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Bundesrat

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Außenaufnahmen vom Gebäude des Bundesrates in Berlin. (© Bundesrat)

von Helge Heidemeyer

Der Bundesrat gehört zu den fünf ständigen Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland. Hier können die Länder des Bundes direkt an Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und seit 1992 auch der Europäischen Union (EU) mitwirken. Jedes der seit der Wiedervereinigung 16 Bundesländer schickt Vertreter in das Gremium, wo diese je nach Größe des Landes eine bestimmte Stimmenanzahl besitzen. Gesetze, die die Verfassung des Bundes, die Organisations- oder Verwaltungshoheit der Länder betreffen sowie solche mit Auswirkungen auf deren Finanzhoheit benötigen die Zustimmung des Bundesrates. Der Bundesrat ist damit wesentliches Merkmal des bundesdeutschen Föderalismus.

Der Weg zum Bundesrat

Sitzung des Bundesrates im Deutschen Kaiserreich 1894. Zeichnung von Willy Stöwer (1864-1931). Abb. aus: Die Gartenlaube 45 (1894), 765. (Gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Die Wurzeln des Bundesrates reichen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Stets musste im Deutschen Reich die Berücksichtigung und Beteiligung der Territorialgewalten an der Zentralgewalt organisiert werden. Nach dem Modell des Norddeutschen Bundes (gegründet 1867) besaß der Bundesrat des Kaiserreichs von 1871 eine starke Stellung als oberstes Verfassungsorgan, war er doch Ausdruck des Fürstenbundes, als der das Reich gegründet worden war. Nominell war dieses Gremium der Träger der Bundessouveränität, was sich darin äußerte, dass es nicht nur gleichberechtigt an der Legislative mitwirkte, sondern auch oberster Träger der Bundesexekutive war. Demgegenüber hatte die nun Reichsrat genannte Ländervertretung in der Weimarer Republik weitaus weniger Kompetenzen – auch im Vergleich zum heutigen Bundesrat.

Mit der Beseitigung der Länder im Nationalsozialismus wurde auch der Reichsrat abgeschafft. Bei der Wiederbegründung des demokratischen deutschen Staates, die 1949 nach dem Zusammenbruch der Diktatur unter der Aufsicht der westlichen Besatzungsmächte erfolgte, griff die verfassunggebende Versammlung, der Parlamentarische Rat, die föderalistische Tradition des Reichsrats wieder auf. Die Frage, ob dem Bundestag eine Länderkammer oder ein Senat nach amerikanischem Vorbild zur Seite gestellt werden sollte, wurde im Parlamentarischen Rat intensiv diskutiert. Am Zustandekommen eines Kompromisses zwischen den Befürwortern eines stark zentralistischen und denen eines ausgeprägt föderalen Bundestaates war maßgeblich der Bayerische Ministerpräsident Hans Ehard (CSU, 1887-1980, Ministerpräsident 1946-1954, 1960-1962) beteiligt, der in Absprache mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Walter Menzel (SPD, 1901-1963) die Sozialdemokraten für die Bundesratslösung gewinnen konnte. Dabei musste der CSU-Vertreter allerdings auf die Gleichberechtigung der Länderkammer mit dem Bundestag verzichten. Nicht zuletzt aus diesem Grund versagte Bayern schließlich dem Grundgesetz (GG) die Zustimmung (vgl. Feldkamp, Der Parlamentarische Rat, 103; Gelberg, Ehard, 208-218).

Aufbau und Aufgaben des Bundesrates

Der Bundesrat "ist Ausdruck der föderativen Ausbalancierung gesamtstaatlicher Macht" (Müller, Grußwort, in: 60 Jahre Bundesrat. Föderalismus-Symposium, 24./25. Juni 2009. Tagungsband, hg. vom Bundesrat, Berlin 2009, 7) und damit Forum der Länder der Bundesrepublik Deutschland, wo sie an der Gesetzgebung und der Verwaltung des Bundes sowie seit 1992 der Europäischen Union (EU) mitwirken können. Das Grundgesetz weist dem Bundesrat den Rang eines eigenen Verfassungsorgans zu (Abschnitt IV) und bestimmt, welche Materien im Gesetzgebungsverfahren der Zustimmung der Länderkammer bedürfen. Die Landesregierungen entsenden eine festgelegte Zahl von Vertretern in den Bundesrat, die weisungsgebunden und einheitlich abstimmen. Die Mitglieder des Bundesrates kommen etwa zehnmal im Jahr zu Vollversammlungen am Sitzort des Bundestages zusammen. Wie das Parlament verlegte auch der Bundesrat im Jahr 2000 seinen Sitz von Bonn nach Berlin.

Zusammensetzung und Bundesratspräsident

Die Landesregierungen entsenden je nach Einwohnerzahl zwischen drei und fünf (bis 1990) bzw. sechs Vertreter in den Bundesrat. Die Bayerische Staatsregierung stellte von 1949 bis 1990 fünf von 41 Mitgliedern des Bundesrates, seitdem sechs von 69. Damit gehörte Bayern stets - neben Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen - zur Gruppe der Länder mit maximaler Stimmenzahl. Die Präsidentschaft, die von einem Ministerpräsidenten geführt wird, alterniert jährlich, indem sie auf den Landeschef des nächstkleineren Landes übergeht. Als Land mit der zweitgrößten Bevölkerung übernahm der Bayerische Ministerpräsident Hans Ehard als zweiter 1950 die Präsidentschaft von seinem nordrhein-westfälischen Kollegen.

Neben den Aufgaben innerhalb des Bundesrates weist das Grundgesetz dem Präsidenten auch die Funktion zu, den Bundespräsidenten im Fall "der Verhinderung oder bei vorzeitiger Erledigung des Amtes" zu vertreten. Insbesondere nach den Rücktritten von Horst Köhler (CDU, geb. 1943, Bundespräsident 2004-2010) am 31. Mai 2010 und Christian Wulff (CDU, geb. 1959, Bundespräsident 2010-2012) am 17. Februar 2012 hatte der Bundesratspräsident die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten vollständig zu übernehmen.

Arbeitsweise

Plenarsaal des Bundesrates, 912. Sitzung des Bundesrates, 5. Juli 2013. (© Bundesrat / Henning Schacht)

Die Arbeit des Bundesrates ist nach parlamentarischen Gepflogenheiten organisiert. Er diskutiert und entscheidet in Plenarsitzungen und bildet Ausschüsse zur Bearbeitung der Aufgaben. Die Plenarsitzungen unterscheiden sich im Verfahren kaum von denen des Bundestages. Da die Positionen und das Abstimmungsverhalten der weisungsgebundenen Ländervertreter jedoch von vornherein klar sind, ist der Umgang hier sehr viel ruhiger und gemessener als in der Volksvertretung.

Eine ungewohnt stürmische Sitzung ergab sich allerdings anlässlich der Abstimmung über das Zuwanderungsgesetz am 22. März 2002: Üblicherweise enthalten sich Länder, die von einer Koalition regiert werden, bei Fragen, in denen die Koalitionspartner unterschiedliche Auffassungen vertreten, der Stimme. In diesem Fall wertete der Bundesratspräsident, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD, geb. 1953), jedoch die zustimmende Aussage des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD, geb. 1936) als Ja-Stimme des Landes Brandenburg, obwohl Innenminister Jörg Schönbohm (CDU, geb. 1937) sein Nein artikuliert hatte. Hierauf hagelte es während der Sitzung Zurufe und Proteste, die allem Anschein nach inszeniert waren. Schließlich verwarf das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung Wowereits und erklärte das damals angenommene Gesetz für nichtig.

Gesetzgebung

Zustimmungspflichtige und nicht zustimmungspflichtige Gesetze

Auf drei unterschiedliche Weisen ist der Bundesrat in die Gesetzgebung eingebunden. Das Grundgesetz differenziert zunächst zwischen Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, und solchen, die dieser Zustimmung nicht bedürfen. Die zustimmungspflichtigen Materien zählt das Grundgesetz im Einzelnen auf, wenn auch an unterschiedlichen Stellen. Etwa die Hälfte der seit 1949 in Kraft getretenen Gesetze waren Zustimmungsgesetze. Inhaltlich zentral für die Zustimmungspflicht ist die Mitwirkung der Länder bei Fragen der Finanzverfassung der Bundesrepublik. Beim größten Teil der Zustimmungsgesetze, etwa drei Viertel, leitete sich die Zustimmungsbedürftigkeit allerdings aus der Verwaltungshoheit der Länder her (Art. 84, 1 GG). Erhebt der Bundesrat Einwände gegen ein Gesetz, versuchen Vertreter von Bundestag und Bundesrat im Vermittlungsausschuss eine Übereinkunft zu erzielen. Dem Vermittlungsausschuss gehört ein Vertreter jedes Bundeslandes an, zu diesen ursprünglich elf, seit 1990 16 Ländervertretern kommt eine gleiche Anzahl von Mitgliedern des Bundestages hinzu, bestimmt nach den dortigen Kräfteverhältnissen.

Nicht zustimmungspflichtige Gesetze werden als Einspruchsgesetze bezeichnet: Hier kann der Bundesrat Einwände geltend machen. Geschieht dies, muss der Bundestag das Gesetz erneut verhandeln, er kann den Einspruch jedoch mit (qualifizierter) Mehrheit zurückweisen. Schließlich kann der Bundesrat auch selbst initiativ werden (Art. 76, 1 GG).

Gesetzesinitiativen des Bundesrates

Die meisten Gesetze erreichen den Bundesrat aus dem Bundestag. Einzelne Länder oder mehrere gemeinsam können aber ebenfalls Gesetzesvorlagen in den Bundesrat einbringen, die - sofern sie hier eine Mehrheit finden - als Bundesratsvorlage dem Bundestag zugeleitet werden und so in den legislativen Prozess eingehen. 843 Gesetzentwürfe brachte der Bundesrat auf diese Weise bis 2005 ein, weniger als ein Zehntel der Gesetzentwürfe insgesamt. Von den Bundesratsinitiativen war nur ein knappes Drittel erfolgreich, deutlich weniger als die Gesetzentwürfe von Bundesregierung und Bundestag. Dies zeigt, dass Gesetzesinitiativen nicht der Königsweg der Länderbeteiligung sind und sie vermutlich anders motiviert beispielsweise der (partei-)politischen Profilierung dienen (vgl. Münch, Freistaat, 91f.).

Mitbestimmung in Fragen der Europäischen Union (EU)

Einen Sonderfall der Tätigkeit stellt die Mitwirkung des Bundesrates in europäischen Fragen dar. Schon in den ersten Jahren der Bundesrepublik kam es über die Einbeziehung der Länder bei der Übertragung von Kompetenzen an supranationale Organisationen zu heftigen Konflikten. Der Unmut kristallisierte sich bei den Verhandlungen zur Montanunion (auch: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, kurz: EGKS; Vertragsschluss 1951), von denen sich die Länder ausgeschlossen sahen, was allen voran das am stärksten betroffene Nordrhein-Westfalen erzürnte. Allerdings sollte es bis zum Jahr 1992 dauern, ehe hier eine neue Verfahrensweise Abhilfe schuf.

Seit der Neuregelung werden Entwürfe von Verordnungen und Richtlinien der EU nun regelhaft im Bundesrat beraten. Betreffen sie Bundesangelegenheiten, hat die Bundesregierung dessen Stellungnahme zu berücksichtigen. Betreffen sie jedoch schwerpunktmäßig Aufgaben der Länder, sind die Auffassungen des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen. Im Konfliktfall mit der Bundesregierung ist die Position des Bundesrates sogar bindend, sofern die Länderkammer ihr Votum mit Zweidrittelmehrheit gefasst hat. Damit hat der Bundesrat hier das Letztentscheidungsrecht und kann die Haltung Deutschlands im Ministerrat der EU festlegen.

Im Regelfall werden Fragen der EU im Plenum des Bundesrates erörtert. Für Fälle, in denen schnelle Stellungnahmen notwendig sind, kann der Präsident des Bundesrates jedoch eine Europakammer einberufen, in die jedes Land einen Vertreter entsendet und die an Stelle des Plenums eine Stellungnahme beschließt.

Bayern im Bundesrat

Die Vertretung Bayerns im Bundesrat

Die Arbeit im Bundesrat orientiert sich an parlamentarischen Gepflogenheiten. Die Diskussionen und Auseinandersetzungen sind hier allerdings weniger scharf, weil alle Ländervertreter mit in den Kabinetten abgestimmten Positionen in der Länderkammer auftreten und kein freies Mandat wahrnehmen. Dieser nivellierende Zug wird dadurch verstärkt, dass der Verhandlung im Plenum noch eine Reihe von Klärungen vorausgehen: Nachdem die Regierung in München die Materie beraten hat, versuchen zunächst Fachreferenten der Ministerien, die sog. Reisereferenten, eine sachliche Abstimmung mit anderen Ländern und/oder dem Bund herbeizuführen. So vorbereitet erreicht die Materie die Ausschüsse des Bundesrates. Hier vertreten zumeist der Fachreferent der Landesvertretung und ein höherer Vertreter des zuständigen Staatsministeriums, mitunter sogar der Minister selbst, gemeinsam die Sache Bayerns. Erreicht die Vorlage danach das Plenum des Bundesrates, nimmt der zuständige Staatsminister der Münchner Regierung die Vertretung der bayerischen Interessen wahr. Bei außerordentlich wichtigen Materien bringt sich hier auch der Ministerpräsident selbst ein. Statt der Fachminister oder des Ministerpräsidenten kann der Bevollmächtigte des Freistaates beim Bund diese Vertretung wahrnehmen, seit er im Jahr 1962 Ministerrang erlangte.

Bayerische Ministerpräsidenten als Bundesratspräsidenten

Wahl des bayrischen Ministerpräsidenten Hans Ehard (CSU, 1887-1980) zum Bundesratspräsidenten am 27. Oktober 1961. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F011691-0010 / Unterberg, Rolf; Steiner, Egon / CC-BY-SA 3.0)
Der Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Franz Meyers (CDU, 1908-2002) gratuliert seinem soeben gewählten Nachfolger Hans Ehard (CSU, 1887-1980). Foto vom 27. Oktober 1960. (Bundesarchiv, B 145 Bild-F011691-0005 / Unterberg, Rolf; Steiner, Egon / CC-BY-SA 3.0)
Bundesratspräsident Horst Seehofer zeichnet Preisträger des Schülerzeitungswettbewerbs der Länder aus. (© Bundesrat / Frank Bräuer November 2012)

Nach der Geschäftsordnung des Bundesrates führt Bayern wie jedes andere Land alle elf (bis 1990) bzw. 16 Jahre die Präsidentschaft. Das gibt dem Ministerpräsidenten jeweils die Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Positionsbestimmung und dazu, der Arbeit des Verfassungsorgans einen eigenen Stempel aufzudrücken.

So versuchte Hans Ehard als Bundesratspräsident in den Anfangsjahren in konsequenter Fortsetzung seiner im Parlamentarischen Rat vertretenen Position, die Länderkammer politisch aufzuwerten. Sein Ziel war es, den Bundesrat als gleichgewichtiges Bundesorgan zu etablieren und auf Augenhöhe mit dem Bundestag zu verkehren. Um dieses Ziel zu befördern, verzichtete Ehard sogar darauf, im Bundestag aufzutreten, und nutzte stattdessen die Bühne der Länderkammer. Neben der politischen Funktion erkannte er zudem die Bedeutung habitueller Faktoren und war bestrebt, den Stil des Bundesrates zu prägen und ein hohes Niveau durchzusetzen.

Alfons Goppel (CSU, 1905-1991, Ministerpräsident 1962-1978) stellte Anfang der 1970er Jahre eine deutliche Politisierung und Polarisierung in der Bundespolitik fest, die auch den Bundesrat erfasse. Hintergrund war die sich kurz vor seiner Übernahme des Amts des Bundesratspräsidenten ergebende Situation, dass ein CDU/CSU-dominierter Bundesrat einer sozialliberalen Bundesregierung gegenüberstand. Goppel selbst befeuerte diese Spannungen in seiner Amtsführung nicht, sondern pflegte einen betont ruhigen, sachlichen Stil. Die politischen Auseinandersetzungen auf Bundesebene führte Franz Josef Strauß (CSU, 1915-1988, Ministerpräsident 1978-1988), vornehmlich im Bundestag.

Wer nun eine Verschärfung des Tons durch die politische Urkraft eines Franz Josef Strauß erwartet hatte, sah sich 1983/84 enttäuscht: Einerseits bedurfte Strauß keiner bundespolitischen Profilierung durch das Amt des Bundesratspräsidenten, da er ohnehin großen Einfluss besaß (vgl. Münch, Freistaat, 86f.). Andererseits entfalten politische Institutionen eine eigene Prägewirkung, die Amtsführung im Bundesrat verlangt und befördert einen moderaten Ton der Debatte. Freilich hatten sich hier auch die Konstellationen grundlegend geändert, stellte die Union doch unter Helmut Kohl (CDU, 1930-2017, Bundeskanzler 1982-1998) erneut die Regierung im Bund, womit die Berücksichtigung der Interessen der konservativ regierten Länder eher gesichert war.

Edmund Stoiber (CSU, geb. 1941, Ministerpräsident 1993-2007) versuchte, den Bundesrat wieder deutlicher als politisches Schwergewicht in den Vordergrund auch der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. Das stärkte die Institution durch engagierte Projekte wie den Medienpreis des Bundesrates, den Stoiber zunächst sogar aus bayerischen Mitteln finanzieren ließ, oder den Einsatz für die Verlagerung des Bundesrates nach Berlin, parallel zum Umzug des Bundestages. Seine Initiativen - insbesondere die, den leistungsstarken Ländern mehr politischen Handlungsspielraum und Einfluss zu sichern - gingen allerdings vom bislang herrschenden Konsenskurs ab und trugen "zusätzliche Konfliktlinien in den Bundesrat hinein" (Münch, Freistaat, 88).

Horst Seehofers (CSU, geb. 1949, Ministerpräsident 2008-2018) Präsidentschaft war geprägt von der Übernahme der Aufgaben des Bundespräsidenten nach dem Rücktritt von Christian Wulff. Sie verstärkte die ausgleichende Wirkung, die dem Amt des Bundesratspräsidenten ohnehin innewohnt, noch einmal, und erschwerte ihm polarisierende Auftritte, egal auf welcher Bühne.

Der Blick auf die bayerischen Präsidentschaften verdeutlicht sowohl den Wandel im Umgang mit dem Amt als auch die Kontinuität, auf eine möglichst große Geltung nicht allein Bayerns, sondern auch des Bundesrates hinzuwirken. In einem starken föderalen Element glauben bayerische Politiker offenbar den besten Garant für die Wahrung der Interessen des Freistaats im Bund zu finden. Hervorhebenswert erscheint aber auch, dass das Amt selbst spätestens seit den 1980er Jahren ein solches Gewicht entwickelt hat, dass die Amtsinhaber dadurch in ihrem Auftritt beeinflusst werden.

Ministerpräsident Bundesratspräsident
Hans Ehard 1950/51 und 1961/62
Alfons Goppel 1972/73
Franz Josef Strauß 1983/84
Edmund Stoiber 1995/96
Horst Seehofer 2011/12

Gerade in den Anfangsjahren der Bundesrepublik waren die Bereiche der Bundesinstitutionen noch nicht fest gefügt. Das machte sich unter anderem darin bemerkbar, dass die Bundesratspräsidenten die Kompetenzen der Kammer immer wieder ausloteten. Einen besonderen Konfliktpunkt stellte die Außenpolitik dar, in die der Bundeskanzler die Länder nicht einzubeziehen gewillt war. Deshalb gewann der Ausschuss für zwischenstaatliche Beziehungen, später Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten, an Bedeutung – und damit auch sein Vorsitz. Diesen führte Hans Ehard von 1949 bis 1954. Hier versuchte er - wie im Anschluss sein nordrhein-westfälischer Kollege Karl Arnold (CDU, 1901-1958) -, die Mitsprache der Länder zu stärken, und schreckte auch vor offener Kritik an der mangelnden Beteiligung durch die Bundesregierung nicht zurück. Dies ist umso bemerkenswerter, als Bayern im konkreten Fall, der Westintegration der Bundesrepublik, die Politik Konrad Adenauers (CDU, 1876-1967, Bundeskanzler 1949-1963) stützte. Zugleich belegt die offene Kritik, dass Ehard unter Hintanstellung der Position in der Sache auf die Stärkung des Bundesrates um der Länderinteressen Willen eintrat (Münch, Freistaat, 83f.). Nicht nur die Präsidentschaft im Bundesrat an sich, sondern auch herausgehobene Ausschussvorsitze konnten eine geeignete Bühne für die Artikulation grundsätzlicher Länderpositionen bieten.

Diese grundsätzliche Herangehensweise unterscheidet die bayerische Bundesratspolitik deutlich von der anderer Länder. Auch wenn Nordrhein-Westfalen aus wohlbegründetem Eigeninteresse eine Einbeziehung in die Verhandlungen zur Montanunion einforderte, so stimmte es den Verträgen doch zu und verzichtete schließlich darauf, einen schon vorbesprochenen Antrag zur Feststellung der verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit einzubringen. Das Land wurde nicht aktiv, nachdem der Bundeskanzler inhaltliche Konzessionen angeboten hatte. Hier stand also die inhaltliche Frage im Vordergrund, nicht der Grundsatz der Stärkung von Länderpositionen (Kurt Düwell, Karl Arnold - überzeugter Föderalist zwischen gesamtdeutschen Zielen und europäischen Visionen, in: Karl Arnold. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident 1947 bis 1956 [Schriften des Landtags Nordrhein-Westfalen], Düsseldorf 2001, 94-102). Möglicherweise war die generell lautlose Unterordnung Nordrhein-Westfalens unter die Bundesautorität, die sich auch im Verzicht auf Kleinarbeit im Bundesrat ausdrückte, auf das verminderte Selbstbewusstsein des neuen Landes zurückzuführen, das nicht die starke Tradition solcher Länder wie Bayern besaß (Horst Romeyk, Nordrhein-Westfalen und der Bund, in: Nordrhein-Westfalen. Kernland der Bundesrepublik, Ausstellungskatalog der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Siegburg 1989, 44-47).

Bayerische Gesetzesinitiativen

Ein Blick auf die von Bayern allein oder mit anderen Ländern eingebrachten Gesetzesinitiativen ergibt folgendes Bild:

Inhaltlich stehen bayerische Landesinteressen zumeist im Vordergrund. Dazu zählen allgemein Vorstöße in der Landwirtschaftspolitik oder im Speziellen Fragen wie die Einbeziehung von Schleppliften in das Haftungsgesetz (Bundesrats-Drucksache. 115/87 v. 27. März 1987). Daneben spielen Themen der inneren Sicherheit eine signifikante Rolle.

Das wesentliche Interesse bayerischer Initiativtätigkeit gilt allerdings keiner Sachfrage. Dominierend ist das Bemühen aller bayerischen Landesregierungen seit 1949, sich mit ihren Initiativen als "Wahrer des Föderalismus" (Ursula Münch) zu profilieren. Auf diese Weise wird im gesetzgeberischen Detail das unterstrichen, was als politische Generallinie stets den bayerischen Auftritt prägt. Das war in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik einfacher, als die gegenseitigen Abhängigkeiten von Bund und Ländern weniger stark ausgeprägt waren als durch die spätere kooperative Verflechtung. Mitunter entscheidet sich Bayern aus grundsätzlichen proföderalistischen Erwägungen auch gegen den eigenen kurzfristigen Vorteil: So trat Bayern, selbst noch Nehmerland beim Länderfinanzausgleich, mit den Geberländern gegen eine erhöhte Beteiligung des Bundes ein, um diesem kein Einfallstor zu einer verstärkten Mitsprache bei Länderthemen öffnen zu müssen (vgl. Heidemeyer, Aktivitäten, 732). Am Beispiel der Finanzreform von 1955 lässt sich zeigen, dass die Positionierung Bayerns auch unabhängig von der Couleur der Staatsregierung erfolgte (vgl. Heidemeyer, Aktivitäten, 712-718). Derartig grundsätzliches Vorgehen zur Ausschöpfung der Länderkompetenzen war anderen Ländern eher fremd (vgl. Romeyk, 16, 44, 47).

Die Schilderungen zeigen: Bayern vertritt im Bundesrat in hohem Maße Überzeugungen, und dies mit beeindruckender Kontinuität. Sie dokumentiert sich nicht nur in der Tatsache, dass die "bayerischen Themen" über die Jahrzehnte hinweg die gleichen bleiben. Bayern zeigt auch im Detail, bei der Einbringung seiner Initiativen, einen langen Atem. Die Landesregierung wiederholt sie über die Wechsel der Wahlperioden des Bundestages hinweg: Nach der Bundestagswahl 1976 stellte Bayern allein vier Gesetzentwürfe erneut, die mit Ablauf der vorherigen Wahlperiode verfallen waren.

Die bundespolitische Dimension bayerischer Arbeit im Bundesrat

Eine bundespolitische Dimension besitzen Anträge, die auf Bundesebene eingebracht werden, inhaltlich per se. Allerdings hat das bayerische Engagement im Bundesrat einen weiteren, machtpolitischen Aspekt. Ein Blick auf die Initiativtätigkeit Bayerns im Bundesrat gerade in den frühen Jahren der Bundesrepublik lässt aufmerken: War Bayern in den 20 Jahren bis 1968 lediglich 15 mal initiativ geworden, so hatte die Staatsregierung allein bis zum Ende des Jahres 1972 - also während der ersten Wahlperiode einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung unter Willy Brandt (SPD, 1913-1992, eigentlich Herbert Ernst Frahm, Bundeskanzler 1969-1974), in einer Phase erheblicher parteipolitischer Polarisierung - 22 Entwürfe eingebracht. Die sichtlich stärkere Initiativtätigkeit war in erster Linie bestimmt davon, dass einerseits die unionsgeführte Landesregierung nun nicht mehr davon ausgehen konnte, dass in Bonn die bayerischen Interessen ohnehin Gehör finden würden, andererseits die parteipolitische Dichotomie ihren Niederschlag auch im Bundesrat fand.

Wenn auch in diesen Jahren die Anzahl von Länderinitiativen insgesamt erheblich anstieg, so hat die bayerische Regierung den oppositionellen Charakter der thematisch nun sehr breiten Initiativen selbst herausgestellt. Oftmals gemeinsam mit anderen unionsgeführten Ländern wollte Bayern insbesondere auf rechts- und sozialpolitischem Feld, aber auch in aktuellen Fragen wie der Vorbereitung der Olympischen Spiele in München (Spiele der XX. Olympiade 1972) Zeichen setzen, der Bundesregierung Contra geben und einen harten Konfrontationskurs fahren. Goppel wollte durch eine "starke Aktivität" den zentralistischen Tendenzen der sozialliberalen Bundesregierung Paroli bieten. Somit hat sich Bayern, wenn auch föderalistisch verbrämt, in dieser Zeit daran beteiligt, den Bundesrat stärker in den politischen Kampf einzubeziehen (vgl. Münch, Freistaat, 26-28).

Oft, aber besonders dann, wenn sie konträr zur Politik der Bundesregierung steht, nutzt die bayerische Staatsregierung Bundesratsinitiativen ganz offensichtlich, um ihre Position im öffentlichen Raum zu platzieren – eine Funktion, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Und das konnte durchaus auch eine unionsgeführte Bundesregierung treffen: Mit ihrem Gesetzespaket zum Thema AIDS wollte die Staatsregierung 1987 die Regierung in Bonn antreiben, gleichzeitig aber auch ihren verunsicherten Bürgern demonstrieren, dass sie für ein hohes Maß an Sicherheit sorgt (vgl. Brathuhn, Bundesratsanträge, 327).

Die innenpolitische Dimension bayerischer Arbeit im Bundesrat

Das letzte Beispiel zeigt, dass Anträge im Bundesrat auch eine Stoßrichtung hin zur eigenen Landesbevölkerung besitzen können. Sie sind ein Mittel symbolischer Politik und sollen öffentlichkeitswirksam Positionen in Bund und Land markieren (vgl. auch den Gesetzentwurf zur Eindämmung des Asylmissbrauchs vom 26. Februar 1985, Bundesrats-Drucksache 99/85). Auf diese Weise will die bayerische Staatsregierung in erster Linie Wähler binden; ob die Gesetzentwürfe erfolgreich sind, ist dabei zweitrangig: Auffällig wenige der bayerischen Initiativen sind erfolgreich. Wollen einige Autoren ihnen dennoch die Funktion zubilligen, politischen Druck aufzubauen (vgl. Münch, Freistaat, 96), so sehen andere in den Gesetzesvorlagen "bloßen Aktionismus", nur "wahltaktische und parteipolitische Gründe" (Brathuhn, Bundesratsanträge, 330f.). Oftmals ist das Scheitern der Initiativen von Anfang an klar. Deshalb kann man feststellen, dass sie weniger dem Zweck dienen, gesetzliche Regelungen zu schaffen – dazu nutzt die Staatsregierung vornehmlich andere Wege.

Wird der formelle legislative Weg insofern oft zur politischen Selbstdarstellung genutzt, versucht die Staatsregierung, die bayerischen Interessen auch auf informellen Wegen zu wahren. Bei wichtigen Materien bemüht sie sich im Vorfeld um eine Abstimmung mit anderen Ländern und/oder dem Bund. Im unmittelbaren Kontakt mit dem Bundeskanzler, den Ministerpräsidenten und anderen Verantwortlichen versuchten alle bayerischen Ministerpräsidenten, ihre politischen Ziele möglichst frühzeitig ein- und zur Geltung zu bringen. Das war so 1950/51 bei der Schaffung von Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz (vgl. Gelberg, Ehard, 324-333), in jüngster Zeit bei den Verhandlungen zur Reformsuche der Hartz IV-Regelsätze (vgl. Heidemeyer, Aktivitäten, 702). Dabei legt die Regierung des Freistaats oftmals – und mit großem Erfolg – fertig formulierte (Alternativ-)Vorschläge vor. Dieser Aufwand zahlt sich aus, denn selbst wenn solche Papiere rundheraus abgelehnt werden, können Positionen, Formulierungen oder Details den später erfolgreichen Kompromiss inhaltlich prägen. Diese Lehre konnte Bayern bereits vor dem Zusammentreten des Parlamentarischen Rates machen und weiterhin nutzbringend einsetzen (vgl. Heidemeyer, Aktivitäten, 731f.). Und selbst wenn man von diesen Erfolgen in der Sache absieht, war die Strategie Bayerns im Umgang mit dem Bundesrat vorteilhaft: Die symbolische Politik der Staatsregierung konnte den bayerischen Wählerinnen und Wählern - bislang - immer wieder das Gefühl vermitteln, sie vertrete konsequent die Interessen des Freistaats und seiner Bürger.

Literatur

  • Ralf Brathuhn, Bundesratsanträge der bayerischen Landesregierung: Profilierungsanträge oder ernstgemeinte Gesetzgebungsakte?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3 (1989), 322-331.
  • Michael Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Die Entstehung des Grundgesetzes, Göttingen 2. Auflage 2008.
  • Karl-Ulrich Gelberg, Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946-1954 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 18), Düsseldorf 1992.
  • Karl-Ulrich Gelberg, Hans Ehard und das bayerische Preußenbild. Schlaglichter aus der Entstehungszeit des Grundgesetzes (1947-1949), in: Johannes Erichsen/Eva-Maria Brockhoff (Hg.), Preußen & Bayern und Bayerns Preußen. Schlaglichter auf eine historische Beziehung (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 41), Regensburg 1999, 146-153.
  • Eckart Klein (Hg.), Die Rolle des Bundesrates und der Länder im Prozeß der deutschen Einheit (Schriftenreihe der Gesellschaft für Deutschlandforschung 66), Berlin 1998.
  • Joachim Lilla, Föderalismus in historisch vergleichender Perspektive. Bd. 1: Der Bundesrat 1867-1919. Ein biographisches Nachschlagewerk (Schriftenreihe des Instituts für Europäische Regionalforschungen, 20), Baden-Baden 2014.
  • Rudolf Morsey, Föderalismus im Bundesstaat. Die Rolle des bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard in der Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, in: Historisches Jahrbuch 108 (1988), 430-447.
  • Ursula Münch, Freistaat im Bundesstaat. Bayerns Politik in 50 Jahren Bundesrepublik Deutschland, München 1999.
  • Udo Scholl, Der Bundesrat in der deutschen Verfassungsentwicklung. Reichsverfassung von 1871 und Grundgesetz (Schriften zum öffentlichen Recht 407), Berlin 1982.
  • Dieter Wilke/Bernd Schulte (Hg.), Der Bundesrat. Die staatsrechtliche Entwicklung des föderalen Verfassungsorgans (Wege der Forschung 507), Darmstadt 1990.

Quellen

  • Bundesrat Drucksachen.
  • Plenarprotokolle des Bundesrats (seit 7. September 1949).

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Helge Heidemeyer, Bundesrat, publiziert am 22.07.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bundesrat (19.03.2024)