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Kurpräcipuum

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Die Urkunde von 1368. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv, Hausurkunde 2460)

von Benjamin Müsegades

Als Kurpräcipuum (auch Kurpräzipuum) werden in der Forschung jene Städte und Burgen der Pfalzgrafen bei Rhein bezeichnet, die nach den Festlegungen mehrerer hausrechtlicher Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts unveräußerlicher Bestandteil ihrer rheinischen und oberpfälzischen Besitzungen sein sollten. Der Begriff (lat. praecipuus = herausragend, besonders) stammt nicht aus dem Mittelalter, sondern wurde erst von Juristen der Neuzeit geprägt. Wann er erstmals auftaucht, ist allerdings unbekannt.

Vorgeschichte

Durch den Hausvertrag von Pavia des Jahres 1329 gingen die wittelsbachischen Besitzungen am Rhein sowie teilweise auch im nördlichen Bayern („Nordgau“; später als Oberpfalz bezeichnet) an die sogenannte rudolfinische Linie. Die Nachkommen Rudolfs I. (reg. 1294-1319 als Herzog von Oberbayern und Pfalzgraf bei Rhein), die Brüder Ruprecht I. (reg. 1353-1390) und Rudolf II. (reg. 1329-1353) sowie ihr Neffe Ruprecht II. (reg. 1390-1398), verfügten seit der Landesteilung von 1338 über jeweils eigene Herrschaftsbereiche, wobei der jüngere Ruprecht hierauf nicht zugreifen konnte. Nach dem Tod Rudolfs II. 1353 einigten sich Ruprecht I. und Ruprecht II. noch im selben Jahr darauf, dass letzterer seinen Erbteil erhalten konnte. Durch die Goldene Bulle Karls IV. (reg. 1346-1378 als röm.-dt. König, ab 1355 als Kaiser) von 1356 wurde für die Pfalzgrafschaft sowie alle weiteren weltlichen Kurfürstentümer die Unteilbarkeit ihrer Länder und die Primogenitur festgelegt (cap. 7 und 25). Ein Erbvertrag von 1357 regelte familienintern, dass die Pfalzgrafschaft beim söhnelosen Tod Ruprechts I. an Ruprecht II. fallen sollte, der wiederum die Beachtung der Primogenitur im Kurfürstentum versprach. Diese verschiedenen vertraglichen Regelungen auf Familien- und Reichsebene bilden die Folie, vor der die Entstehung des Kurpräcipuums zu verstehen ist.

Regelungen: 1368 – 1378

Am 26. August 1368 beurkundeten die Pfalzgrafen Ruprecht I. und Ruprecht II., dass bestimmte Städte und Burgen „ewiclichen by der Pfaltz verliben sollen“, das heißt dem Fürstentum nicht entfremdet, verkauft, verpfändet oder anderweitig aufgegeben werden durften. Explizit geregelt wurde zudem, dass diese auch nicht für die Versorgung der Gemahlinnen oder Töchter der Pfalzgrafen sowie für Seelgerätsstiftungen herangezogen werden durften. Es handelte sich um die Burg Stahleck mit Bacharach, Steeg, Kaub, die Burg Pfalzgrafenstein, Fürstenberg, Diebach, Manubach, Alzey, Neustadt an der Haardt mit Burg Wolfsberg (alle Rheinland-Pfalz), Mannheim, Weinheim, Heidelberg, Dilsberg (alle Baden-Württemberg) sowie Lindenfels (Hessen). Die Burggrafen, Amtleute, die Gemeinden und alle weiteren mit den genannten Städten, Burgen und Orten verbundenen Personen und Gruppen sollten die Regelungen beschwören und keinem Fürsten huldigen, der nicht gelobte, diese Ordnung einzuhalten.

Erstmals war durch die Regelung von 1368 ein Teil des pfalzgräflichen Territoriums als unveräußerlich abgesondert worden. Es handelte sich dabei weitgehend um Besitzungen, die bereits seit der Herrschaftszeit Konrads des Staufers (reg. 1156-1195) zum Fürstentum gehört hatten. Dabei gehen in der Forschung die Meinungen darüber auseinander, wie diese Bestimmungen zu bewerten sind. Einerseits werden sie als Reaktion auf die Regelungen der Goldenen Bulle zur Unteilbarkeit von weltlichen Kurfürstentümern bewertet (Schaab), andererseits gerade als Mittel, um eben jenes Teilungsverbot perspektivisch zu umgehen (Spieß, Heimann). Ein weiterer Hintergrund des Veräußerungsverbots war wohl die finanzielle Lage der Pfalzgrafen, für die mehrere der genannten Städte in verschiedenen Geldgeschäften gebürgt hatten. Die weitreichende Bedeutung der Urkunde von 1368 für zumindest einige der betroffenen Städte wird daran ersichtlich, dass sich für Neustadt und Weinheim Ausfertigungen erhalten haben, die heute in den jeweiligen Stadtarchiven verwahrt werden.

Im Jahr 1378 besiegelten Ruprecht I. und Ruprecht II. sowie Ruprecht III. (reg. 1398-1410, seit 1400 als röm.-dt. König), der Sohn Ruprechts II., eine weitere Urkunde, in der sie die Bestimmungen von 1368 erweiterten. Zusätzlich zu den Besitzungen am Rhein wurden nun auch Gebiete in der oberen Pfalzgrafschaft (im nördlichen Bayern, auf dem sog. Nordgau) zu den unveräußerlichen Teilen des Fürstentums hinzugefügt. Es handelte sich um Amberg, Waldeck, Kemnath (beide Lkr. Tirschenreuth), Helfenberg (Gde. Velburg, Lkr. Neumarkt i.d.Opf.), Heunsburg (heute Heinrichsbürg, Gde. Neumarkt i.d.Opf.), Murach, Nabburg (beide Lkr. Schwandorf) und Rieden (Lkr. Amberg-Sulzbach). Dabei waren die 1368 und 1378 konkretisierten Pläne, einen festen Kern wittelsbachischer Besitzungen zu definieren, keinesfalls neu. Bereits im Kontext des Regierungsverzichts Rudolfs II. zugunsten seines Bruders Ludwig IV. (reg. 1294-1347, ab 1314 als röm.-dt. König, ab 1328 als Kaiser, genannt "der Bayer"), des römisch-deutschen Königs, wurden 1317 mehrere Burgen genannt, die nicht veräußert werden sollten.

Regelungen: 1395 – 1410

Wieder aufgegriffen wurden die Bestimmungen zu den unveräußerlichen Gebieten der Pfalzgrafschaft von 1368 und 1378 sowie auch zur 1357 festgelegten Primogenitur in der sogenannten Constitutio Rupertina Ruprechts II. und Ruprechts III. vom 13. Juli 1395. In der Urkunde wurde das Kurpräcipuum noch um Neunburg vorm Wald (Lkr. Schwandorf) sowie Otzberg, Hering, Umstadt (alle Hessen), Stromburg, Simmern (beide Rheinland-Pfalz), Hilsbach und Steinsberg (beide Baden-Württemberg) in den rheinischen Besitzungen der Pfalzgrafen erweitert. Allerdings erlangten die Regelungen aufgrund der ausgebliebenen Bestätigung durch den Großteil der als Siegelnde vorgesehenen Personen und Städte nie Rechtskraft. Für eine Rezeption zumindest von Teilen der Bestimmungen zum Kurpräcipuum Ende des 14. Jahrhunderts könnte sprechen, dass Ruprecht II. in seinem Testament vom 6. Januar 1398 besonders die zu den unveräußerlichen Teilen der Pfalz gehörenden Städte Heidelberg, Bacharach, Neustadt und Alzey bedachte.

Im Jahr 1401 beschworen die beiden ältesten Söhne Ruprechts III., mittlerweile als Ruprecht I. auch römisch-deutscher König, Ludwig III. (reg. 1410-1436 als Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst von der Pfalz) und Stephan (reg. 1410-1459 als Herzog von Pfalz-Simmern-Zweibrücken), unter anderem die nicht veräußerlichen Burgen bei der Pfalzgrafschaft zu halten. Die in den verschiedenen hausrechtlichen Urkunden aufgeführten unveräußerlichen Städte, Burgen und Gebiete kamen 1410 zusammen mit weiteren Bestandteilen des Fürstentums bei der Teilung der pfalzgräflichen Gebiete an Ludwig III., der zum Kurfürsten bestimmt wurde. Nicht mehr als integraler Bestandteil des Kurpräcipuums wurden nun die in der Constitutio Rupertina neu aufgeführten Besitzungen Neunburg, Otzberg, Hering, Umstadt, Stromburg, Steinsberg, Hilsbach und Simmern genannt. Hinzu kam indessen Sauerburg (Rheinland-Pfalz).

Durch die Teilung von 1410 erhielten Ludwigs drei jüngere Brüder Johann (reg. 1410-1443 als Herzog von Pfalz-Neumarkt-Neunburg), Stephan und Otto (reg. 1410-1448 als Herzog von Pfalz-Mosbach, 1448-1461 als Herzog von Pfalz-Neumarkt-Mosbach) aus dem Gebiet der Pfalzgrafschaft jeweils eigene Territorien. Zugeschlagen wurden ihnen dabei Besitzungen, die nicht Teil des Kurpräcipuums waren, jedoch zuvor Teil der Pfalzgrafschaft gewesen waren. Auf diesem Wege konnte „zwar nicht dem Geist, aber dem Buchstaben der Goldenen Bulle Genüge getan“ (Spieß, Erbteilung, 176) werden und unter Beachtung der Unteilbarkeitsregeln bezüglich des Kurpräcipuums jedem Sohn König Ruprechts ein Anteil an der Herrschaft gesichert werden.

Rezeption, Wirkung und Anpassungen 1410–1648

Die unveräußerlichen Bestandteile der Kurpfalz blieben im Kontext von Erbgängen, Landesteilungen wie auch der Ansprüche der bayerischen Herzöge auf das Kurrecht bis ins 17. Jahrhundert hinein relevant. Beim Tod eines regierenden pfälzischen Kurfürsten fiel das gesamte Territorium samt des Kurpräcipuums an den ältesten Sohn. Dabei wurde der geographische Rahmen sowie die Zahl der nicht von der Pfalz zu entfremdenden Städte und Burgen teils abweichend von den Bestimmungen von 1368, 1378 und 1410 gefasst.

Als Kurfürst Ludwig III. vor seiner Pilgerfahrt ins Heilige Land im Jahr 1426 Vorkehrungen traf, wie im Fall seines Todes zu verfahren sei, erwähnte er die, geographisch allerdings nicht weiter spezifizierten, unveräußerlichen Besitzungen und verfügte, dass diese zusammen mit den verschiedenen Pfandschaften der Kurpfalz an seinen ältesten Sohn gehen sollten. Die in der Constitutio Rupertina von 1395 als ewig zur Pfalz gehörend bezeichneten Otzberg und Umstadt wurden hingegen mit weiteren Orten und Burgen als gemeinsamer Besitz aller seiner Söhne aufgeführt.

Friedrich I. „der Siegreiche“ (reg. 1451-1476) wiederum führte am 24. Januar 1472 in einer Urkunde, in der unter anderem die Versorgung seiner unstandesgemäßen Gemahlin Klara Tott (1440-1520) und seiner beiden Söhne aus dieser Ehe geregelt wurden, zusätzlich noch Neckargemünd (Baden-Württemberg) als Stadt auf, die „bii dem furstenthum der Pfaltz zuuovus zu blyben verschriben“ sei. In einem Nachtrag zu seinem Testament vom 3. November 1476 legte Friedrich zudem fest, dass mit Blick auf die Huldigung gegenüber seinem Neffen und Adoptivsohn Philipp (reg. 1476-1508) in der Pfalzgrafschaft jene Teile der dauerhaft zur Pfalz gehörenden Burgen und Städte, die er seinem leiblichen Sohn Ludwig (1463-1523) verschrieben hatte, nicht inbegriffen sein sollten.

Unter den für Ludwig vorgesehenen Ämtern befanden sich allerdings nur die in der nie ratifizierten Constitutio Rupertina von 1395 erwähnten Otzberg, Umstadt und Hering, die weder 1368 noch 1378 oder 1410 zu den unveräußerlichen Gebieten gezählt worden waren. Nach dem Tod Friedrichs I. weigerten sich nach dem Bericht der Vormünder Ludwigs schließlich dann auch Vasallen aus der Gegend um Umstadt mit dem Verweis darauf, dass die Stadt gemeinsam mit anderen Orten auf ewig zur Pfalz gehörte, diesem leiblichen Sohn des Kurfürsten aus der Ehe mit Klara Tott zu huldigen. Die Übertragung der insgesamt vier für den Sohn des verstorbenen Kurfürsten vorgesehenen Ämter kam nie zustande. Sowohl die durch die Nennung Neckargemünds von den älteren Bestimmungen abweichende Aufzählung der unveräußerlichen Besitzungen in der Urkunde von 1472 als auch der Nachtrag zum Testament Friedrichs von 1476 und die Beschwerden der pfälzischen Vasallen nach dem Tod des Kurfürsten sprechen dafür, dass in der Kurpfalz eine gewisse Unsicherheit darüber herrschte, welche Städte, Burgen und Gebiete eigentlich Teil der unveräußerlichen Besitzungen waren.

Dabei bedeutete die Zugehörigkeit der Gebiete zum Kurpräcipuum ohnehin keinesfalls, dass diese stets vollständig direkt vom jeweiligen Kurfürsten regiert wurden. So übertrug König Ruprecht I. seinem zweitgeborenen Sohn Johann im Jahr 1404 die oberpfälzischen Besitzungen als Landesherr, allerdings unter Vorbehalt sowie mit der Bestimmung, dass diese nach Ruprechts Tod an seinen ältesten Sohn zurückfallen sollten. Nachdem der gesundheitlich angeschlagene Ludwig IV. (reg. 1436-1449) 1436 unter Vormundschaft kam, wurde Johann erneut Regent in diesen Teilen des Kurpräcipuums. Auch Friedrich II. (reg. 1544-1556) regierte nach 1508 diese Gebiete für seinen kurfürstlichen Bruder Ludwig V. (reg. 1508-1544).

Aktuell wurde die Rolle des Kurpräcipuums wieder nach dem Tod Kurfürst Friedrichs III. (reg. 1559-1576) im Jahr 1576. In seinem Testament vom 23. September 1575 hatte er für seinen erstgeborenen Sohn Ludwig VI. (reg. 1576-1583) die Kurwürde sowie die Herrschaft über den Großteil der pfälzischen Gebiete vorgesehen. Dessen jüngerem Bruder Johann Casimir (1543-1592) sollten die Ämter Mosbach und Boxberg (beide Baden-Württemberg) in den rechtsrheinischen Besitzungen der Pfalzgrafschaft sowie die Statthalterschaft in der Oberpfalz zusammen mit den dortigen Ämtern Neunburg vorm Wald, Schwarzenburg (Schwarzwihrberg bei Rötz), Rötz, Waldmünchen (alle Lkr. Cham) und Burgtreswitz (Lkr. Neustadt a.d.Waldnaab) zugestanden werden.

Kurz vor seinem Tod ließ Ludwig VI. allerdings einen Nachtrag zu seinem Testament aufsetzen, in dem bestimmt wurde, dass Johann Casimir statt Mosbach und Boxberg auch die Ämter Kaiserslautern, Neustadt an der Haardt und Böckelheim (alle Rheinland-Pfalz) wählen könnte. Sein Sohn entschied sich für die letztere Variante. Mit Neustadt befand sich unter den erwähnten Gebieten jedoch eine Stadt, die seit dem 14. Jahrhundert zum Kurpräcipuum gehörte. Im Emsischen Vertrag vom 25. Juni 1577 kamen Ludwig und Johann Casimir überein, dass der Jüngere die linksrheinischen Besitzungen erhalten sollte, die fortan als Fürstentum Pfalz-Lautern firmierten. Neustadt verweigerte seinem neuen Herrn mit Verweis auf die Zugehörigkeit zu den unveräußerlichen Bestandteilen der Pfalz zuerst die Huldigung, die er jedoch im Jahr 1577 erzwang. Erst nach dem söhnelosen Tod Johann Casimirs 1592 fiel die Stadt wieder an die Kurpfalz.

Neben den innerpfälzischen Deutungen und Aushandlungen gab es bis zum Dreißigjährigen Krieg auch von Seiten der Herzöge von Bayern im Kontext des Streits um das Führen der Kurwürde intensive Auseinandersetzungen über den Begriff des Kurpräcipuums. Dabei war sowohl am bayerischen als auch am kaiserlichen Hof der Wortlaut der relevanten Verträge von 1368, 1378, 1395 und 1410 wohl nicht bekannt. Der in bayerischen Diensten stehende Christoph Gewold (1556-1621) argumentierte in seiner Schrift „Antitthesis ad Marquardi Freheri assertionem de Palatino electoratu“ 1612, es handele sich beim Kurpräcipuum tatsächlich um das Herzogtum Bayern. Der pfalzgräfliche Jurist Marquard Freher (1565-1614) wiederum vertrat im selben Jahr in seinem Werk „De electoratu sancti Romani imperii comitivae Palatinae Rheni antiquitus adnexo et cohaerente epistola respondaria“ die Meinung, nur den Pfalzgrafen stehe das Führen der Kur zu.

In Bayern wurde nach dem Sieg der katholischen Seite über die Kurpfalz in den 1620er Jahren intern diskutiert, ob der Besitz sowohl der rheinischen als auch der oberpfälzischen Besitzungen oder aber nur die Kontrolle über letztere ausreiche, um dem Wortlaut der Goldenen Bulle Genüge zu tun und die Kur halten zu können. Zusätzlich wurde ein weiteres Modell entworfen, wonach tatsächlich das bayerische Herzogtum das eigentliche Kurland darstelle. Auf kaiserlicher Seite wurde wegen der habsburgischen Ambitionen auf die Unterpfalz damit argumentiert, dass die Kurwürde nur mit der Oberpfalz verbunden sei.

Nachdem 1628 lediglich die Oberpfalz, nicht aber die rheinischen Besitzungen der Pfalzgrafen, an Bayern fiel, wurde nach der Übertragung der Kur von herzoglicher Seite argumentiert, man befinde sich im vollständigen Besitz des Kurpräcipuums. Von der pfälzischen Seite wurde hingegen die Ansicht propagiert, eine Zerteilung der gesamten Kurlande sei nicht rechtmäßig. Die schlussendlich durch den Westfälischen Frieden 1648 geschaffene achte Kur für die Pfalzgrafschaft führte dazu, dass das Kurpräcipuum, dessen oberpfälzischer Teil sich nun dauerhaft unter der Kontrolle der Kurfürsten von Bayern befand, seine politische und hausrechtliche Relevanz verlor.

Forschungsstand

Die grundlegenden Urkunden zur Eingrenzung der unveräußerlichen Gebiete der Pfalzgrafschaft bei Rhein von 1368, 1395, 1410 und 1472 liegen als Editionen vor. Hingegen fehlt nach wie vor eine kritische Bearbeitung der Bestimmungen von 1378. Nachgezeichnet und eingeordnet wurden die Entwicklung des Kurpräcipuums und die zeitgenössischen Begrifflichkeiten im 14. und frühen 15. Jahrhundert von Heinz-Dieter Heimann (geb. 1949) in seiner Habilitationsschrift sowie von Karl-Heinz Spieß (geb. 1948) in einem grundlegenden Aufsatz Anfang der 1990er Jahre. Die Bewertungen der die unveräußerlichen Teile der Pfalz betreffenden Regelungen unterscheiden sich dabei teilweise. Während Heimann den Vertrag von 1368 als Reaktion auf die Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 und als ein Unterlaufen der in dieser festgelegten Teilungsbestimmungen sieht, verneint Spieß eine entsprechende Kausalität und vertritt die Auffassung, der Begriff Kurpräcipuum sei bis 1410 zu vermeiden, da keine explizite Bindung der entsprechenden Besitzungen an den jeweiligen Kurfürsten vorgesehen gewesen sei. Es habe sich bei den Bestimmungen von 1368 zudem keinesfalls um ein Teilungs-, sondern um ein Veräußerungsverbot gehandelt. Frühestens 1401 und spätestens 1410 sei mit der Pfalz nur noch der unveräußerliche Teil des Kurfürstentums bezeichnet worden. Generell habe die Festlegung unveräußerlicher Gebiete dazu geführt, diese „der Willkür einzelner Pfalzgrafen“ zu entziehen und „die transpersonale Herrschaftsvorstellung“ begünstigt (Spieß, Erbteilung, 180). Heimann hebt darüber hinaus die besondere Rolle einer Landes-„Öffentlichkeit“ heraus, die in den Bestimmungen von 1368 und 1378 als Garant für die Einhaltung der Regelungen zur Unveräußerlichkeit der Städte, Burgen und Gebiete dargestellt wird.

Entgegen der Auffassung von Spieß, dass erst ab 1410 überhaupt sinnvollerweise der Begriff Kurpräcipuum benutzt werden könne und trotz der seltenen Nennung des Terminus in den Quellen, hat sich der Begriff in der Forschung für die Zeit seit den Vertragsregelungen von 1368 etabliert.

Für das 15. Jahrhundert und die Zeit bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Frage nach der Rezeption und Umformungen der Vorstellungen vom Kurpräcipuum in umfassenderen Kontexten wie der Ehe Friedrichs I. und der Versorgung seiner Nachkommen (Rödel), der Konflikte Johann Casimirs mit Neustadt 1576/1577 (Kuhn, Press, Warmbrunn) sowie der kurpfälzisch-bayerischen Auseinandersetzungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Dürrwächter, Messinger, Steiner) behandelt. Eine Gesamtdarstellung zur terminologischen und politisch-herrschaftsgeschichtlichen Bedeutung des Kurpräcipuums in Spätmittelalter und Früher Neuzeit fehlt bisher.

Literatur

  • Wilhelm Brauneder, Art. Kurlande, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3, Berlin 2. Aufl. 2014, Sp. 348-349.
  • Henry J. Cohn, The Government of the Rhine Palatinate in the Fifteenth Century, Oxford 1965.
  • Anton Dürrwächter, Christoph Gewold. Ein Beitrag zur Gelehrtengeschichte der Gegenreformation und zur Geschichte des Kampfes um die pfälzische Kur (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte 4,1), Freiburg 1904.
  • Manfred Kuhn, Pfalzgraf Johann Casimir von Pfalz-Lautern 1576–1583 (Schriften zur Geschichte von Stadt und Landkreis Kaiserslautern 3), Otterbach/Kaiserslautern 1961.
  • Stephan Messinger, Die Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf das Herzogtum Bayern. Rechtliche, zeremonielle und politische Probleme (Geschichte 124), Berlin 2015.
  • Jörg Peltzer, Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (RANK 2), Ostfildern 2013.
  • Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler Historische Studien 7), Stuttgart 1970.
  • Volker Rödel, Pfalzgraf Friedrich und Klara Tott. Eine nicht ebenbürtige Ehe mit Nachwirkungen, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 152 (2004), 97-144.
  • Meinrad Schaab, Geschichte der Kurpfalz, Bd. 1: Mittelalter, Stuttgart 2. Aufl. 1999.
  • Karl-Heinz Spieß, Erbteilung, dynastische Räson und transpersonale Herrschaftsvorstellung. Die Pfalzgrafen bei Rhein und die Pfalz im späten Mittelalter, in: Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk. Referate und Aussprachen der Arbeitstagung vom 4.–6. Oktober 1988 in St. Martin/Pfalz (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 81), Speyer 1990, 159-181.
  • Jürgen Steiner, Die pfälzische Kurwürde während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 76), Speyer 1985.
  • Paul Warmbrunn, Pfalz-Lautern: Grundzüge der Territorial-, Konfessions- und Geistesgeschichte, in: Wilhelm Kreutz/Wilhelm Kühlmann/Hermann Wiegand (Hg.), Die Wittelsbacher und die Kurpfalz in der Neuzeit. Zwischen Reformation und Revolution, Regensburg 2013, 63-79.

Quellen

  • Teilungsvertrag, 3. Oktober 1410, in: Hans Rall (Hg.), Wittelsbacher Hausverträge des späten Mittelalters. Die haus- und staatsrechtlichen Urkunden der Wittelsbacher von 1310, 1329, 1392/93, 1410 und 1472 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 71), München 1987, 219-281.
  • Nachtrag zum Testament Kurfürst Friedrichs I. von der Pfalz, 3. November 1476, in: Richard Lossen, Staat und Kirche in der Pfalz im Ausgang des Mittelalters (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 3), Münster 1907, 217-218.
  • Urkunde Ruprechts I. und Ruprechts II., 26. August 1368/Constitutio Rupertina, 13. Juli 1395, in: Meinrad Schaab (Hg.), Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156–1505 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A: Quellen), Stuttgart 1998, Nr. 70, S. 107-108; Nr. 93, 150-164.

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Kurpräzipuum, Hausvertrag der pfälzischen Wittelsbacher

Empfohlene Zitierweise

Benjamin Müsegades, Kurpräcipuum, publiziert am 25.10.2024, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kurpräcipuum> (13.12.2024)