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Jüdisches Schulwesen in Bayern (1804-1918)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Fragment einer hebräischen Schulfibel, Fürth 1852. (Foto: Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. L 2007/33, unbefristete Leihgabe der Stiftung Ehemalige Synagoge Ichenhausen)
Hebräische Buchstabiertafel. (Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. L 2006/149, befristete Leihgabe des jüdischen Museums Franken)
Religionslehrbuch von Jisrael Schwarz (1830-1875), "Der Glaube Israels", von 1853. (Foto: Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. 2006/140)

von Rebecca Heinemann

Das jüdische Schulwesen in Bayern erlebte im 19. Jahrhundert einen Umbruch. Neben die bisherige Tradierung religiösen Wissens trat nun die Vermittlung säkularer Bildungsstoffe und -methoden. Dies lag nicht nur im Interesse jüdischer Aufklärer. 1804 wurde die Schulpflicht auch für jüdische Kinder eingeführt. Es folgten weitere staatliche Regularien (u. a. Übertragung der staatlichen Schulvorschriften und damit auch der Lehrplaninhalte auf jüdische Schulen [Ausnahme: Religionsunterricht], Prüfungspflicht für jüdische Lehrer). Im Gegenzug erhielten jüdische Gemeinden nicht nur das Recht, eigene Schulen zu gründen, sondern wurden sogar vom bayerischen Staat gefördert. Freilich konnten jüdische Kinder auch auf staatliche (christliche) Schulen gehen, was allerdings nicht selten zu Konflikten mit den mehrheitlich christlichen Altersgenossen führte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl jüdischer Schulen aufgrund rückläufiger Schülerzahlen kontinuierlich ab; zudem bestimmten die Auseinandersetzungen zwischen liberalem Reformjudentum und Orthodoxie zunehmend die Entwicklung des Schulwesens. Ende des 19. Jahrhunderts rückte der Staat von seiner bisherigen Schulpolitik ab; er schloss jüdische Lehrer aus den Simultanschulen aus und verhinderte die Gründung neuer jüdischer Schulen. Eine Besonderheit des jüdischen Schulwesens in Bayern stellte die 1862 in Fürth gegründete "Israelitische Bürgerschule" dar, die damals einzige höhere jüdische Schule in Bayern.

Ausgangsbedingungen

Seit dem Mittelalter hatte sich im europäischen Judentum ein vielgestaltiges Erziehungswesen ausgebildet, das der hohen Wertschätzung des Lernens in der jüdischen Tradition entsprach. Eine Zäsur in der Entwicklung des neuzeitlichen jüdischen Schulwesens in Deutschland ist durch den tiefgreifenden Modernisierungs- und Säkularisierungsprozess markiert, der durch die Spätaufklärung eingeleitet wurde. Die Ziele jüdischer Aufklärer, das ausschließlich auf die Tradierung religiösen Wissens ausgerichtete jüdische Bildungswesen zu reformieren und gegenüber säkularen Bildungsstoffen und –methoden zu öffnen, trafen hierbei auf die Interessen des aufgeklärten absolutistischen Staates. Dieser betrachtete die Förderung säkularer Bildung als ein Vehikel der Emanzipation der Juden, die zu "nützlichen" Staatsbürgern "erzogen" werden sollten.

Vor der Aufklärung war das jüdische Schulwesen durch rabbinisch-talmudische Lehr- und Lernmethoden geprägt und unterstand den kulturell autonomen jüdischen Gemeinden. Im Mittelpunkt stand die Unterrichtung der Buben, selten der Mädchen, im Cheder (hebr. "Zimmer", da der Unterricht in einem Zimmer stattfand), in dem religiöses Wissen vermittelt wurde. Kinder wohlhabender Familien wurden häufig durch Privatlehrer unterrichtet. Für die meisten Buben endete die Schule in der Regel nach der Bar-Mitzwa. Besonders begabte Schüler studierten den Talmud mit seinen Kommentaren in den Jeschiwoth (Jeschiwa: hebr. "Sitz"), die von bekannten Gelehrten geleitet wurden. Eine europaweit berühmte Jeschiwa bestand seit dem 17. Jahrhundert bis Ende der 1820er Jahre in Fürth. Aufgrund des im Unterschied zu Preußen weit geringeren Einflusses der jüdischen Aufklärung hielt sich das traditionelle jüdische Erziehungswesen in Bayern länger.

Motive des bayerischen Staates zur Reform des jüdischen Schulwesens

Die regionalgeschichtliche Entwicklung des jüdischen Schulwesens in Bayern bestimmte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das bildungspolitische Motiv des aufgeklärten absolutistischen Staates, die Juden zu "nützlichen" Staatsbürgern zu "erziehen". Für Bayern war nach 1803 die Integration Schwabens und Frankens, Gebiete mit einem hohen jüdischen Bevölkerungsanteil, eine dringliche Aufgabe. Den unter Max IV. Joseph (1756-1825; seit 1799 Kurfürst, seit 1806 König Max I. Joseph) eingeleiteten bildungspolitischen Reformen, die der "bürgerlichen Verbesserung der Juden" dienen sollten, war 1802/03 die Durchführung der Schulpflicht für christliche Buben und Mädchen vorausgegangen, die de facto bereits seit 1771 bestanden hatte.

Einführung der Schulplicht für jüdische Kinder und Prüfungspflicht für Lehrer 1804

Die Verordnung vom 18. Juni 1804 "den verbesserten Schulunterricht bei den Juden betreffend" bestimmte die Einführung der Schulpflicht für jüdische Kinder. Sie war von dem Gedanken geleitet, dass "jede Reformation, wenn sie dauerhaft werden soll, mit der Pädagogik bei der Jugend anfangen soll" (Döllinger, Sammlung, 202). Den jüdischen Gemeinden wurde zu diesem Zweck die Gründung eigener Schulen gestattet, die – mit Ausnahme des Religionsunterrichts - den staatlichen Schulvorschriften entsprechen mussten. Der Unterhalt für diese Schulen sollte ausschließlich den jüdischen Gemeinden obliegen. Verfügt wurde außerdem die Prüfungspflicht für jüdische Lehrer. Die staatlichen Eingriffe bedeuteten das Ende der Autonomie der jüdischen Gemeinden in Erziehungs- und Unterrichtsangelegenheiten.

Schulpolitische Bestimmungen des Judenedikts von 1813

Die schulpolitischen Bestimmungen von 1804 sind inhaltlich in das "Judenedikt" von 1813 eingegangen. Es bekräftigte die "in Städten und auf dem Lande" bestehende Schulpflicht für jüdische Buben und Mädchen, die mit Ausnahme des Religionsunterrichts "gleichen Unterricht" wie die Kinder christlicher Konfessionen und außerdem die Möglichkeit zum Besuch höherer Bildungseinrichtungen erhalten sollten (§ 32). Das Recht zur Gründung jüdischer Schulen und die Prüfungspflicht für Lehrer wurden bestätigt. Darüber hinaus enthielt das Edikt weitergehende Bestimmungen, u. a. zur Stellung der jüdischen Lehrer. Sie mussten "königliche Unterthanen" sein, ihr Mindestgehalt von 300 Gulden musste gesichert sein (§ 33) und sie waren an die Einhaltung des staatlichen Lehrplans gebunden.

Jüdische Schulgründungen im 19. Jahrhundert

In der Folgezeit gründete etwa ein Drittel der jüdischen Gemeinden Bayerns eigene Schulen. 1835/36 wurden 158 Schulen gezählt. Die jüdischen Schulen Bayerns waren Elementar- und Religionsschulen. Sie waren auf die Landgemeinden Schwabens, Frankens und der bayerischen Rheinpfalz, die die Zentren jüdischen Lebens in Bayern waren, konzentriert. Höhere jüdische Schulen bestanden in Bayern – mit Ausnahme der Israelitischen Realschule in Fürth (s. u.) – nicht.

Die Haltung Bayerns gegenüber dem jüdischen Schulwesen unterschied sich von Staaten wie Hessen-Darmstadt, Nassau, Preußen, Sachsen oder Württemberg: Bayern führte als erster Staat die Schulpflicht für jüdische Kinder ein und suchte jüdische Schulgründungen durch verschiedene Maßnahmen zu unterstützen. Durch eine gesonderte Verordnung vom 28. August 1813 wurden die bayerischen Juden von der Unterhaltspflicht der örtlichen Schulen befreit, wenn sie eigene Schulen gründeten. Ein Beschluss des Jahres 1833 sah die staatliche Bezuschussung jüdischer (und christlicher) Schulen vor, wenngleich die jüdischen Schulen hiermit nicht den Status einer öffentlichen Lehranstalt erreichten und der "private" Charakter jüdischer Erziehung gewahrt blieb.

Im Unterschied zu Hessen-Darmstadt, Nassau, Preußen oder Sachsen förderte Bayern die Gründung jüdischer Schulen. Den Schulgründungen ging dabei nicht selten der Widerstand der christlichen Mehrheit sowie der jüdischen Gemeinde vor Ort gegen den gemeinsamen Schulunterricht von christlichen und jüdischen Kindern voraus. Jüdische Eltern konnten der gesetzlichen Schulpflicht auch nachkommen, indem sie ihre Kinder in die bestehenden öffentlichen Schulen schickten. Vor allem in ländlichen Gebieten war dies in der ersten Zeit der Fall. Für die Gemeinden stellten Einrichtung und Unterhalt einer eigenen Schule einen erheblichen Kostenfaktor dar.

Schulgründungen in Bayerisch-Schwaben, Franken und der bayerischen Rheinpfalz bis ca. 1860

Zur Gründung "israelitisch deutscher Schulen" in Bayerisch-Schwaben kam es vor allem an kleineren Orten wie:

In Mittelfranken existierten im Jahr 1840 55 jüdische Schulen, so in Altenmuhr (Muhr a.See, Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen, gegründet 1831), Ansbach (1828), Schnaittach (Lkr. Nürnberger Land, 1813) und Uehlfeld (Lkr. Neustadt a.d.Aisch-Bad Windsheim, 1813). Jüdische Volks- bzw. Religionsschulen in Oberfranken bestanden im genannten Zeitraum in Altenkunstadt (Lkr. Lichtenfels, 1809), Aufseß (Lkr. Bayreuth, 1805), Bamberg (1805), Bayreuth, Burgkunstadt (Lkr. Lichtenfels), Heiligenstadt (Lkr. Bamberg) und Lichtenfels.

Beispiel: Die jüdische Schule in Ichenhausen

Die jüdische Schule im schwäbischen Ichenhausen (Lkr. Günzburg), wo sich im 19. Jahrhundert die zweitgrößte jüdische Gemeinde Bayerns befand, startete in den 1820er Jahren zunächst als Provisorium im jüdischen Gemeindehaus, nachdem Protest gegen die Unterrichtung der 110 schulpflichtigen jüdischen Kinder in der katholischen Volksschule laut geworden war. Dass der bayerische Staat die Gründung jüdischer Schulen vorantreiben wollte, zeigt das Urteil des Landgerichts Günzburg, das 1830 den Bau eines jüdischen Schulgebäudes anordnete. Daraufhin erwarb die jüdische Gemeinde ein Grundstück, um dort eine Schule mit zwei Schulzimmern und zwei Lehrerwohnungen zu errichten. Schon 1833 konnte der Unterricht beginnen. Die Schule bestand bis zur offiziellen Schließung am 12. September 1941.

Unterrichtsbedingungen an jüdischen Elementarschulen

Mit Blick auf die Schulpflicht, die für Kinder vom 6. bis zum 12. Lebensjahr bestand, die Schulaufsicht und die Lehrpläne unterschieden sich die jüdischen Volksschulen nicht von den christlichen Elementarschulen. Der Unterricht in den profanen Fächern musste dem staatlichen Lehrplan entsprechen. Der Fächerkanon umfasste Religion, Biblische Geschichte, Memorierübungen (Auswendiglernen), Lesen, Übungen in Schönschreiben, Rechtschreiben, Aufsätze, Rechnen, "Weltkunde", Gesang, Zeichnen, Handarbeit sowie gewerbliche und handwerkliche Buchführung; später kamen Heimatkunde, Geographie, Geschichte und Naturkunde hinzu. Der Lehrplan sah keinen Hebräischunterricht vor.

Die Einhaltung des Schabbat und der Feiertage strukturierten den Ablauf der Schulwoche. Aufgrund geringer Schülerzahlen waren die jüdischen Elementarschulen einklassige Schulen, in denen der Unterricht koedukativ und nicht nach Geschlechtern getrennt ablief, wie es das bayerische Schulgesetz eigentlich vorschrieb. Im Unterschied zur Zeit der Weimarer Republik mussten jüdische Schulen im 19. Jahrhundert keine Mindestschülerzahl aufweisen. Die Höhe des Schulgeldes war unterschiedlich geregelt und hing von der Finanzkraft der jeweiligen Kultusgemeinde ab. Finanziert wurden die Schulen durch Schulgeld, Umlagen und Stiftungsgelder.

Religionsschulen

Die Schulpflicht umfasste seit 1828 auch den Religionsunterricht. Allerdings wurden die Gemeinden zur Gründung von Religionsschulen verpflichtet, während die Einrichtung von Elementarschulen freigestellt war. Die Mehrzahl der bestehenden jüdischen Schulen waren Religionsschulen. Von den in Mittelfranken 1840 existierenden 55 jüdischen Schulen waren 39 Religions- und 15 Elementarschulen. Der Religionsunterricht fand in der Regel Mittwochnachmittag oder Sonntagvormittag statt. An Orten, an denen auch jüdische Elementarschulen bestanden, war er über die Woche verteilt. Daneben war Unterricht in der Feiertagsschule für Jugendliche zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr vorgesehen. Diese Form der Unterrichtung, die ihr Pendant auf christlicher Seite in der "Christenlehre" besaß, fand an Schabbat und an den Feiertagen in der Synagoge statt.

Gestaltung des Religionsunterrichts

Das Schulfach Religion, das bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts unbekannt gewesen war, umfasste Religionslehre, Hebräische Sprache, Übungen in der hebräischen Schrift, biblische Geschichte, Übersetzen der Bibel sowie Geographie Palästinas. Während das jüdische Elementarschulwesen an den staatlichen Lehrplänen orientiert war, gab es für die Gestaltung des Religionsunterrichts keine inhaltlichen Vorgaben. Der Lehrer bereitete den Unterricht nach einem eigenen oder vom Bezirksrabbiner verfassten Lehrplan vor. Die Abfassung von Lehrbüchern ging auf die Initiative einzelner Rabbiner zurück, wie etwa den Würzburger Oberrabbiner Abraham Bing (1752-1841), der 1826 das Religionsbuch "Hauptlehren der mosaischen Religion für den Unterricht der Jugend" verfasst hatte.

Israelitische Realschule in Fürth

Im 19. Jahrhundert besuchte in Deutschland eine wachsende Zahl jüdischer Buben und Mädchen höhere Schulen. Deutschlandweit lag dieser Anteil weit über dem Durchschnitt der Kinder der beiden christlichen Konfessionen. Die überwiegende Mehrzahl der jüdischen Schüler besuchte öffentliche höhere Bildungsanstalten. Als einzige höhere Schule in Bayern war die 1862 in Fürth, dem Zentrum des jüdischen Frankens, gegründete "Israelitische Bürgerschule" eine Besonderheit des jüdischen Schulwesens in Bayern. Diese Schule war von 1862 bis 1879 vierklassig mit acht Jahreskursen und wurde 1879 in eine sechsklassige Realschule umgewandelt, der eine vierklassige Vorschule vorgeschaltet war. Seit 1899 führte sie den Namen "Israelitische Realschule". Ihre Gründung ging auf die Initiative einiger orthodoxer Gemeindemitglieder zurück. Die Ausrichtung der orthodoxen Schulgründungen des 19. Jahrhunderts war durch die Bildungskonzeption des Rabbiners und Pädagogen Samson Raphael Hirsch (1808-1888) geprägt, die entsprechend der Philosophie Thora-im-Derech-Erez (wörtlich: "Thora im Erdenweg"; nach der von Hirsch geprägten und im orthodoxen Judentum Deutschlands sehr einflussreichen Bildungskonzeption, nach der religiöse und profane Bildung miteinander verbunden sein sollten) für die Verbindung religiöser und säkularer Bildungsinhalte stand. Zweiter Schuldirektor der Fürther Israelitischen Realschule war von 1873 bis 1898 Samuel Dessau (1826-1904), der vorher in Frankfurt (Hessen) die von Hirsch gegründete Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft geleitet hatte.

Lehrerausbildung

Die Ausbildung jüdischer Lehrer hatte traditionell an den Jeschiwoth (Talmudschulen) stattgefunden. In Bayern hatte die Jeschiwa in Fürth bis zu ihrer Schließung durch die bayerische Regierung Ende der 1820er Jahre eine herausragende Rolle bei der Ausbildung von Rabbinern und Lehrern eingenommen. Die allgemeine Lehrerausbildung erfolgte seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Lehrerseminaren. Seit 1804 standen jüdischen Lehrern die staatlichen Lehrerseminare offen. Seit 1828 war die Absolvierung eines Lehrerseminars für jüdische Elementarschul- und Religionslehrer in Bayern gleichermaßen verpflichtend.

Die Lehrerausbildung erfolgte bis 1866 für alle Lehreraspiranten als "Lehrlingsausbildung". Hierbei eignete sich ein Schüler nach der Volksschule weitere drei oder vier Jahre bei einem "Schulmeister" Lehrstoff und Didaktik an und besuchte anschließend zwei Jahre das Lehrerseminar. Die jüdischen Kandidaten besuchten nach 1813 die öffentlichen Lehrerseminare in Würzburg, Bamberg und Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz). Da in diesen Städten größere jüdische Gemeinden ansässig waren, konnte z. B. Religionslehre durch den jeweiligen Rabbiner vermittelt werden. Dies bot außerdem den Vorteil, dass die angehenden Lehrer in jüdischen Familien untergebracht und verköstigt werden konnten und nicht im Internat des Seminars, in dem Schabbat, Feiertage sowie Speisegesetze nicht hätten eingehalten werden können.

Bildungseinrichtungen jüdischer Lehrer

In den 1860er Jahren entstanden in Unter- und Mittelfranken eigene jüdische Lehrerbildungsanstalten, die von orthodoxen Rabbinern geleitet wurden. Nach 1866 ersetzte allgemein der Besuch der dreiklassigen sog. Präparandenanstalten die frühere Hospitation. Jüdische Lehrerkandidaten konnten die Präparandenschulen Burgpreppach (Lkr. Haßberge, 1875), Höchberg (Lkr. Würzburg, 1866) und Schwabach (1875), denen Internate angegliedert waren, besuchen. Diese unterrichteten jüdische Buben nach dem Volksschulabschluss in religiösen und profanen Fächern und bereiteten sie auf den Besuch des Lehrerseminars vor.

In Würzburg entstand seit den 1860er Jahren das Zentrum für die Ausbildung jüdischer Lehrer in Bayern. Seit 1864 bildete die auf Initiative von Rabbiner Seligmann Bär Bamberger (1807-1878) gegründete Israelitische Lehrerbildungsanstalt (ILBA) jüdische Lehreraspiranten aus. Von 1864 bis zur Schließung nach dem Novemberpogrom 1938 gingen aus der ILBA fast 900 jüdische Lehrer hervor. Die Ausbildungsdauer betrug zunächst zwei Jahre, ab 1888 drei Jahre. Die Prüfung wurde bis 1913 extern abgelegt. Den größten Raum im Seminar nahmen aufgrund der orthodoxen Ausrichtung der Schule die religiösen Fächer ein. Jüdische Mädchenseminare gab es in ganz Deutschland nicht; Bewerberinnen waren auf die staatlichen Anstalten angewiesen. Erst seit 1928 ermöglichte die angesehene ILBA auch eine Ausbildung für Mädchen.

Nach einer Blütezeit bis ca. 1860 führten verschiedene Entwicklungsfaktoren zu einem quantitativen Rückgang der jüdischen Volksschulen. Die nach Aufhebung des Matrikelgesetzes 1861 einsetzende Landflucht – 1840 lebten 88 % der bayerischen Juden in Landgemeinden oder Kleinstädten, 1910 betrug dieser Anteil noch 22 % – und die Auswanderung nach Übersee führten zu einer Dezimierung der überwiegend orthodoxen Landgemeinden, in denen eine größere Bereitschaft zur Gründung eigener Schulen bestanden hatte. Das 1813 erlassene Matrikelgesetz sollte den Zuzug und die Niederlassung von Juden in Bayern regeln und bestimmte die maximale Zahl der jüdischen Einwohner in den Gemeinden. Das Recht auf Ansässigkeit konnte immer nur auf einen Nachfolger vererbt werden, wodurch viele jüngere Juden zur Auswanderung gezwungen waren. Aufgrund rückläufiger Schülerzahlen nahm die Zahl der jüdischen Schulen kontinuierlich ab. Während 1850 noch 180 jüdische Schulen in Stadt- und Landgemeinden existiert hatten, waren es 1871 noch 124 (3983 Schüler) und 1911 nur noch 85 (mit 1202 Schülern) (vgl. Dingfelder, Volksschule, 24). Die bayerische Entwicklung war mit der im Reich vergleichbar. Wurden für das Jahr 1898 reichsweit noch 492 jüdische Schulen gezählt, waren es 1912 nur noch 247. Neben den genannten Faktoren war die Entwicklung durch einen Geburtenrückgang, sog. Mischehen und Konversion mitbedingt.

Auseinandersetzungen zwischen Orthodoxen und Reformgemeinden um die jüdische Schule

In der zweiten Jahrhunderthälfte bestimmten außerdem die Auseinandersetzungen zwischen liberalem Reformjudentum und Orthodoxie die Entwicklung des Schulwesens. Reformgemeinden in den Städten lehnten die Gründung jüdischer Volksschulen ab. Das Reformjudentum bevorzugte staatliche nichtjüdische Schulen und lehnte die konfessionelle jüdische Schule mit dem Argument ab, sie könnte zu einer erneuten Ghettoisierung führen und den Antisemitismus schüren. Demgegenüber engagierten sich orthodoxe Kreise für die jüdische Schule, in der sie die alleinige Gewähr für die religiöse Erziehung der Kinder im traditionellen Sinn und ein "Bollwerk" gegen die zunehmende Akkulturation sahen. Der Religionsunterricht stellte ein weiteres zentrales Element der jüdischen Erziehungsdiskurse im Kaiserreich dar. Vor dem Hintergrund wachsender Akkulturation und Liberalisierung gründeten orthodoxe Vereine wie Adas Israel in Nürnberg und Ohel Jakob in München eigene Religionsschulen, die die religiöse Unterweisung der Kinder im traditionellen Sinn gewährleisten sollten.

Benachteiligung jüdischer Lehrer

Jüdische Lehrer waren gegenüber ihren christlichen Kollegen schlechter gestellt. Sie erhielten weniger Gehalt. Die meisten fanden lediglich eine Anstellung als Religionslehrer, obwohl sie die gleiche Ausbildung wie die Elementarschullehrer hatten. Die Religionslehrer waren nicht nur unterbezahlt - ihr Gehalt betrug nach den staatlichen Verordnungen 200 Gulden, lag aber häufig noch darunter -, ihre unsicheren Beschäftigungsverhältnisse wurden durch die fehlende Pensionsberechtigung und die Tatsache, dass ihre Hinterbliebenen keine Rente erhielten, noch verschärft. Die Religionslehrer waren daher auf Nebeneinkünfte angewiesen und übernahmen in ländlichen Gemeinden oft zusätzlich die Aufgaben des Vorsängers und Schächters. Seit seiner Gründung 1879 engagierte sich der "Israelitische Lehrerverein für das Königreich Bayern" für die Verbesserung der Situation jüdischer Lehrer.

Haltung des bayerischen Staates gegenüber den jüdischen Schulen seit Ende des 19. Jahrhunderts

Die Haltung des bayerischen Staates gegenüber den jüdischen Schulen veränderte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ziel der Schulpolitik war es zu Jahrhundertbeginn gewesen, die Emanzipation der Juden zu fördern. Die Unterhaltung eigener Schulen sollte den jüdischen Gemeinden auch einen gewissen kulturellen Freiraum gewähren, der allerdings staatlich kontrolliert wurde. Sofern die gesetzlichen Auflagen wie Mindestgehalt der Lehrer und deren seminaristische Ausbildung erfüllt waren, förderte der bayerische Staat die Gründung jüdischer Schulen.

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Regierung, der Neugründung jüdischer Schulen einen Riegel vorzuschieben. Der Druck der staatlichen Behörden, die die jüdischen Schulen kontrollierten, war seit der Reichsgründung allgemein stark forciert worden. Diese Haltung war von der Idee der Dominanz des christlichen Staates und christlicher Erziehungswerte geleitet, die dazu führte, dass die Toleranz der Schulbehörden gegenüber den jüdischen Schulen kontinuierlich abnahm. Der Errichtung einer jüdischen Volksschule stand die Regierung von Unterfranken und Aschaffenburg 1897 klar ablehnend gegenüber. Die Ministerialverordnung von 1873 verfügte den Ausschluss jüdischer Lehrer aus den Simultanschulen.

Parallel zu diesen Entwicklungen blieb die Mehrheit der jüdischen Öffentlichkeit bei ihrem Widerstand gegen eigene konfessionelle Schulen und gab dem Unterricht jüdischer Kinder an den öffentlichen, christlich geprägten Schuleinrichtungen den Vorzug. Demgegenüber traten vor allem jüdische Lehrer für die Stärkung bestehender und die Gründung neuer jüdischer Schulen ein. Der jüdische Lehrerverein trat für die Gleichberechtigung der jüdischen mit den christlichen Volksschulen und die Einstellung jüdischer Lehrer an den Simultanschulen ein. Infolge des Lehrermangels während des Ersten Weltkriegs übernahmen jüdische Lehrer an christlichen Schulen den Unterricht in den profanen Fächern. Die seit 1873 geltenden Bestimmungen, die eine Anstellung jüdischer Lehrer an den Simultanschulen verboten, wurden gelockert. Eine entsprechende Neufassung des Gesetzes verhinderte aber nach Kriegsende die bayerische Zentrumspartei, die den christlichen Charakter der Schule in Frage gestellt sah. Das bayerische Schulbedarfsgesetz von 1919, das eine Mindestzahl von Schülern in den jüdischen Volksschulen vorschrieb, brachte für viele jüdische "Zwergschulen" die Schließung.

Literatur

  • Mordechai Breuer, Jüdische Orthodoxie im Deutschen Reich 1871-1918. Sozialgeschichte einer religiösen Minderheit. Eine Veröffentlichung des Leo Baeck Instituts, Frankfurt am Main 1986.
  • Mordechai Eliav, Jüdische Erziehung in Deutschland im Zeitalter der Aufklärung und der Emanzipation (Jüdische Bildungsgeschichte in Deutschland 2), Münster u. a. 2001.
  • Klaus Guth, Jüdisches Schulwesen auf dem Land. Religions-, Elementar- und Feiertagsschulen in Franken (1804-1870), in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 70 (1990), 231-249.
  • Rolf Kiessling, Jüdische Gemeinden, in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 4. Band: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. 2. Teilband: Die innere und kulturelle Entwicklung, München 2. Auflage 2007, 356-384.
  • Hermann Oblinger, Schwaben. Beispiel: Jüdische Schulen in Bayerisch-Schwaben, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 2. Band: Geschichte der Schule in Bayern von 1800 bis 1918, Bad Heilbrunn 1993, 230-244.
  • Hans Steidle, Jakob Stoll und die Israelitische Lehrerbildungsanstalt. Eine Spurensuche, Würzburg 2002.
  • Falk Wiesemann, Rabbiner und jüdische Lehrer in Bayern während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Staat – Reform – Orthodoxie, in: Manfred Treml/Josef Kirmeier unter Mitarbeit von Evamaria Brockhoff (Hg.), Geschichte und Kultur der Juden in Bayern (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 17), München 1988, 277-286.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Rebecca Heinemann, Jüdisches Schulwesen in Bayern (1804-1918), publiziert am 16.12.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Jüdisches_Schulwesen_in_Bayern_(1804-1918)> (24.04.2024)