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Dekan/Dekanat

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Die Evangelisch-Lutherische Kirche 1960. Eingezeichnet sind die sowohl die Sitze der Kreisdekane als auch die Sitze der Dekane. (aus: Max Spindler [Hg.], Bayerischer Geschichtsatlas, München 1969, 41)

von Hans Rößler

Schon in der Antike gebräuchliche Amtsbezeichnung, die bevorzugt im kirchlichen, daneben auch im universitären, ganz selten im weltlichen Bereich verwendet wird. Dekane nehmen seit dem 9. Jahrhundert die zweithöchste Rangstufe in Stifts- und Domkapiteln ein. Die gleiche Bedeutung haben sie bei einigen Ordensgemeinschaften (v. a. Augustiner-Chorherren). In der Pfarrorganisation sind sie ebenfalls seit dem 9. Jahrhundert als Vorsteher einer größeren Anzahl von Pfarrern in kirchenrechtlichen Quellen nachweisbar. Im Raum des heutigen Bayern ist diese Funktion aber erst ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert bis spätestens Mitte des 12. Jahrhunderts konkret greifbar. Die Priester eines Dekanats sind im Landkapitel zusammengeschlossen, dem der Dekan vorsteht. Das traditionelle Wahlrecht des Landkapitels blieb bis heute - trotz gegenteiliger universalkirchlicher Regelungen - erhalten. In den evangelischen Gebieten Bayerns traten an die Stelle der Dekane vielfach die Superintendenten. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Titel wieder neu eingeführt.

Herkunft des Begriffs

Das Wort Dekan stammt aus dem römischen Heerwesen der Kaiserzeit, in dem ein decanus als eine Art Unteroffizier zehn Mann (ein Manipel oder contubernium) befehligte. Vermutlich durch die Vermittlung der Regula Benedicti (c. 21), die je zehn Brüder unter die Aufsicht eines decanus stellte, gelangte es in den kirchlichen Sprachgebrauch.

Dekan als Leitungsamt in Domkapiteln und Stiften

Im kirchlichen Bereich erscheint der Begriff Dekan seit dem 9. Jahrhundert zunächst als Bezeichnung für den (nach dem Propst) zweiten Dignitär eines Domkapitels (in Freising erstmals 814). Während der Dompropst besonders für die materiellen Belange zuständig war, oblag dem Dekan die innere Ordnung des Kapitels, nämlich vor allem die Regelung des Chordienstes und die Aufsicht über die Kanoniker, über die er zusammen mit dem Kapitel die Disziplinargewalt ausübte. Er wurde außerdem vielfach zu Rechtsgeschäften innerhalb des Bistums herangezogen. Um die Wahl bzw. Ernennung des Domdekans konkurrierten bis zur Säkularisation Domkapitel und Papst. Das Konkordat von 1818/21 sicherte dem bayerischen König das Ernennungsrecht für die Domdekane aller bayerischen Bistümer zu. Seit dem Konkordat von 1924 werden die Domdekane vom Domkapitel gewählt.

Auch in anderen Kanonikergemeinschaften (Kollegialstifte, Augustiner-Chorherren) gibt es Dekane, die - wie bei den Domkapiteln - vor allem für die innere Leitung der Gemeinschaft zuständig sind. Bei anderen Ordensgemeinschaften (z. B. Benediktiner, Zisterzienser) hat diese Aufgabe der Prior.

Dekane in der Pfarrorganisation

Seit dem 9. Jahrhundert erscheinen Dekane auch mit Leitungs- und Aufsichtsfunktionen in der Pfarrorganisation. Hinweise auf das Amt des Dekans entstammen allerdings zu dieser Zeit ausschließlich kirchenrechtlichen, also normativen Quellen. In den Urkunden und Synodalakten sind Dekane dieser Art in Bayern ab dem ausgehenden 11. Jahrhundert (z. B. Bistum Freising um 1090, Bistum Eichstätt 1129, Bistum Würzburg 1133) belegt, meist im Zusammenhang mit einem capitulum rurense (Landkapitel als Gesamtheit der Geistlichen eines Dekanates), das später (z. B. Bistum Würzburg 1251, Bistum Eichstätt 1283) auch als (con)fraternitas (Bruderschaft) bezeichnet wird. Damit tritt der Dekan in den Zusammenhang mit den Kapitelsbruderschaften, die sich zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert ausbildeten. Diese wählen in der Regel den Dekan, auch wenn deren Wahl in den Quellen kaum vor dem 15. Jahrhundert belegt ist (Bistum Würzburg, 1434 Bistum Eichstätt). Zu den frühesten Kapitelsstatuten zählen die von Ochsenfurt (Bistum Würzburg) aus dem Jahr 1371 (Krieg, Landkapitel), die Regelungen für die Totenmessen und Gottesdienste bei der Kapitelsversammlung, für die Kapitelszusammenkunft selbst und für das gemeinsame prandium (Mahlzeit) treffen.

Die Forschung geht derzeit davon aus, dass Priesterbruderschaften (Gebetsverbrüderungen) nach dem Vorbild der bischöflichen Kathedralen zunächst an den Tauf- und Mutterkirchen gegründet wurden. An ihre Stelle sei seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Landkapitelsverfassung getreten, wenngleich Sonderpriesterbruderschaften an einzelnen Kirchen fortbestanden bzw. neu gegründet wurden.

Dekane und Archidiakone

Gleichzeitig mit den Landdekanen treten in den Quellen Archipresbyter oder Archidiakone (jüngerer Ordnung) auf, die über ein Dekanat (z. B. im alten Bistum Bamberg), meist über mehrere (= Archidiakonat) die geistliche Jurisdiktion, Visitation und Investitur der Pfarrer sowie das Sendgericht über die Laien ausüben; sie nehmen als Vertreter der bischöflichen Gewalt an den Kapitelsversammlungen teil. Dabei verlief die Entwicklung nicht einheitlich. Im Bistum Passau kam es z. B. in den fünf Archidiakonaten des westlichen Bistumsteils im Mittelalter nur vorübergehend zur Ausbildung von Dekanaten, während in den anderen bayerischen Bistümern die Archidiakonate seit dem Ende des Mittelalters hinter den Dekanaten verschwanden. Die Archidiakone waren in der Regel Mitglieder des Domkapitels und vertraten gegenüber den genossenschaftlich organisierten Landkapiteln die bischöfliche Zentralgewalt. Nach einer Blütezeit ihrer Macht im 12./13. Jahrhundert, wo sie die Gesetzgeber der Landkapitel waren, wurden sie von den Bischöfen mehr und mehr zurückgedrängt und verschwanden spätestens im 16. Jahrhundert aus den Quellen. Der Bischof übernahm nun selbst ihre Funktion, was freilich bei der räumlichen Ferne letztendlich die Stellung der Landdekane festigte.

In den Sonderfällen der mit Augustiner-Chorherrenstiften verbundenen Archidiakonaten Rottenbuch (Lkr. Weilheim-Schongau), Gars (Lkr. Mühldorf a. Inn), Baumburg (Gde. Altenmarkt a. d. Alz, Lkr. Traunstein) und Herrenchiemsee (Lkr. Rosenheim), die bis zur Säkularisation bestanden, unterblieb die Bildung von Landkapiteln. Diese wurden in den betroffenen Regionen erst Anfang des 19. Jahrhunderts eingerichtet.

Die Dekanatsorganisation erfuhr außer in den Gebieten, die von der Reformation betroffen waren (vor allem die Bistümer Bamberg und Würzburg), zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert nur geringfügige Veränderungen. Ein Dekanat umfasste zwischen ca. zwölf Pfarreien (Bistum Freising 1315) und ca. 50 Pfarreien (z. B. Bistum Würzburg 1464/65).

Dekanate als Priesterbruderschaften (Landkapitel)

Die Dekanate erscheinen in den Quellen ihrer inneren Organisationsstruktur nach in der Regel als Pfarrerbruderschaften (confraternitas), der alle bepfründeten Pfarrgeistlichen (außer den Kooperatoren/Hilfspriester) und Benefiziaten qua Amt, gelegentlich (als passive Mitglieder) auch Laien angehören. Nicht vertreten waren die Vikare ad nutum (die jederzeit absetzbaren Vikare) in voll inkorporierten Pfarreien. Diese "Landkapitel" wählten in freier Wahl den Dekan und seinen Stellvertreter, den "camerarius", der die Kasse der Bruderschaft verwaltete (in den Bistümern Würzburg und Bamberg traten der "procurator" und der "defintor" neben ihm oder an seiner Statt auf), sowie den Schriftführer ("Synodalzeuge", "testis synodalis"). Dem Bischof gegenüber bestand lediglich eine Anzeigepflicht. So wechselten mit jedem Dekan der Sitz und Name des Dekanates, es sei denn ein geographischer Name (z. B. "inter amnes" in den Bistümern Freising und Passau) oder der regelmäßige Ort der Kapitelsversammlung wurden als Namensgeber verwendet. Im Bistum Freising war lediglich in den Residenzstädten München, Landshut und Freising das Amt des Dekans fest mit einem städtischen Pfarramt verbunden ("decanus natus"), im Bistum Würzburg in den Residenzstädten Würzburg und Fulda.

Die Hauptaufgabe des Dekans war die Vorbereitung und Durchführung des Kapitelsjahrtages, der regelmäßig drei Programmpunkte aufweist: das Requiem für die Verstorbenen, die Kapitelsversammlung und ein gemeinsames Mahl (prandium). In der Kapitelsversammlung wurden auch die Dekrete und Mandate des Bischofs verlesen und die bischöflichen Abgaben und Steuern erhoben. Seit dem 17. Jahrhundert versuchten die Bischöfe in zunehmendem Maße, auf die Dekanswahl und die Gestaltung der Kapitelsversammlung im pastoralen Sinn Einfluss zu nehmen, so dass sich das Dekanat bis zum 19. Jahrhundert mehr und mehr zu einer bischöflichen Mittelbehörde entwickelte. Dekane werden in der katholischen Kirche Bayerns trotz des Codex Iuris Canonici von 1983 aufgrund partikularkirchenrechtlicher Bestimmungen auch heute noch gewählt.

Die Erforschung der Dekanatsverfassung ist in einzelnen Bistümern (z. B. Bamberg und Würzburg) weit fortgeschritten, in anderen noch lückenhaft. Weitere Arbeiten sollten das Dekanat, seine Geschichte und seine Struktur - jeweils im Zusammenhang mit der Geschichte des Bruderschaftswesens, der Archidiakonate und der flächendeckenden und territorial abgrenzenden Pfarreiorganisation des 11. und 12. Jahrhunderts - betrachten und zwecks Vergleich den Blick über die Diözesangrenzen nicht scheuen.

Dekane im evangelischen Kirchenwesen Bayerns

In den zur Reformation übergetretenen Territorien wurde nach der Reformation lediglich die Pfarrgliederung beibehalten. Die Dekanate entstanden dagegen in der Regel in Anlehnung an die Bereiche weltlicher Ämter neu. Außer im Markgraftum Ansbach hießen die Dekane nach sächsischem Vorbild jetzt Superintendenten; sie wurden vom jeweiligen landesherrlichen Kirchenregiment ernannt. Ihre Hauptaufgabe lag dem reformatorischen Ursprung entsprechend in der Visitation.

Mit der Entstehung der "Protestantischen Gesamtgemeinde Bayerns" wurde 1808 der Name Dekan wieder eingeführt. Gleichzeitig wurde eine Neueinteilung der Dekanate in Angriff genommen, die 1810 zum Abschluss kam. In der Kirchenverfassung von 1921 wurden die Kirchenbezirke (Dekanatsbezirke) Körperschaften des öffentlichen Rechtes, deren Struktur und Eigenständigkeit die Kirchenverfassung von 1971 stärkte.

Auf der Ebene zwischen den Dekanaten und den Konsistorien amtierten seit 1810 die "Generaldekane". Die Kirchenverfassung von 1921 reaktivierte dieses Amt in Form der Kreisdekane, die den ursprünglich vier, seit 1951 bzw. 1972 sechs Kirchenkreisen (Ansbach, Bayreuth, München, Nürnberg; Augsburg, Regensburg) vorstehen. Die Kreisdekane heißen seit 2000 Regionalbischöfe.

Dekane an Universitäten

Im universitären Bereich ist der Dekan der gewählte Vorsitzende des "consilium doctorum" einer Fakultät, so nach Pariser Vorbild an der ältesten bayerischen Universität in Ingolstadt (seit 1472), wo ihm unter der Gesamtleitung des Senats die Einberufung und Leitung der Fakultätsversammlung sowie ein gewisses Aufsichtsrecht über die Lehrveranstaltungen zusteht. Heute ist der Dekan der vom Fakultäts- bzw. Fachbereichsrat gewählte Leiter einer Fakultät bzw. eines Fachbereichs; er wird auch als Fachbereichsleiter bezeichnet.

Sonstiges

In der frühmittelalterlichen Grafschaftsverfassung ist der decanus in der "Lex Baiuvariorum" als Inhaber von niederen, räumlich eng begrenzten Amtsfunktionen zu finden. In hochmittelalterlichen Quellen kann Dekan den (lokalen) Vertreter eines hohen Herrschaftsinhabers, aber auch den Beauftragten eines grundherrschaftlichen Meiers bezeichnen.

Literatur

  • Joseph Ahlhaus, Die Landdekanate des Bistums Konstanz im Mittelalter. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Kirchenrechts- und Kulturgeschichte (Kirchenrechtliche Abhandlungen 109/110), Stuttgart 1929.
  • Laetitia Böhm, Das Hochschulwesen in seiner organisatorischen Entwicklung, in: Max Spindler/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 2. Band: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 2. Auflage 1988, 920-965.
  • Franz Xaver Buchner, Verfassung und Rechte der Landkapitel. Geschichtliche Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Neumarkt in der Oberpfalz 1919.
  • Hermann-Joseph Busley, Die Geschichte des Freisinger Domkapitels. Von den Anfängen bis zur Wende des 14./15. Jahrhunderts, Diss. masch. München 1936.
  • Adam Götz, Die rechtliche Stellung der Dekane in Bayern, Würzburg 1914.
  • Johann Gruber, Mittelalterliche Priesterbruderschaften unter besonderer Berücksichtigung des Bistums Regensburg, in: Paul Mai/Karl Hausberger (Hg.), Die Priesterbruderschaft St. Salvator zu Straubing. Studien zu ihrer Geschichte (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg. Beiband 11), Regensburg 2001, 25-45.
  • Georg Kanzler, Die Landkapitel im Bistum Bamberg, in: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 83 (1931), 1-71 und 84 (1934), 1-119.
  • Richard Klein u. a., Art. "Dekan", in: Lexikon des Mittelalters. 3. Band, Stuttgart/Weimar 1999, 651-654.
  • Edgar Krausen, Das Archiv des Ruralkapitels Tölz-Wolfratshausen, in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977), 76-81.
  • Julius Krieg, Die Landkapitel im Bistum Würzburg bis zum Ende des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaften im katholischen Deutschland 28), Paderborn 1916.
  • Julius Krieg, Die Landkapitel im Bistum Würzburg von der zweiten Hälfte des 14. bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Kirchenrechtliche Abhandlungen 99), Stuttgart 1923.
  • Josef Oswald, Der organisatorische Aufbau des Bistums Passau im Mittelalter und in der Reformationszeit. Offizialats-, Dekanats- und Pfarreinteilung, in: Zeitschrift der Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 61 (1941), 131-164.
  • Martin Remling, Bruderschaften in Franken. Kirchen- und sozialgeschichtliche Forschungen zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bruderschaftswesen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und des Hochstifts Würzburg 35), Würzburg 1986.
  • Hans Rößler, Von der Priesterbruderschaft zur (erz-)bischöflichen Mittelbehörde. Die Dekanatsverfassung im Bistum Freising zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 73 (2004), 20-28.
  • Anton Schneider, Die ehemaligen Landkapitelbibliotheken in Bayerisch-Schwaben, in: Bibliotheksforum Bayern 20 (1992), 352-366.
  • Paul Schöffel, Zur Geschichte der Würzburger Landkapitel im 12. und 13. Jahrhundert, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 10 (1935), 20-26. (Berichtigungen zu J. Krieg 1916)
  • Friedrich Thudichum, Die Diözesen Konstanz, Augsburg, Basel, Speier, Worms nach ihrer alten Einteilung in Archidiakonate, Dekanate und Pfarreien (Tübinger Studien für Schwäbische und Deutsche Rechtsgeschichte I, 2), Tübingen 1906.

Quellen

  • Als Anhang zu ihren Abhandlungen bieten Georg Kanzler und Julius Krieg (1916) umfangreiches Quellenmaterial (Urkunden, Statuten, Matrikel).

Weiterführende Recherche

Landdekan, Landkapitel, Ruraldekan, Ruralkapitel, Domdekan, Superintendent, Fachbereichsleiter

Empfohlene Zitierweise

Hans Rößler, Dekan/Dekanat, publiziert am 13.09.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dekan/Dekanat> (29.03.2024)