Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, 1924-1933
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) nahe stehende Massenorganisation, gegründet von SPD, Zentrum, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und kleineren Parteien am 22. Februar 1924 in Magdeburg zum Schutz der Republik gegen die gewalttätigen Aktivitäten der rechtsextremen Verbände seit 1920, aber auch gegen die radikale Politik der KPD. Der Vorsitz lag bei den SPD-Politikern Otto Hörsing (1874-1937) bis zum 2. Juli 1932 und Karl Höltermann (1894-1955) bis 1933. Gegen Ende der Weimarer Republik waren maximal 1-2 Mio. Mitglieder in der reichsweiten Selbstschutzorganisation versammelt, vor allem aus SPD und Gewerkschaften, ferner aus den übrigen Parteien der Weimarer Koalition. Die Wahl der offiziellen Reichsfarben unterstrich das republikanische Bekenntnis der Organisation. Das Reichsbanner wurde im März 1933 verboten und 1953 als Bundesverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten e.V., wiederbegründet.
Vorläufer in Bayern
Vorläufer des überregionalen Reichsbanners waren die lokal begrenzten, vielfältigen sozialdemokratischen Selbstschutzorganisationen wie z. B. der "Sozialistische Ordnungsdienst" (SOD) in Franken oder die "Sicherheitsabteilung" (SA) der Münchner SPD, die so genannte Auergarde. Nachdem Generalstaatskommissar Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) am 26. September 1923 alle linken Selbstschutzorganisationen verboten hatte, verhielten sich die Mitglieder der ehemaligen Auergarde zunächst ruhig.
Gründung des Reichsbanners 1924
Am 24. Februar 1924 gründeten SPD, Zentrum, DDP und einige kleinere Parteien die überparteiliche republikanische Schutztruppe "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner". Der paramilitärische Verband stellte sich mit seinem Verweis auf die verfassungsmäßigen Reichsfarben bewusst in die Tradition der Revolution von 1848. Seine wichtigste Aufgabe bestand darin, politische Veranstaltungen gegen Störungen zu sichern; außerdem warb er mit Aufmärschen und Kundgebungen offensiv für ein Bekenntnis zur Weimarer Republik.
Gründungen in Bayern
In Bayern hielt die Skepsis der früheren sozialdemokratischen Selbstschutzorganisationen gegenüber dem ganz offenbar zentralstaatlich ausgerichteten und nationalbewussten Reichsbanner lange vor. Die Nürnberger Ortsgruppe wurde erst am 29. Juni 1924 gegründet. Die Münchner Sektion entstand am 7. Juli 1924 im Bürgerbräukeller. Ihre Leitung war im Gewerkschaftshaus in der Pestalozzistraße 40/42 untergebracht. In den folgenden Wochen entstanden in den bayerischen Städten und in vielen Gemeinden Ortsgruppen.
Struktur des Verbandes
Der Verband gliederte sich in einen Verein, der auf politischer Ebene wirkte, und eine paramilitärische Organisation, die sich auf die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner vorbereitete. Der Vorsitzende der bayerischen SPD, Erhard Auer (1874-1945), war zugleich "Gauführer" des Reichsbanner-Gaus Bayern, der sich nach unten in Kreise, Bezirke und Ortsvereine aufgliederte.
Sonderrolle Bayerns
Bayern spielte in der Geschichte des Reichsbanners eine Sonderrolle. DDP, Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und Bayerischer Bauernbund schlossen sich an, die BVP lehnte im Unterschied zum Zentrum eine Mitarbeit im Reichsbanner jedoch kategorisch ab. Das Reichsbanner hatte in Bayern und besonders in München einen schweren Stand, da die Stadt ein Sammelbecken der nationalistischen Verbände war, die auch von Politikern der herrschenden Partei unterstützt wurden. Demgegenüber unterlagen die Aufmärsche der uniformierten Republikaner bürokratischen Auflagen, polizeilicher Beobachtung und Beschränkungen durch die Justizbehörden.
Reaktion auf antisemitische Vorwürfe
Auf den Vorwurf der "Süddeutschen Monatshefte" und der "Münchener Neuesten Nachrichten", das Reichsbanner sei jüdisch finanziert, reagierte der Verband im Herbst 1924 mit einer Anpassungsstrategie, indem er dafür sorgte, dass jüdische Mitglieder wieder austraten.
Öffentliches Auftreten
Schwarz-rot-goldene Fahnen und Banner, an den Spitzen der Fahnenstangen der Reichsadler, dominierten die wuchtigen Propagandazüge und Verfassungsfeiern an jedem 11. August. Pfeifer- und Trommlerkorps führten Marschkolonnen an, Reichsbannerkapellen spielten Märsche. Das öffentliche Auftreten hatte straff, militärisch, diszipliniert zu sein. 1926 konnte der Verband in Oberbayern auf 6.000 Mitglieder verweisen. Bayernweit gab es Ende der 1920er Jahre schätzungsweise 80.000 bis 90.000 Reichsbanner-Mitglieder, darunter auch prominente Führungspersönlichkeiten der SPD wie Wilhelm Hoegner (1887-1980), Waldemar von Knoeringen (1906-1971), Thomas Wimmer (1887-1964), Erhard Auer, Hans Unterleitner (1890-1971) oder der DDP wie Thomas Dehler (1897-1967) und Hermann Luppe (1874-1945), ferner August Schwingenstein (1881-1968), damals Presseleiter des Bayerischen Bauernbundes.
Das Verhältnis der Bayerischen Staatsregierung zum Reichsbanner
Nachrichtendienste erklärten mehrfach, dass die Polizei in Ländern mit sozialdemokratischen Regierungen dem "patriotischen" Reichsbanner Ausbilder zur Verfügung stellte; umgekehrt übernehme dann das Reichsbanner dafür nicht selten polizeiliche Aufgaben. Diese Angaben verstärkten die ablehnende Haltung der Bayerischen Staatsregierung gegenüber "roten" Landesregierungen, denen sie Vorbereitungen zum "Bürgerkrieg von links" unterstellte. Zugleich sah sie im "marxistischen und atheistischen" Verband, der "unitaristisch" den Weimarer Einheitsstaat befürwortete, einen unpatriotischen Gegner und ließ ihn von der Exekutive überwachen. 1927 verbot Innenminister Karl Stützel (1872-1944) den für August geplanten "Südbayerischen republikanischen Tag". Prominente Sozialdemokraten außerhalb Bayerns wie Carl Severing (1875-1952) protestierten.
Binnenarchitektur des Verbandes
Der Führungszirkel um Erhard Auer bestimmte im Wesentlichen die Politik des Reichsbanners. Die Übernahme militärischer Formen und der Politikstil, der kontroverse Meinungen im Verband unterdrückte, prägten die autoritäre Struktur des Verbandes. Das Reichsbanner blieb ein rein männerbündischer Verband. Dies thematisierten kritisch in erster Linie Frauen, dezidierte Marxisten und Intellektuelle in der SPD.
Die wachsende Gewaltbereitschaft und Militarisierung ging am Reichsbanner nicht spurlos vorüber. Eine eigene Kleinkaliberschützenabteilung wurde aufgebaut und gepflegt, Kritiker aus dem pazifistischen Lager hingegen wurden ausgegrenzt und politisch entmachtet. Der Streit um die mangelnde Bewaffnung des Verbandes eskalierte. Die einen forderten, aus dem vormilitärischen Verein eine schlagkräftige, bewaffnete Truppe aufzubauen und damit das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen (wie es die gut ausgerüsteten rechtsnationalistischen Verbände schon längst taten); die anderen forderten die Entwaffnung aller Verbände.
Weitere Militarisierung und Organisationsreform 1930
Dem Vordringen rechtsnationalistischer Gruppen in die Arbeiterquartiere versuchte die republikanische Schutztruppe Paroli zu bieten. Auf die systematische und gewaltsame Eroberung des öffentlichen Raums durch die SA gelang es aber zumeist nur, mit symbolischen Aktionen zu antworten. Die Zunahme der gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten und die Reichstagswahl am 14. September 1930, die den Nationalsozialisten 107 Mandate bescherte, veranlassten die Führung des Reichsbanners zu einer Organisationsreform. "Stammformationen", die so genannten Stafos, umfassten die Mitglieder, die auf der politischen Ebene wirkten. In "Schutzformationen", so genannten Schufos, befanden sich jüngere Männer, die zur körperlichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner befähigt waren. Ihre Uniform bestand aus blauer Mütze, Grünhemd, Schulterriemen und schwarzen Breecheshosen mit Ledergamaschen. Alarm- und Organisationspläne konnten die Abteilungen in kürzester Zeit an jeden beliebigen Ort dirigieren. Feldmärsche und militärische Übungen bereiteten die Schufos auf den Bürgerkrieg vor.
Erhard Auers Doppelstrategie
Ähnlich wie die SPD im Reich die Regierung Brüning tolerierte, sah auch Erhard Auer, der Vizepräsident des bayerischen Landtages, keine Alternative zur Tolerierung der geschäftsführenden Minderheitsregierung unter Heinrich Held (1868-1938) seit August 1930. Als Vorsitzender des bayerischen Reichsbanners unterstützte er zwar die außerparlamentarische Machtkonzentration seines Verbandes, nahm aber zugleich hin, dass die Staatsregierung den Verband mit Verboten verfolgte, die vielfältigen aggressiven Vorstöße der Nationalsozialisten aber kaum abwehrte, was die sozialdemokratische Presse wiederholt anprangerte.
Niederlage
Das Reichsbanner erschien trotz der Bemühungen um Reorganisation als unbeweglich. Niederlagen in den Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, die Hilflosigkeit gegenüber den bayerischen Behörden, die den Verband immer wieder in seiner Wirkungsmöglichkeit behinderten, und die Kritik jüngerer Sozialdemokraten veranlassten die Führung 1931 zu einem neuen Zusammenschluss mit SPD, Allgemeinem Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), Allgemeinem freien Angestellten-Bund (AfA-Bund) und Arbeitersportverbänden zur "Eisernen Front".
Nach der "Machtergreifung" löste der von der neuen Reichsregierung eingesetzte Beauftragte Kommissar für das Innenministerium, Adolf Wagner (1890-1944), das bayerische Reichsbanner am 10. März 1933 auf. Am Tag danach befahlen Wagner und der Beauftragte des Reiches, Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1947), sämtliche Funktionäre der KPD und alle Reichsbanner-Führer in "Schutzhaft" zu nehmen.
Neugründung nach 1945
1945 wollten ehemalige Reichsbanner-Kameraden unter gleichem Namen einen Nachfolgeverband gründen. Die untersagte die US-Militärregierung, da Neugründungen alter Verbände dem Demokratisierungskonzept der Amerikaner widersprachen. 1953 entstand dann das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund aktiver Demokraten", in dem sich vor allem ältere Sozialdemokraten, freie Demokraten und Christdemokraten zusammenfanden. Es konnte sich jedoch in den folgenden Jahrzehnten nicht nennenswert verjüngen und blieb ein überschaubarer Traditionsverband, der heute etwa 1.000 Mitglieder umfasst.
Literatur
- Sebastian Elsbach, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Republikschutz und politische Gewalt in der Weimarer Republik (Weimarer Schriften zur Republik 10), Stuttgart 2019.
- Günther Gerstenberg, Freiheit! Sozialdemokratischer Selbstschutz im München der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. 1. Band: Texte, 2. Band: Bilder und Dokumente, beiliegend eine Musik-CD mit historischen Aufnahmen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front 1919-1933 aus dem Arbeitermusik-Archiv Klaus-Jürgen Hohn, Andechs 1997.
- Helga Gotschlich, Zwischen Kampf und Kapitulation. Zur Geschichte des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Berlin 1987.
- Karl Rohe, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966.
- Benjamin Ziemann, Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918-1933, Bonn 2014.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit: Die Weimarer Republik III: Republikwehr, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (Werner K. Blessing)
- Deutsches Historisches Museum: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Verwandte Artikel
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- Wehrverbände in Bayern, 1918/19-1933
Empfohlene Zitierweise
Günther Gerstenberg, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, 1924-1933, publiziert am 13.07.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichsbanner_Schwarz-Rot-Gold,_1924-1933> (7.12.2024)