Alzenau/Wilmundsheim, Freigericht
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Genossenschaftlich verfasstes Gericht zwischen Main und Kinzig. Ab Ende des 14. Jahrhunderts bemühten sich das Kurfürstentum Mainz und die Grafschaft Hanau um landesherrliche Rechte. Mainz errichtete die Burg Alzenau (1395-1399) und baute das Dorf Wilmundsheim zu einem urbanen Zentrum aus, auf das später der Name der Burg Alzenau überging. 1500 verlieh König Maximilian I. (reg. 1486-1519, als Kaiser ab 1508) das Freigericht an den Mainzer Kurfürsten und den Grafen von Hanau, die es von da an gemeinsam verwalteten. Die ursprüngliche Verfassung wurde weitgehend aufgelöst. Widerstand vonseiten der Adeligen im Zuge der Sickinger Fehde (1522/23) blieb erfolglos. Nach dem Aussterben der Grafen von Hanau (1736) teilten Kurmainz und Hessen-Kassel das Gericht auf. Wegen des Mainzer Einflusses blieben die Pfarreien weitgehend katholisch.
Lage und Ursprung
Das Freigericht umfasste einen langgestreckten Gebietsstreifen im nordwestlichen Spessartvorland zwischen dem Main und der Kinzig. Das mittelalterliche Freigericht Alzenau bestand aus den Zentgerichten Wilmundsheim (dem späteren Alzenau), Hörstein, Mömbris (alle Lkr. Aschaffenburg) und Somborn (Main-Kinzig-Kreis, Hessen). Im Jahr 1309 wurden die Gerichte zur Hart, zu Wilmundsheim und Somborn erstmals urkundlich erwähnt. Wie daraus genau die späteren Zentbezirke entstanden, ist aufgrund wechselhafter Benennungen bis heute unklar. Die Gerichte waren durch eine gemeinsame Weide (Allmende) eng aneinander gebunden.
Mangels zeitgenössischer Quellen lässt sich keine Klarheit über den Ursprung des Freigerichts gewinnen. Eine seit vielen Jahrhunderten überlieferte Sage bringt die Entstehung des Freigerichts in Zusammenhang mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa (reg. 1152-1190, als Kaiser ab 1155). Er sei während eines Zugs auf der Birkenhainerstraße in der Nähe von Rodenbach (Main-Kinzig-Kreis, Hessen) überfallen und von den Bauern der umliegenden Dörfer gerettet worden. Als Zeichen des Dankes habe ihnen der Kaiser die Freiheit des Landes gewährt und nur eine symbolische jährliche Abgabe gefordert. Josef Fächer vermutet, dass das Freigericht durch einen staufischen Rodungsvorgang entstand. Die Bezeichnung "Freigericht" bringt die Unabhängigkeit von umliegenden Fürsten zum Ausdruck und damit - indirekt - den unmittelbaren Bezug zum König und zum Reich.
Verfassung im Spätmittelalter
An der Spitze des Freigerichts stand ein Landrichter aus dem landsässigen Adel, der rückblickend im 18. Jahrhundert sogar als "Landesherr" bezeichnet wurde. Die adligen und nichtadligen Grundbesitzer wählten ihn auf ihrer Versammlung, dem Märkerding. Für die Annahme der älteren Forschung, dass die Wahl jährlich stattgefunden habe, fehlen zeitgenössische Belege, wie neuere Forschungen zeigen. Die Dingversammlung fand dreimal jährlich auf dem Pfarrkirchhof in Alzenau statt; die Leibeigenen waren davon ausgeschlossen. Die Versammlung entschied über alle inneren und äußeren Gerichtsangelegenheiten, zudem in Sachen der gemeinsamen Weide sowie des Forstes. Der Landrichter bezog von den Gerichtsuntertanen den sog. Schirmhafer.
In den einzelnen Gerichten übten die jährlich gewählten Zentgrafen unter Beisitz von Schöffen nach dem Inhalt von überlieferten Rechtssätzen, sog. Weistümern, die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit aus.
Im Spätmittalter waren etwa 20 Adelsfamilien im Freigericht begütert. Größter Grundbesitzer war der Abt des Benediktinerklosters Seligenstadt (Lkr. Offenbach, Hessen), der auch als sog. Obermärker fungierte. Er übte eine Art Oberaufsicht über die Verwaltung des Freigerichts aus. Der Abtei war seit 1260 auch die vermutlich im 9. Jahrhundert gegründete Pfarrei Alzenau inkorporiert. Versuche der Herren von Rannenberg, das Landrichteramt erblich zu machen, scheiterten. Das Freigericht wahrte seine Reichsunmittelbarkeit bis zum Jahre 1500.
Die Bewohner des Freigerichts waren im Wesentlichen Ackerbauern; in Hörstein spielte der Weinbau eine große Rolle. Die freien Bauern genossen Freizügigkeit und konnten ihren Besitz frei veräußern.
Das Kurfürstentum Mainz und die Grafschaft Hanau im Ringen um die Landesherrschaft
Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts bemühten sich das Kurfürstentum Mainz und die Grafen von Hanau um die Landesherrschaft im Freigericht. Kurmainz erbaute von 1395 bis 1399 die Burg Alzenau, die heute noch in wesentlichen Teilen erhalten ist. Später ging der Burgname auf den Ortsnamen über. Im Jahr 1401 erlaubte König Ruprecht von der Pfalz (reg. 1400-1410) dem Mainzer Kurfürsten Johann von Nassau (reg. 1397-1419), sein Dorf Wilmundsheim zur Stadt auszubauen. Der Ort blieb allerdings ein offener Marktflecken. In den folgenden Jahrzehnten wandten die Mainzer Kurfürsten ihr Interesse stärker dem Amt Steinheim (Stadt Hanau, Main-Kinzig-Kreis, Hessen) zu, das sie im Jahre 1425 von den Grafen von Eppstein erworben hatten.
Das Ende der Reichsfreiheit
1487 sicherte König Maximilian I. (reg. 1486-1519, als Kaiser ab 1508) dem Kurfürsten von Mainz und dem Grafen von Hanau zu, dass ohne ihre Zustimmung im Freigericht kein Landrichter gewählt werden durfte. Im Jahr 1500 verlieh er das Freigericht als Lehen an den Mainzer Kurfürsten Berthold von Henneberg (reg. 1484-1504) und den Grafen Reinhart von Hanau (1473-1512). 1502 und 1503 ergriffen Kurmainz und Hanau vom Freigericht Besitz. Der letzte Landrichter, Balthasar Forstmeister von Gelnhausen (1473 bis ca. 1512), verzichtete 1505 auf sein Amt. Doch im landsässigen Adel regte sich Widerstand. Der Kurmainzer Marschall und Hofmeister Frowin von Hutten (gest. 1529), ein Vetter des Humanisten Ulrich von Hutten (1488-1523), versuchte im Auftrag des landsässigen Adels möglichst viel von den alten Freiheiten zu retten. Nach der Niederschlagung des von Franz von Sickingen (1481-1523) geführten Aufstandes der schwäbischen und rheinischen Reichsritterschaft (Sickinger Fehde, 1522/23) bestätigte Kaiser Karl V. im Jahre 1523 (reg. 1519-1556) die Belehnung.
Verfassung und Verwaltung in der Frühen Neuzeit
Nach dem Tod des Mainzer Hofmeisters Frowin von Hutten ordneten Kurmainz und Hanau die Verwaltung ihres Amtsprengels 1529 neu. In einer gemeinsam ausgestellten Urkunde (sog. landesherrliche Begnadigung) sicherten sie im gleichen Jahr die Beibehaltung des Namens "Freigericht" zu und befreiten die Bewohner von "Bede, Dinst und Atzung". Auf diese Zusage beriefen sich die Untertanen noch im späteren 16. Jahrhundert, konnten aber bei den beiden Regierungen keine Befreiung von den Frondiensten durchsetzen. Ansonsten stellt das Dokument einen Sieg der Landesherren dar. An der Spitze des Landamtes stand nun ein von beiden Herrschaften ernannter Amtmann, der seit 1576 von einem Landbereiter unterstützt wurde.
Das für das Freigericht zuständige mainzische Kellereiamt in Steinheim blieb von dem in Hanau getrennt. Kurmainz schuf für das Amt Alzenau 1729 eine eigene Kellerei.
Wegen des Kurmainzer Einflusses blieben die Pfarreien des Freigerichts im Zeitalter der Reformation im Wesentlichen katholisch. Das Freigericht zählte zu Beginn des 17. Jahrhunderts deutlich über 600 Haushalte (schätzungsweise etwa 3.000 Einwohner).
Teilung und Übergang an Mainz und Hessen-Kassel
Seit Mitte des 16. Jahrhunderts befand sich Kahl am Main im Alleinbesitz des Mainzer Kurfürstentums. Mömbris zog das Kurfürstentum nach dem Aussterben der Herren von Gondsroth (1597) und der Echter von Mespelbrunn (1665) zur Cent vorm Spessart. Beide Maßnahmen erregten den Widerspruch des Hanauer Grafenhauses.
Als die Grafen von Hanau 1736 ausstarben, teilten sich Kurmainz und Hessen-Kassel das Freigericht. Die Zentbezirke Alzenau und Hörstein sowie das Dorf Albstadt (Lkr. Aschaffenburg) kamen zu Kurmainz, die Pfarrei Somborn an Hessen-Kassel. Die damals vermarkte Grenze bildet bis heute die bayerisch-hessische Landesgrenze. Bei der Säkularisation des Jahres 1803 kamen die mainzischen Freigerichtsorte zunächst zum Fürstentum Hessen-Darmstadt und 1816 zum Königreich Bayern. Bei der hessischen Gebietsreform schlossen sich 1970 die fünf ehemaligen Freigerichtsgemeinden Somborn, Neuses, Horbach, Bernbach und Altenmittlau unter dem Gemeindenamen "Freigericht" (Lkr. Main-Kinzig-Kreis, Hessen) zusammen. Die bayerischen Freigerichtsorte Albstadt, Michelbach, Kälberau, Hörstein und Wasserlos gehören seit 1975 zur Stadt Alzenau.
Orte des Freigerichts
- Zentbezirk Somborn mit den Dörfern Somborn, Albstadt, Altenmittlau, Bernbach, Horbach, Neuses
- Zentbezirk Wilmundsheim-Alzenau mit den Dörfern Wilmundsheim (Alzenau), Hemsbach, Wasserlos, Kälberau, Michelbach
- Zentbezirk Hörstein mit den Dörfern Hörstein, Kahl und Großwelzheim.
- Zentbezirk Mömbris mit verschiedenen Weilern
Forschungs- und Quellenlage
Nestor der Forschungen über das Freigericht ist Johann Wilhelm Christian Steiner (1785-1870), der 1820 eine Geschichte des Gebietes veröffentlichte. Weitere Untersuchungen über Ursprung und Umfang sowie den rechtlichen Charakter folgten durch Heinrich Brückner. 1968 fasste Josef Fächer im Historischen Atlas den Forschungsstand auf der Basis weiterer Quellenstudien zusammen. Seit den frühen 1980er Jahren wurde die Verwaltung des frühneuzeitlichen Freigerichts intensiv erforscht. Auf der Quellengrundlage der Mainzer Dienerbücher sowie einschlägiger Akten des Mainzer Regierungsarchivs wurden seitdem unter anderem die Amtsträger genau bekannt. Nur in Ansätzen erforscht ist die Geschichte des Gebietes zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der Säkularisation.
Die archivalische Überlieferung vonseiten des Kurfürstentums Mainz bewahrt das Staatsarchiv Würzburg auf, jene der Grafschaft Hanau bzw. von Hessen-Kassel sowie des Klosters Seligenstadt liegt in den hessischen Staatsarchiven.
Dokumente
Literatur
- Alzenauer Stadtbuch. 600 Jahre Burg und Stadtrecht, 50 Jahre neues Stadtrecht. Beiträge zur Geschichte der Stadt Alzenau und ihrer Stadtteile Albstadt, Hörstein, Kälberau, Michelbach und Wasserlos, Alzenau 2001.
- Josef August Eichelsbacher, Beiträge zur Geschichte des Freigerichtes. Nach Akten dargestellt, Alzenau 1911.
- Christian Grebner, Die Amtmannen des Freigerichts Alzenau in Unterfranken von 1500-1631, Würzburg 1988, in: Unser Kahlgrund 26-34 (1981-1989).
- Christian Grebner, Die Verwaltung des Freigerichts in der frühen Neuzeit, in: Unser Kahlgrund 33 (1980), 41-48.
- Christian Grebner, Konfessionsstreitigkeiten im Freigericht Alzenau vor dem Dreißigjährigen Krieg, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 63 (2001), 591-594.
- Werner B. Kempf, Das Freigericht Wilmundsheim, in: Unser Kahlgrund 45 (1999), 18-26.
- Eckhard Meise, Hanau und das Freigericht. Ein Nachtrag, in: Neues Magazin für Hanauische Geschichte 1998, 54-62.
- Helmut Winter, 1309: Erster urkundlicher Hinweis auf das Freigericht vor 700 Jahren, in: Unser Kahlgrund 54 (2009) 25-31.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Empfohlene Zitierweise
Christian Grebner, Alzenau/Wilmundsheim, Freigericht, publiziert am 20.10.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Alzenau/Wilmundsheim,_Freigericht> (3.10.2024)