Gastarbeiter
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Unter dem Begriff "Gastarbeiter" (regierungsamtliche Bezeichnung: "ausländische Arbeitnehmer" oder "Arbeitnehmer aus den Anwerbeländern") werden Arbeitsmigranten der sog. ersten Generation verstanden, die zwischen 1955 bis 1973 im Rahmen von Anwerbeabkommen in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Mit ihnen konnte die deutsche Wirtschaft während des "Wirtschaftswunders" den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Partnerländer waren v. a. Italien, Spanien, Griechenland und die Türkei. Das Bild der "Gastarbeiter" prägten in Bayern hauptsächlich Italiener. Zwischen 1960 und 1972 stieg der Anteil der ausländischen Erwerbsbevölkerung in Bayern und Westdeutschland stark an (Bayern: Anstieg von 36.979 auf 371.253). Anfänglich wurden vorrangig ungelernte Arbeitskräfte angeworben, später auch Facharbeiter. Ein 1973 erfolgter "Anwerbestopp" in der Bundesrepublik beendete den Zugang für Arbeitskräfte von außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Hier reihte sich die Bundesrepublik in einen zwischen 1970 und 1974 in ganz Westeuropa zu beobachtenden Trend ein. Der Erfolg der "Gastarbeiter" in der deutschen Wirtschaft führte dazu, dass sie sich vielfach hier niederließen und ihre Familien nachholten. Dennoch kehrte die überwiegende Mehrheit von ihnen wieder in ihre Heimatländer zurück.
Entstehung und Entwicklung des Begriffs "Gastarbeiter"
Als 1964 ein offizielles Empfangskomitee in Köln dem millionsten "Gastarbeiter", dem Portugiesen Armando Rodrigues de Sà (1926–1979), bei seiner Ankunft in der Bundesrepublik medienwirksam ein Zündapp-Mokick als Präsent überreichte, hatte sich der Neologismus für die seit Mitte der 1950er Jahre im Ausland angeworbenen Arbeitnehmer in der öffentlichen Diskussion in Westdeutschland längst eingebürgert. Die einschlägige regierungsamtliche Bezeichnung hingegen lautete "ausländische Arbeitnehmer" oder "Arbeitnehmer aus den Anwerbeländern". In offiziellen Statistiken finden sich die wertneutralen Begriffe "Ausländer" oder "Nichtdeutsche". Auf die Anwendung des Ausdrucks "Gastarbeiter" auf lokaler administrativer Ebene gibt der Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg 1962/64 einen ersten Hinweis. In der Presse taucht das Wort bereits am 19. Juli 1950 im Artikel "Deutsch-französischer Sozialvertrag" auf. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) wertete in ihrem Beitrag vom 3. Juni 1961 "Die ausländischen Arbeitskräfte und Wir. Gastarbeiter — eine neue Bezeichnung für die Fremden" die Einführung dieses Begriffs als Verbesserung gegenüber dem vorbelasteten Terminus "Fremdarbeiter".
"Fremdarbeiter" wurden in der NS-Zeit freiwillige Zivilarbeiter aus dem Ausland in der deutschen Kriegswirtschaft ("Ausländereinsatz") genannt. Seit 1937 wurden z.B. italienische Agrar- und Industriearbeiter auf der Basis von Kurzzeitverträgen für das verbündete Deutsche Reich rekrutiert. Die wiederholt modifizierten Benennungen für Arbeitskräfte aus dem faschistischen Italien im Reichsgebiet reflektieren den Beziehungswandel beider Diktaturen: "Gastarbeitnehmer", "Arbeitskameraden", "Italienische Militärinternierte" (für die nach Italiens Bündniswechsel in Deutschland zur Zwangsarbeit eingesetzten italienischen Soldaten). Für die sowjetischen Zwangsarbeiter wählte das NS-Regime die Bezeichnung "Arbeitskräfte aus dem Osten" oder "Ostarbeiter". Die Verwendung des Begriffs "Fremdarbeiter" als Synonym für "Gastarbeiter" war in den 1960er Jahren eher die Ausnahme (z. B. Nürnberger Nachrichten, 5.6.1964). Doch auch Sozialverbände und Tarifparteien bezeichneten die Neuankömmlinge aus dem Süden noch als "Fremdarbeiter".
Etymologisch lehnte sich das Wort "Gastarbeiter" an "Gastarbeitnehmer" an. Beide Wortschöpfungen bezogen sich vorwiegend auf Italiener. Vom Austausch von "Gastarbeitnehmern" war auch in den zwischenstaatlichen "Gastarbeitnehmervereinbarungen" die Rede, welche die Bundesrepublik Anfang der 1950er Jahre schloss (1951 mit Frankreich, 1953 mit Italien). Sie sind zu unterscheiden von den später getroffenen Regierungsabkommen über die Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitskräfte. Lexikographisch erfasst 1953 Herders Konversationslexikon "Gastarbeitnehmer". Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verwendete 1954 den Terminus "ausländische Wanderarbeiter" — eine sprachliche Alternative aus dem wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik für nicht-inländische Arbeiter.
Der Begriffswechsel in der Nachkriegszeit entstand als Abgrenzung zu den früheren, negativ besetzten Ausdrücken. Der für die sog. erste Generation der Arbeitsmigranten angewandte, freundlicher klingende Begriff subsumierte im populären Sprachgebrauch keine erwerbstätigen Ausländer aus angrenzenden Staaten, wie Österreicher, Niederländer und Franzosen, die ohne bilaterale Vertragsgrundlage in Westdeutschland arbeiteten, oder hochqualifizierte ausländische Staatsangehörige. Gemeinsamer Nenner war hier die Deutschsprachigkeit oder der höhere gesellschaftliche Status. Bei den als "Gastarbeiter" stigmatisierten Ausländern handelte es sich meist um ungelernte Arbeiter aus armen, agrarisch geprägten Regionen ohne oder mit geringen deutschen Sprachkenntnissen. Die ethnische Zugehörigkeit zu einem Land eines meist anderen Kulturkreises entschied über die Zuordnung.
Das euphemistische und widersprüchliche Kompositum "Gastarbeiter" als Begriff für die Arbeitskräfte aus den "Anwerbeländern" in den Wirtschaftswunderjahren weckt die Vorstellung eines Provisoriums. Es beinhaltet die Botschaft, dass "Gast" nur ist, wer nicht dauerhaft bleibt und die Erwartung, er möge wieder gehen. Verwies der erste Wortteil auf das Konzept eines temporären Aufenthalts der ausländischen Arbeitnehmer, auf den die Rückkehr in das jeweilige Herkunftsland folgen sollte (zum sog. Rotationsprinzip s. u.), so beschränkt die zweite Wortkomponente die Zugewanderten auf ihre wirtschaftliche Funktion, nämlich die Leistung von manuell zu verrichtender Arbeit, die daraus resultierende Legitimation, im Gastland zu leben.
Als die Unzulänglichkeit des paradoxen Schlagworts immer mehr in die Kritik geriet, reagierte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) 1966 mit der Herausgabe der Schrift "Fremde, Gäste, Freunde — Gastarbeiter in Deutschland". Im Bereich der schulischen Bildung folgten 1971 Unterrichtsmaterialien zum "Gastarbeiterproblem". Auf der Suche nach einem angemesseneren Wort für die ausländischen Arbeitskräfte veranstaltete der Westdeutsche Rundfunk (WDR) 1970 ein Preisausschreiben. Trotz der großen Resonanz der Initiative resümierte die Jury, keine überzeugende, wertfreie und unbelastete Variante für einen neuen Ausdruck gefunden zu haben. Eine große Mehrheit bewertete "ausländische Arbeitnehmer" unter den damals gebräuchlichen Bezeichnungen als am wenigsten missverständlich, auf Platz zwei und drei kamen "ausländische" bzw. "europäische Mitbürger". "Besuchstätige, Dankarbeiter, Deutschenhelfer, Förderanten, Hilfsdeutsche, Industrieeuropäer, Konjunkturisten, Leiharbeiter, Mitdeutsche, Mietarbeiter, Auslandsroboter, Devisenboy" waren weitere vorgeschlagene Wortalternativen. Auf Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Bevölkerung verweisen diskriminierende Sprachschöpfungen wie "Helferos", "Mulis" oder "Kameltreiber".
Anfang der 1970er Jahre zeichnete sich ab, dass das ursprüngliche Konzept, ausländische Arbeitskräfte aus rein ökonomischen Motiven nur für eine kurze Zeit in Westdeutschland zu beschäftigen, gescheitert war. Denn immer mehr "Gastarbeiter" richteten sich auf einen längeren Aufenthalt ein und ließen Familienangehörige nachkommen. Diese Situation führte zu vielfältigen Problemen, da die Bundesrepublik keine Integration ausländischer Arbeitnehmer vorgesehen hatte. In dem Maße, in dem aus den "Gastarbeitern" de facto Einwanderer wurden, verlor der Begriff seine Grundlage und verschwand mit den ersten Integrationsmaßnahmen.
Anwerbung, Herkunft, Beschäftigungsbereiche
Die "Gastarbeiterperiode" umfasst die Jahre 1955 bis 1973, vom ersten "Anwerbeabkommen" der Bundesrepublik bis zum sog. Anwerbestopp in der Weltwirtschaftskrise. Während die ökonomische Aufwärtsentwicklung im agrarisch geprägten Nachkriegsbayern aufgrund überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und unterdurchschnittlicher Wertschöpfung mit einer gewissen Verzögerung einsetzte, machte sich in den anderen Ländern der Bundesrepublik in der Landwirtschaft und im Bergbau schnell ein Arbeitskräftedefizit bemerkbar. Mit der Auswanderung vieler Deutscher nach dem Krieg sanken die Arbeitslosenzahlen bei steigender Industrieproduktion. Eine weitere Erschöpfung des einheimischen Arbeitskräfteangebots (1,07 Mio. Arbeitslose im Jahre 1955) erwartete die Regierung mit der geplanten Wehrpflicht. Gegen die amtlich organisierte Anwerbung von Ausländern für den Arbeitsmarkt der Bundesrepublik sprach sich der DGB 1954 aus Rücksicht auf "Empfindlichkeiten" der deutschen Arbeitnehmer aus. Erst später erkannten die Gewerkschaften die Migranten als Klientel an. In den ersten Jahren wurden nur wenige Arbeiter nach Westdeutschland vermittelt. Erst als 1960 die Vollbeschäftigung erreicht wurde (Arbeitslosigkeit unter einem Prozent), der Zustrom von Vertriebenen und Flüchtlingen aus Osteuropa und der DDR sowie die Binnenwanderung die Nachfrage der boomenden Industrie nicht mehr ausgleichen konnten und schließlich der Mauerbau (1961) die ostdeutsche Zuwanderung — eine wichtige Rekrutierungsquelle für neue Arbeitskräfte — beendete, stiegen die Anwerbungen steil an.
Zum Abschluss von "Anwerbeverträgen" drängten auch die "Entsendeländer", die ein Interesse am Lohngeldtransfer zugunsten ihrer Zahlungsbilanz hatten. In zahlreichen Mittelmeerstaaten wuchs die Erwartung, den eigenen Arbeitsmarkt durch den kontrollierten "Export" von nicht oder gering qualifizierten Arbeitslosen zu entlasten. Auch Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (1897–1977, Bundeswirtschaftsminister 1949–1963) befürchtete Exportbeschränkungen. Das erste Abkommen, das Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitskräfte regelte, schloss die Bundesregierung 1955 auf Initiative des traditionellen Emigrationslandes Italien. Entsprechende bilaterale Verträge folgten mit Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968).
Land | 6.6.1961 | 30.9.1970 | 30.9.1976 | |||
---|---|---|---|---|---|---|
in Tsd. | in % aller Ausl. | in Tsd. | in % aller Ausl. | in Tsd. | in % aller Ausl. | |
Nordrhein-Westfalen | 204,8 | 29,8 | 825,9 | 27,7 | 1.204,8 | 30,5 |
Baden-Württemberg | 167,5 | 24,4 | 724,3 | 24,3 | 831,9 | 21,1 |
Bayern | 110,9 | 16,2 | 497,8 | 16,7 | 641,8 | 16,3 |
Hessen | 60,7 | 8,8 | 329,7 | 11,1 | 431,3 | 10,9 |
Bundesgebiet | 686,2 | 100 | 2976,5 | 100 | 3948,3 | 100 |
Auszug Tab. 27 in: Bethlehem, Heimatvertreibung, 121; Die Ausländer im Bundesgebiet (1964), 646; Ausländer im Bundesgebiet am 30. September 1974 (1974), 767, am 30. September 1976 (1976), 724.
Zielgebiete der "Gastarbeiter" in Deutschland
Die Ziele der "Gastarbeiter" waren die westdeutschen Industriegebiete wie Stuttgart (Baden-Württemberg), Köln (Nordrhein-Westfalen), München, Wolfsburg (Niedersachsen) und das Ruhrgebiet (Nordrhein-Westfalen). Mit der Organisation der Einreise aller süd- und südosteuropäischen Arbeitskräfte in die Bundesrepublik und ihrer Verteilung war die "Weiterleitungsstelle des Landesarbeitsamts Südbayern" beauftragt, die ihren Sitz am Münchner Hauptbahnhof hatte. Hier kamen an Gleis 11 die Züge der "Gastarbeiter" an. Nordrhein-Westfalen wies die absolut höchste Zahl an Ausländern aus, gefolgt von Baden-Württemberg und Bayern (Tab. 1). 1961 entfiel allein die Hälfte aller Ausländer in Westdeutschland auf die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Die Zuwanderung nach Bayern nahm zu, als das Wirtschaftswachstum seit den 1970er Jahren deutlich über dem Durchschnitt der anderen Länder lag: 1970 lebten nahezu die Hälfte und 1976 über zwei Drittel aller Ausländer in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.
Italien | Griechenland | Türkei | Jugoslawien | Gesamt | |
---|---|---|---|---|---|
1960 | 93.250 | 9.500 | 102.750 | ||
1961 | 107.100 | 21.500 | 2.100 | 130.700 | |
1962 | 76.690 | 31.930 | 11.040 | 119.660 | |
1963 | 31.830 | 40.600 | 23.430 | 95.860 | |
1964 | 26.570 | 40.620 | 54.910 | 122.100 | |
1965 | 26.550 | 33.240 | 45.560 | 105.350 | |
1966 | 13.405 | 26.876 | 32.538 | 72.819 | |
1967 | 3.978 | 1.948 | 7.222 | 13.148 | |
1968 | 10.416 | 24.254 | 41.496 | 76.166 | |
1969 | 10.215 | 51.253 | 98.172 | 71.690 | 231.310 |
1970 | 7.405 | 49.792 | 95.660 | 106.462 | 259.319 |
Bundesanstalt für Arbeit (Hg.), Repräsentativuntersuchung 1972, Nürnberg 1973.
Herkunft der "Gastarbeiter"
Den Arbeitskräftemangel glichen an erster Stelle die angeworbenen Italiener aus, die im Unterschied zu den norditalienischen Saisonarbeitern zu Zeiten des Kaiserreichs mehrheitlich aus dem strukturschwachen "Mezzogiorno" (v. a. Kampanien, Kalabrien, Sizilien) stammten. Bis 1970 die größte Gruppe unter den ausländischen Arbeitnehmern, prägten sie das Bild der "Gastarbeiter" nachhaltig und werden in diesem Beitrag stärker berücksichtigt. Auch in Bayern bildeten die Italiener noch 1969 die stärkste Ausländergruppierung, gefolgt von Türken, Jugoslawen, Österreichern und Griechen (Tab. 3). Ebenso wie in Westdeutschland sank der Anteil der Italiener, Griechen und Spanier, während aufgrund der Abkommen von 1968 bzw. 1961 die Quote der Jugoslawen und vor allem der Türken anstieg. Bundesweit wuchs die ausländische Erwerbsbevölkerung sprunghaft von 279.390 (1960) auf 2,284 Mio. (1972) an, davon in Bayern von 36.979 (Juli 1960) auf 371.253 (1972).
1960 | 1970 | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
Wohn- bevölkerung zum 31.3. |
Erwerbstätige zum 30.9. | Wohn- bevölkerung zum 30.9. |
Erwerbstätige zum 30.6. | |||
davon männlich | davon männlich | |||||
Italien | 10.511* | 14.309 | 13.347 | 79.173 | 48.713 | 38.342 |
Österreich | 23.587 | 12.978 | 7.937 | 57.926 | 39.399 | 27.526 |
Griechenland | 3.514 | 1.772 | 1.520 | 63.484 | 42.418 | 23.477 |
Jugoslawien | 7.241 | 899 | 666 | 99.014 | 67.555 | 44.973 |
Türkei | 1.795 | 307 | 275 | 83.872 | 58.016 | 41.802 |
Andere | 84.254 | 6.714 | 4.982 | 114.308 | 36.776 | 24.169 |
Gesamt | 130.902 | 36.979 | 28.727 | 497.777 | 292.877 | 200.289 |
Eigene Berechnungen nach: Statistisches Jahrbuch für Bayern 1961, 27. Jg., 18: Ausländer nach ihrer Staatsangehörigkeit (Ergebnis der halbjährigen Ausländererhebung bei den Einwohnermeldeämtern); Statistisches Jahrbuch für Bayern 1972, 30. Jg., 26: Ausländer seit 1969 nach der Staatsangehörigkeit (Ergebnisse der Meldungen der Ausländerbehörde), 134: Beschäftigte ausländische Arbeitnehmer nach Staatsangehörigkeit. *: Der vermeintliche Widerspruch zwischen Wohnbevölkerung und Erwerbstätigen erklärt sich aus den unterschiedlichen Erhebungen zum 31.3. bzw. 30.9.
Branchen, in denen "Gastarbeiter" beschäftigt wurden
In Bayern arbeiteten die italienischen Migranten vor allem im Hoch- und Tiefbau — z. B. auf den Münchner Großbaustellen für die Errichtung von U- und S-Bahn sowie den Bau des Olympiageländes — und im Fahrzeug- und Maschinenbau. Von insgesamt 21.522 erwerbstätigen Italienern (1961) gingen 19.502 als Arbeiter einer Beschäftigung nach, der Rest verteilte sich auf Angestellte (942), Selbständige (823) und Lehrlinge (231). Vor allem nach München nahm die italienische Zuwanderung stark zu: Von 1960 bis 1961 stieg die Zahl der gemeldeten italienischen Staatsbürger von 5.319 auf 9.789 Einwohner. 1963 waren bereits 20.471 Italiener beiderlei Geschlechts registriert und verzeichneten mit 18,3 % den höchsten Ausländeranteil in der bayerischen Landeshauptstadt. Ende 1972 befanden sich unter den inzwischen 25.906 amtlich registrierten Italienern nur 4677 Frauen. Im Stadt- und Landkreis München erfasste die Statistik im September 1961 10.075 Beschäftigte aus Italien. Zwei Jahre später erreichte ihr Anteil an den ausländischen Beschäftigten mit 13.332 Erwerbstätigen 33,6 % (Statistik Arbeitsamt München). Unter den Wirtschaftszweigen rangierten an erster Stelle der Hoch- und Tiefbau (6.613), gefolgt vom Fahrzeugbau (1.643), von der Gewinnung und Verarbeitung von Steinen und Erden (611), vom Handel und Handelshilfsgewerbe (563) sowie vom Gaststättenwesen (451). 1972 verteilten sich die italienischen Arbeitnehmer vor allem auf die Branchen Hoch- und Tiefbau (6.551), Handel und Handelshilfsgewerbe (1.635), Gaststättenwesen (1.610), Fahrzeugbau (1.579) und Elektrotechnik (1.202). Damit rückte die Gastronomie innerhalb von neun Jahren in der Beschäftigung von fünfter Stelle auf Platz drei, was nicht zuletzt dem Tourismusboom seit Anfang der 1960er Jahre geschuldet ist, der die mediterrane Küche bekannt machte.
Qualifikation
Häufig nahmen die "Gastarbeiter" die untersten Ränge in der Beschäftigungshierarchie der westdeutschen Aufnahmegesellschaft ein (Müllabfuhr, Straßenreinigung). Wie schon im Kaiserreich kam es zu einer sozialen und beruflichen Unterschichtung der deutschen durch die ausländische Erwerbsbevölkerung, die auch den Vertriebenen und Flüchtlingen zugute kam. Die "Gastarbeiter" waren vorrangig in Bereichen beschäftigt, die ihnen schwere körperliche Arbeit abverlangte, verbunden mit Akkord- und Schichtarbeit sowie gesundheitlichen Risiken. Beim Auftakt der Anwerbung (1955) fragte die Wirtschaft überwiegend kein beruflich qualifiziertes Personal nach, der Schwerpunkt lag auf un- bzw. angelernten Tätigkeiten vorwiegend im Niedrigsegment der industriellen Produktion. Erst später rekrutierten die Außenstellen der Bundesanstalt für Arbeit (die sog. Deutsche Kommission), die in den jeweiligen Heimatländern in Absprache mit deutschen Unternehmen Anwerbung und Vermittlung übernahmen, Facharbeiter. Berufsausbildungsabschlüsse wurden häufig nicht anerkannt, da sie nicht den deutschen Parametern entsprachen. Die Nürnberger Nachrichten schrieben im Artikel "In fremdem Land. Gast ohne echtes Gastrecht" (NN, 16./17.5.1970): "Es gibt wenig Ansätze, aus denen erkennbar wird, dass Gastarbeiter als mehr denn relativ billige Arbeitsmaschinen betrachtet werden." In diesem Jahr erfasste die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer Statistik nicht einmal ein Prozent "Gastarbeiter" im Angestelltenverhältnis. Bezeichnenderweise fehlt somit der Begriff "Gastangestellter".
Rotation und "Anwerbestopp"
Die Anwerbung war ursprünglich vom Grundsatz der "Rotation" geleitet, ein erst in den 1970er Jahren auftauchender analytischer Terminus für die Einjahresverträge. Die wegen ihrer Mobilität gefragten jungen und alleinstehenden Arbeiter – zunächst kamen wenig weibliche Arbeitnehmer – sollten sich nur befristet in der Bundesrepublik aufhalten. Auch die ausländischen Arbeitnehmer hatten nicht vor, sich dauerhaft eine neue Heimat zu suchen. Ihre anhaltend hohe freiwillige Rückwanderung in die Herkunftsländer schien das "Rotationsprinzip" als zentrales Element der "Gastarbeit" zu bestätigen.
Doch wurde es nicht konsequent angewendet, da eingearbeitetes Stammpersonal für Industriebetriebe unverzichtbar ist. Ein häufiger Wechsel war mit betriebswirtschaftlich teuren Einarbeitungszeiten neuer fremdsprachiger Arbeitskräfte verbunden. Die Arbeitgeber waren angesichts des anhaltend starken Wirtschaftswachstums an längeren Arbeitsaufenthalten interessiert und beantragten meistens die Verlängerung der Arbeitsgenehmigung ihrer bewährten ausländischen Mitarbeiter, die fast immer erteilt wurde. Als die Firmen auf Empfehlung ihrer ausländischen Belegschaft Verwandte beim Arbeitsamt anforderten, führte die damit einsetzende Kettenmigration zur allmählichen Emigration nahezu ganzer süditalienischer Dörfer in deutsche Industriestädte.
Konjunkturpuffer
Die Arbeitsämter konnten Dauer und Umfang der Ausländerbeschäftigung flexibel lenken. Solange die deutsche Industrie nicht in der Lage war, ausreichend Arbeitskräfte über den einheimischen Arbeitsmarkt zu rekrutieren, sollten die angeworbenen Ausländer als mobile Arbeitskraftreserve eingesetzt werden. Dieses fluktuierende Arbeitskräftepotenzial balancierte vorübergehend saisonal oder konjunkturell bedingte Engpässe auf dem Arbeitsmarkt. Im Wechsel von Aufschwung und Krise übernahmen sie am Arbeitsmarkt Ersatz- und Erweiterungs- bzw. Pufferfunktionen. Der bereits aus dem Kaiserreich bekannte "Konjunkturpuffer" Ausländerbeschäftigung bestätigte sich bereits bei der ersten Rezession 1966/67. Bundesweit ging ihre Beschäftigung von 1,3 Mio. (1966) auf 0,9 Mio. (Jan. 1968) zurück. Besonders prägnant waren die Auswirkungen im stark konjunkturabhängigen Baugewerbe. In Bayern traf die Rezession vor allem die italienischen Bauarbeiter.
Anwerbestopp
Als die Ölpreiskrise eine Wachstumsstagnation auslöste, beschloss die Bundesregierung im November 1973 einen "Anwerbestopp" in den Herkunftsländern der ausländischen Arbeitnehmer, um den Arbeitsmarkt zu entlasten. Aufgrund eines allmählichen informellen Austauschs mit Ländern paralleler industrieller Entwicklung und analoger Arbeitnehmerrekrutierung (Schweiz, Frankreich) über die Folgen einer dauerhaften Niederlassung dieser Arbeitnehmer mit ihren Familien war die seit längerem vorbereitete Maßnahme nicht nur von wirtschaftlichen Erwägungen motiviert, sondern auch von der administrativen Erkenntnis eines sozial- und rechtspolitischen Handlungsbedarfs über den Umgang mit Einwanderung und neuen Migranten. Der Anwerbestopp betraf Arbeiter aus den Staaten außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). "Gastarbeiter" galten nun als Arbeitsplatzkonkurrenten. Die Bundesanstalt für Arbeit ordnete an, neue Arbeitserlaubnisse nur nach strenger Prüfung des Inländerprimats zu erteilen. Trotz der Auflage, bestehende Arbeitsverhältnisse nicht zu verlängern, beließen die Arbeitsämter in der Praxis den Unternehmen jedoch ihre eingearbeitete Belegschaft.
Aufenthaltsrecht, Rückkehr, Einwanderung
Tatsächlich beschleunigte der gestoppte Zuzug ausländischer Arbeitskräfte eine nicht intendierte Entwicklung: Die Maßnahme verstärkte die wachsende Tendenz zur Verlagerung des Lebensmittelpunkts von den Herkunftsländern in die Bundesrepublik. Dadurch entstand seit Mitte der 1970er Jahre mit fließenden Übergängen eine Einwanderungssituation. Da mit dem "Anwerbestopp" einige der bisherigen Freiheiten der Arbeitsmigranten am Arbeitsmarkt entfielen, konnte eine freiwillige Rückkehr auf Zeit in einen Staat außerhalb der EWG wie z.B. Griechenland den Verlust der erworbenen Aufenthalts- und Arbeitsrechte bedeuten. Die "Gastarbeiterbevölkerung", die nicht auf Dauer von ihren Familien in der Heimat getrennt leben wollte, stand vor der Alternative einer endgültigen Rückkehr in eine häufig wirtschaftlich und teilweise politisch unsichere Zukunft oder dem Familiennachzug in die Bundesrepublik.
Vor allem für Angehörige der Mitgliedsstaaten der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC; ab 1961 OECD) und der EWG hatte sich der aufenthaltsrechtliche Status verbessert. Bereits ab 1966 reisten über 90 % der italienischen Arbeitnehmer als privilegierte Bürger des EWG-Gründerstaates auf dem "zweiten Weg" in die Bundesrepublik ein. Unter den angeworbenen Ausländern sank ihr Anteil auf unter sechs Prozent. Die Verordnung des EWG-Rats vom 15. Oktober 1968 gewährte den Arbeitnehmern innerhalb der Gemeinschaft Freizügigkeit. Nach dem "Anwerbestopp" verstärkten die weiterhin geltenden EWG-Bestimmungen den rechtlichen Unterschied zwischen den EWG-Ausländern und den anderen Ausländern.
Da die EWG-Migranten ein Aufenthaltsrecht erhielten, war der staatliche Einfluss und Handlungsspielraum auf den Verlauf des Migrationsprozesses limitiert. Die Regierung hatte sich auf ein Provisorium eingerichtet, langfristige Konzepte einer "Gastarbeiter-Politik" unter Einbeziehung der sozialen Folgen längerer Arbeitsaufenthalte gab es weder in den 1950er noch in den 1960er Jahren. Bereits 1964 kritisierte der Direktor des Arbeitsamtsbezirks Südbayern, Valentin Siebrecht (1957-1972), auch öffentlich die Konzeptionslosigkeit der Ausländerbeschäftigungspolitik der Bundesregierung: "Man muß auf lange Sicht disponieren, die Probleme der Ausländerarbeit in dem größeren Rahmen unserer gesellschaftlichen Entwicklung sehen". Da ein Großteil der Migranten zurückkehrte, wie das Beispiel der italienischen "Gastarbeiter" zeigt (Tab. 4), ist der Vorwurf, die Regierung hätte sich viel früher auf die dauerhafte Integration der Ausländer einstellen müssen, nicht berechtigt: Von rund 14 Mio. angeworbenen ausländischen Arbeitskräften, die bis 1973 kamen, kehrten 12 Mio. wieder in ihre Heimatländer zurück und beabsichtigten keine Integration. Dennoch ist festzustellen, dass gerade die Beendigung der Anwerbungen dazu führte, dass "Gastarbeiter" in Deutschland blieben, um nach einer temporären Rückkehr in die Heimat nicht das Anrecht auf eine Weiterbeschäftigung am bundesdeutschen Arbeitsmarkt zu verwirken.
Jahr | Auswanderer | Rückkehrer | Rückkehrer pro 100 Auswanderer |
---|---|---|---|
1958 | 10.551 | 6.145 | 58.2 |
1959 | 28.394 | 15.295 | 53,9 |
1960 | 100.544 | 34.088 | 33,9 |
1961 | 114.012 | 48.016 | 42,1 |
1962 | 117.427 | 69.600 | 59,3 |
1963 | 81.261 | 73.266 | 90,2 |
1964 | 75.210 | 58.899 | 78,3 |
1965 | 90.853 | 69.485 | 76,5 |
1966 | 78.343 | 78.885 | 100,7 |
1967 | 47.178 | 56.876 | 120,6 |
1968 | 51.152 | 43.402 | 84,8 |
1969 | 47.563 | 40.462 | 85,1 |
1970 | 42.849 | 36.755 | 85,8 |
1971 | 54.141 | 36.241 | 66,9 |
1972 | 43.891 | 41.331 | 94,2 |
1973 | 41.386 | 37.751 | 91,2 |
1974 | 33.485 | 36.809 | 100,6 |
1975 | 28.233 | 36.789 | 130,3 |
Zahlen im Jahressaldo (nach ISTAT). Unberücksichtigt sind Italiener, die binnen Jahresfrist zurückkehrten (hoher Anteil). Auszug aus Tab. 5 in: Rieker, Ein Stück Heimat, 106.
Da die Arbeitswanderer mit der Zeit arbeits- und aufenthaltsrechtliche Ansprüche erworben hatten, entglitt dem Staat immer mehr die Steuerung ihrer Beschäftigung. Bereits 1959 hatte die neunte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung festgelegt, dass ausländische Arbeitnehmer nach fünf Jahren ununterbrochener, unselbständiger und erlaubter Tätigkeit im Bundesgebiet oder nach einem achtjährigen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt einen Rechtsanspruch auf eine beruflich oder betrieblich uneingeschränkte Arbeitserlaubnis erlangten. Nach einem zehnjährigen rechtmäßigen ununterbrochenen Aufenthalt in Westdeutschland konnte eine unbefristete Arbeitserlaubnis erteilt werden.
Über die "Deutsche Kommission" angeworbene "Gastarbeiter" waren bereits vor ihrer Auswanderung im Besitz eines Arbeitsvertrags und konnten damit zum Teil soziale Rechte beanspruchen. Integrationsprobleme entstanden bereits mit dem Plan, Arbeitskräfte befristet nach Bedarf ein- oder auszuwechseln, ohne für ihre Ausbildungskosten und Renten aufkommen zu müssen, und schließlich mit dem Nachzug von Kindern und Ehefrauen. Da zunächst vor allem Saisonarbeiter einreisten, trafen die Verantwortlichen für sprachliche und soziale Integrationsmaßnahmen keine Vorkehrungen.
Dem System der "Gastarbeit" entsprach vorerst auch die Lebensplanung der Zuwanderer. So spielte in der "Gastarbeiterära" der Geldtransfer in die Herkunftsstaaten eine zentrale Rolle. Im von Arbeit und Konsumverzicht bestimmten Alltag sparten viele "Gastarbeiter" beiderlei Geschlechts eisern bis zu zwei Drittel ihres Einkommens für die Überweisung in ihre Heimat. Die Summen waren zum Teil beträchtlich: So glich die Türkei 1972 ihr Handelsbilanzdefizit mit der Bundesrepublik durch die Überweisung von 2,1 Mrd. DM durch türkische "Gastarbeiter" aus. Das Leben zwischen Arbeitsstätte und Wohnheim war zunächst ganz auf die Rückkehr ausgerichtet. Einfache Gemeinschaftsunterkünfte in firmeneigenen Baracken oder in 4- bis 6-Bett-Zimmern in Wohnheimen waren häufig das erste "Zuhause" der angeworbenen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Sie waren in der Regel isoliert von den Einheimischen untergebracht. Auch der Wohnungsbereich zeigt neben dem Erwerbsbereich ein Nachrücken der "Gastarbeiter", die bis in die 1960er Jahre mitunter in Wohnbaracken einzogen, die zuvor deutsche Vertriebene und Flüchtlinge bewohnt hatten, und die in Einzelfällen im Krieg auch als Fremd-oder Zwangsarbeiterlager fungiert hatten.
Die "Entsendeländer", die den Lohntransfer zum Ausgleich des Handelsbilanzdefizits mit Westdeutschland benötigten, förderten zwar die Rückkehrorientierung der Emigranten, doch weder ihre tatsächliche Heimkehr noch ihre Integration. Auch weil sich die ökonomische Situation in den Herkunftsregionen kaum änderte – zunächst verringerten die europäische Integration (Griechenland, Spanien und Portugal traten erst 1981 bzw. 1986 der EWG bei) und die Migrationsströme das Wohlstandsgefälle nur gering –, blieben viele Arbeiter länger als geplant und gaben ihren Lohn immer mehr für den alltäglichen Konsum, Bausparverträge und Immobilien aus. Sparquoten und Geldüberweisungen in die Heimat sanken. Die "Gastarbeiter" verstärkten das deutsche Wirtschaftswachstum nun auch von der Kaufkraftseite her und manchem gelang nach mehreren Arbeitsjahren in Westdeutschland der Erwerb eines Geschäfts oder eines Grundstücks in der Heimat und der Aufbau einer geachteten Existenz für sich und seine Familie. War die Familie ein wichtiger Rückkehrgrund, so wurden nachgezogene oder in der Bundesrepublik geborene Familienmitglieder oder eine Familiengründung ein wichtiger Bleibegrund. Der Zuzug nicht-erwerbstätiger Angehöriger senkte die Erwerbsquote der Einwandererbevölkerung. Arbeitsplatzverluste durch Wirtschaftskrisen oder betriebliche Strukturreformen steigerten die Erwerbslosenquote und die Transferabhängigkeit insbesondere bei Un- und Angelernten. Mitte der 1970er Jahre nahm die Arbeitslosigkeit unter der zugewanderten Bevölkerung zu: z. B. sank die Zahl einheimischer Bauarbeiter von 1973 bis 1976 um 15 %, die der ausländischen um 41 %.
Somit leitete der "Anwerbestopp", die wichtigste ausländerpolitische Maßnahme der 1970er Jahre, die zweite Phase des Zuwanderungsprozesses ein, die durch die Familienzusammenführung, den Ausbau von Selbstorganisationen und den Aufbau von Kleingewerbetrieben, besonders in Gastronomie und Handel, charakterisiert ist. Immer mehr Angehörige der Nachkommen der "Gastarbeiter" gaben ihre Staatsangehörigkeit auf und erwarben die deutsche Staatsbürgerschaft, wobei italienischstämmige Immigranten diese aufgrund der umfassenden rechtlichen Gleichstellung als Unionsbürger mit der deutschen Bevölkerung eher selten beantragten. Das überwiegend negative Image vom geduldeten und beargwöhnten "Gastarbeiter" wandelte sich zu positiveren Klischees in der Aufnahmegesellschaft. Tourismuserfahrungen vieler Westdeutscher in den Mittelmeerländern begünstigten die gesellschaftliche Integration der fremden Arbeitswanderer aus dem Süden. Doch haftete das Stigma "Gastarbeiter" noch lange selbst denen an, die in wachsender Zahl zu Facharbeitern und Kleinunternehmern im "Ethnic business" aufstiegen. Aus der ehemaligen "Gastarbeiterbevölkerung" wurden nach einem weiten und harten Integrationsweg "einheimische Ausländer" (Bade) in einem Staat, der sich lange nicht zu einem Einwanderungsland bekannte. Inzwischen lebt "die Generation der Pionierwanderer" längst im Rentenalter.
Literatur
- Klaus J. Bade, Als Deutschland zum Einwanderungsland wurde. Anwerbestopp 1973, in: ZEIT Online, 24.11.2013.
- Klaus J. Bade, Einheimische Ausländer: 'Gastarbeiter' Dauergäste - Einwanderer, in: Ders. (Hg.), Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 3. Auflage 1993, 393–401.
- Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2002, 314–338.
- Klaus J. Bade/Jochen Oltmer, Zwischen Aus- und Einwanderungsland: Deutschland und die Migration seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 28 (2003), H. 2–4, 263–306.
- Klaus J. Bade/Pieter C. Emmer/Leo Lucassen u. a., Enzyklopädie Migration in Europa vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn/München u. a. 3. Auflage 2010.
- Martin Baumeister, Italien. Ankommen, um zurückzukehren? Italienische Arbeitsmigranten in Nachkriegsbayern, in: Alois Schmid/Katharina Weigand (Hg.), Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 2005, 402–418.
- Marcel Berlinghoff, Das Ende der "Gastarbeit". Der Anwerbestopp in Westeuropa 1970-1974, Paderborn 2013.
- Marcel Berlinghoff, Geschichte der Migration in Deutschland, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Dossier Migration (14.05.2018).
- Siegfried Bethlehem, Heimatvertreibung, DDR-Flucht, Gastarbeiterzuwanderung. Wanderungsströme und Wanderungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1982.
- Safa A. Bostanci, Zum Leben und zu den Rückkehr- bzw. Verbleibeabsichten der türkischen Gastarbeiter in Nürnberg. Eine empirische Regionaluntersuchung, Berlin 1982.
- Charlotte Bühl-Gramer, Bedeutungswandel und semantische Kompromisse – Anmerkungen zum sprachlichen Umgang mit Migration, in: Michael Diefenbacher/Steven M. Zahlaus (Hg.), Dageblieben! Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2011, 281–294.
- J. Manuel Delgado, Die „Gastarbeiter“ in der Presse. Eine inhaltsanalytische Studie, Opladen 1972.
- Sonja Haug, Soziales Kapital und Kettenmigration. Italienische Migranten in Deutschland, Opladen 2000.
- Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001.
- Jutta Höhne/Benedikt Linden/Eric Seils/Anne Webel, Die Gastarbeiter. Geschichte und aktuelle soziale Lage, in: WSI Report 16, September 2014.
- Karin Hunn, "Nächstes Jahr kehren wir zurück ...". Die Geschichte der türkischen "Gastarbeiter" in der Bundesrepublik (Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 11), Göttingen 2005.
- Ernst Klee, Ein neues Wort für "Gastarbeiter". Vorschläge des WDR-Preisausschreibens, in: Ders. (Hg.), Gastarbeiter. Analysen und Berichte, Frankfurt a.M. 1972, 149–157.
- Kulturreferat der Landeshauptstadt München (Hg.): Zur Geschichte der Gastarbeiter in München: "Für 50 Mark einen Italiener", München 2000.
- Heike Knortz, Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen vom 20. Dezember 1955. Mythos und Akt europäischer Solidarität zugleich, in: Einsichten und Perspektiven 4 (2015), 26–37.
- Hans Dietrich von Loeffelholz, Fünfzig Jahre Zuwanderung aus der Türkei nach Nürnberg. Eine Bilanz aus wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Sicht, in: Michael Diefenbacher/Steven M. Zahlaus (Hg.), Dageblieben! Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2011, 135–146.
- Stefan Luft, Die Anwerbung türkischer Arbeitnehmer und ihre Folgen, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Dossier Türkei (05.08.2014).
- Jürgen Markwirth, Wir haben Arbeiter gefunden, aber es kamen Menschen. Die "Gastarbeiter"-Anwerbung hat auch Nürnberg nachhaltig verändert, in: Michael Diefenbacher/Steven M. Zahlaus (Hg.), Dageblieben! Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2011, 87–104.
- Monika Mattes, "Gastarbeiterinnen" in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt am Main/New York 2005.
- Thomas Niehr, Schlagwörter im politisch-kulturellen Kontext. Zum öffentlichen Diskurs in der BRD von 1966 bis 1974, Wiesbaden 1993, 198–206.
- Jochen Oltmer, Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart, Darmstadt 2017, Kap. 8.
- Cord Pagenstecher, Ausländerpolitik und Immigrantenidentität. Zur Geschichte der "Gastarbeit" in der Bundesrepublik, Berlin 1994.
- Edith Pichler, Vom Gastarbeiter zum (Gast-) Bürger? Italiener in Deutschland – eine Zwischenbilanz, in: Carola Köhler/Fabio Tosques (Hg.): (Das) diskrete Tatenbuch. DigitaleFestschrift für Dieter Kattenbusch zu seinem 60. Geburtstag, Berlin 2012.
- Hedwig Richter, Die italienischen "Gastarbeiter" in deutschen Selbstfindungsdiskursen der Gegenwart und die Ausblendung der Remigration, in: Oliver Janz/Roberto Sala (Hg.), Dolce Vita? Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland, Frankfurt a.M. 2011, 198–219.
- Maximiliane Rieder, Deutsch-italienische Wirtschaftsbeziehungen. Kontinuitäten und Brüche 1936–1957, Frankfurt am Main/New York 2003.
- Maximiliane Rieder, L’imprenditoria italiana in Baviera. Imprenditori, artigiani e liberi professionisti. Auftragsstudie für INTENETS (International Training and Employment Networks), Progetto del Ministero degli Affari Esteri – Direzione Generale per gli italiani all’Estero e le politiche migratorie, koordiniert von International Labour Organization, Turin und Centro Studi Emigrazione Roma, Okt. 2003 (unveröff.).
- Maximiliane Rieder, 50 Jahre Anwerbevertrag zwischen Deutschland und Italien, in: Münchner Statistik 3 (2005), 1-14.
- Yvonne Rieker, „Ein Stück Heimat findet man ja immer“. Die italienische Einwanderung in die Bundesrepublik, Essen 2003.
- Olga Sparschuh, Grenzen der Grenzen. Italienische Arbeitsmigration nach Turin und München in den 1950er bis 1970er Jahren, in: Jochen Oltmer/Axel Kreienbrink/Carlos Sanz Díaz (Hg.), Das "Gastarbeiter"-System. Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa, München 2012, 167–182.
- Martin Spieles, Ausländer in der deutschen Sprache. Historische Entwicklungen - aktuelle Pressetexte, Wiesbaden 1993.
- Johannes Dieter Steinert, Migration and Migration Policy. West Germany and the Recruitment of Foreign Labour, 1945–1961, in: Journal of Contemporary History 1 (2014), 9–27.
- Johannes Dieter Steinert, Migration und Politik. Westdeutschland - Europa - Übersee 1945-1961, Osnabrück 1995.
- Steven M. Zahlaus, Abbiamo mancanza di manodopera […] – Italienische "Gastarbeiter" der Nürnberger Firma Louis Vetter in den 1960er Jahren, in: Michael Diefenbacher/Steven M. Zahlaus (Hg.), Dageblieben! Zuwanderung nach Nürnberg gestern und heute, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Nürnberg 2011, 183–194.
Quellen
- Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Fremde, Gäste, Freunde: Gastarbeiter in Deutschland, Bonn [1966].
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Wortlaut des Anwerbestopps vom 23. November 1973.
- Herbert R. Koch, Das Gastarbeiterproblem als Unterrichtsgegenstand. Texte und Materialien für den Unterricht, hg. v. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Bonn 1971.
- Sefa Inci Suvak/Justus Herrmann (Hg.), "In Deutschland angekommen..." Einwanderer erzählen ihre Geschichte 1955 bis heute, Gütersloh 2008. [Sammlung von Selbstzeugnissen]
- Deniz Göktürk/David Gramling/Anton Kaes u. a. (Hg.), Transit Deutschland. Debatten zu Nation und Migration, München 2011. [Dokumentation]
- Statistische Berichte des Bay. Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung: Volkszählung 1987. Strukturdaten über die Ausländer in Bayern, München 1990.
- Die Protokolle des Bayerischen Ministerrats 1945-1962. Eine historisch-kritische Quellenedition der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: Suchstichwort "Gastarbeiter".
- Sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ausländer 1954 bis 1982 in den LAA-Bezirken, in: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, Jahreszahlen, Übersicht 6, 18.
- Stadt Nürnberg, Arbeitsgruppe Nürnberg-Plan (Hg.), Beiträge zum Nürnberg-Plan, Reihe E: Stadt- und Regionalforschung und Räumliche Planung, Heft 11: Ausländer in Nürnberg. Entwicklung, Struktur, Räumliche Verteilung, Nürnberg 1975.
- Stadt Nürnberg, Arbeitsgruppe Nürnberg-Plan (Hg.), Beiträge zum Nürnberg-Plan, Reihe F: Rahmenplan Sozialwesen. Ausländerprogramm der Stadt Nürnberg, 2 Teile, Nürnberg 1982–1985.
- Stadt Nürnberg, Sozial- und Gesundheitsreferat (Hg.), Ausländische Arbeitnehmer in Nürnberg. Problemstellungen, Nürnberg 1973.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg
- DOMiD - Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. (Hg.), Migrationsgeschichte in Deutschland.
- Haus der Bayerischen Geschichte, Zeitzeugen berichten: Kurt Spennesberger, Arbeitsvermittler am Landesarbeitsamt Südbayern am Münchner Hauptbahnhof.
- Haus der Bayerischen Geschichte, Zeitzeugen berichten: Georgioas Metallinos, Dienststellenleiter bei der Inneren Mission am Hauptbahnhof München.
- Haus der Bayerischen Geschichte, Zeitzeugen berichten: Nicolo Pau, Maschinenschlosser in München.
- Haus der Bayerischen Geschichte, Zeitzeugen berichten: Gina Rupp, Wirtin in München.
- Kulturreferat der Stadt München in Zusammenarbeit mit der LMU München: Ausstellungsprojekt zur Migration in München
- Universität Osnabrück: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS)
- Webprojekte zur Geschichte der Migration im Rheinland und Westfalen.
- Zeitgeschichte online: Monika Mattes, Migration und Geschlecht in der Bundesrepublik Deutschland. Ein historischer Rückblick auf die "Gastarbeiterinnen" der 1960/70er Jahre
Verwandte Artikel
- Arbeitslosigkeit (nach 1945)
- Arbeitsvermittlung, Arbeitsämter
- Berufsberatung
- Bevölkerungsentwicklung (seit 1840)
- Beziehungen zu Italien (20. Jahrhundert)
- Handwerkskammern (bis 1945)
- Handwerkskammern (seit 1945)
- Vereinigung der Arbeitgeberverbände in Bayern (VBA)
Empfohlene Zitierweise
Maximiliane Rieder, Gastarbeiter, publiziert am 26.06.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gastarbeiter> (07.12.2024)