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Arbeitslosigkeit (Weimarer Republik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Arbeitslose stehen während der Weltwirtschaftskrise Schlange an der Stempelstelle des Arbeitsamtes. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)
Unterstützte Erwerbslose in Bayern 1919-1925. Abb. aus: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes 58 (1926), n. 38. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Bavar. 932 m-58/59)
Graphische Darstellung der Arbeitslosigkeit im Jahre 1932 gegenüber 1931. (aus: Bayerische Staatszeitung und Bayerischer Staatsanzeiger, 21. Jahrgang Nr. 1, München Sonntag/Montag 1./2. Januar 1933, 13. Bayerische Staatsbibliothek, 2. Eph. pol. 113 a-1933,1)

von Dieter G. Maier

Infolge von Demobilisierung und Demobilmachung stieg nach Kriegsende die Zahl der Arbeitslosen stark an, um aber sehr rasch wieder zu sinken. Nach einem Tiefpunkt 1922 schnellte die Quote im Krisenjahr 1923 vorübergehend stark nach oben. Ab 1929 verursachte die Weltwirtschaftskrise eine Massenarbeitslosigkeit. In Bayern lag die Arbeitslosenquote unter der des Reichs, betroffen waren vor allem die Städte. Die Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg verlief sehr unterschiedlich: Phasen mit geringer und hoher Arbeitslosigkeit lösten sich ab, um schließlich in der Weltwirtschaftskrise mit unerhörter Wucht nicht nur das wirtschaftliche und soziale, sondern auch das politische System zu zerstören.

Kurzer Anstieg nach dem Ersten Weltkrieg

Erwartungsgemäß stieg die Zahl der Arbeitslosen nach 1918 deutlich an: Die Umrüstung der Kriegs- auf Friedensproduktion und die Rückkehr von mehreren Mio. Soldaten konnte das Beschäftigungssystem nicht ohne weiteres auffangen. Gleichwohl blieb die Arbeitslosigkeit geringer als zunächst befürchtet, da man mit verschiedenen Maßnahmen erfolgreich gegensteuerte: gelenkte Rückführung der Soldaten, Wiedereinstellungspflicht der Kriegsteilnehmer, Arbeitszeitverkürzung (Achtstundentag) und Kurzarbeit, Entlassung der im Krieg eingestellten Frauen, Ausweisung und Rückführung der ausländischen Beschäftigten, Notstandsarbeiten. Gemessen an den Empfängern der Erwerbslosenfürsorge, auch Erwerbslosenunterstützung genannt (Elu), erreichte die Arbeitslosigkeit ihren ersten Höhepunkt im Februar 1919 mit knapp 1,1 Mio. Die Zahl ging aber bis zum Dezember desselben Jahres auf 470.000 zurück.

Ungleiche Verteilung innerhalb Bayerns

In Bayern war die Zahl der Arbeitslosen im Reichsvergleich etwas geringer. Einschließlich der Pfalz zählte man im Freistaat am 15. Februar 1919 113.025. Allerdings war die Arbeitslosigkeit ungleich verteilt. Auf die großen Industriestädte München, Nürnberg und Augsburg entfielen allein 64.917 registrierte Arbeitslose. Von diesen erhielten 50.804 wegen Bedürftigkeit die Elu. Bei einem Landesdurchschnitt von etwa 1,3 erhielten in München (32.006 Unterstützte) 5 von 100 Einwohnern die Elu, in Nürnberg und Augsburg jeweils 4 sowie in Ludwigshafen 3; weit über diesen Werten lagen die Städte Bayreuth (6), Fürth (8), Rehau (11) und vor allem Hof (15). Im Dezember 1919 bezogen in Bayern nur noch 37.225 Arbeitslose die Elu.

Auf und Ab bis zur Weltwirtschaftskrise

War die Arbeitslosenzahl im Reich von ca. 1,3 Mio. (1918) auf knapp 3 Mio. (Anfang 1919) gestiegen, fiel sie bis 1922 auf etwa 1 Mio. ab, um dann 1923 die 4-Millionen-Grenze zu übersteigen (Ruhrbesetzung und Inflation). Bereits 1925 lag sie wieder zeitweise bei 1 Mio., 1926 wurden über 2 Mio. gezählt. Die Entwicklung der Zahl der Elu-Empfänger verlief dabei im Reich innerhalb folgender Höchst- und Tiefstwerte: 271.660 (Juni 1920), 426.600 (März 1921), 11.671 (September 1922), 1.588.939 (Januar 1924), 195.099 (Juli 1925), 2.058.412 (Februar 1926), 329.734 (Oktober 1927). In Bayern kam es zu folgender Entwicklung: 25.906 (Juni 1920), 31.692 (März 1921), 965 (!) (September 1922), 185.954 (Januar 1924), 16.956 (Juli 1925), 183.349 (April 1926), 41.206 (Oktober 1927).

Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit

Ab 1927 stieg die Zahl der Arbeitslosen - mit saisonalen Schwankungen - von etwa 1 Mio. auf über 6 Mio. im Jahr 1932 an. Lange Zeit wartete man - aufgrund der vorangegangenen Erholungen der Wirtschaft - auf die selbstheilenden Kräfte des Marktes und reagierte daher zu spät und mit den falschen Mitteln (Brünings Spar- und Deflationspolitik) gegen die Krise. Vor allem im Hinblick auf die Erwartungen des Auslands, z. B. Reparationszahlungen, hielt die Reichsregierung eine expansive Geld- oder Fiskalpolitik nicht für möglich. Dabei gibt die Arbeitslosenzahl alleine die Unterbeschäftigung nicht vollständig wieder: Zu berücksichtigen sind insbesondere die nicht registrierten Arbeitslosen ("unsichtbare" oder "verdeckte" Arbeitslosigkeit mit etwa 2 Mio.) und die Kurzarbeiter.

Im Jahresdurchschnitt war die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer im Reich von 18,6 Mio. (Juni 1929) auf 11,5 Mio. (Januar 1933) zurückgegangen. Der Höchststand der registrierten Arbeitslosigkeit war im Februar 1932 erreicht: 6.128.429 im Reich, 543.999 in Bayern. Regionen mit wenig Industrie waren nicht so extrem von der Krise betroffen. In Bayern lag aber der Anteil der Außenberufe und der "berufsüblich" Arbeitslosen immer deutlich über dem Durchschnitt des Reiches. Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ging von 1,7 Mio. (Mai 1930) auf 1,1 Mio. (Januar 1933) zurück.

Soziale Auswirkungen

Die Not der Bevölkerung wuchs ins Unermessliche: Die Arbeitslosenunterstützung wurde in der Höhe und in der Dauer gekürzt, die Bedingungen verschärft, für bestimmte Personengruppen wie verheiratete Frauen und Jugendliche ganz gestrichen. Bei steigenden Arbeitslosenzahlen ging die Zahl der Unterstützten zurück, viele wurden an die Wohlfahrt (Sozialhilfe) verwiesen, die wiederum die eigenen Leistungen kürzte.

Am 31. Dezember 1932 erhielten von den reichsweit 5.772.984 Arbeitslosen 17,7 % (791.868) die Arbeitslosenunterstützung (Alu) der Arbeitslosenversicherung, 28,6 % die Krisenfürsorge (Kru), 53,7 % waren Wohlfahrtserwerbslose, 22,4 % erhielten keine der drei Leistungen. Am 15. Januar 1932 hatten noch 1.779.113 Arbeitslose die Alu erhalten. Auch die anderen Sozialversicherungen wie Kranken- und Rentenversicherung reduzierten ihre Leistungen. Diejenigen, die noch Arbeit hatten, mussten Lohnkürzungen hinnehmen, während andererseits die Verbrauchssteuern angehoben wurden.

Nur wenig günstigere Situation in Bayern

Mit 491.180 Arbeitslosen hatte Bayern (einschließlich Pfalz) am 31. Dezember 1932 einen Reichsanteil von 8,5 %, bei einem Bevölkerungsanteil von knapp 12 %. Alu erhielten 22,1 %, die Kru 31,4 %, die Wohlfahrt 46,5 %; 23,9 % gingen leer aus. Auf 1.000 Einwohner kamen an diesem Stichtag 93 Arbeitslose im Reich, 134 in den Großstädten, darunter 107 in Augsburg, 119 in Ludwigshafen, 122 in München und 141 in Nürnberg (Quellen: Reichsarbeitsmarkt-Anzeiger 1933, Reichsarbeitsblatt, Statistisches Jahrbuch, Geschäftsberichte der Reichsanstalt 1929 ff., Henning, Das industrialisierte Deutschland, 34f., 96f.).

Literatur

  • Claudia Brunner, Arbeitslosigkeit in München 1927 bis 1933. Kommunalpolitik in der Krise (Miscellanea Bavarica Monacensia 162), München 1992.
  • Gabriele Bußmann-Strelow, Kommunale Politik im Sozialstaat. Nürnberger Wohlfahrtspflege in der Weimarer Republik, Nürnberg 1997.
  • Friedrich-Wilhelm Henning, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1992, Paderborn u. a. 8. Auflage 1993.
  • Peter Lewek, Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik 1918-1927, Stuttgart 1992.
  • Dieter G. Maier (Hg.), Geschichte der Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland. Ausgewählte Texte 1877-1952 (Schriftenreihe der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung 52), Brühl 2008.
  • Hans-Walter Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 270), Nürnberg 2003, 156-205.

Quellen

  • Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes (jährlich Statistiken über Arbeitslosigkeit und Vermittlungen).
  • Kurt Königsberger, Die wirtschaftliche Demobilmachung in Bayern während der Zeit vom November 1918 bis Mai 1919, in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes 52 (1920), 193-226.
  • Josef Nothaas, Die produktive Erwerbslosenfürsorge in Bayern, in: Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes 58 (1926), 32-39.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Dieter G. Maier, Arbeitslosigkeit (Weimarer Republik), publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Arbeitslosigkeit_(Weimarer_Republik)></nowiki> (19.04.2024)