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Reichskleinodien

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Darstellung der Heiltumsweisung aus: Wie das hochwirdigist Auch kaiserlich heiligthum. Vnd die grossen Römischen gnad darzu gegeben. Alle Jaer außgeruefft vnd geweist wirdt, Nürnberg 1487, fol. 192r. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Inc.c.a. 514)
Idealbild Kaiser Karls des Großen von Albrecht Dürer (1471-1528) von 1513. Der Kaiser, auf den die Zeitgenossen die Reichskleinodien zurückführten, ist mit Schwert, Krone und Reichsapfel dargestellt. Die Kleinodien sind sehr genau wiedergegeben. (Germanisches Nationalmuseum)

von Hermann Fillitz

Die Reichskleinodien sind der Kronschatz des bis 1806 bestehenden Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und der einzige weitgehend vollständig erhaltene Kronschatz des Mittelalters. Von 1424 bis 1796 war Nürnberg ihr dauerhafter Aufbewahrungsort. Seit 1800 befinden sich die Reichskleinodien in Wien. Nur zwischen 1938 und 1946 kamen sie nochmals nach Nürnberg. Zu den ältesten Objekten (Reichskrone, Heilige Lanze, Kreuzpartikel) kamen im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters noch weitere Reichsinsignien, Krönungsgewänder und Reliquien. Sie wurden in der Regel bei den Krönungen der deutschen Könige und fallweise auch der römischen Kaiser verwendet. Nach 1518 blieb der Bestand der Reichskleinodien, die auch eine sakrale Bedeutung besaßen, unverändert.

Begriff und Bedeutung

Als "Reichskleinodien" wird der Schatz der Insignien, der Krönungsgewänder und der Reliquien des Heiligen Römischen Reiches (deutscher Nation) bezeichnet. Die Reichskleinodien wurden bei den Krönungen der deutschen Könige, fallweise auch bei römischen Kaiserkrönungen verwendet. In ihrem Besitz sah man - jedenfalls vom 13. Jahrhundert an, wahrscheinlich schon früher - eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Herrschaft. So wurde dieser Insignien- und Reliquienschatz zu einem selbständigen Symbol des Reiches.

Die Reichskleinodien wurden in "Heiltumsweisungen" öffentlich gezeigt, wie es an Orten mit Reliquienschätzen üblich war. Die erste derartige Feier ist 1315 überliefert. Der Gegenkönig Ludwigs des Bayern (reg. 1314-1347, ab 1328 Kaiser), Herzog Friedrich von Österreich (gest. 1330), ließ anlässlich eines Hoftags in Basel die Reichskleinodien vom Münster aus zeigen. Das hatte ebenso politische Bedeutung wie eine ähnliche "Weisung" Ludwigs des Bayern 1324 in München.

Zur kirchlichen Feier entwickelte sich die Heiltumsweisung der Reichskleinodien unter Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378, Kaiser ab 1355). Karl erwirkte 1354 vom Papst die Einführung eines kirchlichen Festes der "Heiligen Lanze und der Kreuzesnägel". Seither fand die Heiltumsweisung jährlich statt. In dieser Zeit bezog man bereits alle Insignien und Gewänder des Schatzes direkt auf Kaiser Karl den Großen (reg. 768-810, Kaiser ab 800), der seit 1165 als heilig verehrt wurde. Sie waren daher Insignien und Reliquien.

In Nürnberg fand bereits wenige Wochen nach der Ankunft der Kleinodien in der Reichsstadt 1424 die erste Heiltumsweisung statt. Sie wurde bis 1523 jährlich abgehalten und dann beim Übertritt der Reichsstadt zur Reformation (endgültig 1525) eingestellt.

Aufbewahrungsorte

Ursprünglich wurden die Insignien und Reliquien vom jeweiligen König/Kaiser verwahrt, so von den Saliern und Staufern auf der Burg Trifels (Stadt Annweiler, Lkr. Südliche Weinstraße, Rheinland-Pfalz) und von den frühen Habsburgern auf der Kyburg bei Winterthur (Kanton Zürich, Schweiz). Ludwig der Bayer ließ sie in den Alten Hof nach München bringen. Karl IV. hütete sie zuerst in Prag, dann auf Burg Karlstein bei Prag. Kaiser Sigismund (reg. 1410-1437, Kaiser ab 1433) verlieh der Freien Reichsstadt Nürnberg das Privileg der ständigen Aufbewahrung der Reichskleinodien (29. September 1423).

Der Rat der Stadt Nürnberg hatte die Kleinodien jeweils in die Stadt zu bringen, in der die Krönung des Königs stattfand. Das war zunächst Aachen, dessen Recht als Krönungsort bis 1806 formal fortbestand, dann meistens, aber nicht ausschließlich Frankfurt am Main, der Ort der Königswahl. Jeweils zwei bis vier Begleiter wurden vom Rat der Stadt ausgewählt; ihnen erteilte am Schluss der Krönungsfeierlichkeiten der neu Gekrönte den Ritterschlag.

1796 brachten die Verantwortlichen der Stadt die Reichskleinodien vor der französischen Armee in Sicherheit, zunächst an den Sitz des Reichstages in Regensburg, schließlich nach Wien. Dort wurden sie im Auftrag von Kaiser Franz II. (reg. als röm. Kaiser 1792-1806) in der kaiserlichen Schatzkammer hinterlegt (1800). Bei der Flüchtung gingen einige Objekte für immer verloren (so die Sporen, die Armillae, das Umerale, die zur Adlerdalmatica gehörende Gugel, u. a. m.)

Die Aachener Objekte

Als Reichskleinodien gelten auch drei Objekte des Aachener Münsterschatzes. Sie wurden der Legende zufolge von Kaiser Otto III. (reg. 983-1002, Kaiser ab 996) im Grabe Karls des Großen gefunden, nämlich das Evangeliar (Aachen um 800), die Stephansbursa (karolingisch, 1. Drittel 9. Jahrhundert) und der Säbel Karls des Großen (eine osteuropäische Waffe des 10. Jahrhunderts). Als Reliquien des ersten abendländischen Kaisers waren sie bei allen Krönungen präsent. Als der Aachener Münsterschatz in den Franzosenkriegen nach Paderborn geflüchtet wurde, übernahm der kaiserliche Gesandte Clemens August Graf von Westphalen (1753-1818) diese drei Objekte und ließ sie ebenfalls nach Wien bringen (1801). Seither bilden die Nürnberger und die Aachener Reichskleinodien eine Einheit.

Das Schicksal der Reichskleinodien nach 1806

Adolf Hitler besichtigt die in Nürnberg ausgestellten Reichskleinodien, hier die Kaiserkrone. Mit im Bild Oberbürgermeister Willy Liebel (1897-1945). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv, hoff-21524)

Am 6. August 1806 erklärte Kaiser Franz II. unter dem Druck eines Ultimatums Napoleons I. (1769-1821) das Heilige Römische Reich für aufgelöst. Damit verloren die Reichskleinodien ihren offiziellen Rang. Sie blieben in der Wiener Schatzkammer.

1938 ließ Adolf Hitler (1889-1945) die Reichskleinodien von Wien wieder nach Nürnberg bringen, ebenso die drei Aachener Kleinodien, wo sie in der als Meistersingerkirche bezeichneten Katharinenkirche ausgestellt wurden. Später sollten zumindest die wichtigsten Insignien während der Reichsparteitage im Kongressgebäude der NSDAP gezeigt werden. Während des Zweiten Weltkrieges war der Schatz in den Kunstbunkern unter der Nürnberger Burg geborgen. Dort fand ihn die amerikanische Besatzungsmacht. Sie übergab die Reichskleinodien Anfang 1946 in Wien der österreichischen Bundesregierung. 1954 wurden sie in der neu gestalteten Schatzkammer in der Wiener Hofburg wieder ausgestellt.

Die ältesten Objekte

Die ältesten und im Mittelalter wichtigsten Teile der Reichskleinodien sind die Krone, die Heilige Lanze und die Kreuzpartikel. Der Wunderkraft der beiden Reliquien schrieb man siegbringende Wirkung für den König/Kaiser zu. Kaiser Konrad II. (reg. 1024-1039, Kaiser ab 1027) ließ für sie das Reichskreuz als Reliquienbehälter anfertigen.

Nach und nach kamen zu diesen Objekten weitere Insignien: das Schwert, der Reichsapfel usw. Wieso einige darunter nicht austauschbar waren, andere offenbar sehr wohl, dürfte in ihrer Verbindung mit einer verehrten Persönlichkeit oder der Erinnerung an ein entscheidendes Ereignis zu erklären sein. So hat Heinrich II. (reg. 1002-1024, Kaiser ab 1014) die Krone Ottos des Großen (reg. 936-973, Kaiser ab 962) offenbar demonstrativ wiederverwendet; er ließ auch ein neues Kronenkreuz anfertigen. Mit seinem Nachfolger Konrad II., von dem der Kronenbügel stammt, scheint die Kontinuität dieser Krone als "Reichskrone" einzusetzen. Bei dem Reichsschwert stammt die Klinge wahrscheinlich von einer besonderen Waffe, vielleicht aus einer entscheidenden Schlacht. Heinrich IV. (reg. 1056-1105, Kaiser ab 1084) ließ für sie eine neue Scheide mit Darstellungen von 14 Königen (Stammbaum von Karl dem Großen her?) schaffen. Otto IV. (König ab 1198, Kaiser ab 1209, gest. 1218) erneuerte Parierstange und Griff. Im Gegensatz dazu wurden offenbar andere Insignien gegen kostbarere ausgetauscht, so der Reichsapfel (Köln?, spätes 12. Jahrhundert). Es mussten auch verlorene ersetzt werden (Szepter).

Das älteste Verzeichnis von 1246

Reichsschwert, Zeremonienschwert und Reliquiare Urbans V. Abb. aus: Abb. aus: Heiltum zu Nürnberg, 1487, fol. 193r. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Inc.c.a. 514)

Das älteste bekannte Verzeichnis der Reichskleinodien entstand am 17. September 1246 bei der Übernahme der Burg Trifels und der dort verwahrten "keyserlichen Zeichen" durch Konrad IV. (reg. 1237-1254) für seinen Vater Kaiser Friedrich II. (König ab 1211, Kaiser ab 1220, gest. 1250). Darin werden auch Gewänder angeführt. Sie kamen aus der königlichen Werkstätte in Palermo und wurden wohl für die Kaiserkrönung Friedrichs II. 1220 und von da an regelmäßig bei Krönungen verwendet. Für Friedrich II. wurden zu den älteren Gewändern (Pluviale 1133/34) einige Stücke ergänzt, darunter das sogenannte Zeremonienschwert.

Spätere Ergänzungen bis 1518/23

Wohl eher zufällig sind später noch einzelne Insignien und Gewänder in den Reichsschatz gekommen, so ein Aspergile (Weihwasser-Sprenger), zwei einfache Reichsäpfel und vor allem die sogenannte Adlerdalmatica, die fallweise anstelle der sizilianischen "Dalmatica" getragen wurde. Karl IV. ließ einige Reparaturen und Verbesserungen an einzelnen Stücken des Reichsschatzes vornehmen (Heilige Lanze, Zeremonienschwert). Für das Reichskreuz ließ er einen neuen Fuß anfertigen, ferner für mehrere Objekte Futterale (Koffer der Krone). Drei der Reliquiare, die Papst Urban V. (reg. 1362-1370) ihm 1368 geschenkt hatte, kamen zu den Reichskleinodien (Kettenglieder von den Fesseln der Apostel Paulus und Johannes Ev., dazu das Kettenglied des hl. Petrus, das Karl IV. wahrscheinlich 1354 in Trier erworben hatte; Span von der Krippe Christi und Gewandstück des Evangelisten Johannes).

Die Stadt Nürnberg ließ für die Reliquiare des Reichsschatzes einen Silberschrein anfertigen (1438/40; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), ebenso mehrere Koffer für verschiedene Insignien. Der Schrein hing im Chor der Heilig-Geist-Kirche. Schließlich hat die Stadt 1518 den Reliquienschatz durch zwei Monstranzen mit einem Stück vom Tischtuch des Letzten Abendmahles und vom Schurztuch Christi bei der Fußwaschung bereichert.

Beschreibung von 1790

Die Reichskrone. (aus: Delsenbach, Delineation)

1790 erschien die Publikation von Christoph Gottlieb von Murr (1733-1811) über die Reichskleinodien, zusammen mit den Kupferstichen der einzelnen Objekte von Johann Adam Delsenbach (1687-1765). Ob ihrer Genauigkeit besitzen sie auch heute noch Quellenwert, vor allem für die Stücke, die bei der Flucht aus Nürnberg verlorengegangen sind.

Literatur

  • Die Reichskleinodien, Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997.
  • Hermann Fillitz, Die Insignien und Kleinodien des Heiligen Römischen Reiches, Wien/München 1954.
  • Hermann Fillitz, Die Reichskleinodien: Ein Versuch zur Erklärung ihrer Entstehung und Entwicklung, in: Heilig - Römisch - Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa, Dresden 2006, 133-161.
  • Hermann Fillitz, Die Reichskleinodien: Entstehung und Geschichte, in: Heiliges-Römisches Reich Deutscher Nation 962 bis 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. 2. Band: Essays, Dresden 2006, 61-72.
  • Hermann Fillitz, Die Schatzkammer in Wien, Wien/München 1964 (neue veränderte Ausgabe Salzburg 1986).
  • Hermann Fillitz, Katalog der Weltlichen und Geistlichen Schatzkammer (Führer durch das Kunsthistorische Museum 2), Wien 1954 (und weitere Auflagen).
  • Franz Kirchweger (Hg.), Die Heilige Lanz in Wien (Schriften des Kunsthistorischen Museums 9), Wien 2005.
  • Ernst Kubin, Die Reichskleinodien. Ihr tausendjähriger Weg, Wien/München 1991.
  • Nobiles Officinae. Die königlichen Hofwerkstätten zu Palermo zur Zeit der Normannen und Staufer im 12. und 13. Jahrhundert. Ausstellungskatalog Wien und Palermo 2004, Wien u. a. 2004.
  • Julius von Schlosser, Die deutschen Reichskleinodien, Wien 1920.
  • Percy Ernst Schramm/Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser 768-1250 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 2), München 2. Auflage 1981.
  • Percy Ernst Schramm/Hermann Fillitz/Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser. 2. Bad: 1273-1579 (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München 7), München 1978.
  • Friedrich Sprater, Die Reichskleinodien in der Pfalz, Ludwigshafen/Saarbrücken 1942.
  • Arpad Weixlgärtner, Geschichte im Widerschein der Reichskleinodien, Baden bei Wien 1938.
  • Die Weltliche und Geistliche Schatzkammer. Bildführer (Führer durch das Kunsthistorische Museum 35), Wien/Salzburg 1987.
  • Gunter G. Wolf, Die Wiener Reichskrone (Schriften des Kunsthistorischen Museums 1), Wien 1995.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Hermann Fillitz, Reichskleinodien, publiziert am 29.06.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichskleinodien> (19.03.2024)