wehrgedankens in der bayerischen Regierung und der Reichswehr, vor allem Ministerpräsident Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) selbst, wollten jedoch keinesfalls auf ein paramilitärisches Instrument der Ordnungssicherung und des - geheimen - Wehrersatzes verzichten.
So wurde der bisherige oberpfälzische Kreishauptmann und Chef des Landesbüros der Einwohnerwehr, Sanitätsrat Dr. Otto Pittinger (1878-1926), mit der geheimen Fortführung der Wehrarbeit betraut. Einen Tag nach der offiziellen Auflösung der bayerischen Einwohnerwehren gründete er am 22. Juni 1921 die Organisation Pittinger, die unter anderem auf den beträchtlichen finanziellen Unterbau der Einwohnerwehren zurückgreifen konnte. Zweck dieser Kaderorganisation sollte es sein, weiterhin die gesamte - nunmehr illegale - Wehrarbeit in Bayern zu koordinieren und auf diese Weise die Verbände für eine im (außen- oder innenpolitischen) "Ernstfall" notwendige Heeresergänzung oder Polizeiverstärkung bereitzuhalten.
Gründung des Bundes Bayern und Reich
Pittingers Anspruch auf eine übergeordnete Leitung der gesamten bayerischen Wehrbewegung wurde allerdings bald von den zahlreichen kleineren Wehrverbänden in Frage gestellt, zumal diese seit dem Verbot der Einwohnerwehren deutlichen Zulauf erhalten hatten. Um Pittinger den Rücken zu stärken, einigten sich Staatsregierung und bayerische Reichswehr im April 1922 darauf, einen offiziellen Wehrverband zu errichten: den Bund Bayern und Reich. Am 27. Juni 1922 fand die erste öffentliche Sitzung der Landesleitung unter Pittinger statt.
Programm
Ziel des Bundes war ein monarchisch-föderalistisches Großdeutschland auf "christlich-völkischer" Basis. Nur auf diese Weise könne Deutschland nach innen (von der "Diktatur von Marxismus und Finanzkapital") und nach außen (von den "Fesseln des Versailler Vertrages") befreit werden, hieß es in der Satzung. Die Mitgliedschaft war auf "Arier" beschränkt.
Organisation und Mitgliederzahl
1922/23 erfolgte der Aufbau des Bundes. Durch gezielte Agitations- und Wehrbearbeit wurde vor allem das ländliche Bayern auf breiter Basis erfasst und in zehn Kreisen und 51 Gauen straff organisiert. Regionale Schwerpunkte der Bundesarbeit waren Schwaben und die Oberpfalz, Franken, insbesondere das protestantische Mittelfranken, war eher schwach vertreten. Auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit im Sommer 1923 zählte der Bund ca. 56.700 Mitglieder. Er war damit der mit Abstand mitgliederstärkste vaterländische Verband in Bayern.
Putschabsichten und Putschgerüchte im Umfeld des Bundes 1921/22
Bereits im November 1921 hatte es anlässlich des Begräbnisses des letzten bayerischen Monarchen Ludwig III. (1845-1921) Gerüchte um einen von Pittinger geplanten "Königsputsch" gegeben. Entsprechende Aktivitäten waren aber offenbar an der skeptischen Haltung des Kronprinzen Rupprecht (1869-1955) gescheitert.
Im Sommer 1922 kam es dann jedoch zu konkreten Putschplänen. Nach dem Mord an Reichsaußenminister Walther Rathenau (1867-1922) erließ der Reichskanzler am 24. Juni 1922 eine Republikschutzverordnung, die die "linke" Reichsregierung aus Zentrum, SPD und DDP stützen sollte. Dies rief in Bayern eine neue Welle der Empörung hervor, an deren Spitze sich - ein letztes Mal in Einigkeit - die vaterländischen Verbände stellten. Eine am 16. August 1922 auf dem Münchner Königsplatz abgehaltene große Protestversammlung aller Bünde erwies sich als durchschlagender "Erfolg". Es kam zu konkreten Überlegungen zwischen Pittinger, Röhm und dem Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner (1870-1925), eine weitere Demonstration am 25. August zu einem Putsch gegen die bayerische Staatsregierung zu nutzen. Die Wehrkreisleitung um Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1947) und Arnold von Möhl (1867-1944) sowie Adolf Hitler (1889-1945) wurden eingeweiht. Dann jedoch zögerte Pittinger. Er ließ nur einen kleinen Teil seiner Wehrmänner aufrufen, und als die Staatsregierung kurzfristig ein Verbot der Versammlung verfügte, blieb er vollkommen passiv.
Der offene Bruch innerhalb der nationalen Bewegung: Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände im Februar 1923
Den Einmarsch der Franzosen in das Ruhrgebiet nahmen die radikalen Kräfte der vaterländischen Bewegung um Röhm und Hitler im Januar 1923 zum Anlass, sich von dem zaudernden Pittinger zu trennen, mit dem sie in der geheimen Feldzeugmeisterei zunächst kooperiert hatten. Am 30. Januar 1923 traten die Radikalen um Röhm aus dem regierungsnahen Bund Bayern und Reich aus, mit der Begründung, der Bund leiste keine wirkliche Wehrarbeit. Fünf Tage später gründete sich unter Röhms Leitung in München die Arbeitsgemeinschaft der Vaterländischen Kampfverbände. Ihr traten der Verband der Vaterländischen Bezirksvereine Münchens, die Nürnberger Reichsflagge, die NSDAP bzw. SA, der Bund Oberland sowie der Kreis Niederbayern des Bundes Bayern und Reich bei. Anders als der Bund Bayern und Reich sah die Arbeitsgemeinschaft die Loyalität zur Bayerischen Staatsregierung fortan nicht mehr als conditio sine qua non an. Die Spaltung der vaterländischen Bewegung war vollzogen.
Die Entwicklung des Jahres 1923
In der Folgezeit versuchten die Bayerische Regierung und die Führung des Bundes Bayern und Reich, die Einigkeit der nationalen Bewegung wiederherzustellen und diese in ihrer Gesamtheit stärker an die Regierung zu binden. Da sich aber die Ruhr-Krise und damit die allgemeine politische Atmosphäre weiter zuspitzte, war dieses Unterfangen nur wenig erfolgreich. Immerhin verhandelte die Arbeitsgemeinschaft, die sich seit dem Deutschen Tag in Nürnberg am 1./2. September 1923 Deutscher Kampfbund nannte, fortgesetzt mit Pittinger.
Eine neue Situation ergab sich mit der Einsetzung Kahrs als Generalstaatskomissar am 26. September 1923. Kahr sah mit seiner Berufung die letzte Gelegenheit gekommen, um seine alten Ziele aus der "Ordnungszellenideologie" zu realisieren. In Verbindung mit radikalkonservativen Kreisen in Nord- und Westdeutschland wollte er die Reichsregierung stürzen und durch ein "Direktorium" mit Kräften aus Industrie, Landwirtschaft und Militär ersetzen. Pittinger stand mit seiner Organisation hinter den Plänen Kahrs und wartete auf dessen Signal für einen "Marsch auf Berlin". Die Aktion Hitlers vom 8./9. November 1923 machte jedoch alle Planungen Kahrs zunichte. Am Hitlerputsch blieb der Bund Bayern und Reich im Wesentlichen unbeteiligt, auch wenn er noch am 10. November 1923 in einer Resolution forderte, eine nationale Diktatur unter Beteiligung aller vaterländischen Verbände auszurufen.
Das Ende der aktivistischen Phase ab 1924
Auf den Putschversuch des 8./9. Novembers 1923 reagierte die bayerische Staatsregierung am 1. Dezember 1923 mit der Weisung, alle vaterländischen Verbände zu entwaffnen. Die Wehrarbeit sollte ab jetzt dem strikt staatlich kontrollierten Deutschen Notbann unter der Leitung Franz Xaver von Epps vorbehalten bleiben. Auch der Bund Bayern und Reich musste sich fügen. Er löste am 31. Januar 1924 seine Wehrorganisation auf und empfahl seinen Mitgliedern den Beitritt zum Notbann.
In den folgenden, teilweise heftigen Diskussionen um die Neuausrichtung des Bundes konnte Pittinger sich mit seiner bisherigen - vergleichsweise moderaten - Linie durchsetzen. Die am 13. April 1924 veröffentlichte neue Bundesverfassung verkündete den Verzicht auf die Aufstellung eigener paramilitärischer Formationen. Der Bund selbst wollte den Schwerpunkt seiner Aktivitäten fortan auf die Propaganda- und Schulungsarbeit verlagern - unter klarer Abgrenzung von den radikalvölkischen Kräften. Er entwickelte sich in der Folgezeit im Wesentlichen zu einer rein politischen Organisation, die der Bayerischen Volkspartei (BVP) zuarbeitete. Dies korrespondierte mit der allgemeinen Beruhigung der politischen und wirtschaftlichen Situation ab 1924.
Der allmähliche "Verfall" des Bundes
Da der Bund seinen ursprünglichen Zweck, die Wehrertüchtigung, nicht mehr verfolgen konnte, begann Ende 1924 ein langer Verfallsprozess. Die Mitgliederzahl sank kontinuierlich, ganze Ortsgruppen wurden inaktiv. Dies wiederum verschlechterte die finanzielle Situation des Bundes rapide. Der plötzliche Tod des erst 48jährigen Pittinger am 9. August 1926 verstärkte diese Enwicklung weiter. Der neue Bundesführer General a.D. Otto von Stetten (1862-1937) war eine organisatorisch schwache und wenig integrierende Persönlichkeit.
Zusammenschluss mit dem Stahlhelm
Vor diesem Hintergrund stellte sich zwangsläufig die Frage einer Vereinigung oder zumindest Kooperation mit anderen Bünden. Seit 1927 drängte der in Norddeutschland sehr erfolgreiche "Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten" auf die bayerische Bühne. Der urban-preußisch-protestantisch geprägte Bund war bisher bei der katholischen Bevölkerungsmehrheit des ländlich geprägten Bayern weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Nun sah sich die Führung von Bayern und Reich veranlasst, Verhandlungen aufzunehmen. Diese scheiterten jedoch im November 1927, da die Stahlhelm-Führung die volle Unterstellung des Bundes Bayern und Reich forderte, obwohl dieser immer noch zehnmal so viele Mitglieder in Bayern hatte wie die Stahlhelm-Dependance. Erst der überraschende Tod des bayerischen Stahlhelm-Führers Major Carl von Wäninger (1877-1929) ermöglichte 1929 neue Verhandlungen, die für den Bund Bayern und Reich fruchtbarer verliefen. Ihm - wie auch anderen aufzunehmenden Bünden - wurde nun offiziell der Erhalt seiner Organisationsstrukturen innerhalb des Stahlhelms zugestanden. Der so geschaffene neue Verband "Stahlhelm in Bayern" konstituierte sich endgültig am 22. Februar 1930.
Abwanderung der Mitglieder zum "Bayerischen Heimatschutz" und Ende des Bundes Bayern und Reich
Die Vereinigung brachte dem Bund Bayern und Reich nicht die erhoffte neue Blüte. Vielmehr wandten sich viele der alten Mitglieder wegen der "Verpreußung" des Bundes nun endgültig ab und traten zu der Ende 1928 gegründeten, betont bayerisch-föderalistischen Konkurrenzorganisation Bayerischer Heimatschutz über. Der Bund Bayern und Reich existierte unter seinem letzten Führer Robert von Xylander (geb. 1868) innerhalb des Stahlhelms fort, bis dieser 1935 aufgelöst wurde.
Literatur
- Hans Fenske, Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg u. a. 1969.
- Harold J. Gordon jr., Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923-1924, München 1978.
- Horst Nußer, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918-1933. Mit einer Biographie von Forstrat Georg Escherich 1870-1941, München 1973.
Quellen
- Ernst Deuerlein (Hg.), Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923, Stuttgart 1962.
- K. Hofberger, Bayern und Reich - deutscher Freiheitsbund. Vom Bund und seiner Arbeit, München o.J. [1924]. (beinhaltet im Wesentlichen die "Bundesverfassung" vom April 1924)
Weiterführende Recherche
Verwandte Artikel
Empfohlene Zitierweise
Christoph Hübner, Bund "Bayern und Reich", 1921-1935, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bund_"Bayern_und_Reich",_1921-1935> (31.10.2024)