Blutfahne der NSDAP
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Hakenkreuzfahne, die beim Marsch auf die Feldherrnhalle am 9. November 1923 mitgeführt worden war. Nach Vorstellung der Nationalsozialisten hatte sie durch das Blut der getöteten Putschisten eine besondere Weihe erfahren. Seit 1926 wurden alle neuen Fahnen und Standarten der Partei durch Berührung mit dem Tuch der Blutfahne geweiht. Sie wurde ab 1931 im "Braunen Haus" in München aufbewahrt.
Fahnen in der NS-Propaganda
Fahnen waren ein wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Symbolpropaganda. Bereits zu Anfang seiner politischen Laufbahn erkannte Adolf Hitler (1889-1945) mit Blick auf den Hauptgegner seiner "Bewegung", den Marxismus, die Bedeutung einer eigenen Fahne für seine Partei, die NSDAP. Im Wissen um den "suggestiven Zauber" (Hitler, Mein Kampf, 552), die Botschaften vermittelnde, Emotionen hervorrufende, Integration fördernde und Identität stiftende Wirkung von Symbolen, entwarf er noch 1920 die Hakenkreuzfahne, die daraufhin zur Parteifahne der Nationalsozialisten wurde. Im Rahmen des sich in der Folgezeit nach und nach ausformenden NS-Fahnenkultes kam bald schon der "Blutfahne der NSDAP", einer beim Putschversuch des Jahres 1923 mitgeführten Hakenkreuzfahne, eine herausgehobene Sonderrolle zu.
Entstehung der "Blutfahne der NSDAP"
Am 9. November 1923, dem zweiten Tag des Hitler-Putsches, nahmen die Aufrührer Aufstellung zu ihrem Propagandamarsch durch die Münchner Innenstadt. An die Spitze des Zuges trat eine Schützenkette, gefolgt von zwei Reihen Fahnenträgern. Als die Putschisten in der Residenzstraße auf Höhe der Feldherrnhalle auf eine Einheit der Bayerischen Landespolizei trafen, die sich ihnen in den Weg stellte, kam es zu einem Handgemenge, dem sich ein kurzer Schusswechsel anschloss. Im Kugelhagel des Gefechtes starben 13 Putschisten, vier Polizisten und ein Unbeteiligter. Heinrich Wilhelm Trambauer (1899-1942), der an diesem Tag die Fahne der 6. SA-Kompanie trug, hatte sich während des Gefechtes Deckung suchend zu Boden geworfen. Nach einigen Augenblicken des Wartens auf einen günstigen Moment zur Flucht erhob er sich und konnte mit seiner Fahne, auf der er zu liegen gekommen war und die inzwischen Blut der aus seiner Gruppe stammenden tödlich getroffenen Mitputschisten Andreas Bauriedl (1879-1923), Anton Hechenberger (1902-1923) und Lorenz Ritter von Stransky-Griffenfeld (1899-1923) aufgesogen hatte, im Chaos des sich auflösenden Propagandazuges zu entkommen. Mit dem Ziel, seiner Verhaftung zu entgehen und die Beschlagnahmung seiner Fahne zu verhindern, flüchtete er sich in ein nahe gelegenes Wohnhaus (Theatinerstraße 30), wo er von einem befreundeten Friseur eingelassen wurde. Hier nahm er die Fahne von Spitze und Stange, wickelte sie sich um seinen Körper und machte sich so mit ihr auf den Weg nach Hause, wo er sie versteckte. Einige Monate später übergab er das blutbefleckte Hakenkreuzbanner Karl Eggers, dem Hauptfeldwebel seiner Kompanie, der es wiederum nach Hitlers Haftentlassung Ende 1924 an diesen aushändigte. Die Fahne erhielt nun eine neue Spitze und Stange. Direkt unterhalb der Spitze wurde dabei eine silberne Widmungsmanschette angebracht, in die die Namen der drei gefallenen Putschisten, deren Blut den Fahnenstoff getränkt hatte, eingraviert worden waren.
Die "Blutfahne" als Reliquie
Am 4. Juli 1926 übergab Hitler die "Fahne des 9. November 1923" bei einer SA-Versammlung auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Weimar als "Blutfahne" (Hitler, Reden, 16) und "Heiligtum der SA" (ebd.) an Joseph Berchtold (1897-1962), den damaligen Reichsführer der SS, der "treuesten Gruppe der SA" (ebd.), wie der Parteichef in diesem Zusammenhang formulierte. Lange Zeit zum Schutz vor möglichem polizeilichen Zugriff in verschiedenen Privatwohnungen in München verwahrt, wurde die Fahne nunmehr zum Mittelpunkt des in der Geschäftsstelle der NSDAP im Hinterhaus der Schellingstraße 50 eingerichteten "Ehrensaales der SA", ehe sie 1931 in der "Fahnenhalle" des "Braunen Hauses", des neuen Sitzes der Reichsleitung der NSDAP, Brienner Straße 45, ihren endgültigen Platz erhielt.
Die "Blutfahne", die die Nationalsozialisten zur zentralen Reliquie ihrer Partei erhoben und der sie entsprechend eigene mythische Kräfte zusprachen, war seit 1926 unverzichtbarer Bestandteil des in pseudo-sakralen Ritualen inszenierten NS-Märtyrerkultes, insbesondere bei den jährlichen Gedenkfeiern zum 9. November 1923 in München und bei den Jahr für Jahr wiederkehrenden Heldenehrungen auf den Reichsparteitagen in Nürnberg. Dass Hitler und seine Gefolgsleute mit ihrer "Blutfahne" an eine ältere Symboltradition, namentlich die der Blutfahne des Heiligen Römischen Reiches, anzuknüpfen suchten, belegen die auf den Nürnberger Parteitreffen vorgenommenen Fahnenweihen, die zu den liturgischen Höhepunkten dieser Großveranstaltungen zählten: Hatte die rote Fahne des Alten Reiches, das Blutbanner, bis 1806 die mit dem Blutbann verbundene Belehnung mit Reichslehen besiegelt, so berührte Hitler auf den NSDAP-Parteitagen mit dem Tuch der "Blutfahne" alle neuen Fahnen und Standarten der Partei, auf dass die ihr angeblich innewohnenden Kräfte auf die neuen Zeichen übergingen und so die unter diesen marschierenden Parteiformationen Teil des nationalsozialistischen Märtyrertums wurden.
Das weitere Schicksal der "Blutfahne"
Die von den Nationalsozialisten seit ihrer Machtübernahme 1933 vorangetriebenen Planungen zum Umbau Münchens zur "Hauptstadt der Bewegung" sahen an der Stelle des Hauptbahnhofes ein monumentales "Denkmal der Bewegung" vor. Im Zentrum dieses auf einen eigenhändigen Entwurf Hitlers zurückgehenden Bauwerkes sollte in einer Art Reliquienschrein die "Blutfahne" Aufnahme finden. Wenn sich auch der Münchner Generalbaurat Hermann Giesler (1898-1987) noch 1944 mit dem Bauvorhaben beschäftigte, so blieb das Projekt doch unverwirklicht. Die Fahne des 9. November 1923, die von 1926 an bei den Großereignissen der NSDAP zunächst wechselweise von Trambauer und dem SS-Mann Jakob Grimminger (1892-1969) und alsbald ausschließlich von Letzterem getragen wurde, verblieb mithin bis gegen Ende des "Dritten Reiches" im "Braunen Haus". Anlässlich der Beisetzung des langjährigen Gauleiters des Traditionsgaues München-Oberbayern, Adolf Wagner (1890-1944), am 17. April 1944 am Randes des Königsplatzes in München und der letzten Zusammenkunft der Marschierer des Hitlerputsches am 9. November 1944 im Zirkus Krone, bei der der örtliche Volkssturm auf die Partei-Reliquie vereidigt wurde, war die "Blutfahne" letztmals in der Öffentlichkeit zu sehen.
Literatur
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- Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Myten, Riten und Symbole 1923 bis 1945 (Kölner Beiträge zur Nationsforschung 2), Vierow bei Greifswald 1996.
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- Hans-Jochen Gamm, Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion. Ein Beitrag zur politischen Bildung, Hamburg 1962.
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- Maik Kopleck, München 1933-1945 (Past Finder. Stadtführer zu den Spuren der Vergangenheit), Berlin 2005.
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- Hans-Peter Rasp, Eine Stadt für tausend Jahre. München Bauten und Projekte für die Hauptstadt der Bewegung, München 1981.
- Karlheinz Schmeer, Die Regie des öffentlichen Lebens im Dritten Reich, München 1956.
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Quellen
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- Erich Kaden/Arthur Meyer (Hg.), Der Kornett der Blutfahne. Die Erinnerungen von Jakob Grimminger - Eine Dokumentation, Dresden 2012 [Enthält eine umfangreiche Fotodokumentation zum Nachlass Grimmingers sowie von zum Thema einschlägigen Privatsammlungen].
- N.N., Die Blutfahne und ihr Träger, in: Das Schwarze Korps, 1. Jg., F. 8, 24.04.1935, S. 3, F. 9, 01.05.1935, S. 4, F. 10, 08.05.1935, S. 3-4.
Weiterführende Recherche
Verwandte Artikel
- Hitlerputsch (8./9. November 1923)
- Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), 1920-1923/1925-1945
- Reichsparteitage der NSDAP, 1923-1938
- Sturmabteilung (SA), 1921-1923/1925-1945
Empfohlene Zitierweise
Bernhard Schäfer, Blutfahne der NSDAP, publiziert am 28.08.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Blutfahne_der_NSDAP> (9.12.2024)