Trachtenbewegung, Trachtenvereine
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die historische Kleidungskultur vorrangig der ländlich-bäuerlichen Bevölkerung genießt in Bayern seit dem 19. Jahrhundert das Interesse verschiedener Personenkreise. Die Antriebe hierzu waren vorrangig ein traditionalistisches Kulturverständnis wie auch staatspolitische Erwägungen. Dabei wurde und wird die getreue Orientierung am tatsächlichen Kleidungsverhalten der Vergangenheit vielfach von Neuschöpfungen aus unterschiedlichsten Motiven ergänzt und überlagert. Diese Trachtenpflege versteht ihren Kleidungsstil als stark wertbesetzt. Tracht ist in diesem Kontext Identitätsmerkmal für bayerische Lebensart. Nicht nur in Gestalt der organisierten Trachtenbewegung manifestiert sich Tracht zudem als expressiver Teil der bayerischen Repräsentationskultur bis ins 21. Jahrhundert.
Der Begriff "Tracht"
Der Begriff "Tracht" meint im klassischen Verständnis die Kleidung ländlicher und kleinbürgerlicher Bevölkerungskreise, die regional, zeitlich, konfessionell und fallweise auch ethnisch begrenzt ist, die den sozialen Status widerspiegelt und je nach Anlass wechselt. Sie galt lange Zeit zudem als von den Trägergruppen nach alt überlieferten Mustern und Regeln selbst gefertigt. Unter anderem motivierte vor allem die im Begriff "Tracht" eingeschlossene Abgrenzung gegenüber der schnelllebigen Mode (der oberen Schichten) dazu, dass im wissenschaftlichen Bereich der Begriff "Tracht" eher vermieden bzw. nur noch für Phänomene absichtsvoller und organisierter Kleidungspflege verwendet wird.
Frühe Initiativen einer Trachtenpflege in Bayern
Das seit etwa dem 16. Jahrhundert nachweisbare regionale Kleidungsverhalten ländlicher Bevölkerungskreise wurde ab Mitte des 19. Jahrhunderts von einem deutlich an die internationale Mode angelehnten Kleidungsstil abgelöst. Diesen epochalen Wandel begleiten seit dessen Anfängen Initiativen zur Trachtenpflege. Das Haus Wittelsbach setzte Anfang des 19. Jahrhunderts erste Schritte einer staatspolitisch motivierten Trachtenpflege: Zur Hochzeit des Kronprinzen Ludwig (des späteren Königs Ludwig I., 1786-1868, reg. 1825-1848) mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen (1792-1854) im Jahr 1810 repräsentierten acht Kinderpaare die damaligen acht bayerischen Kreise in eigens hierfür von Felix Joseph von Lipowsky (1764-1842) entworfenen "Trachten". In größerem Umfang wiederholte sich dieses Szenario zur Silberhochzeit des Königspaares 1835 sowie zur Vermählung des Kronprinzen Max (dem späteren König Maximilian II. 1811-1864, reg. 1848-1864) mit Marie von Preußen (1825-1889) im Jahr 1842.
Diese Einbindung von Trachtenträgern ins Hofzeremoniell zeigt eine klare staatspolitische Programmatik: Die emblematische Verwendung von Volkstrachten aus allen Landesteilen diente der Hebung des bayerischen Nationalgefühls im neu geschaffenen Königreich. Allerdings waren in mehreren Landschaften keine "Trachten" im geforderten regionaltypischen Zuschnitt und als traditionsgebundene Originale im Alltag vorhanden. So musste mit musealisierenden Rückgriffen und Konstruktionen regionaltypischer "Trachten" nachgeholfen werden. Auf dieser Basis unternahm König Max II. 1846 (noch als Kronprinz) und 1853 die ersten Erhaltungsbemühungen für Trachten. Zudem kleidete er sich als erster wittelsbachischer Regent in Tracht, was nachfolgende Familienmitglieder fortsetzten. Damit wurde namentlich die oberbayerische Tracht hoffähig und gilt seitdem sogar bei offiziellen Anlässen als tragbar.
Neben den Gebirgstrachten konnte die so genannte "Dachauer Tracht" in trachtenpflegerischem Sinne nie ähnlich weit ausstrahlen. Sie gewann hingegen vor allem als Requisit und Karrikatur in Münchner Künstlerkreisen (Simplicissimus, Ludwig Thoma [1867-1921], Paul Neu [1881-1940]) und beim Genre des Bauerntheaters Klischeecharakter für kerniges bayerisches Bauerntum und erreichte in dieser Verwendung Höhepunkte in den 1920er und 1930er Jahren sowie nochmals in den 1960er Jahren.
Erste Trachtenvereine ab 1883
Trotz der frühen Gründung eines Trachtenvereines im österreichischen Graz (1871) gilt allgemein Oberbayern als Wiege der Trachtenbewegung. Hier begann 1883 mit der Gründung des "Vereines zur Erhaltung der Volkstrachten im Leitzachtal" durch den Lehrer Josef Vogl (1848-1886) in Bayrischzell die Entwicklung einer organisierten Trachtenbewegung in Bayern. Erstmals wurde hier für Bayern als satzungsgemäßer Hauptzweck die "Wiederauffrischung der im Verschwinden begriffenen kleidsamen Volkstracht" festgeschrieben. Anregungen für diese Vereinsgründung kamen unter anderem von den Tiroler Nationalsängergruppen, von der Miesbacher Schuhplattlergesellschaft (seit 1859) und von Alpenvereinsmitgliedern. In der Kombination einer von Jägern, Holzknechten und Sennen adaptierten und an ältere Tiroler Kleidungsformen anschließenden Männertracht mit kurzer Lederhose und Schuhplattlertanz gründeten sich in rascher Folge weitere Trachtenvereine, zunächst in der Region Oberbayern, bald jedoch auch in anderen Gegenden Bayerns. All diese Vereine wandten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich der Pflege der "Gebirgstracht" zu. Hierin zeigt sich eine deutliche Parallele zur bayerischen Volksmusikpflege dieser Zeit, wo man ebenfalls lange Zeit auf alpenländisches Volkslied und Volksmusik konzentriert blieb. Die Trachtenvereine schlossen sich ab 1890 in Gauverbänden zusammen.
Eine Gruppe aus Neunhof beim ersten Historisch-Bayerischen Volkstrachtenfest in München, das 1895 von dem Heimatschriftsteller Maximilian Schmidt (1832-1919) initiiert wurde. (Stuffler, M.: Bayerische Trachten. 25 Fotografien, 1895; auch in: Selheim, Claudia: Bildzitate und die Musealisierung der Tracht - Ein Beispiel aus der Sammlung Kling des Germanisches Nationalmuseums, in: Karl Borromäus Murr u. a. [Hg.], Die süddeutsche Textillandschaft, Augsburg 2010, 411)
Trachtenverein Hechenberg 1920. (Trachten-Informations- Zentrum des Bezirks Oberbayern)
Gruppenbild des Trachtenvereins Priens aus dem Jahr 2005. (Trachten-Informations- Zentrum des Bezirks Oberbayern)
Stellung zur katholischen Kirche
Der sich entfaltenden Trachtenvereinskultur stand die katholische Kirche von Beginn an skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die abendlichen und sonn- beziehungsweise feiertäglichen Treffen und Ausflüge von jungen Erwachsenen beiderlei Geschlechts namentlich aus den ländlichen Mittel- und Unterschichten (Handwerker, Dienstboten) und ohne Aufsicht von Geistlichen oder bürgerlichen Honoratioren lösten Unterstellungen von Unmoral und Sittenlosigkeit aus, die durch die tänzerischen Aktivitäten und den Kleidungsstil (kurze Lederhose) noch gesteigert wurden. Diesem nichtbürgerlichen Kulturmilieu mit Tendenz zur Flucht aus der kirchlichen Überwachung verweigerten Kirchenvertreter die Weihe der Vereinsfahnen bis in die 1930er Jahre (ab 1902 sogar durch die Erzdiözese München-Freising). Im Anschluss rückte die Kirche von ihrer Distanzierung mehr und mehr ab.
Politische Orientierung
In politischer Hinsicht sind in der organisierten Trachtenbewegung seit den Anfängen unterschiedliche Richtungen nebeneinander greifbar. Gerade für die Anfangsjahrzehnte bis um 1920 wird vielfach eine spürbare sozialdemokratische beziehungsweise sozialistische Gesinnung unterstellt, die sich allerdings nach derzeitigem Forschungsstand nur indirekt erschließen lässt (zum Beispiel über die Sozialstruktur der Vereinsmitglieder). Politisch eindeutig rechts orientierte Vereine bildeten die Ausnahme. Den Gleichschaltungsmaßnahmen der NS-Herrschaft widersetzten sich die Trachtenfunktionäre mehrheitlich tatkräftig zum Erhalt der eigenständigen Vereinskultur. Eher sind diverse Annäherungsversuche politischer Parteien (Bayerische Volkspartei in der Weimarer Republik, Christlich-Soziale Union nach 1945) festzustellen als eine im engeren Sinne parteipolitische Orientierung der Trachtenverbände, deren parteipolitische Annäherungen vorrangig aus verbandsstrategischen Gründen zur möglichst effektiven Verfolgung der eigenen Ziele erfolgen.
Trachtenverbände
1925 gelang es, insgesamt 10 Gauverbände des bayerischen Alpenvorlandes zu einem Dachverband mit dem Namen "Vereinigten Trachtenverbände des bayerischen Oberlandes" zusammenzuschließen. Dieser erste Trachtenverband wurde am 25. Oktober 1925 im Hackerkeller in München gegründet und umfasste seinerzeit 303 Vereine mit 19.135 Mitgliedern. Sein kontinuierliches Anwachsen (1999: 17 Gauverbände mit 168.127 Mitgliedern in 795 Vereinen) wurde lediglich in der NS-Zeit von organisatorischen Repressalien ("Gleichschaltung") und massiver politischer Einflussnahme begleitet. Seit 1927 gibt der Verband eine eigene Zeitschrift heraus (Vorläufer seit 1902). Im Jahr 1947 wurde dieser Verband unter dem Namen "Vereinigte Bayerische Trachtenverbände" neu gegründet.
Ab 1908 organisierte sich daneben ein Teil der Trachtenvereine in einem zweiten Verband namens "Landesverband Bayerischer Heimat- und Volkstrachtenvereine". Erst im Jahr 2002 gelang die Fusion beider Verbände zum "Bayerischen Trachtenverband" mit 203.787 Mitgliedern in nun 982 Vereinen aus insgesamt 24 Gauen und Bezirken (Stand 2003).
Als prominente Protagonisten innerhalb dieser Verbandsentwicklung sind unter anderem zu nennen:
- Franz Xaver Huber: Gründete 1890 mit dem "Gauverband I" die erste Dachorganisation der oberbayerischen Trachtenvereine.
- Thomas Bacher (1863-1945): Gründungsvorsitzender der "Vereinigten Trachtenverbände des bayerischen Oberlandes" von 1925 bis 1945.
- Dr. Conrad Adlmaier (1882-1966): Erster Vorsitzender der "Vereinigten Bayerischen Trachtenverbände e.V." von 1946 bis 1964 und Hauptschriftleiter der Trachtenzeitschrift "Oberländer Heimatbote" von 1927 bis 1966.
- Hans Seestaller (1884-1979): Erster Vorsitzender der "Vereinigten Bayerischen Trachtenverbände e.V." von 1965 bis 1970.
- Hans Zapf (gest. 2005): Erster Vorsitzender der "Vereinigten Bayerischen Trachtenverbände e.V." von 1970 bis 1994.
In den 1970er Jahren kulminierten die Bemühungen der "Vereinigten bayerischen Trachtenverbände e.V.", mit dem bereits 1929 gegründeten und nach seinem Verbot in der NS-Zeit 1948 neu gebildeten "Deutschen Trachtenverband" in reorganisierter Form zusammenzuarbeiten. Nach der Wiedervereinigung hat sich der "Deutsche Trachtenverband" infolge des mächtigen Zustroms von Heimat- und Trachtenvereinen aus den neuen Bundesländern als größter nationaler Bundesverband etabliert. Seit 1988 besteht eine Partnerschaft des Bayerischen Trachtenverbandes mit dem "Bund der Österreichischen Trachten- und Heimatverbände".
Name | Lebensdaten | Amtszeit | Anmerkung |
---|---|---|---|
Otto Dufter | 1934-2019 | 1994-2011 | bis 2002 Erster Vorsitzender der "Vereinigten Bayerischen Trachtenverbände e.V." |
Max Bertl | geb. 1946 | 2011-2021 | |
Günter Frey | ab 2021 |
Sozialstruktur, regionale Streuung und Trachtenwandel
Die Mitglieder der Trachtenvereine stammten bis zum Zweiten Weltkrieg mehrheitlich aus den kleinbürgerlichen Schichten, der Arbeiterschaft (Bergarbeiter) und aus dem ländlich-bäuerlichen Bereich. Nach 1945 verbreiterte sich die soziale Basis merklich darüber hinaus in die bürgerlichen Schichten. Diese Tendenz stand auch in Zusammenhang mit den regional über das oberbayerische Kerngebiet ausgreifenden Vereinsgründungen, die - abgesehen von den größeren Städten (Nürnberg 1897, Augsburg 1899, Würzburg 1903, Regensburg 1905) – namentlich in Franken, Schwaben, Niederbayern und der Oberpfalz besonders starke Zuwächse in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg aufwiesen.
Mit der regionalen Ausweitung wurde zunächst vielfach die oberbayerische Gebirgstracht – oft gemeinsam mit dem Schuhplatteln – eingeführt. Ab Mitte der 1950er Jahre fand innerhalb der bayerischen Trachtenbewegung eine Trachten-Erneuerungsdebatte statt, die vielerorts dazu führte, dass sich die Vereinstrachten stärker an früheren örtlichen Kleidungsstilen orientierten.
Zwar wird innerhalb des Bayerischen Trachtenverbandes das Kleidungsverhalten der Trachtenträger strikt reguliert. Allerdings spiegelt die Entwicklung durchaus moderate Anpassungen an die allgemeine Kleidungspraxis (Rocklängen und Taillenhöhe der Frauentrachten, Bundhöhe und Schnitt der Lederhosen, Frisur, Ohrringe und Halsketten, Armbanduhren, Sonnenbrillen und Schminke).
Ziele der organisierten Trachtenbewegung
Von Beginn an wurden in Vereinssatzungen und Verbandsrichtlinien Verhaltensstandards und Aktivitäten festgelegt. Der Leitspruch "Sitt´ und Tracht der Alten wollen wir erhalten" umgreift den angestrebten Aktionsrahmen: Neben der Trachtenpflege steht die Förderung der traditionsorientierten Heimatkultur insgesamt zur Aufgabe (Volksmusik, Dialekt, Brauchpflege, Denkmalschutz, etc.).
Seit der ersten Verbandsgründung 1925 dokumentieren vielfältige Eingaben an Regierungen und staatliche Stellen das gesellschaftspolitische Engagement und auch den Anspruch der Trachtenverbände. Angelehnt an die wittelsbachischen Fördermaßnahmen im 19. Jahrhundert, erhält der Bayerische Trachtenverband seit 1965 bis zur Gegenwart staatliche Zuschüsse für seine Arbeit. Höhepunkte der öffentlichkeitsorientierten Verbandsarbeit sind Auftritte zu besonderen Ereignissen wie der Olympiade in München 1972, der Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 oder zu Staatsbesuchen hochrangiger Politiker.
Trachtenpflege außerhalb der organisierten Trachtenbewegung
Die Trachtenpflege spielt auch in weiteren Bereichen und Personenkreisen eine prominente Rolle. Exemplarisch sei verwiesen auf die Trachtenpflege der Heimatvertriebenen, auf das Schützenwesen, namentlich die Gebirgsschützen, auf das Blaskapellenwesen und die Volksmusikpflege. Hier gelten in unterschiedlicher Intensität und Verbindlichkeit trachtenorientierte Bekleidungspraktiken bei der Ausübung und Repräsentation des jeweiligen Aktionsrahmens.
Literatur
- Georg Antretter, Der "Fanderl-Strick". Einführung und Verbreitung eines Trachtenattributes in unserer Zeit, Passau 1997.
- Armin Griebel, Tracht und Folklorismus in Franken. Amtliche Berichte und Aktivitäten zwischen 1828 und 1914. 2 Bände, Würzburg 1991.
- Gerhard Maier, 127 Jahre organisierte Trachtenbewegung. 100 Jahre Volkstracht-Erhaltungsverein Miesbach, Miesbach 1986.
- Monika Ständecke, "Aus Lieb zum Gebirg". Trachtenvereine im Allgäu. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung, Kronburg-Illerbeuren 2005.
- Hans Zapf, 75 Jahre bayerischer Trachtenverband e.V. (1925-2000), Traunstein 2000.
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Empfohlene Zitierweise
Manfred Seifert, Trachtenbewegung, Trachtenvereine, publiziert am 13.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Trachtenbewegung_Trachtenvereine> (5.10.2024)