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Vereinigung Coburgs mit Bayern, 1. Juli 1920

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Karte des Freistaates Coburg 1920. (Gestaltung: Stefan Schnupp; Vorlage: Karte Thüringen 1910, von Störfix lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons u. Spindler/Diepolder Bay. Geschichtsatlas, 35)
Zusammenkunft zwischen bayerischen und coburgischen Staats- und Volksvertretern am 9./10. Dezember 1919 in Coburg. Abb. aus: Das Bayerland 31 (1919), 154. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 198 t-31)

von Rainer Hambrecht

Der Freistaat Coburg wurde nach einer Volksabstimmung unter der Coburger Bevölkerung (30. November 1919) am 1. Juli 1920 mit Bayern vereinigt. Diese territoriale Erweiterung stellte nach der Staatskrise der Rätezeit einen beachtlichen Prestigegewinn dar, für den Bayern große Zugeständnisse zu erbringen bereit war.

Erste Anschlusssondierungen

Unmittelbar nach der Revolution tendierte im November/Dezember 1918 die öffentliche Meinung im neu entstandenen Freistaat Coburg eindeutig nach Bayern. Zur Diskussion stand außerdem ein Anschluss an das Land Thüringen, das aus den insgesamt acht thüringischen Fürstentümern erst noch zubilden war, oder an Preußen, das mit dem Regierungsbezirk Erfurt gleichfalls nach Thüringen ausgriff. Entsprechende Sondierungen konnten erst ein halbes Jahr später beginnen, da in Bayern wie in Thüringen zunächst die Verhandlungspartner gefehlt hatten.

Nach anfänglichem Zögern zeigte sich Bayern für den coburgischen Anschlusswunsch aufgeschlossen. Die nach dem Ende der Münchner Räterepublik wieder handlungsfähige bayerische Regierung unter Johannes Hoffmann (1867-1930) wie auch die Landtagsfraktionen akzeptierten noch in Bamberg (28. und 31. Juli 1919) nach wenigen Verhandlungsrunden die von Coburg geforderten Gegenleistungen für ein völliges Aufgehen des Freistaates in Bayern ("Bamberger Stipulationen" vom 12. Juni 1919) – weitestgehende Besitzstandsgarantien, besonders für den kulturellen Sektor (Schulen, Bibliothek, Museen, Theater), Ersatz für die entfallende Zentralbehörde, das Staatsministerium, Verbesserung der Verkehrsanbindung und Integration in die bayerische Ernährungswirtschaft.

Von der thüringischen Seite, einem losen Staatenverbund, waren dagegen nur Appelle und Absichtserklärungen, aber keine garantierten Zusagen zu erhalten; Preußen zeigte sich gänzlich desinteressiert.

Gesetz über eine Volksbefragung: Bayern oder Thüringen?

Franz Klingler (1875-1933). Abb. aus: Amtliches Handbuch des Bayerischen Landtags, München 1925, 127. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 4339 h-1925)

Damit war im August 1919 die Voraussetzung für das noch in Revolutionstagen zugesagte Referendum unter der Coburger Bevölkerung erfüllt. Nachdem man zunächst einhellig eine Abstimmung über die Frage "Bayern oder Thüringen?" vorgesehen hatte, erzwang die SPD-Mehrheit der Landesversammlung, die an dem vorgenannten Entwurf selbst beteiligt gewesen war, am 11. August 1919 überraschend ein Gesetz, das allein über einen Anschluss an Bayern entscheiden lassen wollte. Erfolgreich sollte er nur mit einer Zustimmung von 50 % der Wahlberechtigten (!) sein. Begründet wurde der Sinneswandel nicht; er ist wohl im Bestreben zu suchen, die eigene Stellung über einen Anschluss an die sozialistischen Mehrheiten (SPD und USPD) in allen thüringischen Kleinstaaten zu festigen.

Dieses offenkundig prothürinigsche Gesetz trat nie in Kraft, da es nicht die erforderlichen Unterschriften von mindestens zwei der drei Regierungsmitglieder erhielt. Außer dem Demokraten Dr. Hans Schack (DDP, 1878-1946) versagte sich der sozialdemokratische Staatsrat Franz Klingler (1875-1933), im Gegensatz zu seiner Partei. Die offene Empörung über die beabsichtigte Verfälschung des Wählerwillens reichte weit in SPD-Kreise hinein.

Die durch die wechselseitige Blockade der beiden Verfassungsorgane ausgelöste Regierungskrise beendete nach schwierigen Verhandlungen erst das "Gesetz über eine im Freistaat Coburg vorzunehmende Volksbefragung" (30. Oktober 1919). Die Mehrheit der Abstimmenden (!) sollte nunmehr mit Ja oder Nein über einen Anschluss an Thüringen entscheiden.

Propaganda zur Anschlussfrage

Max Oskar Arnold (1854-1938). Abb. aus: Amtliches Handbuch des Bayerischen Landtags, München 1921, 119. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 4339 h-1921)

Der vornehmlich in der Presse und in Versammlungen geführte Wahlkampf setzte noch vor der Einigung über das Abstimmungsgesetz ein. Dass eine Ablehnung Thüringens ein Votum für Bayern bedeuten würde, war sowohl im Parlament wie in zahllosen öffentlichen Verlautbarungen klargestellt worden. Während die Befürworter Bayerns nicht müde wurden, die ausgehandelten und durch Einverständniserklärungen aller Landtagsfraktionen abgesegneten bayerischen Zusagen anzuführen, konnten die prothüringisch Gesinnten nur auf gewachsene historische Bindungen, die gemeinsame evangelische Konfession sowie gemeinschaftliche kulturelle und wirtschaftliche Einrichtungen verweisen, in einem der Stammlande der Reformation vor einem ultramontanen und partikularistischen Bayern warnen und letztlich weniger für Thüringen als gegen Bayern argumentieren.

Bayern selbst schaltete sich nicht in den Meinungsstreit ein; es konnte seine Sache einflussreichen Kräften im Coburger Land überlassen, u. a. dem Fabrikanten und Vizepräsidenten der Landesversammlung Max Oskar Arnold (1854-1938) sowie dem Regierungsmitglied Staatsrat Klingler. Gegenstand unzähliger Diskussionen war seit November 1918 außerdem die sogenannte "Magenfrage", wobei nach fünf Hungerjahren weithin die Erwartung, im Agrarland Bayern gefüllte Fleischtöpfe vorzufinden, das Denken bestimmte.

Die Volksbefragung

Bei der Volksbefragung am 30. November 1919 stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 75 %. 88,11 % der Wähler (26.102 von 29.624) gegen Thüringen und damit für Bayern. Mit rund 15 % Ja-Stimmen zeigten sich die Städte thüringenfreundlicher als das Landgebiet. Besonders am Stimmverhalten der Industriegemeinden ließ sich ablesen: Die Mehrheit der SPD-Anhänger hatte ihrer Partei die Gefolgschaft verweigert. Mit dieser Wahl hatte sich erstmals in der deutschen Geschichte ein Land auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes freiwillig für die Vereinigung mit einem anderen Staatswesen entschieden. Nach Thüringen hin brach der Freistaat Coburg die offiziellen Kontakte sofort ab, während er sich mit Bayern über den raschen Abschluss eines Staatsvertrags verständigte, um Anschlussgegner an befürchteten Störaktionen zu hindern.

Der Staatsvertrag zwischen den Freistaaten Coburg und Bayern

Entsprechende Spezialverhandlungen in München (30. Januar-10. Februar 1920), auf Seiten Coburgs vornehmlich geführt von Dr. Schack und Dr. Ernst Fritsch (1880-1945), gestalteten sich schwieriger als zunächst angenommen. Insbesondere widersetzte sich Bayern allen Versuchen Coburgs, eine bleibende Sonderstellung im bayerischen Staatsverband zu erhalten. Zum Teil fanden sich erst in den abschließenden Ministerratssitzungen (12.-14. Februar 1920) geeignete Kompromissformeln, ehe am 14. Februar der Staatsvertrag vorbehaltlich der Zustimmung des Reichs unterzeichnet werden konnte. Am 11. März 1920 ratifizierte ihn der Bayerische Landtag und am 18. März 1920 die coburgische Landesversammlung.

Die 22 Paragraphen enthielten im Wesentlichen die früheren Zusicherungen. Der Freistaat Coburg würde völlig im Freistaat Bayern aufgehen. Mit Ausnahme des Amtes Königsberg, das dem Regierungsbezirk Unterfranken und Aschaffenburg zugeschlagen wurde, sollte er in den Regierungsbezirk Oberfranken eingegliedert werden. Als Ersatz für das Ministerium erhielt Coburg ein eigenes Landgericht, dem zusätzlich die bayerischen Amtsgerichte Lichtenfels, Kronach, Ludwigsstadt, Nordhalben und Weismain unterstellt wurden.

Die Vereinigung des Freistaats Coburg mit Bayern

Voraussetzung für die Vollziehung des Anschlusses war nach Art. 18 der Weimarer Verfassung ein Reichsgesetz. Ein entsprechender Gesetzentwurf fand nach gemeinsamer Vorberatung zusammen mit dem über die Bildung des Landes Thüringen im Reichsrat (20. April 1920) am 23. April die Zustimmung der Nationalversammlung (Verkündung am 30. April 1920). Über die Tatsache, dass der Freistaat Coburg bis zu seiner Vereinigung mit Bayern nach der Bildung des Landes Thüringen (am 1. Mai) nicht mehr im Reichsrat vertreten und damit reichsrechtlich nicht existent sein würde, setzte man sich bewusst hinweg.

Im Vorgriff auf die künftige Vereinigung mit Bayern war Coburg bei der Reichstagswahl vom 6. Juni 1920 dem Reichswahlkreis 29 "Franken" zugeteilt worden. Durch Verordnung vom 21. Juni 1920 legte Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925) den 1. Juli 1920 für das Inkrafttreten des Vereinigungsgesetzes fest. Mit einem umfassenden Straferlass dokumentierte die Coburger Landesversammlung am 28. Juni ein letztes Mal ihre souveränen Rechte, ehe sie am 30. Juni in Anwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr (BVP, 1862-1934), seit 16. März Nachfolger Hoffmanns, sowie des Regierungspräsidenten von Oberfranken Otto Ritter v. Strößenreuther (1865-1958) ihre Selbstauflösung beschloss.

Das schrittweise Aufgehen Coburgs in Bayern

Bis zum 30. März 1921 vollzog eine eigene Übergangsbehörde ("Staatsministerium. Bayerische Abwicklungsstelle") in Coburg weiter geltende coburgische Landesgesetze und Verordnungen. Mit der Trennung von der Landesversicherungsanstalt in Weimar löste man 1935 die letzte Verbindung nach Thüringen. Das neu errichtete Landgericht Coburg eröffnete Justizminister Christian Roth (1873-1934) am 1. April 1921. Am gleichen Tag folgte die Evangelische Landeskirche Coburg mit ihrem Anschluss an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins dem staatlichen Vorbild.

Literatur

  • Jürgen Erdmann, Coburg, Bayern und das Reich 1918-1923 (Coburger Heimatkunde und Landesgeschichte 22), Coburg 1969, 48-70.
  • Friedrich Facius, Politische Geschichte von 1828 bis 1945, in: Hans Patze/Walter Schlesinger (Hg.), Geschichte Thüringens. Band V: Politische Geschichte der Neuzeit. Teil 2, Köln/Wien 1978, 356-386.
  • Ernst Fritsch, Die letzten Zeiten von Coburgs staatlicher Selbständigkeit, in: Ludwig Ungelenk (Hg.), Coburg im Weltkrieg 1914/18, Coburg 1922, 422-448.
  • Rainer Hambrecht, "Nicht durch Krieg, Kauf oder Erbschaft" (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 34), München 1995.
  • Hermann Quarck, Staatsregierung und Landtag. Von Kriegsausbruch bis Juli 1919, in: Ludwig Ungelenk (Hg.), Coburg im Weltkrieg 1914/18, Coburg 1922, 84-120.
  • Walter Rupprecht, Der kirchliche Anschluss des Coburger Landes an die bayerische Landeskirche, in: Jahrbuch der Coburger Landestiftung 1972, 119-140.

Quellen

Weiterführende Recherche

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Anschluss Coburgs, Beitritt Coburgs

Empfohlene Zitierweise

Rainer Hambrecht, Vereinigung Coburgs mit Bayern, 1. Juli 1920, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Vereinigung_Coburgs_mit_Bayern,_1._Juli_1920 (19.03.2024)