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Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) (Partei)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Daniel Schönwald

Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) war 1946 die vierte lizenzierte Partei in Bayern. Ihr nicht unumstrittener Gründer war Alfred Loritz (1902-1979); er war die zentrale Führungsfigur der Partei, weswegen sie auch "Loritz-Partei" genannt wurde. Die WAV nahm in der bundesdeutschen Parteienlandschaft der Nachkriegszeit eine Sonderrolle ein. Anders als die anderen Parteien verfolgte die WAV keine schriftlich niedergelegte Programmatik; ihre Agitation zielte allein auf ihre Andersartigkeit und die Abwendung der Wähler von den alten Parteien. Die Führungsfigur Alfred Loritz stand der Partei dabei zunehmend im Weg; vor allem sein Führungsstil destabilisierte die Partei zusehends. Dennoch schaffte es die WAV, im ersten Kabinett Hans Ehards (CSU, 1887-1980, Ministerpräsident 1946-1954, 1960-1962) beteiligt zu werden. Die parteiinternen Querelen nicht nur um Alfred Loritz' Führungsstil führten 1950 zum Ausscheiden der WAV aus dem Landtag und ihrem Versinken in der Bedeutungslosigkeit - auch auf Bundesebene.

Die Gründung der WAV

Nach der Christlich Sozialen Union (CSU), der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) wurde die WAV am 25. März 1946 als vierte Landespartei in Bayern lizenziert. Bereits am 8. Dezember 1945 hatte sie die Genehmigung der US-Militärregierung zur politischen Betätigung in Stadt- und Landkreis München bekommen. Der Anstoß zur Gründung der WAV ging allein vom Münchner Rechtsanwalt Alfred Loritz (1902-1979) aus. Der Historiker Hans Woller (geb. 1952) bezeichnete die WAV wegen der zentralen Rolle des Parteiführers als "Loritz-Partei". Dessen Absicht, eine Partei aufzubauen, die sich deutlich von den "Versagerparteien" der Weimarer Republik unterscheiden sollte, fand Unterstützung bei Angehörigen der bayerischen Oberschicht, beim mittleren Klerus, aber auch bei der höheren Beamtenschaft. Anknüpfungsmöglichkeiten an das Weimarer Parteiensystem bestanden in der Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei). Loritz war dort von 1928 bis 1932 Vorsitzender des Wahlkreises Oberbayern/Schwaben gewesen, am 27. Mai 1932 jedoch wegen querulatorischen Verhaltens ausgeschlossen worden. Während des "Dritten Reichs" hatte er Kontakte zu mehreren Widerstandsgruppen unterhalten; nach dem Ausschluss aus der Rechtsanwaltskammer war er 1939 in die Schweiz emigriert.

Alfred Loritz (WAV, 1902-1979) bei der Stimmabgabe zur ersten Bundestagswahl, 14. August 1949. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann)

Nach 1945 fiel Loritz vor allem durch vielfach widersprüchliches Verhalten, aber auch durch seine schillernde Persönlichkeit auf: Trotz einer profunden humanistischen Bildung und tiefer Katholizität betrieb er eine skrupellose Demagogie, war unberechenbar und neigte zu politischer Scharlatanerie. Aufgrund seiner psychischen Disposition fühlte er sich stets als Opfer und pflegte eine teils infantile Antihaltung. Trotzdem fungierte Loritz, der in der frühen Besatzungszeit einer als "unpolitisch" apostrophierten "Interessengemeinschaft aller vom Nationalsozialismus politisch Verfolgten" vorstand, als eine der wichtigsten deutschen Kontaktpersonen zur Militärregierung. Deren restriktive Lizenzierungspolitik begünstigte die zunächst nur in München existierende WAV entscheidend.

Zielgruppe und Mitglieder

Die WAV wurde 1946/47 zum Gravitationszentrum aktivistisch-nationalistischer Zirkel und kleinbürgerlich-bäuerlicher Kreise sowie von Flüchtlings- und Vertriebenengruppen, aber auch von opportunistischen Cliquen und Einzelgängern, die in anderen Parteien nicht Fuß fassen hatten können. Das Spektrum reichte von dezidierten Antikommunisten über Nationalisten bis hin zu Verfechtern einer entschiedenen Interessenpolitik der Neubürger. Jedoch zerfiel das personelle Zentrum der WAV schnell wegen der Unfähigkeit der Parteispitze, diese heterogene und instabile Masse an eine gemeinsame programmatische Basis zu binden.

Das Sozialprofil der Mitglieder lässt sich nur vage bestimmen: Mehr als 90 % der Mitglieder waren männlich, vorwiegend entstammten sie der Altersgruppe 30 bis 50 Jahre, die über 60-jährigen waren deutlich unterrepräsentiert. Zur Zahl der Mitglieder lassen sich keine exakten Angaben machen, da diese kein Parteibuch besaßen. Ausschlaggebend für die Mitgliedschaft war allein das Engagement für die Partei. 1946 gehörten der WAV geschätzt ca. 8.000 bis 10.000 Personen an, 1947 nur noch 3.500 und 1948 vermutlich etwa 2.000. Für die Zeit nach 1948 sind wegen des rapiden Zerfalls der Partei keine Schätzungen mehr möglich. Außer einiger Stützpunkte in Mittelfranken besaß die WAV ihre größte Organisationsdichte in Altbayern und Schwaben, das restliche Franken und die Oberpfalz stellten Diasporagebiete dar. Immerhin lässt sich eine Korrelation zwischen regionaler Organisationsdichte und überdurchschnittlichen Wahlerfolgen feststellen. Alle Versuche, in anderen Ländern Fuß zu fassen, scheiterten.

Programmatik und Selbstverständnis

Das WAV-Gründungsprogramm vom Dezember 1945 stellte die einzige schriftliche programmatische Äußerung dar. Das von Loritz vorgelegte, nachlässig kompilierte Dokument wies signifikante Parallelen zu den "Görlitzer Richtlinien" der Wirtschaftspartei von 1926 auf. Ziel sollten "völlig neue Wege" sein; das deutsche Volk sollte sich von den alten Parteien und Schlagworten abwenden. Die WAV bemühte sich aber, die Fixierung auf den Mittelstand zu durchbrechen, und zielte auch auf die Arbeiterschaft und die bäuerliche Bevölkerung. Trotz eines sehr detaillierten Forderungskataloges lag dem Programm keine klare Konzeption zugrunde. In fünf Teilbereichen nahm die WAV dezidiert Stellung:

  1. bei der Frage der Entnazifizierung
  2. in der Außen- und Deutschlandpolitik
  3. in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
  4. in der Verfassungspolitik
  5. zum öffentlichen Dienst

Die WAV propagierte eine Mischform aus Elementen plebiszitärer und repräsentativer Demokratie, eine "wahre Volksdemokratie". Freilich war immer weniger von Demokratisierung die Rede. Vielmehr agitierten die Funktionäre hemmungslos gegen die Parteien und den Parlamentarismus insgesamt. Das in vielen Bereichen konzeptionslose Programm blieb bis 1953 in Kraft. In der Realität war die WAV-Politik aber eine Summe von ad hoc-Erklärungen, teils offen widersprüchlich, teils parteiintern nicht aufeinander abgestimmt. Man orientierte sich am Primat der Propaganda. Trotz mangelnder intellektueller Potenz sowie heterogener Interessen bestand ein schmaler ideologischer Konsens aus sozialen Existenzängsten und ständischen Romantizismen. Statt der modernen Industriegesellschaft wollte die WAV eine wohlgeordnete Gemeinschaft der "schaffenden Stände".

Organisation und Führung der Partei

Laut Satzung von 1946 war der Landesverband in Orts- und Kreisverbände untergliedert. Die Zahl der Kreisverbände bzw. -stellen lässt sich nur schätzen. 1946 bestanden etwa 50, ein Jahr später wohl noch über 40, 1948 ca. 30. Die Landesversammlung als Parteitag mit Delegierten aus den Kreisverbänden sollte das oberste Parteiorgan darstellen. Außerhalb der Tagung führte nach der Satzung ein aus 21 Personen bestehender Landes- bzw. Parteivorstand die Geschäfte. Der Landesvorsitzende hatte den Parteivorstand nach außen zu vertreten.

In der Realität freilich sah es anders aus: Satzungsverstöße waren die Regel. So lag das eigentliche Machtzentrum bei Loritz selbst und einer politisch disponiblen Clique von Angestellten der Partei. Der Vorstand tagte nur wenige Male. An der Landesversammlung nahmen stets nur die von Loritz eingesetzten Kreisvorsitzenden teil; andere missliebige Personen wurden entweder zuvor entlassen oder nicht geladen. Der Parteitag, der 1947, 1948, 1949, 1951 und 1953 jeweils in München stattfand - 1947 und 1949 sogar zweimal, jedoch teils nicht von Loritz anerkannt -, war de facto nur mit Personalentscheidungen betraut und wurde zum reinen Akklamationsforum. Nicht einmal die Fraktionen in den Parlamenten entwickelten gegenüber Loritz ein eigenes Profil.

Trotz innerparteilicher Konflikte vor allem aufgrund sozialstruktureller Unterschiede der Mitglieder ordneten sich diese dem autoritären Führungsstil des Parteigründers unter. Bei ihrer Mehrzahl bestand eine schier grenzenlose Führergläubigkeit. Die WAV kann deshalb als "Führer- und Gefolgschaftspartei" bezeichnet werden. Entsprechend beschränkte sich die politische Praxis weitgehend auf öffentliche Auftritte von Loritz, die bis zu 30.000 Zuhörer anzogen. Von einer Mischung aus antiparlamentarischen Ressentiments, demagogischen Angriffen, Halbwahrheiten, Unterstellungen und Diffamierungen geprägt, erkannten die Zuhörer in Loritz einen "blonden Hitler". Diesen umgab die Aura eines um den "kleinen Mann" besorgten Volkstribuns.

Parteifinanzierung und Parteipresse

Die Finanzierung der WAV lässt sich nur schwer ermitteln. Auf welche Weise die Partei die notwendigen Gelder erhalten konnte, ist auch insofern fraglich, als bis 1947 nicht einmal Mitgliedsbeiträge erhoben wurden. Loritz selbst brachte wohl einen Teil seines erheblichen Vermögens in die Parteiarbeit ein; teils war diese von den Zuwendungen abhängig und damit erpressbar. Außerdem fungierten mittelständische Unternehmer, einige höhere Beamte und wohlhabende Parteimitglieder als Geldgeber. Die für die Entnazifizierung zuständige Abteilung der Militärregierung vermutete 1946/47, die WAV sei durch Geld "obtained by selling denazification" finanziert. Dennoch befand sich die Partei ab 1948/49 in Liquiditätsschwierigkeiten und war 1951 pleite.

Die WAV legte wenig Augenmerk auf eine eigene Parteipresse. Zwischen 1946 und 1948 erschienen in unregelmäßigen Abständen 13 Nummern des "Mitteilungsblatts der Wirtschaftlichen Aufbau Vereinigung" mit einer Auflage von immerhin 100.000 Exemplaren. Ab April 1947 gab ein Privatmann im Auftrag der Partei das Blatt "Der Lichtblick" heraus, das sich als überparteilich verstand und vor allem Flüchtlingsfragen thematisierte. Ab April 1948 erschien es als Parteiorgan im Eigenverlag der WAV. Langfristig gelang jedoch keine funktionierende Pressearbeit.

Wahlen und Wählerschaft

Die erste Wahl, bei der die WAV in allen Regierungsbezirken antrat, stellte die Wahl zur Verfassungsgebenden Landesversammlung am 30. Juni 1946 dar. Die insgesamt 46 Kandidaten erreichten in Oberbayern und Schwaben überdurchschnittliche Ergebnisse. Die WAV erhielt 5,1 % und acht Mandate. Zur ersten regulären Landtagswahl Ende 1946 stellte sie 63 Bewerber auf. Wieder lagen die Schwerpunkte – bei 7,4 % Stimmenanteil und 13 Mandaten – in Südbayern. Die Kommunalwahlen vom Frühjahr 1948 stellten mit nur 1,7 % einen Tiefpunkt dar.

Zur ersten Bundestagswahl 1949 nominierte die WAV nur in Bayern Kandidaten. Etwa die Hälfte der 21 Personen auf der paritätisch besetzten Landesliste gehörte der Flüchtlingsgruppierung "Neubürgerbund" (NBB) an. Die WAV musste deren volle politische Handlungsfreiheit und die Unabhängigkeit von einer Mitgliedschaft bei der WAV garantieren. Nur durch dieses Bündnis gelang es, mit 14,4 % in Bayern zwölf Mandate im Bundestag zu erhalten. Der Kulminationspunkt war jedoch schnell überschritten, da die Flüchtlingsabgeordneten mit Gründung des Blocks der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE/GB) Anfang 1950 schnell die Fraktionsgemeinschaft verließen. Zur Landtagswahl 1950 wurde die WAV in Unterfranken wegen eines unkorrekten Wahlvorschlags nicht einmal zugelassen. Die Wahl ging mit 2,8 % katastrophal aus. In allen Stimmkreisen waren Verluste zu beklagen, die größten Einbußen waren jedoch in ländlichen Gebieten feststellbar.

Zunächst überwogen unter den WAV-Wählern die städtischen Mittelschichten gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung und den Neubürgern. Ab 1949 war dies umgekehrt: Bei der Bundestagswahl konnte die WAV nur mehr ein Viertel der alten Wählerschaft halten. Wegen des Wahlabkommens mit dem "Neubürgerbund" erzielte sie in Kreisen mit überdurchschnittlich vielen Flüchtlingen bzw. Vertriebenen besonders hohe Ergebnisse. 1950 verzögerten nur noch die stark mit abhängigen Erwerbspersonen durchsetzten Stadtkreise den Niedergang ein wenig.

Die innere Entwicklung 1945 bis 1949

Die WAV war geprägt von massiven internen Auseinandersetzungen, Spaltungen, Parteiausschlüssen und deshalb angestrengten Gerichtsverfahren. Bereits von 1945 bis 1947 wandten sich bürgerliche Kreise wegen des diktatorischen Führungsstils von Loritz sowie tiefgreifender politischer Differenzen ab und traten in andere Parteien ein. Nach einer kurzzeitigen Stabilisierung durch die Wahlerfolge 1946 spaltete sich Mitte 1947 die nationalistische Gruppe um den Landtagsabgeordneten Karl Meißner (1920-1996) ab. Hintergrund waren vor allem Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Entnazifizierung. Eine von Meißner angestrengte, nicht satzungsgemäße Landesversammlung enthob Loritz am 20. Juni 1947 des Amtes und wählte stattdessen ein fünfköpfiges Direktorium. Weil Loritz die Abwahl nicht akzeptierte, mussten sich Gerichte mit der Situation auseinandersetzen. Auch die gleichzeitige Entlassung Loritz’ aus seinem Ministeramt (vgl. dazu unten), seine Verhaftung und Flucht, führten zu politischer Stagnation. Auf Initiative der Flüchtlingsgruppen nahmen beide Seiten im Herbst 1947 wieder vorsichtig Kontakt auf. Ein Vereinigungsparteitag wählte schließlich Julius Höllerer (1903-1968), den Schlesier Alfred Noske (1894-1957) und Loritz in einer Stichwahl gegen Meißner zu gleichberechtigten Vorsitzenden. Noske verzichtete, stattdessen übernahm der Flüchtling Erich Kühne den Posten. Loritz wurde in Abwesenheit von seinem Intimus Gottfried Zimmermann, Stadtrat in München, vertreten. Im November 1947 aus der WAV ausgeschlossen, gab Meißner die Gründung der rechtsextremen Partei "Der Deutsche Block" bekannt.

Von 1948 bis zur Bundestagswahl 1949 prägten die opportunistischen Kreise um Höllerer die weitere Entwicklung. Man versuchte, Partei und Fraktion zu konsolidieren und auf Hessen auszudehnen; dennoch blieb die WAV gespalten. Loritz, der sich im April 1948 in die Schweiz abgesetzt hatte, mischte sich über Mittelsmänner und per Telefon in die weitere Politik ein und versuchte, wieder an die Macht zu gelangen. Vor allem Höllerer wurde nun zum Antipoden. Um Kühne formierten sich einige heterogene Flüchtlingsgruppen, die die WAV zur Flüchtlingspartei machen wollten. Zusammen mit Karl Quilling, Abgeordneter im Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, stürmten sie im August 1948 das Parteibüro, setzten Höllerer ab und riefen Loritz zum alleinigen Vorsitzenden aus, der die Partei in der Folge ganz auf seinen Kurs brachte. Eine Landesversammlung im Oktober 1948 schloss Quilling wie Kühne aus. Hatte die Militärregierung zunächst zugunsten von Loritz entschieden, ließ Kühne diesen im Juni 1949 durch Schiedsspruch des Kreisverbands München seinerseits ausschließen. Kühne berief eine Landesversammlung ein, die ihn zum Vorsitzenden wählte. Loritz ignorierte aber den Ausschluss.

Während wieder Gerichte tätig werden mussten, lief die Nominierungsfrist für die Bundestagswahl 1949 ab. In letzter Minute stellte sich die Militärregierung wieder auf Loritz' Seite. Dieser behauptete nun, er hätte während seiner Haft in München-Stadelheim ermordet werden sollen. Eine Auseinandersetzung und regelrechte Machtprobe zwischen Justizminister Josef Müller (BVP, CSU, 1898-1979, genannt "Ochsensepp") mit der gesamten Staatsregierung und der Militärregierung war die Folge, die sog. Stadelheim-Affäre. Es bestand der Verdacht, dass der unbequeme Loritz von der CSU durch eine willfährige Justiz daran gehindert werden sollte, Wahlkampf zu führen. Weil sein Vergehen gering war, blieb unklar, ob Loritz die strafrechtliche Unbescholtenheit und damit die Voraussetzung für die Kandidatur abgesprochen werden sollte. Die CSU hoffte nach den herben Verlusten bei der Kommunalwahl 1948 auf das Erbe der WAV, vor allem angesichts des drohenden Bündnisses mit dem "Neubürgerbund".

Parlamentarische Repräsentanz und Regierungsbeteiligung der WAV in Bayern

Keine der WAV-Fraktionen bestand wegen zahlreicher Spaltungen und Parteiausschlüsse bis zum Ende der jeweiligen Legislaturperiode. Im Landtag dezimierte sich die Fraktion nach 1946 aufgrund des Protests gegen den diktatorischen Kurs von Loritz bald. Nach dem Ausschluss von Meißner bildete dieser mit vier weiteren Abgeordneten die WAV-Opposition im Landtag. Kurzzeitig versöhnt, bildete sich die Gruppe Ende November 1947 unter dem Namen "Deutscher Block" neu. Zwar kehrten Ende 1948 zwei Abgeordnete zurück, doch trat bereits Mitte des Jahres auch Höllerer aus. Nach dem Abgang von fünf weiteren Fraktionsmitgliedern blieben die restlichen entweder fraktions- oder parteilos oder wirkten bei anderweitigen Neugründungen mit. 1950 schied die WAV aus dem Landtag aus.

Trotz aller Querelen war sie im ersten Kabinett Hans Ehard (CSU, 1887-1980, Ministerpräsident 1946-1954, 1960-1962), einer großen Koalition mit CSU und SPD, beteiligt. Loritz wurde am 21. Dezember 1946 zum Sonderminister für Politische Befreiung berufen. Unter seiner Leitung mündete die Entnazifizierung in einen groß angelegten Rehabilitationsprozess. Ständige Verstimmungen mit der Militärregierung wie mit dem Ministerpräsidenten und der Vorwurf der Ämterpatronage trugen zu seiner Entlassung am 24. Juni 1947 bei. Den letzten Anstoß aber gab die sog. Kontrolldienst-Affäre. Loritz hatte einen privaten Wachdienst für die ihm unterstellten Internierungslager gebildet. Größtenteils WAV-Mitglieder, hatten sie unter den Internierten für die Partei geworben. Weil Meißner dem ehemaligen Minister gleichzeitig versuchte Meineidsverleitung und Schwarzmarktgeschäfte größten Ausmaßes vorwarf, wurde Loritz am 19. Juli 1947 verhaftet. Im Oktober konnte er aus polizeilichem Gewahrsam fliehen und erst ein Jahr später wieder gestellt werden. Im abschließenden Gerichtsverfahren wurde er zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, die aber bereits abgebüßt waren.

Die bayerische WAV im Bund 1949 bis 1953

Im Wirtschaftsrat war die WAV ab Juni 1947 mit einem, nach der Neuorganisation im Februar 1948 mit zwei Abgeordneten vertreten: Karl Quilling und Erich Kühne. Beide sahen sich aber nur zeitweilig als WAV-Repräsentanten. Ähnlich unstet verhielten sich die zwölf Mitglieder der Bundestagsfraktion ab 1949. Von den sechs WAV- und sechs NBB-Angehörigen traten Wilhelm Paschek (WAV, DP, 1897-1952) und Günter Goetzendorff (NBB, IAB, BHE/GB, NRP, 1917-2000) im März 1950 zur Deutschen Reichspartei (DRP) über; Paschek kehrte Anfang 1951 zurück. Drei Flüchtlingsabgeordnete bildeten im Oktober 1950 zusammen mit dem sudetendeutschen Pfarrer Franz Ott (DB, 1910-1998), der ein halbes Jahr bei der WAV hospitierte hatte, die Gruppe "Deutscher Gemeinschaftsblock der Heimatvertriebenen und Entrechteten". Im Oktober 1950 schloss sich stattdessen der Bayernpartei-Abgeordnete Wilhelm Rahn (BP, CSU, 1900-1967) der WAV-Fraktion als Gast an; ab Januar 1951 waren Fritz Dorls (DKP-DRP, SRP, 1910-1995) und Franz Richter (eigentlich Fritz Rößler, NSDAP, DKP-DRP, SRP, 1912-1987) ordentliche Mitglieder.

Infolgedessen kündigte die Deutsche Zentrums-Partei die seit September 1949 bestehende Arbeitsgemeinschaft. Obwohl Loritz sich die völkischen und rassistischen Ideologeme der Sozialistischen Reichspartei (SRP) nicht zu eigen machte, kündigte er die Fusion von WAV und SRP zur "Vaterländischen Opposition" an. Deshalb wurde er aus der Fraktion ausgeschlossen, was er freilich nicht akzeptierte. Die sieben verbliebenen Abgeordneten organisierten Widerstand in den noch bestehenden Kreisverbänden, um die WAV unter neuem Namen und ohne den kompromittierten Loritz weiterführen zu können. Dieser reagierte mit einstweiligen Verfügungen und einer Landesversammlung, die ihn im September 1951 einstimmig bestätigte und vier Abgeordneten die Parteimitgliedschaft entzog. Auf deren Initiative hin gründeten 20 vorwiegend schwäbische Kreisverbände und -gruppen im Dezember 1951 einen selbständigen Landesverband der Deutschen Partei (DP). Die sieben ehemaligen WAV-Abgeordneten bildeten im Bundestag die Gruppe DP-Bayern, traten der DP-Fraktion bei und versuchten so, ihre politische Zukunft zu sichern. Zwar versammelte der nun isolierte Loritz kurz vor Ablauf der Legislaturperiode 1953 wieder eine parlamentarische Gruppe der WAV mit vier anderweitig gescheiterten Abgeordneten - unter anderem Goetzendorff - um sich, doch sollte dies eine Episode bleiben.

Der lange Niedergang

Der überraschende Wahlerfolg 1949 überdeckte den Zerfall der WAV nur vorübergehend. Nach der gescheiterten Landtagswahl 1950 stellten viele Kreisverbände ihre Arbeit ganz ein. Der Versuch, nach dem Verbot der SRP 1952 zur Nachfolgeorganisation zu werden, misslang: 1953 bestand die WAV nur mehr aus Loritz und einigen unermüdlichen Getreuen. Sie betätigten sich nun schwerpunktmäßig in Norddeutschland. Vor der Bundestagswahl 1953 verhandelten ehemals führende SRP-Funktionäre mit der zuvor in Bayern starken "Deutschen Gemeinschaft" um August Haußleiter (CSU, DG, Die Grünen, 1905-1989) sowie der DRP und vor allem mit Loritz, um das Verbot durch die Bildung einer rechten Sammlungsbewegung zu unterlaufen. Frühere Mitglieder des SRP-Parteirats und Loritz traten nun in niedersächsischen Klein- und Mittelstädten als Deutsche Aufbau-Vereinigung (DAV) auf und verstanden sich als niedersächsischer WAV-Landesverband. Die Sammlungsbemühungen scheiterten jedoch. Obwohl sich die WAV am 11. August 1953 noch in DAV umbenannte, nahm sie nicht an der Bundestagswahl teil. Letztmalig wollte Loritz bei den Bremer Bürgerschaftswahlen im Oktober 1955 eine Rückkehr versuchen. Unregelmäßigkeiten bei der Unterschriftensammlung für den Wahlvorschlag vereitelten das allerdings. Stattdessen bildeten diese den Auftakt für eine bis zu Loritz' Tod 1979 in Wien nicht endende Kette von gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Gesamtbewertung

Die WAV repräsentierte im Parteiensystem Bayerns und der Bundesrepublik Deutschland den im Wesentlichen konzeptionslosen Protest mittelständischer Schichten gegen die Konsequenzen aus Kriegsniederlage und NS-Regime einerseits und Demokratisierung andererseits. Dahinter stand die starke Affinität von autoritärem Staat und Mittelstand, der stärker als andere Gruppen von der Entnazifizierung betroffen war. Die WAV lehnte das Befreiungsgesetz entsprechend ab. Vorindustriell-ständische Romantizismen und antiparlamentarische Ressentiments verbanden sich zu einer militant-demagogischen Opposition gegen die parlamentarisch-repräsentative und pluralistische Gesellschaftsordnung. Die WAV schürte die Hoffnung auf einen "starken Mann". Die zunehmende wirtschaftliche Konsolidierung der Bundesrepublik Deutschland sowie die verschiedenen Interessen innerhalb der Partei verurteilten diese jedoch schnell zum Scheitern.

Literatur

  • Lutz Niethammer, Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung, Frankfurt am Main 1972.
  • Michael Schlieben, Missglückte politische Führung. Die gescheiterten Nachkriegsparteien, in: Daniela Forkmann/Michael Schlieben (Hg.), Die Parteivorsitzenden in der Bundesrepublik Deutschland 1949-2005, Wiesbaden 2005, 303-348.
  • Sören Winge, Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-53. Entwicklung und Politik einer "undoktrinären" politischen Partei in der Bundesrepublik in der ersten Nachkriegszeit, Stockholm 1976.
  • Hans Woller, Die Loritz-Partei. Geschichte, Struktur und Politik der Wirtschaftlichen Aufbau-Vereinigung (WAV) 1945-1955 (Studien zur Zeitgeschichte 19), Stuttgart 1982.
  • Hans Woller, Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung; in: Richard Stöss (Hg.), Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980. 2. Band: FDP-WAV, Opladen 1983/84, 2458-2481.

Weiterführende Recherche

Loritz-Partei, Deutsche Aufbau-Vereinigung

Empfohlene Zitierweise

Daniel Schönwald, Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV) (Partei), publiziert am 05.03.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Wirtschaftliche_Aufbau-Vereinigung_(WAV)_(Partei)> (19.03.2024)