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Revolutionsministerien, 1918-1928/32

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Verordnung über die Staatsministerien, 30. Juli 1928. (Gesetz- und Verordnungs-Blatt für den Freistaat Bayern 1928, 361)
Der Dienstsitz des Ministeriums für Soziale Fürsorge befand sich ab Frühjahr 1919 im Wittelsbacher Palais in der Briennerstraße in München. Fotografie von Joseph Albert um 1880. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-011670)

von Michael Unger

Bezeichnung für die drei Ministerien - Soziale Fürsorge, Landwirtschaft sowie Handel, Industrie und Gewerbe -, die nach der Revolution von 1918 als Reaktion auf die neuartigen Herausforderungen nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden. Im Zuge der Staatsvereinfachung wurden diese neuen Ressorts 1928/32 aufgelöst und die meisten ihrer Aufgaben 1933 beim neu errichteten Wirtschaftsministerium konzentriert. 1945 kehrte man zur Dreiteilung - Soziales, Agrar und Wirtschaft - zurück.

Im Gefolge der Revolution vom November 1918 erfuhr die bayerische Ministerialstruktur die tiefgreifendste Veränderung seit ihrer Einführung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mit dem verfassungsmäßigen Übergang der entsprechenden Kernkompetenzen auf das Reich wurden 1919 das Staatsministerium für militärische Angelegenheiten (errichtet 1808) und 1920 das Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten (errichtet 1904) aufgehoben. Andererseits entstanden in den Jahren 1918 und 1919 drei neue Ministerien, die im Hinblick auf ihre Entstehungszeit auch irreführend als "Revolutionsministerien" bezeichnet werden. Es handelt sich um die Staatsministerien für Soziale Fürsorge, für Landwirtschaft sowie für Handel, Industrie und Gewerbe. In der zeitgenössischen Diktion wurden diese Ministerien in der Regel aufgrund ihrer Wirkungskreise als wirtschaftliche oder schlichtweg als neue Ministerien bezeichnet.

Entstehung 1918/19

Das von Kurt Eisner (1867-1919) bereits wenige Tage nach dem Umsturz am 14. November 1918 errichtete Staatsministerium für Soziale Fürsorge erfüllte eine ältere Forderung sozialdemokratischer Kreise nach einer besseren Vertretung der Arbeiterinteressen auf Regierungsebene. Im Zuge der Demokratisierungsbestrebungen gegen Ende des Ersten Weltkriegs war ein solches Ressort noch für das letzte, allerdings nicht mehr berufene Kabinett der Monarchie vorgesehen gewesen.

Das Handels- und das Landwirtschaftsministerium waren beide Anfang März 1919 vom bayerischen Rätekongress angeregt und vom Kabinett Hoffmann I am 1. April 1919 (Landwirtschaft) und am 3. April 1919 (Handel) errichtet worden. Auch diese beiden Ministerien lassen sich auf entsprechende Initiativen der betreffenden Wirtschaftskreise und ihrer parlamentarischen Interessenvertreter in den letzten Jahrzehnten des Königreichs zurückführen. Als besondere Befürworter eines Landwirtschaftsministeriums hatten sich agrarische Kreise betätigt, denen in der Revolutionszeit der Bayerische Bauernbund politisches Gehör verschaffte. Für ein Handelsressort waren die Handelskammern und der Bayerische Industriellenverband, auf parlamentarischer Ebene insbesondere die Liberalen eingetreten.

Hintergrund dieser Forderungen war die gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik während der Hochindustrialisierung, wodurch sich der Staat wirtschaftlichen und sozialen Fragen stärker zuwandte. Dem Ersten Weltkrieg kam angesichts der Lenkungswirtschaft und seiner ökonomischen und sozialen Folgen dabei die Rolle eines Katalysators zu. Dieser Prozess stellte besondere administrative Anforderungen an den Staat, der darauf sowohl auf Reichs- wie auch auf Ebene der Länder mit der Errichtung entsprechender Ministerien während oder kurz nach dem Krieg reagierte. Anders als der Begriff "Revolutionsministerien" suggerieren will, stellen sie nicht den Ausfluss revolutionärer Interessenpolitik dar, sondern entsprechen einem zeitgenössischen Trend zur organisatorischen Ausdifferenzierung wirtschafts- und sozialpolitischer Zentralbehörden.

Aufhebung 1928/32

Eine entgegengesetzte Entwicklung leitete die politische Debatte um die Vereinfachung der Staatsverwaltung ein. Sehr frühzeitig gerieten die drei neuen Ministerien in den Mittelpunkt dieser Diskussion, die vom Lobbyismus verschiedener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Interessengruppen und von unterschiedlichen parteipolitischen Präferenzen geprägt war. Ansätze zur Bildung eines Wirtschaftsministeriums durch die Vereinigung von Handels- und Sozialministerium bzw. aller drei neuen Ministerien im Interesse einer integrierten Wirtschaftspolitik konnten sich nicht durchsetzen.

Unter dem bestimmenden Einfluss des Ministerpräsidenten Heinrich Held (1868-1938) wurde stattdessen die Rückführung der "Revolutionsministerien" in ihre ursprünglichen Ressorts betrieben. Aus Anlass der Regierungsneubildung am 30. Juli 1928 konnte Held das Handelsministerium, das er bereits in Personalunion führte, wieder in das Außenministerium eingliedern. Gleichzeitig wurde das Sozialministerium zerschlagen, indem die Zuständigkeiten im Bereich der Fürsorge an das Innenministerium fielen und die übrigen Kompetenzen mit dem aus koalitionspolitischen Gründen vorerst unantastbaren Landwirtschaftsministerium vereinigt wurden (Staatsministerium für Landwirtschaft und Arbeit).

Erst das Ausscheiden des Bayerischen Bauern- und Mittelstandsbundes aus der Regierung im Juli 1930 und der verstärkte Druck infolge der Weltwirtschaftskrise bereiteten den Weg, um die Landwirtschaftsverwaltung am 11. Februar 1932 in das Innenministerium zurückzugliedern. Die sozialen Aufgaben übernahm das nunmehrige Staatsministerium des Äußern, für Wirtschaft und Arbeit.

Vergleichende Bewertung

Auch in anderen Ländern des Deutschen Reichs wurden im Zuge von Verwaltungsreformen vergleichbare Ministerien wieder aufgehoben, etwa 1921 in Preußen das Ministerium für öffentliche Arbeiten und 1924 das Arbeitsministerium in Baden. In Württemberg erfolgte 1923 aus Ersparnisgründen die Vereinigung des Arbeits- mit dem Ernährungsministerium zu einem Wirtschaftsministerium, während umgekehrt in Sachsen bereits 1919 das Arbeits- und Wirtschaftsministerium in zwei Ressorts geteilt worden war. Da aber sowohl Preußen als auch alle anderen deutschen Mittelstaaten (Baden, Sachen, Thüringen, Württemberg) ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Ministerien beibehielten, muss der bayerischen Staatsvereinfachung beim gezielten Rückbau der "Revolutionsministerien" eine andernorts kaum erreichte, geschweige denn intendierte, Konsequenz bescheinigt werden.

Organisatorische Entwicklung seit 1933

Kurz nach ihrer Machtübernahme in Bayern unterzogen die Nationalsozialisten die bayerische Ministerialstruktur einer erneuten Reorganisation. Unter Rückgriff auf das bereits Anfang der 1920er Jahre diskutierte Modell wurden am 24. April 1933 die Ressorts der 1918/19 errichteten Ministerien zu einem Wirtschaftsministerium zusammengefasst. Ohne organisatorische und lange Zeit auch räumliche Verbindung führten die drei nunmehrigen Abteilungen für Handel, Industrie und Gewerbe, für Soziale Fürsorge und für Landwirtschaft entgegen der ursprünglichen Intentionen allerdings ein weitgehendes Eigenleben. Im Zuge der Neuorganisation der Staatsverwaltung ab 1945 knüpfte man wieder an die 1918/19 erstmals hergestellte Dreiteilung der Wirtschafts-, Agrar- und Sozialverwaltung an und stellte im Wesentlichen die einstigen "Revolutionsministerien", freilich unter geänderten Vorzeichen, wieder her.

Archivalische Überlieferung

Die organisatorischen Umbrüche der drei "Revolutionsministerien" zwischen 1918 und 1933 glichen oftmals bloßen Etikettenwechseln, die ohne tiefgreifendere Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und Aktenführung der Verwaltung blieben. Dementsprechend präsentieren sich die jeweiligen archivalischen Hinterlassenschaften der drei Ministerien über ihre formelle Aufhebung hinaus bis zum allgemeinen Untergang der Verwaltung 1945 als weitgehend geschlossene Aktenbestände, angereichert mit zahlreichen Altakten der Vorgängerbehörden. Nennenswerte Kriegsverluste sind nur im Bereich des Ministeriums für Soziale Fürsorge festzustellen. Seit einigen Jahren werden die drei Bestände im Rahmen der Provenienzbereinigung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv neu geordnet und neu verzeichnet.

Literatur

  • Josef Anker, Das bayerische Staatsministerium für Soziale Fürsorge, seine Geschäftsbereiche in der Ministerialstruktur seit 1918 und seine archivalische Überlieferung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivalische Zeitschrift 85 (2003), 221-257.
  • Hans Badewitz, 75 Jahre Bayerisches Staatsministerium für Landwirtschaft, hg. vom Bayer. Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, München 1994.
  • Michael Unger, Das Bayerische Staatsministerium für Handel, Industrie und Gewerbe: Organisation, Geschäftsbereiche, archivalische Überlieferung, in: Archivalische Zeitschrift 87 (2005), 39-79.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Michael Unger, Revolutionsministerien, 1918-1928/32, publiziert am 02.06.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Revolutionsministerien,_1918-1928/32> (10.10.2024)