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Schullandheime

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Die Schullandheime des Bayerischen Schullandheimwerks e.V. im Freistaat Bayern, Stand: Oktober 2017. (Karte: Bayerisches Schullandheimwerk e. V.)

von Edwin Petek

Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Jugendbewegung und Reformpädagogik inspirierten ersten Schullandheime waren von Anfang an Lernorte, die nicht neben, sondern in Symbiose mit den Schulen Bildungsstätten sein wollten. Seit 1929 sind in Bayern Schullandheime fester Bestandteil des staatlichen Bildungssystems in den Schulen und die Aufenthalte dort mit den Inhalten der schulischen Lehrpläne abgestimmt. Die von Anfang an in privater Trägerschaft und ehrenamtlich geführten Schullandheime sind heute im Dachverband des "Bayerischen Schullandheimwerks" (BSHW) organisiert.

Definition und Abgrenzung

Schullandheime sind Einrichtungen, die Schulklassen mit ihren Lehrkräften für einen bestimmten, mehrtägigen bis mehrwöchigen Zeitraum den Aufenthalt in einer ländlichen Umgebung ermöglichen. Von den Schullandheimen sind die Landerziehungsheime oder Landschulheime zu unterscheiden, die eigene - in erster Linie private, aber auch staatlich mitgetragene - Schulsysteme in Internatsform oder mit Internatsanschluss darstellen. Dagegen sind Schullandheime in die Arbeit des öffentlichen Schulwesens integriert und setzen als schulergänzende Lernorte Unterricht und Erziehung unter veränderten Umgebungsbedingungen fort.

Trägerschaft in Bayern

Das Logo des Bayerischen Schullandheimwerks e. V. (zur Verfügung gestellt vom Bayerischen Schullandheimwerk e. V.)

Die Träger der Schullandheime sind überwiegend auf privater Basis als Schullandheimvereine organisiert. Die Schullandheimarbeit in Bayern wird zwar durch kultusministerielle Bekanntmachungen in die schulische Bildung und Erziehung integriert und von staatlicher Seite vielfältig unterstützt, gleichwohl sind die Schullandheime faktisch und historisch nicht-staatliche Einrichtungen. Die meisten Schullandheime im bayerischen Raum werden durch Regionalverbände und durch einzelne Kommunen betreut. Als Dachverband der bayerischen Schullandheimträger fungiert das "Bayerische Schullandheimwerk" (BSHW). Die Arbeit in den Trägervereinen erfolgt überwiegend ehrenamtlich.

Anfänge der Schullandheimbewegung

Der institutionelle Rahmen der Schullandheimarbeit in Bayern erklärt sich aus der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Schullandheimbewegung. Die ersten Landheime sind offenbar unabhängig voneinander entstanden. Die Anfänge der Schullandheimbewegung sind an vielen Stellen gleichzeitig zu erkennen und resultieren aus konkreten gesellschaftlichen Bedürfnissen. Die ersten Kontakte unter den verschiedenen Trägern in Deutschland wurden im Herbst 1925 auf einer Tagung in Berlin aufgenommen.

Blick auf die Wülzburg oberhalb von Weißenburg (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) von Nordwesten. (Foto von WMotzet lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

In Bayern kam es, von zwei bis drei Ausnahmen abgesehen (das Ferien- und Wanderheim Maria-Theresia-Schule in Zusamzell [Lkr. Augsburg]; das Ferienheim Harburg [Lkr. Donau-Ries]), im Wesentlichen erst mit mehreren Jahren Verzögerung zu vereinzelten Heimgründungen. Die Anfänge der bayerischen Schullandheimbewegung stehen bereits in der Tradition einer etablierten deutschen Schullandheimbewegung. Die erste öffentlich stärker wahrgenommene Schullandheimgründung in Bayern fand 1929 auf der Wülzburg bei Weißenburg (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen) statt.

Auslöser der Schullandheimarbeit in Deutschland und in Bayern waren vor allem Impulse, die aus der Jugendbewegung und der Reformpädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen. Die Jugendbewegung und die daraus entstandene Wanderpädagogik hatten mancherorts bereits vor dem Ersten Weltkrieg Heimaufenthalte während mehrtägiger Klassenwanderungen veranstaltet. Aus den Wanderunterkünften entwickelten sich später vielfach "Schullandheime". Die Geschichte des Schullandheims liegt damit der der Jugendherbergen sehr nah. Auch in der Gegenwart ist weder begrifflich noch programmatisch eine klare Trennungslinie zwischen Jugendherberge und Schullandheim auszumachen. Weitere Impulse kamen von sozialpädagogischen Ansätzen der vorletzten Jahrhundertwende, die die Gemeinschaftserziehung betonten, und von kriegsbedingten wohlfahrtspflegerischen Motiven.

Die Schullandheimbewegung in Bayern zwischen den Weltkriegen

Nach dem Ersten Weltkrieg sollte dem desolaten Gesundheitszustand in weiten Bevölkerungskreisen entgegengewirkt werden. Manche Schullandheime in Deutschland und auch in Bayern entwickelten sich demgemäß aus ehemaligen Ferienkolonien, die zum Teil schon vor 1900 gegründet worden waren (beispielsweise aus dem 1883 gegründeten "Verein für Schullandheime und Ferienkolonien Augsburg"). Insgesamt sind die Ursprünge der Schullandheimidee mit ihrem pädagogischen Streben nach Gemeinschaft und Naturnähe als eine der Antworten auf die Folgeerscheinungen der Industrialisierung sowie des Ersten Weltkriegs mit dem Verlust alter sozialer und normativer Sicherheiten zu verstehen. Bayern als sehr stark agrarisch geprägter Flächenstaat war von den Industrialisierungsproblemen naturgemäß weniger betroffen als industriell und städtisch geprägte Siedlungsräume.

Zum eigentlichen Beginn der institutionalisierten Schullandheimbewegung wurde der überregionale Zusammenschluss der Anhänger dieser Idee zum "Reichsbund der deutschen Schullandheime e. V." 1925/26, mit dem die einheitliche programmatische Begriffseinführung des "Schullandheims" verbunden war. Bayern war an diesem Ereignis nur randständig beteiligt. Die ursprünglichen Prinzipien der Schullandheimaktivitäten sind in ihrem Kern bis heute erhalten und gründen auf Eigeninitiative, Selbstorganisation und ehrenamtlichem Einsatz der jeweiligen örtlichen Gruppen. Von 1925 bis 1933 stand die ganzheitliche Erziehung durch unmittelbares Erleben, eigene Anschauung und selbsttätige Arbeit in der Gemeinschaft im programmatischen Mittelpunkt der Schullandheimpädagogik. Daran knüpfte die Schullandheimbewegung der 1950er und 1960er Jahre wieder stark an.

Die Nationalsozialisten fassten das Schullandheim als geeignetes Mittel innerhalb ihres totalitären Erziehungsprogramms auf. In Bayern kam es zwischen 1933 und 1939 zu zahlreichen Schullandheimgründungen, auch ein als Schullandheim eingerichtetes Schulschiff wurde 1935 in Regensburg vom Stapel gelassen. Die vereinsbezogene Schullandheimbewegung wurde gleichgeschaltet und in den "Nationalsozialistischen Lehrerbund" (NSLB) integriert. Erziehung zur Volksgemeinschaft und körperliche Ertüchtigung standen pädagogisch im Vordergrund.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden keine neuen Schullandheime mehr gegründet. Die Schullandheimaufenthalte stockten, und bestehende Schullandheime wurden zunehmend zweckentfremdet, unter anderem für die Kinderlandverschickung, als Kriegsgefangenenlager oder Lazarette.

Schullandheime in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg

Wegen der Zerstörung und Zweckentfremdung vieler Schullandheime während des Krieges stand der Wiederaufbau im Mittelpunkt der Nachkriegsarbeit. Rechtlich selbständige Trägervereine etablierten sich allmählich wieder. In Bayern spielten Schullandheim-Arbeitsgemeinschaften, die sich regional konstituierten, eine zentrale Rolle. Unmittelbar nach dem Krieg dominierten zunächst wieder gesundheitsfürsorgerische Motive die Schullandheimarbeit. In den 1950er und 1960er Jahren kam es auch in Bayern zu zahlreichen Neugründungen von Schullandheimen. Eine zusätzliche Besonderheit in Bayern waren die in Folge des Kalten Krieges und der Deutschen Teilung durch Berliner Trägervereine hier betriebenen Schullandheime.

Die pädagogischen Prinzipien der Schullandheimarbeit orientierten sich weiterhin an den reformpädagogischen Idealen der Weimarer Zeit. 1959 kam es zur Gründung des "Landesverbands der Bayerischen Schullandheime e. V.". Wesentlich daran beteiligt waren die bayerischen Volksschulpädagogen Adolf Salffner (1890-1972), Hans Sax (1902-1970) und Anton Tröndle, die schon die Anfangszeit der bayerischen Schullandheimbewegung bestimmt hatten.

Gegen Ende der 1960er Jahre rückten im Zuge der allgemeinen Bildungsdiskussion in der Bundesrepublik auch in Bayern neue Formen der Schullandheimarbeit in den Blickpunkt. Staatlich unterstützte pädagogische Modellversuche wurden in bayerischen Schullandheimen erprobt. Die Ausweitung, Modernisierung und Konsolidierung der pädagogischen Angebote in den Schullandheimen ist seitdem ein kontinuierliches Bestreben. Projekte zur Berufsorientierung, zu ökologischen Themen oder im Bereich der Medienerziehung sind unter anderem fester Bestandteil der Angebotspalette. Auch diverse musische und sportliche Aktivitäten können heute von den Schulklassen für ihren Schullandheimaufenthalt gebucht werden. 1983 kam es schließlich mit dem Hintergrund einer Verbesserung der Schullandheimpädagogik zur Gründung der "Bayerischen Akademie für Schullandheimpädagogik" (BASP) in Röthenbach a. d. Pegnitz (Lkr. Nürnberger Land).

Situation heute (2012)

Trotz des Konkurrenzdrucks zum Beispiel gegenüber Jugendherbergen, gestiegener Kosten und veränderter Reisegewohnheiten auch bei Schulklassen sowie ab und an modifiziert auftauchender Probleme der pädagogischen Selbstdefinition, wie sie in allen schulischen und erzieherischen Tätigkeitsfeldern auftreten, kann die Schullandheimarbeit in Bayern heute insgesamt als gesichert gelten.

Der Staat unterstützt die Schullandheime und ihre Trägervereine ideell und zum Teil auch materiell nachhaltig. Die Schullandheimpädagogik ist fest in den allgemeinen schulischen Bildungs- und Erziehungsrahmen eingefügt. Schulsammlungen tragen mit zur finanziellen Absicherung der Heime bei. Es stehen in allen Regierungsbezirken Schullandheime als "schulergänzende Lernorte" zu günstigen Bedingungen zur Verfügung. Zur Zeit tragen über 30 von ihnen das Qualitätssiegel des bayerischen Schullandheimverbandes.

Eine kompakte, übersichtliche Quellenlage zum Themengebiet existiert nicht. Hinweise zu den einzelnen, verstreuten Quellen sind der Literatur zu entnehmen, für Bayern vor allem Petek (Die Schullandheimbewegung). Dort, bei Kruse (Geschichte der Schullandheimbewegung) und den Internetauftritten des Verbands Deutscher Schullandheime und des Bayerischen Schullandheimwerks finden sich weitere Literaturhinweise, zum Teil mit weiteren Quellenangaben oder Spurhinweisen zu Einzelquellen.

Dokumente

Literatur

  • Bayer. Akademie für Schullandheimpädagogik (Hg.): Schullandheim heute zwischen Tradition und neuen Herausforderungen. Burgthann 1993.
  • Bayer. Akademie für Schullandheimpädagogik (Hg.): Vertrauen überwindet Grenzen. 1.-3. Band, Burgthann 2001. (1. Band: Bayerisch-tschechische Begegnungen im Schullandheim. Projektentwicklung und päd. Perspektiven; 2. Band: Unterwegs nach Europa. Innovative Projekte im Schullandheim; 3. Band: Unterwegs nach Europa. Vertrauen überwindet Grenzen. Handbuch für Begegnungsaufenthalte bayer. und tschechischer Klassen im Schullandheim).
  • Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Bildungs- und Beherbergungsstätten für Jugendliche in Bayern. München 1986.
  • Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Gute Schule unterwegs. Bildung und Erziehung in anderer Umgebung. München 2009 (PDF).
  • Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus: Schullandheimaufenthalt. Bekanntmachung vom 5.April 2004…In: Bayerische Staatsministerien für Unterricht und Kultus und Wissenschaft, Forschung und Kunst: KWMBl I Nr. 8/2004, 76 ff.
  • Iris Heyer, Schullandheimpädagogik. Standortbestimmung, empirische Untersuchungen und Konsequenzen. Burgthann 1998.
  • Lenz Kriss-Rettenbeck/Max Liedtke (Hg.), Regionale Schulentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Vergl. Studien zur Schulgeschichte, Jugendbewegung und Reformpädagogik im süddeutschen Sprachraum. Bad Heilbrunn 1984.
  • Klaus Kruse, Zur Geschichte der Schullandheimbewegung und Schullandheimpädagogik, in: Verband deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Pädagogik im Schullandheim. Handbuch. Regensburg 1975, 11-92.
  • Landesverband der Bayerischen Schullandheime (Hg.), Das Schullandheim in Bayern. Regensburg 1979.
  • Gerd Lindemann, Unterricht im Schullandheim. Hamburg 1984.
  • Horst Günter Lott/Konstanze Pirner, Schulleiter-ABC (begründet von W. Weber 1976). Sachkartei für den verwaltungstechnischen Bereich der Schulleitung in Bayern. Kulmbach 2010.
  • Edwin Petek, Die Schullandheimbewegung, in: Max Liedtke (Hg.), Handbuch der Geschichte des Bayerischen Bildungswesens VI. Band, Bad Heilbrunn 1997, 109-124.
  • Schullandheimwerk Mittelfranken (Hg.), Sport im Schullandheim. Ansbach 1995.
  • Robert Stein, It`s Team Time. Ein Teamtraining für Schüler - ein Praxisbuch für Lehrer. Burgthann 2002.
  • Verband deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Pädagogik im Schullandheim. Regensburg 1975.
  • Verband Deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Pädagogik im Schullandheim - Handbuch. 2. Aufl. Hamburg 1984.
  • Verband Deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Schullandheimbewegung und Schullandheimpädagogik im Wandel der Zeit. Hamburg/Lüneburg 2002.
  • Verband Deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Das Schullandheim - eine gute Wahl. Leitlinien und Informationen zur Schullandheimarbeit. Hamburg 2007 (PDF).
  • Verband Deutscher Schullandheime e. V. (Hg.), Schullandheimaufenthalte. Planungshilfen und Projektvorschläge für Klassenfahrten und Schullandheimaufenthalte. (CD-Rom-Handreichungen) Hamburg 2007.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Landschulheim, Landschulwoche, Schullandwoche

Empfohlene Zitierweise

Edwin Petek, Schullandheime, publiziert am 26.09.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schullandheime> (1.12.2024)