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Linksextremismus und Linksradikalismus (20. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Friedbert Mühldorfer

Antidemokratische Bestrebungen des äußerst linken politischen Spektrums, die den parlamentarischen Verfassungsstaat ablehnen und, teilweise auch gewaltsam, das Prinzip der völligen menschlichen Gleichheit verabsolutieren - im Gegensatz zum Rechtsextremismus, der dieses Prinzip negiert. In Bayern haben linksradikale Bewegungen im 20. Jahrhundert nur geringe Bedeutung entfaltet, sowohl vor als auch nach 1945.

Zur Problematik der Begriffe

Der Begriff "Linksextremismus" ist als historischer Begriff im Allgemeinen nicht gebräuchlich. Während auch der Begriff "Rechtsextremismus" im strengen Sinn keine Kategorie historischer Untersuchung ist, findet dieser dennoch häufiger Verwendung, da hier eher von einem inhaltlichen Konsens bezüglich dieser Zuschreibung ausgegangen wird. Methodische Fragen, inwieweit der Extremismus-Begriff der komplexen gesellschaftlichen und politischen Situation überhaupt gerecht wird und notwendige Differenzierungen erlaubt, stehen jedoch bis heute im Mittelpunkt der Diskussion.

Der zugrunde liegende Extremismus-Begriff entstammt im Wesentlichen der amerikanischen Soziologie und Politologie der 1950er Jahre und fand in der Bundesrepublik erst gegen Ende der 1960er Jahre in der Politikwissenschaft Verbreitung, wo er den bis dahin üblichen – und ebenfalls unscharfen - Begriff "Radikalismus" ergänzte oder überlagerte.

Seit den 1970er Jahren werden die Begriffe Rechtsextremismus und Linksextremismus von staatlichen Behörden, v. a. den Verfassungsschutzämtern, zur Kennzeichnung von Bestrebungen benützt, welche nach Einschätzung der Behörden auf die – evtl. auch gewaltsame - Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik abzielen. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden meist ohne inhaltliche Unterscheidung die Begriffe "radikal", "extrem", "extremistisch", teilweise auch "fundamental" oder "fundamentalistisch" verwendet.

Der in der Geschichtswissenschaft meist gebrauchte Begriff "Radikalismus" im Sinne einer an die "Wurzel" gehenden, grundlegenden politischen Auffassung bleibt zunächst noch inhaltlich bezogen auf die jeweiligen Wertevorstellungen der entsprechenden Ideologien. So formuliert etwa rechtsradikale Politik im Wesentlichen eine grundlegende, "radikale" Ablehnung der Gleichwertigkeit aller Menschen, während linksradikale Politik die völlige Gleichheit einfordert und in einer meist "sozialistisch" benannten Gesellschaft verwirklichen will; je nach politischer Ausrichtung können "radikale" Mittel einschließlich Gewalt gegen Sachen und/oder Personen diese Positionen ergänzen.

Dagegen wird beim Begriff "extrem" im Sinne von "äußerst" und "randständig" meist eine "Normalität", eine "Mitte", als Gegensatz und als Bezugspunkt vorausgesetzt, deren Definition jedoch stark vom jeweiligen politischen Verständnis bestimmt wird. Für die Bundesrepublik wird diese Mitte – im Sinne eines demokratischen Konsens - als "freiheitlich-demokratische Grundordnung" im Sinne des Grundgesetzes definiert; demnach werden als extremistisch diejenigen Positionen bezeichnet, welche diese Grundordnung ablehnen und ggf. auch bekämpfen. Besonders schwierig wird dieser Bezugspunkt jedoch für die historische Untersuchung, da die Werteordnung des Grundgesetzes aus methodischen Gründen nicht einfach auf frühere Zeiträume übertragen werden kann. Andererseits ist der jeweilige staatliche Wertekonsens (Verfassungs-, Staats- und Herrschaftsverständnis) früherer Perioden - soweit er überhaupt zu formulieren ist - wesentlich von den dominierenden politischen Kräfte geprägt.

Aus diesem Grunde werden in der Geschichtsschreibung als Begriffe für die Positionen und Organisationen innerhalb und außerhalb der Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert, die grundsätzliche Kritik an den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der deutschen Staaten der Restaurationszeit, der 1850er Jahre bzw. des Kaiserreichs formulierten und auf reformerische oder revolutionäre Überwindung des Kapitalismus abzielten, überwiegend die inhaltlichen Zuschreibungen "sozialistisch", "sozialdemokratisch", "marxistisch", "kommunistisch" oder auch "anarchistisch" verwendet. Für den offiziellen und öffentlichen zeitgenössischen Sprachgebrauch wurden darüber hinaus behördliche Sammelbegriffe in Anlehnung an das "Sozialistengesetz" von 1878 wie "gemeingefährlich", "umstürzlerisch" oder "staatsgefährdend" prägend.

"Linksradikalismus" in der Weimarer Republik und während des NS-Regimes

Plakat der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Kommunistischen Jugend Deutschlands aus dem Jahr 1924. Entwurf: John Heartfield (1891-1964). (Staatsarchiv München, Plakatsammlung 566)

Mit dem Auftreten der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD), der Rätebewegung, der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), anarchistischer Organisationen und der verschiedenen Neben- und Unterorganisationen v. a. ab 1918/1919 gewann der Sammelbegriff "Linksradikalismus" eine neue Bedeutung: Er diente nun v. a. zur Kennzeichnung kommunistisch-sozialistischer und anarchistischer Positionen links von der SPD, welche der Weimarer Verfassung und/oder der parlamentarischen Republik ablehnend gegenüberstanden oder diese bekämpften, weil die Weimarer Republik nicht dem Ziel "wirklicher" Demokratie entspräche und das Fortbestehen bürgerlicher Herrschaft nur verdecke. Als - inhaltlich präziserer - Begriff wird in der Geschichtsschreibung für solche Positionen häufig auch die Bezeichnung "antiparlamentarische Linke" gebraucht.

Damit erfolgt die Abgrenzung zu den "gemäßigten" sozialistischen und sozialdemokratischen Positionen und deren "demokratischer" Sozialismus-Konzeption, wie sie von der SPD als einer Hauptstütze der Weimarer Republik vertreten wurde ("republikanische Linke"). Diese Unterscheidung wurde inhaltlich meist auch von den staatlichen Stellen vorgenommen, wobei als Sammelbegriff statt "linksradikal" nun fast durchweg der Begriff "kommunistisch" und "bolschewistisch" gebraucht wurde. Noch stärker als für das Reich galt für Bayern, dass "linksradikale" Aktivitäten wesentlich intensiverer staatlicher Beobachtung und Verfolgung ausgesetzt waren als "rechtsradikale". Darüber hinaus wurden teilweise auch Aktivitäten bayerischer Reichsbannergruppen und der sozialdemokratischen Arbeiterjugend in solche Maßnahmen einbezogen, zählten doch für politisch dominierende konservative Kreise linksorientierte Positionen grundsätzlich bereits als "staatsgefährdend".

Polizeiliche Unterlagen aus der Zeit der Weimarer Republik waren auch in Bayern die Grundlage für die Verfolgung aller linksorientierten Richtungen der Arbeiterbewegung und der Inhaftierung von Funktionären und Mitgliedern nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933. So wurde das Konzentrationslager Dachau ausdrücklich bestimmt für die Inhaftierung der "gesamten kommunistischen und soweit dies notwendig ist, Reichsbanner- und sozialdemokratischen Funktionäre" (Völkischer Beobachter, 21.3.1933). In den Polizeiberichten wurden neben den Bezeichnungen "Kommunisten" und "Bolschewisten" darüber hinaus für Sozialdemokraten weiterhin die Begriffe "Marxisten" und "Sozialisten" verwendet. Das jahrzehntelang propagierte "linksradikale" Feindbild kulminierte während der zwölf Jahre der NS-Herrschaft in der Verfolgung Linksorientierter bis hin zur Vernichtung.

"Linksradikalismus" seit 1945

Aufgrund ihrer Verfolgung und Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gehörten in der ersten Nachkriegszeit zunächst auch die Kommunisten in Bayern zum demokratischen Spektrum; sie wurden von US-Militärbehörden teilweise als Gemeinde- oder Stadträte eingesetzt, stellten Minister und Staatssekretäre in der ersten Regierung Hoegner, waren in Entnazifizierungsgremien tätig und an der Ausarbeitung der Bayerischen Verfassung beteiligt. Spätestens seit 1948 im Gefolge des Kalten Krieges zwischen Ost und West, der Konfrontation zwischen den beiden deutschen Staaten und der Orientierung der KPD an der DDR und der Sowjetunion - verbunden mit der Zielsetzung: "Sturz des Adenauer-Regimes" - wurde der Begriff "kommunistisch" von den Behörden wieder im Sinne von "staatsgefährdend" gebraucht. So veröffentlichte beispielsweise das Bayerische Innenministerium im November 1951 eine Liste von 69 "kommunistischen Tarnorganisationen" und warnte vor den "Linksradikalen". Als Gefahr für die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" wurde die KPD schließlich 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten. Seitens der Behörden blieben die Begriffe "kommunistisch", "kommunistisch beeinflusst", "linksradikal" oder auch "totalitär" bis Ende der 1960er Jahre die Sammelbegriffe für alle radikalen politischen Positionen links von der SPD.

"Linksextremismus" als politischer Begriff seit Anfang der 1970er Jahre

Mitte der 1960er-Jahre wuchs die Kritik am Bildungswesen, tiefgreifende Reformen in Forschung und Lehre wurden notwendig. Die Demonstrationen gegen den Bildungsnotstand, hier 1967 auf dem Münchner Königsplatz, waren mit ursächlich für die Entstehung der studentischen Protestbewegung. Foto: Felicitas Timpe (1923-2006). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv timp-021333)

Mit der studentischen Protestbewegung Ende der 1960er Jahre, der ideologischen Radikalisierung eines Teils der jüngeren Generation, entstanden sowohl eine Kommunistische Partei in der Tradition der KPD (die 1968 gegründete Deutsche Kommunistische Partei, DKP; in Verfassungsschutzberichten später meist als "orthodoxe Kommunisten" bezeichnet) sowie eine Vielzahl neuer sozialistisch oder kommunistisch orientierter Parteien und Organisationen (von Behörden später als "Neue Linke" bezeichnet, hierunter auch maoistische und trotzkistische sowie "undogmatische" Gruppen). Als Sammelbegriff wurde häufig die Bezeichnung "linksradikal" benützt . Die 1972 von den Ministerpräsidenten beschlossenen und sehr umstrittenen "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst", die Verfassungsfeinde vom Staatsdienst fernhalten sollten und bei mehreren tausend Personen zu "Berufsverboten" führten, hießen in der Öffentlichkeit meist "Radikalenerlass"; offiziell wurde eher von "Extremistenbeschluss" gesprochen.

Damit fand seit Anfang der 1970er Jahre erstmals als neuer Sammelbegriff staatlicher Stellen die Bezeichnung "Linksextremismus" Eingang z. B. in Verfassungsschutzberichte. In den jährlichen Verfassungsschutzberichten der Innenminister der Länder und des Bundes werden seitdem - in unterschiedlicher Zahl, Gewichtung und Begründung - diejenigen "linksextremistischen" Organisationen aufgelistet, die von den Behörden jeweils als verfassungsfeindlich eingeschätzt werden. In diesen Berichten wird der RAF-Terrorismus meist getrennt vom Kapitel "Linksextremismus" betrachtet, während im öffentlichen Sprachgebrauch auch der links motivierte Terrorismus häufig unter "Extremismus" eingeordnet wird.

Im Gegensatz zum politischen Bereich und dessen politischer Einschätzung werden im historisch-wissenschaftlichen Zusammenhang als Sammelbegriffe – soweit notwendig - weiterhin meist die Bezeichnungen "Linksradikalismus" bzw. "radikale Linke" verwendet.

Literatur

  • Uwe Backes/Eckhard Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1996.
  • Sebastian Haunss, Antiimperialismus und Autonomie - Linksradikalismus seit der Studentenbewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.), Soziale Bewegungen in Deutschland nach 1945. Ein Handbuch, Frankfurt am Main/New York 2008, 447-473.
  • Gero Neugebauer, Extremismus – Rechtsextremismus – Linksextremismus. Einige Anmerkungen zu Begriffen, Forschungskonzepten, Forschungsfragen und Forschungsergebnissen, in: Wilfried Schubarth/Richard Stöss (Hg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland - Eine Bilanz, Opladen 2001, 13-37.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Linksradikalismus, radikale Linke

Empfohlene Zitierweise

Friedbert Mühldorfer, Linksextremismus und Linksradikalismus (20. Jahrhundert), publiziert am 27.08.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Linksextremismus und Linksradikalismus (20. Jahrhundert)> (28.03.2024)