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Grundherrschaft in Altbayern

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Auszug aus dem ältesten erhaltenen bayerischen Herzogsurbar (um 1231/34) zum Amt Landshut, Schergenamt Garching bei München ("Geirchingen"). (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Außeres Archiv 4734, fol. 14v; lizensiert durch CC BY-NC-ND 4.0 via bavarikon)

von Emma Mages

Der Begriff Grundherrschaft bezeichnet seit dem 15. Jahrhundert die in Altbayern dominierenden bäuerlichen Besitzverhältnisse, insbesondere die rechtliche Beziehung zwischen einem Herrn (Grundherr) und einem Abhängigen (Grundholde, Hintersasse), der ein bäuerliches Anwesen bewirtschaftete. Bei der Grundherrschaft handelte es sich um "geteiltes Eigentum": Beide Seiten, Grundherr wie Grundholde, besaßen eigentumsartige Rechte. Der Grundherr hatte das Obereigentum (dominium directum) und ursprünglich eine Schutzfunktion. Der Grundholde hatte das Nutzeigentum (dominium utile) und war dazu verpflichtet, Abgaben und Dienste zu leisten. Die Grundherrschaft bildete den Rahmen für Organisation und Struktur der Landwirtschaft in Altbayern. Über 90 Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens war grundherrschaftlich gebunden und blieb es bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Nur ein kleiner Teil galt als freieigener Besitz (auch als selbsteigen oder ludeigen bezeichnet). Die Grundherrschaft wurde im Zuge der sog. Bauernbefreiung bis 1848 aufgehoben.

Vorgeschichte

Die Grundherrschaft geht zurück auf die seit dem Frühmittelalter überlieferte hierarchisch-herrschaftliche Gesellschaftsordnung. Die Angehörigen der adeligen Oberschicht gelangten über die Ausübung diverser Herrschaftsrechte in Besitz ausgedehnter Ländereien. Über Schenkungen und Stiftungen vermachten sie Kirchen und Klöstern weit gestreute Besitzungen. Im Hochmittelalter wurde die Bewirtschaftung der Ländereien von Herrenhöfen (Fronhöfe mit Villikationen) aus organisiert. Mit der zunehmenden Besiedlung des Landes gewann die Landleihe immer mehr an Bedeutung; Felder und Wiesen, Waldgründe, die zum Teil erst urbar zu machen waren, wurden zur Bewirtschaftung an Personen freien oder unfreien Standes ausgegeben. Der Abgaben-, Dienst- und Treuepflicht der Bewirtschafter stand die Schutzverpflichtung des Herrn gegenüber. Die abhängigen Bauern unterstanden der Haus- und Hofherrschaft des Herrn. Adelige und kirchliche Herrschaftsträger waren nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht dominant, sie übten auch Verwaltungs- und Gerichtsrechte aus. Soweit es sich nicht um unmittelbar landesherrliche Hintersassen handelte, erwuchsen aus diesem Rechtsgeflecht die Hofmarken des Adels und der Geistlichkeit. Landesherrliche Grunduntertanen wurden seit dem 13. Jahrhundert den Kastenämtern und hinsichtlich Verwaltung und Gerichtsbarkeit den Pfleggerichten unterstellt.

Grundherrschaft begegnet in vielgestaltigen Ausprägungen. Grundherren konnten Landesherren (Könige, Fürsten), Adelige, Städte, Spitäler, Bürger oder aus der Geistlichkeit Bischöfe, Domkapitel, Klöster, Stifte, Pfarreien, Kirchen, Stiftungen, Benefizien und Bruderschaften sein. Naturalabgaben, vor allem Getreide (Gült, Gilt), wurden seit dem Spätmittelalter mehr und mehr in Geldabgaben umgewandelt. Diverse Scharwerksdienste (Instandhaltung der örtlichen Infrastruktur, Mitarbeit bei Baumaßnahmen u.a.) blieben häufig bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestehen.

Formen der Grundleihe

Seite aus der für das gesamte Kurfürstentum Bayern erstellten Güterkonskription von 1752, hier für die Hofmark Gitting (seit 1978 Gde. Langquaid) im Pfleggericht Kelheim. Darin wurden für alle Untertanen die grundherrschaftlichen Verhältnisse, die Größe ihrer Anwesen und die fälligen Abgaben erfasst. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern Hofkammer, Hofanlagsbuchhaltung 186)

Freistift: Ursprünglich Herrengunst oder Herrengnad genannt, mit beliebiger Leihefrist; war im Hochmittelalter die häufigste Leiheform. Der Grundherr hatte jährlich die Möglichkeit, das Leiheverhältnis zu beenden. In der Regel bestand jedoch ein großes Interesse des Grundherrn am Verbleib des Bewirtschafters, so dass sich Freistift seit dem 13. Jahrhundert in der Realität dem Leibrecht und dem Erbrecht annäherte.

Neustift: Eine Erneuerung des Leiherechts war beim Tod des Herrn erforderlich. Zu Lebzeiten des Grundherrn war das Recht auf Seiten des Grundholden erblich. Diese Sonderform spielte bei den zu Pfarrpfründen gehörenden Bauerngütern eine Rolle. Bei Neubesetzung einer Pfarrei konnte der Pfarrer seinen Widenmann oder Widmann (Bauer auf einem Pfarrgut) mitbringen und als Bewirtschafter des zur Pfarrpfründe gehörigen Widums (Kirchengut) einsetzen.

Leibrecht oder Leibgeding: Grundleihe auf Lebenszeit des Bauern oder ausdrücklich benannter Personen wie der Bäuerin oder eines Kindes. Das Leiheverhältnis konnte in der Regel schon zu Lebzeiten des Bauern mit den voraussichtlichen Erben neu begründet werden.

Erbrecht: Allgemein die günstigste Leiheform, die über Generationen den Verbleib eines Hofes in der Familie sicherte. Die jährlichen Abgaben waren in der Regel langfristig festgeschrieben, was auf längere Sicht wirtschaftliche Vorteile brachte. Andererseits hatte der Grundholde auch das Ernterisiko zu tragen und musste den Grundherrn bei Missernten oder anderen Katastrophen (Brände, Kriegsschäden, Überschwemmung) um Ermäßigung der Abgaben bitten. Die rechtliche Besserstellung durch Erbrecht motivierte manchen Bauern, bei Rodungen und Kolonisationsprojekten mitzumachen oder eine geplante Abwanderung in die Stadt zu unterlassen.

Beutellehen: Bäuerliche Lehen, die in befristetem Grundleiheverhältnis ausgegeben wurden. Sie wurden sowohl bei Tod des Herrn (Herrnfall) als auch bei Tod des Leheninhabers (Mannfall) erneuert.

Inwärtseigen: Eigengüter von Dienstleuten, die frei von Abgaben und Diensten waren, jedoch nur innerhalb eines grundherrschaftlichen Verbandes verkauft werden konnten.

Daneben gab es regionale Bezeichnungen oder Formen der Grundleihe, so etwa das Kaufrecht in der Gegend östlich von Amberg (z.B. Pflegamt Freudenberg): Der Inhaber eines kaufrechtigen Anwesens hatte das Recht, seinen Hof zu vererben oder zu verkaufen. Das Kaufrecht entspricht damit weitgehend dem Erbrecht. Im Tegernseer Gebiet und in Teilen des Herzogtums Bayern-Landshut (heutiges Oberbayern; Innviertel) gab es im Spätmittelalter fließende Übergänge zwischen der Terminologie des Lehenswesens und den Grundleihevarianten. Die günstigeren Leiherechte herrschten im Osten, die weniger günstigen eher im Westen Altbayerns vor.

Besitzwechselabgaben

Bei Besitzwechsel hatte der neue Grunduntertan eine Abgabe an den Grundherrn zu leisten, Handlohn oder Handlang (laudemium) genannt. In den grundherrschaftlichen Quellen ist der Handlohn, soweit verzeichnet, ein eindeutiges Kennzeichen von Grundherrschaft. Es gibt jedoch auch viele Güter, die vom Handlohn befreit waren. Dann weisen Scharwerk, Gült und/oder Geldzins zu bestimmten Fristen (an Michaeli, Walburgis u.a.) oder die Abgabe eines Fastnachthuhns auf eine grundherrschaftliche Verbindung hin. Beim Tod eines Grundholden, insbesondere eines Leibeigenen, hatte der Grundherr Anspruch auf das Besthaupt (mortuarium), also auf das beste Stück Vieh aus dem Nachlass des Grundholden. Auf althergebrachte Varianten der Grundherrschaft verweisen noch im frühen 19. Jahrhundert gängige Bezeichnungen von Anwesen als Roßfrohnhof, Kriegsfrohnhof, Wegfrohnhof in Orten des ehemals Brandenburg-Bayreuthischen Amtes Neustadt am Kulm.

Aufhebung der Grundherrschaft bis 1848

Die Rechtsstellung der landesherrlichen Grunduntertanen besserte sich schon im Spätmittelalter. Dies zeigt etwa die große Aktion Herzog Heinrichs des Reichen (reg. 1393-1450) um 1420, die den Kastenamtsbauern des Herzogtums Bayern-Landshut die Möglichkeit bot, das Erbrecht als bestes Besitzrecht zu kaufen. Auch andere große Grundherrschaften hatten Interesse am Verkauf von Erbrechten, da sie auf diesem Weg erhebliche Einnahmen erzielen konnten. Erst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gab es Bemühungen, freies bäuerliches Eigentum zu fördern. Durch kurfürstliches Mandat von 3. Mai 1779 wurden die ungünstigen Leiheformen wie Freistift oder Leibgeding bei landesherrlichen Urbarsbauern in Erbrecht umgewandelt. Damit verbunden war eine Fixierung der unregelmäßigen Besitzwechselabgaben auf regelmäßige Geldzahlungen, die zu bestimmten Fristen entrichtet werden konnten; insofern befanden sich die Anwesen in der sogenannten Maierschaftsfrist.

Die neuen rechtlichen Bedingungen wurden verbrieft und in den Maierschaftsprotokollen festgehalten. Diese Maßnahme sollte beispielgebend Grunduntertanen vor Willkür der Grundherren schützen, wurde in der Ausführung aber sogar von kurfürstlichen Beamten vielfach behindert (so Schmeller, Bayerisches Wörterbuch I, Sp. 1553). In den Jahren 1802 und 1803 kam es zu wichtigen Neuregelungen der Grundherrschaft. Der "lästige Feudalnexus" der kurfürstlichen Beutellehen wurde von höchster Stelle durch Verordnung vom 5. Juli 1802 aufgehoben; alle Beutellehen wurden in Eigengut umgewandelt.

"Gesetz über die Aufhebung der standes- und gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, dann die Aufhebung, Fixirung und Ablösung von Grundlasten vom 4. Juni 1848", Abb. aus: Ludwig Joseph Gerstner, Systematische Entwicklung des Gesetzes vom 4. Juni 1848, Bd. 1, Ansbach 1850, 131. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 992-1)

Einen großen Einschnitt brachte die Säkularisation 1803 mit der Aufhebung der Klöster und der Verstaatlichung von Kirchengut. Damit wurden die meisten geistlichen Grundherrschaften aufgelöst, die Anwesen den neu geschaffenen Rentämtern unterstellt oder als freieigene Güter verkauft. Von diesem Wandel waren etwa die Hälfte aller Grunduntertanen betroffen. Die Möglichkeit, das grundherrliche Obereigentum ständischer Klöster abzulösen und mit dem Nutzeigentum zu konsolidieren (vereinigen), wurde wegen der hohen Ablösebeträge (600 fl. für 1 Hof) nur wenig genutzt. 1825 waren erst 15 Prozent aller Bauernstellen in freieigenem Besitz.

„Bauernbefreiung“ 1848

Erst im Zuge der "Bauernbefreiung" wurde die Grundherrschaft in Altbayern aufgehoben. Die Ablösungsgesetze von 1848 brachten die entschädigungslose Abschaffung aller Naturalfrondienste, des Mortuariums (des Besthaupts) und des größten Teils der Zehnten. Weiter bestehende Abgaben auf Grund und Boden wurden fixiert und eine Ablösung in Aussicht gestellt, so dass der Weg zum freien bäuerlichen Grundbesitz bereitet war. Die mit staatlicher Unterstützung durchgeführte Grundlastenablösung begünstigte die agrarische Bevölkerung, während den Grundherren althergebrachte Einkünfte wegbrachen. Zugleich ging auch die Schutzfunktion der grundherrschaftlichen Güterbindung verloren. Güterzertrümmerungen bewirkten eine gewisse Destabilisierung in den Besitzverhältnissen und begünstigten im Zuge der aufkommenden Industrialisierung gesellschaftliche Umwälzungen (Abwanderung in Städte, Auswanderung).

Forschungs- und Quellenlage

Grundherrschaft in allen möglichen Formen und vielfältigen örtlichen Besonderheiten ist in großer Fülle in Güter- und Einkünfteverzeichnissen, Urbaren, Salbüchern der Kastenämter, Pflegämter und Gerichte, der Hofmarken, der Klöster und anderer Herrschaftsträger in staatlichen und nichtstaatlichen Archiven überliefert. Viele wichtige grundherrschaftliche Quellen wurden wissenschaftlich ediert, so z.B. das älteste bayerische Klosterurbar, der St. Emmeramer Rotulus von 1031, oder das grundlegende älteste bayerische Herzogsurbar von um 1231/34. Für Altbayern steht eine bald flächendeckende detaillierte Beschreibung der Grund- und Gerichtsherrschaft im Rahmen des Großprojekts Historischer Atlas von Bayern zur Verfügung. Dabei steht die Ermittlung der Grundherrschaftsverhältnisse um Mitte des 18. Jahrhunderts auf Basis der Konskriptionen von 1752 und der Hofanlagsbücher von 1760 und später im Mittelpunkt bzw. alternative Quellen bis zum Häuser- und Rustikalsteuerkataster aus dem frühen 19. Jahrhundert, wenn Konskriptionen und Hofanlagen fehlen. Darüber hinaus werden in den Atlasbänden vielfach grundherrschaftliche Daten vom Hochmittelalter bis Anfang des 19. Jahrhunderts erfasst.

Literatur

  • Matthias Bader, Das Lehenswesen Herzog Heinrichs XVI. des Reichen von Bayern-Landshut. Eine schriftgutkundliche Studie zur Herrschafts- und Verwaltungspraxis eines Territorialfürstentums in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 30), München 2013, 214-228.
  • Michael Henker (Hg.), Bauern in Bayern. Von der Römerzeit bis zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung im Herzogschloß Straubing, 5. Mai bis 1. November 1992 (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 23), München 1992.
  • Reinhard Heydenreuter u.a., Vom Abbrändler zum Zentgraf. Wörterbuch zur Landesgeschichte und Heimatforschung in Bayern, München 2009, 3. Aufl. 2010.
  • Heinz Lieberich: Rechtsformen des bäuerlichen Besitzes in Altbayern, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Oberbayern 6 (1947), 2. Aufl., 159-176.
  • Adolf Sandberger/Pankraz Fried, Ländliche Bevölkerung und Grundherrschaft, in: Andreas Kraus (Hg.)/Max Spindler (Begr.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 2. Band: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 2. Aufl. 1988, 736-744.
  • Wilhelm Volkert, Grundherrschaft, in: Kleines Lexikon des Mittelalters. Von Adel bis Zunft, München, 4. Aufl. 2004, 93-99.
  • Wilhelm Volkert, Die Innenpolitik zwischen 1848 und 1864, in: Max Spindler (Begr.)/Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Vierter Band: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Erster Teilband: Staat und Politik, München 2003, 235-272 (v.a. 251, 262).
  • Wilhelm Volkert, Staat und Gesellschaft. Erster Teil: bis 1500, in: Andreas Kraus (Hg.)/Max Spindler (Begr.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 2. Band: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 2. Aufl. 1988, 536-624.

Quellen

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Emma Mages, Grundherrschaft in Altbayern, publiziert am 31.10.2025, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Grundherrschaft_in_Altbayern> (5.12.2025)