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Musik in Schwaben (Spätmittelalter)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Augsburger Choralhandschrift des Leonhard Wagner mit Kolophon (Schreibervermerk und Datierung). (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4304, fol. 84r)
Früher Notendruck: Das Missale Augustanum von Erhard Radolt 1491, hier verschiedene Gesänge (Incipits von Kyrie, Gloria, Credo und andere Akklamationen). (BSB 2 Inc.c.a. 2589, fol. 104)
Der Organist Paul Hofhaimer auf einem Wagen im Triumphzug Kaiser Maximilians. Holzschnitt von Hans Burgkmair (1473-1531). Der 1526 erstellte Holzschnitt wurde 1765 koloriert. (Universitätsbibliothek Graz, Sondersammlungen)
Mehrere Darstellungen im Triumphzug Kaiser Maximilians zeigen Musikensembles. (Universitätsbibliothek Graz, Sondersammlungen)
Beginn des Fundamentum organisandi des Conrad Paumann im Buxheimer Orgelbuch. (BSB Mus.ms. 3725, fol. 97)

von Johannes Hoyer

Wichtige Zentren des spätmittelalterlichen Musiklebens in Schwaben blieben wie auch in den Jahrhunderten zuvor die Klöster, in denen neben dem gregorianischen Choral auch mehrstimmige Musik gepflegt wurde. Daneben etablierte sich ein städtisches Musikleben, vor allem um die seit dem 14. Jahrhundert bezeugten Stadtpfeifer. Die Musikkultur des Adels ist mit Ausnahme der Minnesänger nur schwer greifbar. Im 15. Jahrhundert erreichten in Städten und Klöstern Orgelbau und -musik ihre erste Blüte. Augsburg entwickelte sich im ausgehenden 15. Jahrhundert zu einem wichtigen Druckort von Musikalien.

Tradition und neue Entwicklungen

Seit Gründung der ersten Klöster Schwabens im 8. Jahrhundert waren diese wesentliche Träger der Kultur und insbesondere der Musik in Theorie und Praxis. Städte bildeten erst im 13. Jahrhundert, vor allem nach Erringung des reichsstädtischen Status, Selbständigkeit und bürgerlich-patrizisches Selbstbewusstsein aus. Im Verbund mit wirtschaftlichem Aufstieg schlug sich dies u. a. in der Förderung von Musik als Mittel der Repräsentation nieder. Augsburg als Bischofs- und Reichsstadt nahm in dieser Entwicklung den wichtigsten Platz in Schwaben ein. Weniger Möglichkeiten für eine intensive Musikpraxis boten die verschiedenen kleinen Adelshöfe. Augsburg - zeitweilige Residenz Kaiser Maximilians I. (reg. 1486-1519, als Kaiser ab 1508) und seiner Hofkapelle um 1500 - wurde in diesem Zeitraum zu einem europäischen Musikzentrum.

Im klösterlichen Bereich stand die Pflege und Überlieferung der liturgischen Musik, des gregorianischen Chorals, im Zentrum der Musikausübung. Zunehmend von Bedeutung wurde in den Klöstern wie auch den großen Kirchen, z. B. am Augsburger Dom, die Orgel in der Liturgie und ab dem 15. Jahrhundert allgemein mehrstimmige Musik. Vor allem das 15. Jahrhundert zeigt einen einzigartigen Aufschwung der Orgelmusik und des Orgelbaus in Schwaben (Augsburg, Nördlingen, Ulm, Memmingen, Kempten) und süddeutschen Zentren wie Nürnberg und München. Schon im frühen 14. Jahrhundert sind freie, bald auch städtische Instrumentalisten nachweisbar: die Stadtpfeifer. Als höfische Ausdrucksform endete im frühen 15. Jahrhundert der Minnesang und wurde vom städtischen Bürgertum in den Meistergesang transformiert. Von überragender Bedeutung für das Musikleben Schwabens und Süddeutschlands war der langjährige Aufenthalt Maximilians I. und seiner Hofkapelle in Augsburg.

Klöster und Kirchen

Unter den benediktinischen Klöstern ragt St. Ulrich und Afra in Augsburg mit musiktheoretischen Schriften und Choralhandschriften im 13. und 14. Jahrhundert hervor: Bedeutend war das Skriptorium, besonders des späten 15. Jahrhunderts mit Leonhard Wagner (1453-1522) als herausragendem Kalligraph (z. B. Bayerische Staatsbibliothek [BSB] Clm 4304; Staats- und Stadtbibliothek Augsburg [SiStA] 2° Cod. Aug. 248). Im Augsburger Benediktinerkloster wirkte im frühen 16. Jahrhundert auch der Mönch, Humanist und Musiktheoretiker Veit Bild (1481-1529, Lehrbuch "Stella musicae" 1507/08).

Liturgische Spiele und Passionen sind nicht nur im Zusammenhang mit dem Augsburger Passionsspiel (BSB Cgm 4370), sondern auch mit einem erstmals Mehrstimmigkeit einbeziehenden Passionstraktat aus St. Mang in Füssen (um 1450; UB Augsburg Cod. II.2.2° 6) überliefert. Einfache liturgische Mehrstimmigkeit ist auch aus dem Kloster Ottobeuren (Kloster Ottobeuren O 4 von 1487) bekannt; neue Choralhandschriften entstanden dort im Zuge der Melker Reform (Kloster Ottobeuren O 2, Antiphonale von 1492; O 4, Prozessionale von 1487; O 6, Sequentiar, 15. Jahrhundert).

In der Kartause Buxheim (Lkr. Unterallgäu) wurde ab etwa 1500 die wichtigste Quelle spätmittelalterlicher Tastenmusik aufbewahrt, das Buxheimer Orgelbuch (BSB Mus.ms. 3725). Neben weiteren Klöstern wie Irsee, Kempten (Benediktiner), Roggenburg, Ursberg (Prämonstratenser), Wettenhausen (Augustiner-Chorherren) und Lindau (Damenstift) waren auch Hospitalorden wie der Hl. Geist-Orden und Antoniter-Orden Träger der Kirchenmusik (z. B. Memmingen, St. Martin). Neben St. Ulrich und Afra war vor allem der Dom in Augsburg kirchenmusikalisches Zentrum Schwabens (1439 erstmals Magister capellae belegt).

Städte

Bereits 1320 sind freie Spielleute in Augsburg verzeichnet. Musiker bzw. Ensembles wurden als Prestigeobjekte verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen gefördert, so in den großen Städten wie Augsburg (und Ulm), mittleren wie Nördlingen und kleineren wie Dinkelsbühl und Memmingen. Die Mindestbesetzung bestand aus Schalmeien, ergänzt durch Pommer und Posaunen. Die Zahl der ab dem ausgehenden 14. Jahrhundert festbesoldeten Stadtpfeifer/Geiger bewegte sich zwischen vier bis fünf (Augsburg, Ulm), drei (Nördlingen, Memmingen) und zwei (Dinkelsbühl), je nach Größe und Bedeutung der Städte. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts prägten Musikerfamilien wie die Schubinger über mehrere Generationen das Musikleben in Städten (Augsburg) und Höfen (Maximilian I., Ferrara). Die Augsburger Familien der Herwart, Fugger und Welser förderten ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zunehmend die Musik. Aufführungsstätten waren u. a. Tanzhäuser und Geschlechterstuben. Das herrschaftliche Privileg des Trompetenblasens gewährte Kaiser Sigismund (reg. im Reich 1411-1437, Kaiser ab 1433) für Augsburg und Ulm.

Neben der "Musica alta", den "lauten" Bläser-Ensembles (Schalmeien, Krummhörner, Pommern), spielte auch die "stille" Musik (Lauten, Streicher) eine zunehmende Rolle im 15. Jahrhundert, so z. B. in Augsburg (Lautentrio Conrad Paumanns [gest. 1473] von 1457), Ulm und Nördlingen.

Der Meistergesang entstand als bürgerliche Umformung des Minnesangs (Oswald von Wolkenstein [um 1377-1445], Augsburg 1427/28; Ulm 1430). Ab 1449 ist eine Singschule in Augsburg nachweisbar; wahrscheinlich gab es vor 1500 auch eine Meistersingergesellschaft (u. a. Fastnachts- und geistliche Spiele des Meistersingers Claus Spaun). Hinweise auf (Meister?-)Singschulen gibt es um 1500 auch in Ulm, Nördlingen und Donauwörth. Das umfangreiche Liedschaffen dokumentieren Quellen vor allem Augsburger Provenienz (BSB Cgm 379 1454ff., Augsburger Liederbuch mit Konkordanzen zum Lochamer Liederbuch; UB Heidelberg Cpg 314 1443-1447; UB Heidelberg Cpg 2392 um 1500; Liederbuch der Clara Hätzlerin [ca. 1430-ca. 1480] von 1471; Herwartsches Liederbuch 1499-1514, UB Augsburg 2° Cod. 142a).

Augsburg wurde im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts über Schwaben hinaus zu einem Druck- und Verlagszentrum, auch für den Musikaliendruck (Erhard Radolt 1491: Notentypendruck, Missale Augustanum). Johannes Froschauer (gest. 1520) stellte 1500 das früheste in Deutschland gedruckte Musiklehrbuch (Michael Keinspecks [geb. ca. 1470] "Lilium musicae planae"; Erstdruck Basel 1496, dann Ulm 1497) her. In Augsburg erschien 1503 Petrus Tritonius' (ca. 1456-ca. 1525) "Melopoiae sive harmoniae", 1507 als erster Mensuralnotendruck mit beweglichen Typen nördlich der Alpen von dem Reutlinger Erhard Oeglin (ca. 1470-ca. 1520) ebendort gedruckt.

Augsburg war in Schwaben in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts auch für den Instrumentenbau (Zupf- und Streichinstrumente) bekannt. In Füssen begann bereits im späten 15. Jahrhundert die Blüte des Lautenmacherhandwerks, das sich 1562 - damals einmalig in Europa - zur Zunft zusammenschloss.

Adelshöfe

Die Musikpflege an schwäbischen Adelshöfen ist weniger bekannt. Im ausgehenden 12./frühen 13. Jahrhundert war unter den Minnesängern u. a. Heinrich von Rugge aus Schwaben. In Augsburg (Ulrich von Winterstetten, nachweisbar zwischen 1241 und 1280) und der Dillinger Residenz, im Umfeld der Höfe von Hechingen-Hohenzollern, von Montfort und Oettingen finden sich die Ausläufer des Minnesangs. Prägende Sänger-Dichter bzw. Komponisten waren der Mönch von Salzburg, Hugo von Montfort (1357-1423), sowie Oswald von Wolkenstein, der sich im 2. Viertel des 15. Jahrhunderts öfters in Schwaben aufhielt (Augsburg, Ulm). Der höfische Minnesang wurde zum Vorbild des bürgerlichen Meistergesangs in den Städten.

Maximilian und seine Hofkapelle residierten ab 1492 immer wieder für längere Zeit in Augsburg, das damit zu einem zeitweiligen Musik-Zentrum europäischer Bedeutung wurde. Auch auf die kleineren schwäbischen Städte (Donauwörth 1492, Kaufbeuren 1497, Memmingen, Kempten, Füssen und Nördlingen) strahlte Maximilians Hofkapelle bei Aufenthalten ab. Herausragende Komponisten und Musiker waren Heinrich Isaac (um 1450-1517), Paul Hofhaimer (1459-1537) und Ludwig Senfl (um 1486-1542/43), der in dem Druck "Liber selectarum cantionum" (Augsburg 1520) eine Auswahl des Hofkapellenrepertoires überliefert.

Orgelmusik

Die Orgelmusik und der Orgelbau spielten seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert eine zunehmend wichtige Rolle im süddeutschen Raum und erlangten im 15. Jahrhundert europäischen Rang. Die überragende Persönlichkeit war der gebürtige Nürnberger Conrad Paumann (um 1410-1473), der von Nürnberg und München aus auch die schwäbische Musik- und Orgellandschaft (Augsburg, Nördlingen, Ulm, Memmingen, Kempten, Salem) beeinflusste. Paumann gilt auch als geistiger Vater der wichtigsten Tastenmusikquelle des Spätmittelalters, des Buxheimer Orgelbuchs (BSB Mus.ms. 3725, 1460/70). Ein Schüler Paumanns, Sebald Grave (um 1435-1493), wurde 1466 Organist in Nördlingen. Nachweisbar sind im 15. Jahrhundert als Organisten u. a. Ulrich Rächel (Augsburg, Barfüßerkirche), Meister Thoman (Ulm), Martin Vogelmaier (Vater und Sohn, aus Memmingen/Konstanz) und Albrecht Fischer (Augsburg, Memmingen um 1500), als Orgelbauer u. a. Conrad Rottenburger (1443-1508) und Jörg Falb (gest. nach 1487) (Ulm), Meister Augustin und Hans Peysinger (gest. nach 1530) (Kempten), Cunrad Graff (erw. 1510) und Jörg Albrecht (Memmingen, Anfang 16. Jahrhundert). In Nördlingen (St. Georg, 1466) und Augsburg (St. Ulrich und Afra, 1490) errichtete der berühmte Breslauer Stephan Kaschendorff (ca. 1425-ca. 1499) Orgelwerke.

Augsburg steht am Ausgang des Mittelalters bzw. zu Beginn der Neuzeit mit Paul Hofhaimer (kaiserlicher Hoforganist, um 1518/19 vielleicht Organist der Fugger), Bernhard Rehm (Fugger-Organist an St. Anna 1517/18-1522/23; Orgelbuch von 1510/11, UB München 2° Cod. Ms. 153 und 153a; Orgelbücher zwischen 1514-ca. 1519, UB München 4° Cod. Ms. 168-171) und dem Orgelbauer Johann Behaim von Dobrau (St. Anna, 1512) im Mittelpunkt der Orgelkunst, weit über Schwaben hinaus.

Literatur

  • Horst Brunner, Meistergesang, in: Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 16. Band, London/New York 2. Auflage 2001, 294-300.
  • Helen Green, Musik zwischen Stadt und Hof. Die Stadtpfeifer der bayerischen Reichsstädte und ihre Arbeitsstätten zur Zeit Maximilians I., in: Musik in Bayern 69 (2005), 5-28.
  • Burkhard Kippenberg, Minnesang, in: Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 16. Band, London/New York 2. Auflage 2001, 721-730.
  • Franz Krautwurst, Musik im Mittelalter, in: Gottlieb, Gunther u. a. (Hg.), Geschichte der Stadt Augsburg von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Stuttgart 1984, 233-237.
  • Christoph Petzsch, Meistergesang zwischen Main und Alpen, in: Musik in Bayern 1 (1972), 119-131.
  • Keith Polk, German Instrumental Music of the Late Middle Ages. Players, Patrons and Performance Practice, Cambridge 1992.
  • Sabine Žak, Musik als "Her und Zier" im mittelalterlichen Reich. Studien zur Musik im höfischen Leben, Recht und Zeremoniell, Neuss 1979.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Johannes Hoyer, Musik in Schwaben (Spätmittelalter), publiziert am 21.06.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Musik_in_Schwaben_(Spätmittelalter) (10.11.2024)