Bischöfliche Knabenseminare
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Knabenseminare, in Bayern auch als Konvikte oder Knabenkonvikte, später als Studienseminare bezeichnet, sind diözesane Einrichtungen der Katholischen Kirche zur Förderung des Priesternachwuchses bereits im Schulalter. Es handelt sich um Internate, deren Schwerpunkt im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf einer aszetischen Ausbildung lag. Die Zielgruppe stellten ursprünglich Kinder aus vor allem sozial schwachen Verhältnissen dar, die eine ausreichende Begabung erkennen und eine spätere Berufung erwarten ließen. Die Bischöfe erkämpften im 19. Jahrhundert die Freiheit der Priesterausbildung von jedem staatlichen Einfluss und setzten ihre alleinige Leitungsgewalt durch. Trotz völkerrechtlicher Absicherung der Seminare durch das Bayerische Konkordat von 1924/25 und das Reichskonkordat von 1933 musste in der Zeit des Nationalsozialismus der Großteil der Seminare seinen Betrieb einstellen. Seit den 1950er Jahren nahmen die Seminare verstärkt auch Schüler auf, die nicht mehr den Priesterberuf anstrebten. Wegen abnehmender Bewerberzahlen schlossen seit den 1970er Jahren zahlreiche Häuser.
Gründungsphasen
Nach dem Konzil von Trient (1545-1563) etablierte sich die Unterscheidung zwischen Seminaria maiora (= Priesterseminare) und Seminaria minora (= Knabenseminare). Die Salzburger Provinzialsynode von 1569 schrieb vor, dass an allen Klöstern und Stiften Knabenseminare gegründet werden sollten. In der Regel geschah dies in Form von Singknabeninstituten; Seminare bestanden aber auch an den Gymnasien. Mit der Aufhebung der Stifte und Klöster in der Säkularisation mussten alle Knabenseminare schließen. Es sollten mehrere Jahrzehnte vergehen, bis diese Lücke wieder geschlossen werden konnte. An die Stelle der Klöster und Stifte als Seminargründer traten jetzt allerdings die Bischöfe.
1826 weihte der Münchner Erzbischof, Lothar Anselm von Gebsattel (1761-1846), auf dem Freisinger Domberg ein erstes Knabenseminar ein. Folgenreich sollte jedoch erst die 1838 erfolgte Gründung des Knabenseminars in Eichstätt durch Bischof Karl August von Reisach (1800-1869, 1636-1846 in Eichstätt) werden, das mit seiner streng aszetischen, also auf eine religiös-sittliche Vervollkommnung der Seminaristen abzielenden Ausrichtung und programmatischen Unabhängigkeit vom Staat zum Vorbild für alle weiteren Einrichtungen wurde. Jede Diözese errichtete in der Folgezeit ein eigenes Seminar (1840 Speyer, 1843 Passau, 1844 Metten [Diözese Regensburg], 1862 Dillingen [Diözese Augsburg], 1866 Bamberg und 1871 Würzburg).
Als Reaktion auf den bayernweiten Einbruch bei den Priesterberufungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in einigen Diözesen weitere Seminare (1859 Scheyern, 1881 Ausbau von Metten, 1882 St. Wolfgang in Regensburg, 1885 Straubing). Diese Maßnahmen konnten den Priestermangel jedoch nicht ausgleichen, den die ständig steigenden Bevölkerungszahlen sowie die besonderen seelsorglichen Anforderungen in den Großstädten mit sich brachten. In der Weimarer Republik kam es deshalb zu weiteren Neugründungen (1927 Miltenberg, 1929 Traunstein und 1930 Landstuhl); ein großer Teil der bestehenden Seminare wurde zudem ausgebaut.
Die letzte Gründungswelle erfolgte schließlich nach 1945, als die Zahl der Bewerber um Aufnahme in ein Seminar allenthalben anstieg (1952 Kempten, 1955 Weiden, 1956 Burghausen, 1957 Nürnberg, 1964 Königshofen).
Erziehungsideal und Leben im Seminar
Die Knabenseminare entstanden im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen dem Königreich Bayern und der Kirche um die Unabhängigkeit der Priesterausbildung. Während der Staat auf eine Zentralisierung der Priesterausbildung unter seiner Aufsicht drängte, propagierte die Kirche mit Berufung auf das Seminardekret des Konzils von Trient eine von staatlichen Einflüssen unabhängige Ausbildung unter ausschließlicher Leitung des Ortsbischofs. Ziel war eine lückenlose Erziehung der späteren Geistlichen vom zehnten Lebensjahr an. Die Schüler sollten in den Seminaren ein abgeschiedenes Leben führen, das einer rigorosen Disziplin unterworfen und auf die religiös-sittliche Vervollkommnung ausgerichtet war. Alle zukünftigen Priester sollten diese strenge Ausbildung durchlaufen. Dem lag ein Ideal zugrunde, das den Priester als eigenen Stand begriff, der sich sowohl durch seine äußere Lebensweise als auch durch seine innere Haltung von seinem Umfeld abheben sollte. Auch wenn sich die Bischöfe weitgehend durchsetzten, so konnte sich der Staat wenigstens insoweit behaupten, als die Seminaristen weiterhin ihre schulische Ausbildung an einem staatlichen humanistischen Gymnasium absolvieren mussten. Eine Ausnahme bildete in Bayern hier nur Eichstätt, wo auch das Gymnasium in bischöflicher Trägerschaft stand.
Die Seminare förderten gezielt Kinder aus sozial schwachen Familien und ländlichen Gegenden, soweit diese eine ausreichende Begabung erkennen und auf eine Berufung hoffen ließen. Zwar hatten alle Seminaristen grundsätzlich Pensions- und Kostgelder zu entrichten, allerdings verfügten die Seminare über zahlreiche Freiplatz- und Wäschestiftungen, die es auch armen Familien ermöglichten, ihre Kinder ins Seminar zu schicken. Entsprechend hoch war der Anteil von Kindern aus solchen Familien.
Das auf Abschließung ausgerichtete Erziehungsideal bestand im Wesentlichen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fort, seit den 1920er Jahren gab es jedoch vorsichtige Öffnungsversuche. So wählte man für die Neugründung in Traunstein 1929 bewusst den moderneren Namen "Studienseminar" und schaffte auch die bis dahin in den anderen Knabenseminaren geltenden strengen Kleidervorschriften ab. Mit der gleichzeitigen Gründung von Spätberufenenseminaren (etwa 1927 in Schloss Fürstenried in München) schuf man zudem auch für Schüler, die kein Knabenseminar besucht hatten, einen möglichen Zugang zum Priesterberuf. Im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) wurde dann vorrangig die Entwicklung der persönlichen Reife zum zentralen Ziel der Erziehungsarbeit. Das konnte allerdings nicht verhindern, dass der Anteil der Priester, der aus den Knabenseminaren hervorging, im Verhältnis zur Schülerzahl ständig abnahm.
Rechtliche Stellung
Die Einrichtung und der Unterhalt von Seminaren waren in Bayern völkerrechtlich im Konkordat von 1817/18 geregelt. Allerdings wurden die Knabenseminare dort nicht eigens erwähnt. Aus dem Seminardekret des Konzils von Trient leiteten die bayerischen Erzbischöfe und Bischöfe jedoch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Verpflichtung zum Unterhalt eines Knabenseminars ab und setzten gleichzeitig durch, dass Leitung und Verwaltung ausschließlich ihrer Aufsicht unterstanden. Der Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 untermauerte den Anspruch der Kirche auf staatliche Unabhängigkeit in den cann. 1352 bis 1371. Eine weitere rechtliche Absicherung erfolgte durch das Bayerische Konkordat von 1924/25. Der Staat verpflichtete sich in Art. 10 § 1 Buchstabe h zur finanziellen Unterstützung der Seminare, dieses Mal auch unter ausdrücklicher Nennung der Knabenseminare. Auch das Reichskonkordat von 1933 garantierte der Kirche in Art. 20 das Recht, für die Ausbildung des Klerus geeignete Lehranstalten zu errichten, die ausschließlich unter der Leitung der kirchlichen Oberbehörden stehen sollten. Ferner wurde der Fortbestand der in den jeweiligen Länderkonkordaten geregelten Freiheiten festgeschrieben.
NS-Zeit
Trotz der Bestandsgarantien des Reichskonkordats von 1933 gerieten die Knabenseminare im "Dritten Reich" bald unter politischen Druck. Der erste Konflikt entzündete sich an der Frage der Mitgliedschaft der Seminaristen in der Hitler-Jugend. Die bayerischen Bischöfe verzichteten zwar 1934 auf ein offizielles Verbot, knüpften die Mitgliedschaft aber faktisch an Bedingungen, die eine solche unmöglich machten. 1938 erhöhte sich der staatliche Druck, doch erst mit der allgemeinen Einführung der Pflicht-HJ im März 1939 mussten die Seminare ihre Schüler in die Hitler-Jugend einschreiben. Der Krieg diente dann als Vorwand, die Seminare vorrangig für fremde Zwecke zu beanspruchen oder zu beschlagnahmen. Der Seminarbetrieb kam so mit Fortschreiten des Krieges praktisch überall zum Erliegen.
Nach 1945
In den Monaten nach Kriegsende erhielt die Kirche ihre zweckentfremdeten Seminargebäude zurück, und der Betrieb konnte wieder aufgenommen werden. In den ersten Nachkriegsjahren stieg die Zahl der Bewerber stark an und übertraf schon bald die Interessenten aus der Zeit vor 1933. Seit den 1970er Jahren ist die Zahl der Seminaristen stark rückläufig, so dass mittlerweile ein Großteil der Seminare geschlossen wurde.
Literatur
- Erwin Gatz, Priesterausbildungsstätten der deutschsprachigen Länder zwischen Aufklärung und Zweitem Vatikanischen Konzil (Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementheft 49), Rom u. a. 1984.
- Erich Garhammer, Seminaridee und Klerusbildung bei Karl August Graf von Reisach. Eine pastoralgeschichtliche Studie zum Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts (Münchener Kirchenhistorische Studien 5), Stuttgart u. a. 1990.
- Erwin Gatz (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. 4. Band: Der Diözesanklerus, Freiburg u. a. 1995.
- Volker Laube, Das Erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein und sein Archiv (Schriften des Archivs des Erzbistums München und Freising 11), Regensburg 2006.
- Florian Sepp, Das Schulwesen der Augustiner-Chorherren in Oberbayern, in: Studien zum Bildungswesen der bayerischen Augustiner-Chorherren in Mittelalter und früher Neuzeit: Tagungsakten der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim vom 25. bis zum 27. September 2006 in Bernried (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim 8), Paring 2008, 111-152.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Studienseminare
Empfohlene Zitierweise
Volker Laube, Bischöfliche Knabenseminare, publiziert am 04.06.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bischöfliche_Knabenseminare (10.12.2024)