Parlamentarischer Rat
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die Weichenstellung für die Errichtung eines westdeutschen Teilstaates bildete die sog. Londoner Erklärung der Westalliierten im Juni 1948. Sie war das Ergebnis der Unmöglichkeit einer einheitlichen Deutschlandpolitik der alliierten Siegermächte nach 1945. Mit der Erklärung wurden die westdeutschen Ministerpräsidenten aufgerufen, einen Parlamentarischen Rat zu bilden, dessen Mitglieder aus den elf westdeutschen Landesparlamenten gewählt wurden. Die Aufgabe des Parlamentarischen Rates war die Ausarbeitung einer verfassungs- und staatsrechtlichen Grundlage für die Gründung eines westdeutschen Teilstaates. Das Ergebnis der Beratungen war die Verabschiedung eines Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland am 8. Mai 1949, dessen Genehmigung durch die Westalliierten allerdings noch erfolgen musste.
Vorgeschichte
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die vier Besatzungsmächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich nicht auf eine gemeinsame Deutschlandpolitik verständigen. Im Alleingang hatten 1947 zunächst Großbritannien und die USA ihre Besatzungsgebiete zu einem Vereinigten Wirtschaftsgebiet (Bizone) zusammengeschlossen und schließlich auf der Londoner Außenministerkonferenz (Sechsmächtekonferenz mit USA, Großbritannien, Frankreich sowie Luxemburg, Niederlande und Belgien) im Frühjahr 1948 die Entscheidung für eine neue staatliche Ordnung in den von Frankreich, Großbritannien und den USA besetzten Gebieten ermöglicht. Im Sommer 1948 führten sie eine neue einheitliche Währung (D-Mark) in allen drei westlichen Besatzungszonen ein. Am 1. Juli 1948 übermittelten die Militärgouverneure den Ministerpräsidenten der elf westdeutschen Länder die sog. Frankfurter Dokumente. Darin ermöglichten die Alliierten u. a. die Schaffung einer Verfassung "föderalistischen Typs" mit einer "angemessenen Zentralinstanz", die ferner "Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten" enthalten sollte. Die Ministerpräsidenten fürchteten, die Spaltung Deutschlands zu begünstigen, zeigten sich aber schließlich doch bereit, ein "provisorisches Grundgesetz" für ein "Staatsfragment" durch einen "Parlamentarischen Rat" verfassen zu lassen.
Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (10.-23. August 1948)
Ein erster Gesamtentwurf wurde auf dem Verfassungskonvent von Herrenchiemsee im August 1948 ausgearbeitet. Bereits für diesen Verfassungskonvent hatte die Bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Hans Ehard (CSU, 1887-1980, Ministerpräsident 1946-1954, 1960-62) einen eigenen „Bayerischen Verfassungsentwurf“ vorgelegt, der neben der Reichsverfassung von 1919 eine der beiden zentralen Textgrundlagen wurde. Der Entwurf des Verfassungskonventes ließ – trotz seines unverkennbar föderalistischen Gesamtkonzepts – strittige Fragen wie Bundes- oder Länderfinanzverwaltung sowie Bundesrat oder Senat offen. Dennoch bildete der Entwurf die Grundlage der Verfassungsarbeit im Parlamentarischen Rat. Mehrere Artikel wurden wörtlich übernommen und die Struktur des Grundgesetzes ging auf ihn zurück.
Konstituierung des Parlamentarischen Rates
Am 1. September 1948 konstituierte sich in Bonn (Nordrhein-Westfalen) der Parlamentarische Rat, der aus 65 Abgeordneten, darunter vier Frauen, bestand. Sie wurden von den westdeutschen Länderparlamenten entsandt. Hinzu kamen fünf Berliner Vertreter, die angesichts des Viermächte-Status' der Stadt nur als "Gäste" teilnehmen durften und kein Stimmrecht besaßen. Aus Bayern wurden 13 Abgeordnete in den Parlamentarischen Rat entsandt (hinzu kam als 14. ein Nachrücker):
Name | Partei | Lebensdaten |
---|---|---|
Hannsheinz Bauer | SPD | 1909-2005 |
Thomas Dehler | FDP | 1897-1967 |
Josef Ferdinand Kleindienst | CSU | 1881-1962 |
Gerhard Kroll | CSU | 1910-1963 |
Wilhelm Laforet | CSU | 1877-1959 |
Karl Sigmund Mayr | CSU | 1906-1978 |
Willibald Mücke | SPD | 1904-1984 |
Anton Pfeiffer | CSU | 1888-1957 |
Albert Roßhaupter (nachgerückt) | SPD | 1878-1949 |
Dr. Kaspar Gottfried Schlör | CSU | 1888-1964 |
Josef Schwalber | CSU | 1902-1969 |
Kaspar Seibold | CSU | 1914-1995 |
Josef Seifried (ausgeschieden) | SPD | 1892-1962 |
Jean Stock | SPD | 1893-1965 |
Der langjährige ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer (CDU, 1876–1967, Bundeskanzler 1949–1963) wurde zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt, während die SPD den vermeintlich einflussreicheren Vorsitz im Hauptausschuss für ihren Fraktionsvorsitzenden Carlo Schmid (SPD, 1896-1979, Bundesratsminister 1966-1969) erhielt. Adenauer nutzte sein Amt geschickt; er beschränkte sich nicht auf die Leitung der parlamentarischen Beratungen, sondern übernahm repräsentative Aufgaben und durch seine Verhandlungen mit den Alliierten erhielt seine Arbeit in der Öffentlichkeit große Resonanz. Der CSU-Abgeordnete Anton Pfeiffer (CSU, 1888-1957) übernahm den Vorsitz der aus CDU und CSU begründeten Fraktionsgemeinschaft. Dadurch war es ihm möglich, Interessen der CSU nachdrücklich im Parlamentarischen Rat zu vertreten, die stets als bayerische Interessen deklariert wurden. Denn die CSU war stärkste Fraktion im Landtag und regierte seit der Kabinettsumbildung durch Ministerpräsident Ehard zum 21. September 1947 in Bayern alleine. Ehards Bestreben war es, auf die Grundgesetzberatungen in Bonn Einfluss zu nehmen.
Elisabeth Selbert (SPD, geb. Rohde, 1896-1986). (AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, A-F1/00301)
Friederike "Frieda" Nadig (SPD, 1897-1970). (FES / Archiv der sozialen Demokratie, 6/FOTB058105)
Helene Weber (CDU, 1881-1962). Foto von Theo Schafgans (1892–1976), Bonn 16.2.1956. (Archiv des Katholischen Deutschen Frauenbunds, K-F1/00116; © Schafgans)
Helene Wessel (GVP, SPD, 1898-1969). Foto 1952. (SZ-Photo, Bild-ID: 00417052)
Am 9. September 1948 berief der Parlamentarische Rat sechs Fachausschüsse ein, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit berieten und deren Teilentwürfe im Dezember 1948 im Hauptausschuss zu einem Gesamtentwurf zusammengefügt wurden. Folgende Ausschüsse wurden gebildet:
Ausschuss | Vorsitzender | Partei | Stellvertreter | Partei |
---|---|---|---|---|
Hauptausschuss | Carlo Schmid | SPD | Heinrich von Brentano | CDU |
Geschäftsordnungsausschuss | Adolph Schönfelder | SPD | Theophil Kaufmann | CDU |
für Zuständigkeitsabgrenzung | Friedrich Wilhelm Wagner | SPD | Walter Strauß | CDU |
für das Besatzungsstatut | Carlo Schmid | SPD | Heinrich von Brentano | CDU |
für Grundsatzfragen und Grundrechte | Hermann von Mangoldt | CDU | Georg-August Zinn | SPD |
für Wahlrechtsfragen | Max Becker | LPD | Georg Diederichs | SPD |
für Finanzfragen | Paul Binder | CDU | Jean Stock | SPD |
für die Organisation des Bundes | Robert Lehr | CDU | Rudolf Katz | SPD |
für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege | Georg-August Zinn | SPD | Walter Strauß | CDU |
Bereits in den Ausschüssen wurden die gegensätzlichen Auffassungen zwischen CDU/CSU und SPD insbesondere zu Fragen einer Bundes- oder Landesfinanzverwaltung, der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern und dem Wahlrecht deutlich. Ferner stand die Frage des Senats- oder Bundesratsprinzips im Raum. Dabei ging es um die Frage, ob dem Parlament ein starker gleichberechtigter Bundesrat mit Vetorecht entgegengestellt werden würde oder ein aus Ländervertretern bestehender Senat mit eher beratender Funktion. Zwischen beiden Lösungen wurden wiederholt Mischformen als Kompromissvorschläge erörtert, die sich aber nicht durchsetzten.
Bayerisches Engagement
Von der Frage, ob ein "Bundesrat" (so die Mehrheit der CDU/CSU) oder ein "Senat" (so die Mehrheit der SPD) eingerichtet werden sollte, hing wiederum die Gestaltung der Finanzverwaltung ab. Je stärker der Bund werden würde, desto mehr Kompetenzen sollten im Bereich der Finanzverwaltung und Steuererhebung den Ländern überlassen werden. In der Auseinandersetzung stellte eine interfraktionelle Besprechung am 27. Oktober 1948 eine erste Wende dar: Die SPD überraschte mit ihrer Zustimmung zur Bundesratslösung. Grund war eine Vereinbarung, die am Tag zuvor der SPD-Abgeordnete und Verfassungsexperte Walter Menzel (SPD, 1901–1963) und der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard während einer konspirative Züge tragenden Begegnung getroffen hatten. Die beiden Politiker einigten sich im Alleingang auf einen Bundesrat mit suspensivem Vetorecht. Demnach waren Bundesrat und Bundestag nicht gleichberechtigt. Eine Bundesratsentscheidung konnte vom Bundestag bei einer Zweidrittelmehrheit überstimmt werden. Eine Gleichberechtigung sollte lediglich beim Finanzausgleichsgesetz und bei Änderung der Kompetenzen des Bundes bestehen.
Das Gespräch zwischen dem "rheinischen Sozialisten" und dem "weißblauen Staatsmann" wurde schnell zur "Legende" stilisiert, obwohl in diesem Gespräch die Vorentscheidung für die Bundesratslösung nur insofern fiel, als dass lediglich die bis dahin vorgeschlagene Schaffung einer Mischung aus Bundesrat und Senat mit Vetorecht obsolet war. Die Gestaltung des Bundesrates aber war noch längst nicht entschieden. Ministerpräsident Ehard hatte lediglich die Uneinigkeit in der CDU genutzt, um mit Menzel und damit der SPD gemeinsame Sache zu machen.
Das Gespräch machte aber deutlich, dass ohne die Berücksichtigung von bayerischen Interessen der Komplex "Bundesrat" und alle daran hängenden Fragen nicht abschließend behandelt werden konnten. Bayern hatte dazu in der Zwischenzeit in Bonn sogar eigens eine Ländervertretung eingerichtet.
Eingreifen der Alliierten
Schon in den Frankfurter Dokumenten hatten sich die Westalliierten die Genehmigung des Grundgesetzentwurfes vorbehalten. Als problematisch erwies sich hier, dass sie keine einheitliche Vorstellung über das Aussehen des zukünftigen Grundgesetzes hatten. Die Franzosen wollten keinen deutschen Einheitsstaat und hintertrieben anfangs sogar die Umsetzung der Londoner Beschlüsse vom Frühjahr 1948. Die Amerikaner schlugen sich im Hinblick auf den Föderalismus auf Seiten der Franzosen, genossen aber in der Öffentlichkeit wegen ihres unermüdlichen Einsatzes während der Berlin-Blockade einen guten Ruf. Die Briten standen schon aufgrund ihrer eigenen Verfassungstradition den föderalistischen Zielen Frankreichs und Amerikas für Westdeutschland eher gleichgültig gegenüber.
In ihren Memoranden vom 20. Oktober 1948 und 22. November 1948 lehnten die Militärgouverneure die Bundesfinanzverwaltung ab und forderten eine Zweite Kammer (später: Bundesrat) zur Wahrung der Länderinteressen sowie eingeschränkte Befugnisse von Exekutive und Bund gegenüber den Ländern. Gleichzeitig beteuerten die Alliierten, dass sie auf keinen Fall ein "Diktat" vorgegeben hätten, sondern nur eine "Generallinie" hätten aufzeigen wollen.
Adenauer vereinbarte mit dem britischen Militärgouverneur, Baron Brian Robertson (1896-1974, Militärgouverneur für die britische Besatzungszone 1947-1949), eine Zusammenkunft einer Delegation des Parlamentarischen Rates mit den Militärgouverneuren, um einer Brüskierung des Parlamentarischen Rates durch eine mögliche Ablehnung des Grundgesetzes durch die Alliierten frühzeitig entgegenzuwirken. Am 16./17. Dezember 1948 kam es zu dieser Besprechung in Frankfurt. Adenauer wies auf die den Besatzungsmächten hinlänglich bekannten Meinungsunterschiede zwischen SPD und CDU/CSU in den Bereichen kulturelle Fragen, Länderkammer und Finanzverwaltung hin. Aus Enttäuschung über den Verlauf und das Ergebnis des Gesprächs sowie vor allem aufgrund einer unglücklich formulierten Pressemeldung, warfen SPD, FDP und DP dem Präsidenten des Parlamentarischen Rates vor, er habe die Militärgouverneure zu "Schiedsrichtern" in den umstrittenen Fragen anrufen wollen. Gegenseitig warfen sich die Fraktionen "nationalen Verrat" und parteipolitisches Taktieren vor. Erst nach der Aussprache im Ältestenrat am 4. und 5. Januar 1949 konnte die Arbeit fortgesetzt werden.
Am 5. Februar 1949 legte ein sog. interfraktioneller Fünferausschuss einen Kompromiss vor, den die Alliierten am 2. März 1949 jedoch schließlich ablehnten. Am 3. März 1949 wurde deswegen ein sog. interfraktioneller Siebenerausschuss einberufen. Auch der vom Siebenerausschuss vorgelegte Grundgesetzentwurf wurde am 25. März 1949 von den Alliierten abgelehnt. Dem Fünfer- und dem Siebenerausschuss gehörte kein CSU-Abgeordneter und aus Bayern nur Thomas Dehler an. Zwar beklagte Ministerpräsident Ehard dies öffentlich, doch wurde die Vermutung geäußert, dass die CSU sich absichtlich an den interfraktionellen Gesprächen nicht beteiligte, um später das Grundgesetz ablehnen zu können. Es war absehbar, dass bayerische Interessen in diesem interfraktionellen Gremium noch weniger berücksichtig werden würden als bis zu diesem Zeitpunkt im Parlamentarischen Rat.
Abschluss der Grundgesetzarbeit
Erst auf der Konferenz der Außenminister von Frankreich, Großbritannien und den USA in Washington D.C. (USA) am 5. April 1949 verständigten sich die westlichen Alliierten auf die Formulierung, dass der Parlamentarische Rat das nötige "Vertrauen" habe, da man dort durchaus den Empfehlungen der Militärgouverneure die nötige Beachtung schenken würde. Damit war der Weg zum Abschluss der Grundgesetzarbeit frei. In einer Geheimnote wurden die Militärgouverneure ermächtigt, ab sofort dem Grundgesetzentwurf zustimmen zu können. Am 14. April 1949 informierte der britische Militärgouverneur Robertson die SPD-Abgeordneten Carlo Schmid und Walter Menzel über den Inhalt der Geheimnote. Die SPD nutzte dieses Wissen und zog sich auf ihre alten Verfassungsentwürfe zurück, forderte – neben dem Verzicht auf die Grundrechte – eine Bundesfinanzverwaltung und drohte mit einer Ablehnung des bisherigen Grundgesetzentwurfes.
Gleich nach Bekanntwerden der Resolution der SPD veröffentlichten die Alliierten am 22. April 1949 die bereits am 5. April 1949 von den Außenministern verabschiedete Geheimnote, in der sie ihr Wohlwollen über die bisherige Grundgesetzarbeit zum Ausdruck brachten. Nun machte die SPD die Öffentlichkeit glauben, dass nur aufgrund ihrer harten und kompromisslosen Haltung die Alliierten nachgegeben hätten. Aber schon Anfang Mai 1949 wurde bekannt, dass die SPD über den Inhalt des geheimen Memorandums frühzeitig in Kenntnis gesetzt worden war. Unabhängig davon war nun aber der Weg frei zum Grundgesetz.
In letzten Gesprächen mit den Militärgouverneuren wurden am 25. April 1949 die bislang von den Alliierten abgelehnten Artikel des Grundgesetzentwurfes betreffend die Rechtseinheit und die Schaffung oberster Bundesgerichte diskutiert. In der Frage der konkurrierenden Gewalt zwischen Bund und Ländern stellten sich sprachliche Missverständnisse heraus, die ausgeräumt werden konnten. Mehrfach verließen die Militärgouverneure die Versammlung, um den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates die Gelegenheit zu geben, eine Einigung herbeizuführen, die dann auch von den Militärgouverneuren akzeptiert werden konnte.
Ablehnung des Grundgesetzes durch die CSU
Nun konnte bis zum 8. Mai 1949, dem vierten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht, das Grundgesetz verabschiedet werden. Sechs Abgeordnete der CSU und jeweils die zwei Abgeordneten von DP, Zentrum und KPD lehnten das Grundgesetz ab. Die CSU vermisste bei dem Grundgesetzentwurf grundlegende föderalistische Vorgaben, Zentrum und DP hatten u. a. eine stärkere Berücksichtigung des Elternrechts gewünscht. Die KPD hatte während der gesamten Grundgesetzarbeit die unvermeidlich gewordene Spaltung Deutschlands beklagt und in den vergangenen Monaten wiederholt die Einstellung der Arbeit des Parlamentarischen Rates gefordert und nun aus Prinzip das Grundgesetz abgelehnt.
Am 12. Mai 1949 genehmigten die Militärgouverneure den Grundgesetzentwurf und vom 18. bis 21. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in den Landtagen angenommen. Die bayerische Staatsregierung hatte dem Landtag empfohlen, das Grundgesetz abzulehnen. Große Teile der CSU empfanden das Grundgesetz als Angriff auf die Eigenständigkeit Bayerns. Auch gab ihnen zufolge das Grundgesetz dem Bund zu viel Gewicht und schmälerte die Gesetzgebungs- und Finanzhoheit der Länder. Sehr konturiert begründete der CSU-Abgeordnete Carl "Carljörg" Lacherbauer (CSU/BP, 1902–1967) den Standpunkt seiner Partei und erhielt schärfsten Widerspruch von dem FDP-Abgeordneten Thomas Dehler: "Die Länder sind nicht die Kinder des Bundes, sondern der Bund ist das Gebilde der Länder (Zuruf). Die Länder übertragen Rechte auf den Bund, und nicht umgekehrt. (Zuruf Dehler: Da unterscheiden wir uns grundsätzlich, Herr Kollege Lacherbauer!) Dann folgen Sie eben unitarischer Konzeption, Herr Kollege Dehler! (Zuruf Dehler: Nein, dagegen verwahre ich mich!) Der Bundesstaat entsteht durch Zusammenschluß von Einzelstaaten. (Zuruf)" Der Landtag lehnte das Grundgesetz in einer namentlichen Abstimmung mehrheitlich mit 101 zu 64 Stimmen bei 9 Enthaltungen ab, räumte jedoch in einer zweiten Abstimmung eine Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes für Bayern ein, wenn dieses in zwei Dritteln der deutschen Länder angenommen werden würde.
Am Nachmittag des 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz in Bonn ausgefertigt und verkündet. Es trat um Mitternacht des 23./24. Mai 1949 in Kraft und gilt seitdem als die freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte.
Literatur
- Klaus Berto von Doemming/Rudolf Werner Füsslein/Werner Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1 (1951).
- Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 2019.
- Michael F. Feldkamp, Die Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland 1949. Eine Dokumentation (Reclams Universal-Bibliothek, Band 17020), Stuttgart 1999.
- Karl Ulrich Gelberg, Hans Ehard. Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946-1954, Düsseldorf 1992.
- Thomas Hertfelder/Jürgen C. Hess (Hg.), Streiten um das Staatsfragment. Theodor Heuss und Thomas Dehler berichten von der Entstehung des Grundgesetzes, mit einer Einleitung von Michael F. Feldkamp (Wissenschaftliche Reihe 1), Stuttgart 1999.
- Peter Jakob Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik (Studien zur Zeitgeschichte 22), München 2. Auflage 1988.
- Sabine Kurtenacker, Der Einfluss politischer Erfahrungen auf den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee (Geschichtswissenschaften 44), München 2017.
- Christiane Reuter, "Graue Eminenz der bayerischen Politik". Eine politische Biographie Anton Pfeiffers (1888-1957), München 1987.
- Otto Volker, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 42), Düsseldorf 1971.
- Udo Wengst, Thomas Dehler 1897-1967. Eine politische Biographie, München 1997.
Quellen
- Deutscher Bundestag und Bundesarchiv (Hg.), bearb. von Edgar Büttner/Peter Bucher/Michael F. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle, hg. vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv. 14 Bände, Boppard 1975-1995/München 1996-2008.
- Rainer Salzmann (Bearb.), Die CDU/CSU im Parlamentarischen Rat. Sitzungsprotokolle der Unionsfraktion (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 2), Stuttgart 1981.
- Hans-Peter Schneider/Jutta Kramer (Hg.), Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung. Band 1-26, Frankfurt am Main 1995-2020.
Externe Links
- Bundesregierung: Portal "Der Weg zum Grundgesetz"
- Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier Grundgesetz und Parlamentarischer Rat
- Lebendiges Museum Online: Parlamentarischer Rat
- LeMO - Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Entstehung der Bundesrepublik: Parlamentarischer Rat und Grundgesetz
Weiterführende Recherche
- Bayerische Bibliographie
- Schlagwortsuche im Online-Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern
- Stichwortsuche in bavarikon
Verwandte Artikel
Empfohlene Zitierweise
Michael F. Feldkamp, Parlamentarischer Rat, publiziert am 28.06.2021; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Parlamentarischer_Rat (13.12.2024)