
Die antisemitische Wochenzeitung Der Stürmer, Untertitel ab 1932 "Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit", erschien vom 20. April 1923 bis 2. Februar 1945 in Nürnberg. Gründer und Herausgeber war der Gauleiter von Franken, Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946). Zunächst auf die Region Nürnberg beschränkt, entwickelte sich das Hetzblatt seit 1933 zu einem NS-Massenblatt und erreichte, auch mit Hilfe von Werbemethoden wie den "Stürmerkästen", eine Auflage von 486.000 Stück (1936/37), bei Sondernummern sogar bis zu zwei Millionen. Ziel und Inhalt der Zeitung war die Diffamierung der Juden in Hetzartikeln, sinnentstellenden Montagen und insbesondere in den antisemitischen Karikaturen von Philipp Rupprecht (NSDAP, 1900-1975). Als Privatorgan Streichers besaß Der Stürmer in der nationalsozialistischen Presselandschaft eine Sonderstellung.
Anfänge als Lokalblatt

Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946) gründete die Wochenzeitung Der Stürmer. Nürnberger Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit am 20. April 1923 in Nürnberg. Unmittelbarer Anlass waren Kämpfe innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Nürnberg. Der NS-Agitator brauchte eine eigene publizistische Plattform. Streicher hatte am 20. Oktober 1922 die erste NSDAP-Ortsgruppe in Nürnberg ins Leben gerufen, nachdem er sich zuvor Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945) unterstellt hatte.
Zunächst wurde Der Stürmer im völkischen Verlag Wilhelm Härdel verlegt, ab 1935 übernahm diese Rolle Streichers eigener Verlag Der Stürmer. Das Blatt war ursprünglich als allgemeinpolitisches Lokalblatt mit einer anfänglichen Auflage von 2.000 bis 3.000 Exemplaren konzipiert. Streicher nutzte das Organ auch in der jahrelang dauernden politischen Auseinandersetzung mit Nürnbergs liberalem Oberbürgermeister Hermann Luppe (DDP, 1874-1945). Zunehmend trat aber die antisemitische Hetze in den Vordergrund bis sie nahezu alleiniger Gegenstand des gesamten Blattes war.
Kampf gegen "Alljuda"
Nachdem das Blatt seinen lokalpolitischen Anfängen entwachsen war, wurde der Untertitel 1932 in "Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit" abgewandelt. Die zentralen Begriffe des Untertitels verdeutlichen die Ziele: "deutsch", "Kampf", "Wahrheit". Der Stürmer forderte zum Kampf gegen den Feind "Alljuda" auf und war selbst Teil dieses Kampfes. Das Wort "deutsch" beschwor die völkische Einheit, grenzte das Blatt gegen das "Undeutsche", "Gemeinschaftsfremde" ab. Die "Wahrheit" sollte sich assoziativ einstellen.

Schon in den zwanziger Jahren ließen allein die Überschriften keinen Zweifel an der Ausrichtung des Blattes: "Ritualmord? Wer ist der Kinderschlächter von Breslau?" (Nr. 28, 1926); "Marxistisch-jüdischer Saustall aufgedeckt" (Nr. 36, 1926); "Der Bluthund. Furchtbare Bluttaten jüdischer Mordorganisationen. Das geschächtete Polenmädchen" (Nr. 39, 1926); "Der Judensaustall" (Nr. 49, 1929).
Sex, Crime und Antisemitismus – Der Stürmer als erfolgreiche Bouelvardzeitung
Der Stürmer verbreitete übelste, rassistisch begründete Diffamierungsparolen gegen den "Weltfeind Alljuda", der an allem schuld sei. Dabei knüpfte er an den Antisemitismus des Kaiserreichs an und griff alte Stereotype aus dem Mittelalter auf, etwa dass Juden so genannte Ritualmorde begingen, d.h. kleine Kinder entführen und opfern würden.
Streichers Stürmer verbreitete seinen Antisemitismus mit fanatischer Wut und zugleich brutaler Primitivität. Erfundene Geschichten und Denunziationen über angebliche Vergewaltigungen, Ritualmorde, Berichte über die "Verschwörung des internationalen Finanzjudentums" und das "jüdisch-bolschewistische Verschwörertum" sowie über "Rassenschande" zwischen (alten) jüdischen Männern und (jungen) "arischen" Frauen schürten den Hass. Dazu kamen manipulierte Darstellungen über die angeblichen Zustände in Synagogen und in jüdischen Altersheimen. Vorurteile und Neid bestimmten die Beiträge. Die Juden wurden als das Böse schlechthin verteufelt.
Mit seiner populistischen Grundausrichtung, einer bewusst einfach gehaltenen Sprache und dem Gebrauch zahlreicher Illustrationen etablierte Der Stürmer eine neuartige Form des antisemitischen Boulevards. Neben den allgegenwärtigen Diffamierungen von Juden setzte Der Stürmer erfolgreich auf pornographische Darstellungen und sensationsorientierte Nachrichten.

Großen Anteil an der Schaffung des Stürmers als wiedererkennungsstarken Marke hatte der ab 1925 für die Zeitung arbeitende Karikaturist Philipp Rupprecht (NSDAP, 1900-1975) mit seinen Zeichnungen. Unter dem Pseudonym "Fips" schuf er Woche für Woche mit seinen Karikaturen den Typus des geldgierigen, meist unrasierten "Stürmer-Juden" mit langer, gebogener Nase, hervorstehenden Augen, krummen Beinen und Plattfüßen. "Fips" trug mit seinen zur Fratze entstellten Figuren zur Verfestigung antisemitischer Vorurteile bei.
Charakteristisch war die Interaktion der Redaktion des Stürmers mit seiner Leserschaft: In seiner Rubrik 'Lieber Stürmer' sowie mittels den im ganzen Reich errichteten Stürmer-Kästen wurden Leser aus allen gesellschaftlichen Schichten in den Zeitungsbetrieb eingebunden, die aktiv Denunziation und Hetze gegen ihre Mitbürger betrieben.
Streicher feierte die sich verschärfende antisemitische Politik des NS-Regimes und forderte gleichzeitig immer offener die physische Vernichtung der Juden. Seit Kriegsbeginn intensivierte Der Stürmer die Hasspropaganda gegen das "plutokratisch-bolschewistische Weltjudentum". Je nach Kriegsverlauf wurden verschiedene gegnerische Staaten als "Judenknechte" oder "verjudet" angegriffen.
Weitere stereotype Feindbilder des Stürmers waren "Jesuiten", "Bolschewisten", "Freimaurer" und "Neger". Auch die Kirchen gerieten als vom jüdischen Gedankengut beeinflusste Institutionen ins Visier der Zeitung.
Millionenfache Verbreitung
In den 22 Jahren seines Erscheinens entwickelte sich Der Stürmer rasch zu einem Organ, das wie kein zweites Blatt das NS-Bild von "dem Juden" bestimmte.
Er war eine der bekanntesten Zeitungen im 'Dritten Reich' und ragte durch seine Sonderstellung in der gleichgeschalten Presselandschaft heraus. Der Stürmer verbreitete seine Hetze nach 1933 in großen Auflagen und auf unterschiedlichen Betriebswegen in ganz Deutschland. Nach den Anfangsjahren mit einigen tausend Exemplaren stieg die Auflage 1933 erstmals auf 10.000. Danach ging es rasant aufwärts. Seinen Höchststand erreichte Der Stürmer 1936/37 mit 486.000 Exemplaren. Selbst im Krieg wurden noch bis zu 300.000 Stück gedruckt. Bis Ende der 1930er Jahre hatte sich der Stürmer-Verlag zu einem Großunternehmen entwickelt, das mehrere hunderte Mitarbeiter beschäftigte und Zweigstellen in verschiedenen europäischen Großstädten unterhielt.
Der Internationale Militärgerichtshof stellte später fest, dass die tatsächlichen Auflagen noch höher waren als die offiziell im Impressum angegebenen. Zwischen 1935 und 1939 muss man wöchentlich von 700.000 Exemplaren ausgehen. Einzelne Sondernummern zu den Reichsparteitagen wurden mindestens zwei Millionen Mal gedruckt.
Verbreitung in Betrieben und in "Stürmer-Kästen"

Der Stürmer wurde als propagandistisches Instrument gegen "Alljuda" nicht nur auf den üblichen Wegen vertrieben. Streicher schloss nach 1933 mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ein Abkommen. Danach mussten die meisten Betriebe entsprechend ihrer Belegschaft das Hetzblatt abnehmen. Außerdem war Der Stürmer in vielen, auch kleinen Orten an zentralen Stellen durch Aushang in "Stürmer-Kästen" zu lesen. Um die Zeitungsfenster herum prangten Parolen wie "Wer den Juden kennt, kennt den Teufel" oder "Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter", die auch im Stürmer auf jeder Seite zu finden waren.
| Entstehungszeitpunkt | Gelb: vor 1933, Rot:1933, Türkis:1934, Blau:1935; Pink:1936; Orange:1937; Grün:1938; Lila:1939 | ||||
| Aufsteller | Kreis: Ohne Angabe und Privat | Dreieck: Partei | Quadrat: Behörde | Oktogon: Firma | Kreis im Quadrat: Militär |
Angaben nach Melanie Wager, Der Stürmer.
Der Stürmer machte Streicher reich
Der Stürmer war nie eine Parteizeitung und durfte daher auch nicht das Zeichen der NSDAP, das Hakenkreuz führen. Er blieb bis zuletzt im Privatbesitz von Julius Streicher. Allein die Einkünfte daraus machten den Frankenführer zum mehrfachen Millionär.
Streicher arbeitete persönlich in der Redaktion mit und prüfte jedes Manuskript vor der Drucklegung. Chefredakteure der Zeitung waren 1924/25 Fritz Hülf(1899-1972), 1925-1938 Karl Holz (NSDAP, 1895-1945), seitdem Ernst Hiemer (NSDAP, 1900-1974) sowie kurzfristig 1941/42 Erwin Jellinek.
Kritik am Stürmer
Seit seiner Gründung hatte Der Stürmer eine Vielzahl von Gegnern aus verschiedensten Lagern: parteiinterne Widersacher Streichers, jüdische Organisationen oder demokratische Parteien. Trotz zahlreicher Klagen und eines zeitweiligen Verbots 1931 gelang unter den demokratischen Vorzeichen der Weimarer Republik kein dauerhafter Erfolg gegen das Hetzblatt.
Zwar kam es auch nach der Machtergreifung 1933 immer wieder durch Justiz, Partei und Staat zu Beschwerden gegen den Stürmer, der in seiner vulgären Berichterstattung nicht vor hohen Staatsbediensteten oder Parteifunktionären zurückschreckte und Bemühungen unterlief, das nationalsozialistische Deutschland als angeblichen friedlichen Rechtstaat darzustellen. Forderungen nach Mäßigung oder einem Verbot des Stürmers scheiterten letztlich an der Protektion Adolf Hitlers, der ihn als erfolgreiches antisemitisches Medium schätzte. Daneben konnte Der Stürmer auf die Unterstützung weiter Kreise der NSDAP zählen, die Streichers antisemitische Hetze grundsätzlich begrüßte.
Die letzte Ausgabe des Stürmers erschien am 2. Februar 1945. 1958 wurde der Stürmer-Verlag im Handelsregister gelöscht.
Juristische Aufarbeitung
Der Internationale Militärgerichtshof verurteilte in den "Nürnberger Prozessen" Julius Streicher, der auch während des Prozesses seinen Antisemitismus zur Schau trug, wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zum Tode. Hauptvorwurf war die Herausgabe des Stürmers, weshalb man Streicher als einen entscheidenden Wegbereiter des Holocaust ansah. Das Urteil wurde am 16. Oktober 1946 durch Erhängen vollstreckt.
Rupprecht wurde nach dem Krieg verhaftet und dreieinhalb Jahre interniert. Die Berufungskammer für Oberbayern bestätigte 1949 ein Urteil der Spruchkammer Ebersberg von 1947, wonach Rupprecht als Hauptschuldiger einzustufen sei. Er wurde zu insgesamt zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Am 23. Oktober 1950 wurde er jedoch aus dem Arbeits- und Festhaltelager Eichstätt entlassen. Danach lebte er als Kunstmaler und Dekorateur in Starnberg und München.
Literatur
- Nira Feldmann, Motive des "Stürmer". Anatomie einer Zeitung, Diss.masch. Wien 1966.
- Hermann Forschauer/Renate Geyer, Quellen des Hasses - Aus dem Archiv des "Stürmer" 1933-1945. Eine Ausstellung des Stadtarchivs Nürnberg, Oktober 1988-Februar 1989, Nürnberg 1988.
- Hermann Hanschel, Oberbürgermeister Hermann Luppe. Nürnberger Kommunalpolitik in der Weimarer Republik (Nürnberger Forschungen 21), Nürnberg 1977
- Ralph Bernard Keysers (Hg.), Der Stürmer: instrument de l'idéologie nazie: une analyse des caricatures d'intoxication, Paris 2012.
- Arnd Müller, Geschichte der Juden in Nürnberg 1146-1945 (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 12), Nürnberg 1968.
- Daniel Roos, Julius Streicher und "Der Stürmer" 1923-1945, Paderborn 2014.
- Manfred Rühl, Der Stürmer und sein Herausgeber. Versuch einer publizistischen Analyse, Dipl.masch. Nürnberg 1960.
- Dennis E. Showalter, Little man, what now? Der Stürmer in the Weimar Republic, Hamden 1982.
- Melanie Wager, "Der Stürmer" und seine Leser. Ein analoges antisemitisches Netzwerk. Zur Geschichte und Propagandawirkung eines nationalsozialistischen Mediums, Berlin 2024.
Quellen
- Stürmer-Archiv, eine Sammlung von Unterlagen und Bildmaterial, adressiert an die Stürmer-Redaktion, befindet sich im Stadtarchiv Nürnberg, Bestandssplitter u. a. im Staatsarchiv Nürnberg. Siehe Arnd Müller, Das Stürmer-Archiv im Stadtarchiv Nürnberg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 32 (1984), 326-329.
- Stürmer-Bibliothek: Sammlung jüdischer Literatur, aus Arisierungen, nach 1945 teilweise an die Stadtbibliothek Nürnberg. Quelle für die Arbeit der Stürmer-Redaktion.
- Fred Hahn/Günther Wagenlehner, Lieber Stürmer. Leserbriefe an das NS-Kampfblatt 1924 bis 1945. Eine Dokumentation aus dem Leo-Baeck-Institut, Stuttgart 1978.
- Der Stürmer. Nürnberger Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit, Nürnberg 1923-1945.
- Die Redaktionskartei "Der Stürmer", 1934-1943, hg. v. Institut für Zeitgeschichte in Zusammenarbeit mit der Stadtbibliothek Nürnberg, bearb. v. Sibylle Claus, München/Nürnberg 1984.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
Empfohlene Zitierweise
Siegfried Zelnhefer, Der Stürmer. Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit, publiziert am 05.09.2008 (Aktualisierte Version 21.07.2025); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Der_Stürmer._Deutsches_Wochenblatt_zum_Kampfe_um_die_Wahrheit> (5.12.2025)