Reichspolitik der Wittelsbacher (Spätmittelalter)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Politik des Hauses Wittelsbach gegenüber dem Reich (Reichsorgane, Haupt, Fragen das Reich betreffend) und seinen Gliedern. Die Reichspolitik der bayerischen Wittelsbacher gestaltete sich in den jeweiligen Teilherzogtümern unterschiedlich, die Schwerpunkt- und Zielsetzungen variierten, auch im Laufe der Jahrhunderte. Auf der einen Seite bestanden enge Verbindungen der Wittelsbacher zum Königs- bzw. Kaiserhaus (u. a. Eheverbindungen), andererseits gab es immer wieder Konflikte, etwa über von beiden Seiten begehrte Territorialgebiete (z. B. Mark Brandenburg, Tirol, Straubinger Land, Reichsstädte wie Regensburg) und Bistumsbesetzungen. Innerfamiliäre Streitigkeiten, die nicht selten durch königlich-kaiserliches Eingreifen beendet wurden, schwächten den Einfluss der Wittelsbacher auf die Reichspolitik. Diese suchten ihren Einfluss über Heiratsverbindungen mit auswärtigen Mächten (Sizilien, Mailand, Mantua, Lancastar, Valois, dänisches, polnisches und ungarisches Königshaus) zu stärken. Im Mittelpunkt des Handelns der einzelnen Herrscher stand stets der Hausgedanke und damit die Stärkung des "Hauses Bayern".
Definitionen von Reichspolitik
Die in der Forschung vorgeschlagenen Definitionen reichen vom weitgefassten Staatshandeln, welches die Gesamtheit des Landes betrifft, bis zur enggefassten Beteiligung auf Reichstagen bzw. -versammlungen als wesentliche Möglichkeit, auf reichspolitische Entwicklungen und Prozesse Einfluss zu nehmen. Bei ersterer Definition sind die Grenzen zur Landespolitik einerseits und zu den Außenbeziehungen andererseits fließend; die zweite Auffassung weist ein recht passives Verständnis von Reichspolitik auf. Man könnte demnach Reichspolitik als schichtenreiches, mittel- und unmittelbares Geflecht zwei- oder auch vielpoliger Beziehungen zwischen Gliedern des Reiches sowie zu den Organen des Reichs und dessen Haupt, zudem als agierendes und reagierendes Verhältnis eines Reichsglieds zu Fragen das Reich betreffend verstehen.
Für die Verfassungswirklichkeit des Spätmittelalters hingegen scheint ein solches modernes Konstrukt nur bedingt zutreffend. Die Grenzen von dynastischem, territorialem und reichspolitischem Handeln waren fließend; in den Quellen fehlen meist dem modernen Verständnis vergleichbare Begrifflichkeiten. Von den politischen Akteuren wurde in der Regel ein ganzheitliches (holistisches) politisches Verständnis gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage müßig, ob etwa das Handeln Ludwigs IV. des Bayern (reg. 1314-1347, Kaiser ab 1328), des ersten Reichsoberhaupts aus dem Hause Wittelsbach, stärker unter landespolitischen oder reichspolitischen Vorzeichen gestanden habe.
Zur Forschung
Die Forschung zum reichspolitischen Handeln der Wittelsbacher im Spätmittelalter weist deutliche Schwerpunkte wie gravierende Lücken auf, so dass im Folgenden keine letztgültigen Aussagen zu treffen sind. Als relativ gut untersucht können etwa die Zeit der späten Ingolstädter Herzöge, das 15. Jahrhundert für den Teildukat Bayern-Landshut oder auch das Problemfeld der mit reichspolitischen Fragen engverbundenen dynastischen Politik gelten. Hingegen klaffen etwa für das Münchner Teilherzogtum vielfach empfindliche Leerstellen, gerade für das späte 13. und das 14. Jahrhundert. Manche Dukate sind ausgesprochene Desiderata der Forschung. Dies hat nicht zuletzt mit einem immer noch weiterwirkenden Verdikt bezüglich des Zeitalters der sogenannten Landesteilungen zu tun, aber auch mit einer komplizierten, disparaten und weit verstreuten Quellenlage, welche eine Beantwortung reichspolitischer Fragestellungen je nach bi- oder multilateraler Perspektive erst nach umfangreichen Archivstudien ermöglicht. Insgesamt rückt die moderne Forschung zunehmend von Vorstellungen programmatischen und relativ eigenständigen Handelns hin zu politischen, horizontalen wie vertikalen Interaktionen innerhalb relativ enger, nur in "Spielräumen" (Peter Moraw) verschiebbarer Machtkonstellationen und -feldern ab. Dies zeitigt auch eine Abkehr von Einschätzungen des "versäumten Reichs" (Leopold von Ranke). Stattdessen rücken nun die bewahrenden Elemente spätmittelalterlicher Verfassungswirklichkeit, die "Klammern" der Reichsverfassung, stärker ins Blickfeld der Forschung.
Reichspolitische Rahmenbedingungen - territoriale Grundzüge
Die landesgeschichtliche Forschung sieht in der Regel die herrscherliche Durchdringung Bayerns in der Fläche und den Gewinn der Pfalzgrafschaft bei Rhein 1214 als wesentliche "Leistungen" der ersten wittelsbachischen Herzöge. Dem gegenüber steht der Verlust Regensburgs, der alten metropolis Bavariae, welche in den 1480er Jahren noch einmal für kurze Zeit von Albrecht IV. von Bayern-München (reg. 1465-1508) reimmediatisiert werden konnte. Auch blieben trotz der Heirat der Herzogstochter Elisabeth (1227-1273) mit König Konrad IV. (reg. 1237-1254) und oftmaligen Bemühungen Österreich und die Steiermark für den bayerischen Dukat verloren. Das sogenannte Konradinische Erbe aus der staufischen Erbmasse, das in wittelsbachische Hände fiel, war ebenfalls noch lange Zeit territorialer Konfliktpunkt teilweise heftiger Auseinandersetzungen nicht zuletzt mit der Zentralgewalt.
Die erste Landesteilung 1255, welche gegen das Reichsrecht vorgenommen wurde, zeigt letztlich die Macht, über welche die wittelsbachischen Herzöge in der vierten Generation bereits verfügten. Trotz Zwistigkeiten traten Ludwig der Strenge (reg. 1253-1294), an den Oberbayern sowie die rheinische Pfalzgrafschaft gefallen waren, und der niederbayerische Herzog Heinrich XIII. (reg. 1253-1290) gegen äußere Feinde wie den eingefallenen König Ottokar II. von Böhmen (reg. 1253-1273) gemeinsam auf. In diese Zeit fiel auch der lange Jahrhunderte währende Verlust der bayerischen Kurstimme. Um 1500 sollte sich Albrecht IV. Hoffnungen auf Unterstützung durch König Maximilian I. (reg. 1486/1493-1519, Kaiser ab 1508) bezüglich einer bayerischen Kur machen, doch wurden diese erst in Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs erfüllt.
Die rund eineinhalb Jahrhunderte nach dem Tod Kaiser Ludwigs IV. werden meist als Epoche des durch die Landesteilungen bedingten Zerfalls und der ab Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten Einheitsbestrebungen bzw. als "Sammlung der Kräfte" (Andreas Kraus) gelesen, die in der Primogeniturordnung 1506 gipfelten. Diese teleologische Interpretation ist jedoch bei Analyse der Quellen nur bedingt haltbar. Detailuntersuchungen betonen Elemente in die Tiefe bzw. ins Innere des Landes zielender herrschaftlicher Verdichtung; jedoch hält sich noch in jüngsten Überblicksdarstellungen die skizzierte Vorstellung einer politischen Wellenbewegung zwischen den Scheitelpunkten Kaiser Ludwig dem Bayern und Herzog Albrecht IV.
Nach dem Tode Kaiser Ludwigs im Reich trat Bayern in der Regel nicht mehr als geschlossenes Territorium auf. 1349 erfolgte die zweite Landesteilung unter den beiden ältesten Söhnen Ludwigs IV., bald darauf eine weitere Aufsplitterung der bayerischen Lande. Stephan II. (reg. 1347-1375) konnte zwar 1363 Ober- und Niederbayern wiedervereinigen, doch wurde 1392 Bayern ein drittes Mal in die Teilherzogtümer Bayern-Ingolstadt, Bayern-Landshut und Bayern-München getrennt. Herzog Heinrich XVI. der Reiche von Bayern-Landshut (reg. 1393-1450) konnte sich 1447 das Ingolstädter Teilherzogtum sichern. Nach dem Landshuter Erbfolgekrieg (1503-1505) wurde Bayern unter Herzog Albrecht IV. "wiedervereint".
Territorialpolitik und Konflikte mit der Zentralgewalt
Unter Ludwig dem Bayern gewonnene wie auch andere Gebiete konnten unter seinen Nachfolgern nicht mehr gehalten werden. Es kam zu Verpfändungen auf dem Nordgau an Karl IV. (reg. als deutscher König 1346-1378, als König von Böhmen ab 1347), der einen herrschaftspolitisch bedeutenden Korridor zwischen Nürnberg und Eger (Neuböhmen) aufbauen und durch Heirat mit Anna (1329-1353) die pfälzischen Wittelsbacher dynastisch binden konnte. Die Kurwürde wurde 1356 in der Goldenen Bulle im Widerspruch zum Hausvertrag von Pavia (1329) an die nun auch reichsvikarielle Pfalzgrafschaft bei Rhein gebunden, welche im selben Jahr mit der Oberpfalz abgetrennt wurde. Stephan II. von Niederbayern erhielt im Gegenzug die Reichslandvogteien im Elsass und in Oberschwaben, womit sich Karl IV. auch der wittelsbachischen Zustimmung für die Königswahl seines Sohnes Wenzel (reg. 1376-1400) vergewisserte. 1357 versuchte der Luxemburger, sich das Straubinger Land zu sichern, doch die Stände Hollands und des Hennegaus riefen Albrecht I. (reg. 1347/1353-1404) als Statthalter aus. Im Frieden von Schärding (1369) kam Tirol an Habsburg, was eine habsburgische Umfassung Bayerns zur Folge hatte. Spätere Versuche, Tirol zurückzugewinnen, zuletzt Ende des 15. Jahrhunderts über "Verschreibungsketten" (Verpfändungen) mit dem notorisch klammen Tiroler (Erz-)Herzog Sigmund (reg. 1439-1490, Titel Erzherzog seit 1477), scheiterten.
1373 fiel die Mark Brandenburg im Vertrag von Fürstenwalde (18. August 1373) an Luxemburg. Dies konnte zum Teil durch Restauration ehedem neuböhmischer Gebietsverluste herrschaftspolitisch ausgeglichen werden, denn es verschoben sich die territorialpolitischen Schwerpunkte Karls IV., sodass die dortigen südwestlichen Besitzungen zunächst pfandweise an die Wittelsbacher restituiert wurden. Im Böhmisch-Pfälzischen Krieg (1400-1401) konnten sich die Pfalzgrafen die territoriale Hauptmasse des Nordgaus, der oberen Pfalz, sichern. Hatten die Wittelsbacher noch maßgeblich den Frieden von Rothenburg (1377) zwischen König Wenzel und dem Schwäbischen Städtebund vermittelt, so versuchte der König 1379, die schwäbische Reichslandvogtei zu entziehen und den Habsburgern zu verleihen. Der Bayerisch-Österreichische Krieg, bei dem es (auch) um den Einfluss auf die Propstei Berchtesgaden ging, wurde 1384 beigelegt. 1388 löste Bayern mit der Gefangennahme des Salzburger Erzbischofs den Städtekrieg (1387-1389) aus, der durch den Reichslandfrieden von Eger im Folgejahr beendet wurde. Zum Sechserausschuss, der zur Wahrung des Reichslandfriedens ins Leben gerufen worden war, zählte auch der bayerische Herzog Friedrich (reg. 1375-1393).
Nach Absetzung Wenzels blieb das Königtum Pfalzgraf Ruprechts III. (reg. 1400-1410) ein wittelsbachisches Intermezzo, da die Würde des Reichsoberhaupts nicht an das Haus gebunden werden konnte. Das Straubinger Land fiel 1429 zur Hälfte an die Münchner, zu je einem Viertel an den Landshuter und den Ingolstädter Herzog. Der Pressburger Spruch König Sigmunds (reg. 1410-1437) vom gleichen Jahr brachte somit eine neue Grenzziehung zwischen Bayern-München und Bayern-Landshut mit sich. 1433 sicherte sich Burgund die vorher zu Straubing-Holland gehörenden niederländischen Territorien (Haager Vertrag). Nach dem Tod des habsburgischen Königs Albrecht II. (reg. 1438/39) im Jahr 1439 wählten die Stände Herzog Albrecht III. von Bayern-München (reg. 1438-1460) zum böhmischen König. Jedoch zog Albrecht 1440 seine Ansprüche in klarer Einschätzung der militärischen Möglichkeiten zugunsten das Habsburgers Ladislaus Postumus (reg. als König von Böhmen 1453-1457) zurück, der unter Vormundschaft König Friedrichs III. (reg. 1440-1493, Kaiser ab 1452) stand. Im Erdinger Vertrag 1450 zwischen Herzog Albrecht III. von Bayern-München und Heinrich XVI. von Bayern-Landshut erhielt ersterer das Landgericht Schwaben, verzichtete aber auf Ansprüche bezüglich des Ingolstädter Erbes. Das Landfriedensbündnis des Folgejahres, dem sich zahlreiche Fürsten anschlossen, konnte zunächst eine große Stabilität entfalten.
Für die Herzöge der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist eine expansive, zum Teil aggressive Reichspolitik kennzeichnend, besonders für Ludwig IX. von Bayern-Landshut (reg. 1450-1479) und seinen Sohn Georg (reg. 1479-1503) sowie für Albrecht IV. von Bayern-München. Der Münchner Teildukat geriet für geraume Zeit in den bisher strengsten Gegensatz zum Haus Habsburg. Albrecht nahm in Ausnützung außenpolitischer Zwangslagen der Königsmacht Anleihen auf Tirol, verleibte seinem Herzogtum 1487 die Reichsstadt Regensburg ein, doch konnten die Erwerbungen mit Ausnahme der Grafschaft Abensberg nicht gehalten werden. Die niederbayerischen Herzöge griffen vor allem in den Westen aus, so Herzog Ludwig auf die aus dem Konradinischen Erbe stammende Reichsstadt Donauwörth (1458/59). Markgraf Albrecht Achilles (reg. 1440-1486) wurde mit der Vollstreckung der Reichsacht beauftragt. Den Reichskrieg beendete der Frieden von Prag 1463. Donauwörth blieb Reichsstadt. Letztlich versöhnte sich der reiche Herzog wieder mit Kaiser Friedrich III.
Georg der Reiche von Bayern-Landshut geriet durch sein Engagement (oft zusammen mit dem Münchner Verwandten Albrecht IV.) im habsburgischen Vorderösterreich in Konflikt mit der Königsmacht, doch konnte auch er sich nicht behaupten. Dem Schwäbischen Bund, der zunächst gegen Bayern gerichtet war, hatten die bayerischen Wittelsbacher letztlich nichts entgegenzusetzen. Es folgte die schrittweise Aussöhnung mit Habsburg, in deren Verlauf Albrecht IV. sogar Reichshauptmann wurde. Obwohl etwa der Landshuter Kanzler Martin Mayr (ca. 1420-1481) konkrete Vorschläge zur Reichsreform gemacht hatte, gingen die wittelsbachischen Fürsten - wie auch andere Reichsstände - insgesamt auf Distanz zu königlichen (wie fürstlichen) Reformplänen und setzten etwa das säumige Eintreiben des Gemeinen Pfennigs ganz bewusst gegen die unter administrativen Defiziten leidende Zentralgewalt ein.
Phasen, Zielsetzungen und Mittel der Reichspolitik
Auch wenn nicht von einer einheitlichen Reichspolitik der bayerischen Wittelsbacher im Spätmittelalter gesprochen werden kann, sondern Phasen und unterschiedliche Ziel- und Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Teilherzogtümern zu unterscheiden sind, lassen sich gewisse wiederkehrende reichspolitische Mittel feststellen. Die Forschung neigte dazu, das teilweise unübersichtliche politische Geflecht des Spätmittelalters in dualistische Modelle aufzulösen. Eines davon war ein latenter wittelsbachisch-habsburgischer Gegensatz, der sich allerdings in dieser Ausschließlichkeit nicht halten lässt. Nicht selten wurden "innerbayerische" Streitigkeiten durch königlich-kaiserliches Eingreifen beendet, bzw. es wurde der Versuch unternommen, so etwa bei den Auseinandersetzungen zwischen Albrecht IV. von Bayern-München mit seinen jüngeren Brüdern Wolfgang (1451-1514) und Christoph (1449-1493). Allerdings wurden diese Konfliktfelder vom König zum Teil auch instrumentalisiert, indem dieser einzelne Bayernherzöge in seine Dienste bzw. in die des Reiches aufnahm, antiherzogliche Bündnisse mittel- oder unmittelbar unterstützte oder kleinere Gewalten im Lande durch Erhöhung in den Reichsfreiherrenstand stärkte (z. B. Degenberg, Stauffer zu Ehrenfels). Schmelztiegel der Interessen waren oftmals Bistumsbesetzungen, wo sich kaleidoskopgleich Konfliktlinien für überschaubare Zeit bündeln konnten. Doch auch anderweitig gab es mit den bayerischen Bistümern - nicht zuletzt in den hochstiftischen Enklaven - immer wieder Auseinandersetzungen im Laufe des Untersuchungszeitraums. Stellvertretend seien die Konflikte angeführt, welche sich in der freisingischen Grafschaft Werdenfels um deren reiche Bodenschätze entzündeten.
Von bayerischer Seite wurde versucht, den reichspolitischen Einfluss zu erhöhen. Dies geschah durch eine vielfach schnelllebige Bündnispolitik, Vermittlertätigkeiten, personelle Beziehungen auch zum Kaiserhof, durch dynastische, oft weitgespannte Heiraten (etwa die Eheschließung Albrechts IV. mit der Kaisertochter Kunigunde [1465-1520]) und durch ein kunstvolles, inszenatorisches Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit auf den Reichsversammlungen. Die familiäre Vernetzung der Fürsten auf Reichsebene führte dazu, dass Konflikte meist überschaubar blieben, doch konnten sich auf der anderen Seite auch scheinbar kleinere Auseinandersetzungen auf die Reichsebene ausdehnen. Ausgetragen wurden solche Konflikte durch Korrespondenzen, Instrumentalisierung von (Teil-) Öffentlichkeiten (gegen Ende des Jahrhunderts auch in gedruckter Form) oder auf der "Bühne" der Reichsversammlungen bzw. der Konzilien. Beispielhaft seien hier die Auseinandersetzungen zwischen Heinrich XVI. von Bayern-Landshut und Ludwig VII. dem Gebarteten (reg. 1413-1443) genannt, welche einen Höhepunkt in der Konstanzer Liga (1415) und im gescheiterten Attentatsversuch auf den Ingolstädter Herzog während des Konstanzer Konzils 1417 hatten. Ferner sei abermals der Bruderzwist im Hause Wittelsbach angeführt, der sich durch die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zog. Ein, wenn nicht das wesentliche Mittel war eine zögerliche Politik oder Hinhaltetaktik (Cunctatorik oder Dilatorik), durch die die bayerischen Herzöge ihren machtpolitischen Spielraum auszuloten oder zu erweitern versuchten.
Immer noch dominierte im Spätmittelalter (wie auch noch weit darüber hinaus) das Element der personalen politischen Beziehungsgefüge, welches stets neu sichtbar gemacht werden musste und den politischen "Spielregeln" (Gerd Althoff) des Spätmittelalters folgte. Ein Spiel von Gabe und Gegengabe führte zu kunstvollen Verpflichtungsnetzwerken. Die Wittelsbacher suchten zudem ihren Reichseinfluss auch über auswärtige Beziehungen zu steigern. So kam es zwischen 1250 und 1500 zu Heiratsverbindungen mit Sizilien, Mailand und Mantua im Süden, im Westen mit den Häusern Lancastar und Valois, mit dem dänischen, polnischen und ungarischen Königshaus im Norden und Osten. Diese Beziehungsgeflechte, welche durch weitere auswärtige Bündnisse flankiert werden konnten - etwa zu Matthias Corvinus von Ungarn (reg. 1458-1490, in Böhmen 1469-1490) - steigerten die Position der Wittelsbacher im Reich. Eine fortschreitende Verrechtlichung und Verschriftlichung des politischen Handelns lässt sich ebenso konstatieren wie eine judikalisierende Tendenz, gerichtliche Lösungen anzustreben. Hinzu kam eine zunehmende Institutionalisierung der politischen und diplomatischen Beziehungen (über die sogenannten gelehrten Räte). Dieser Prozess war im 15. Jahrhundert allerdings noch nicht abgeschlossen. Hier war Bayern durchaus in einen reichsweiten Prozess eingebunden und folgte "fortschrittlicheren" Territorien wie den sächsischen Fürstentümern oder der rheinischen Pfalz.
Fallbeispiel Reichsstädte (Regensburg, Augsburg)
Exemplarisch lässt sich anhand der Reichsstädte Augsburg und Regensburg das vielschichtige reichspolitische Verhältnis aufzeigen. Während das wirtschaftlich in seiner Bedeutung gesunkene Regensburg von Albrecht IV. mithilfe seines Landshuter Vetters Georg dem Reichen nach langer Vorbereitung kurzzeitig zur bayerischen Landstadt mediatisiert wurde (1486-1492), sind derartige Bestrebungen bei der ungleich potenteren, wirtschaftlich wie personal aufs engste mit den Teilherzogtümern verflochtenen Reichsstadt Augsburg nicht nachzuweisen.
Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts war die Lechstadt eine der führenden Städte im auch gegen die bayerischen Herzöge gerichteten Schwäbischen Städtebund und damit im Reichskrieg gegen Bayern. Dieser endete als Städtekrieg mit einer finanziellen wie prestigebezogenen Niederlage der Städte. Im 15. Jahrhundert pendelte das Verhältnis zwischen Phasen des relativ friedlichen Nebeneinanders und zuweilen recht handgreiflichen Auseinandersetzungen, welche von der "Vergatterung" des Lechs über die Nichtverfolgung und Beherbergung von Heckenreitern zu Waldfreveln, dem Nichtgewähren des Geleitrechts (conductus), dem Einsatz der "bösen Münz" (mindere Prägungen) und Bluttaten reichen konnte.
Gerade zu Zeiten des Landshuter Herzogs Ludwig IX. spitzten sich die Auseinandersetzungen zu und verzahnten sich mit weiteren Konfliktfeldern, nicht zuletzt mit dem Kampf des Wittelsbachers gegen die Hohenzollern. Die kurzzeitige Einnahme der Reichsstadt Donauwörth durch Ludwig den Reichen oder die Aggressionen seines Sohns Georg gegen die Reichsstadt Nördlingen wurden von Augsburger Chronisten wie von anderen reichsstädtischen Geschichtsschreibern als gefährliche Präzedenzfälle gezeichnet. Trotz aller Auseinandersetzungen wartete Augsburg - Bühne der "Schauverurteilung" Pfalzgraf Friedrichs I. des Siegreichen (reg. 1451-1476) durch Friedrich III. 1474 - aus bewährter reichsstädtischer Ambivalenz lange mit einem Beitritt zum ursprünglich vor allem gegen die wittelsbachischen Herzöge gegründeten und vom Reichsoberhaupt geförderten Schwäbischen Bund.
Die Reichsstadt Regensburg hingegen lag in unterschiedlicher Intensität im Laufe des Spätmittelalters im Fokus der wittelsbachischen Herzöge, welche gerade die gesunkene wirtschaftliche Bedeutung als Möglichkeit verstärkter Einflussnahme auf vielen Ebenen begriffen und über die verbliebenen Rechte (etwa via Schultheißengericht) bzw. über das nahe herzogliche Stadtamhof in die Reichsstadt griffen. Konkretere Gestalt nahmen die Bemühungen aber erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an. Die eingenommene Reichsstadt versuchten die wittelsbachischen Herzöge durch ein Bündel von Maßnahmen (Turniere, versuchte Universitätsgründung, Heiltumsweisungen etc.) zu halten und setzten hierbei etwa auch auf die kuriale Karte. Jedoch verhallten diese Bemühungen, auch mithilfe auswärtiger Mächte Einfluss auf das Reich zu nehmen, letztlich rasch. Kaiser Friedrich III. konnte relativ schnell Regensburg wieder ans Reich bringen. Dies mag auch zeigen, dass die Verfassungsnetze des Spätmittelalters ziemlich eng gezogen und Veränderungen der politischen wie territorialen Landkarte nur selten möglich waren - und dies auch nur, wenn es den Wittelsbacher gelang, eine Kongruenz der politischen Interessen mit der Zentralgewalt herbeizuführen (etwa Landshuter Erbfolgekrieg).
Abschließende Überlegungen - Haus Bayern
Der Hausgedanke ("Haus Bayern"/domus Bavariae) überlagerte - wie etwa auch vergleichbar bei der "domus Austriae" in den habsburgischen Territorien - im Quellendiskurs das politische Handeln der wittelsbachischen Herzöge seit Ludwig dem Bayern, ohne indes eine dezidierte Programmatik zu erhalten. Er wurde im Diskurs gerade des 15. Jahrhunderts auf vielfältige Weise visualisiert (so im Alten Hof), mythologisiert (etwa in den Werken Ulrich Fuetrers [gest. zw. 1483-1492]), instrumentalisiert und nicht zuletzt als Machtmittel nach außen hin eingesetzt - etwa als inszenierte Dimension von Geschlossenheit und "auctoritas" bei der Zeremonie anlässlich der Ankunft eines Herrschers (adventus) -, zumal ihm eine gesamtwittelsbachische Dimension innewohnte, welche von den anderen Reichsständen auch als Demonstration und Bedrohung begriffen wurde. Als Albrecht IV. zur Erhöhung seiner politischen Spielräume einen möglichen Beitritt zum Schwäbischen Bund geschickt streute, begriffen dies die anderen wittelsbachischen Fürsten dezidiert als Gefahr für das "Haus Bayern". Dies mag exemplarisch belegen, wie der "Außenpolitik" im Spätmittelalter auch stets eine "innenpolitische" Dimension innewohnte, und zeigt, in welch hohem Maße einer Begrifflichkeit wie "Reichspolitik" ein moderner Konstruktcharakter innewohnt. Hinzu kommt die zunehmende Bedeutung der Räte als politische Handlungsträger, die unter der Ebene der fürstlichen Politik agierten und damit die Möglichkeiten ihrer herzoglichen Herren nicht unwesentlich mitbestimmten.
Literatur
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Weiterführende Recherche
Empfohlene Zitierweise
Christof Paulus, Reichspolitik der Wittelsbacher (Spätmittelalter), publiziert am 30.04.2015; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichspolitik_der_Wittelsbacher_(Spätmittelalter) (12.12.2024)