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Autonome Pfalz, 1923/24

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Autonome Pfalz, 1923/24)
Proklamation der separatistischen Regierung der autonomen Pfalz, November 1923. (aus: Niemals. Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 47)
"Pfälzer Auslese": Karikatur in der Ausgabe des Simplicissimus vom 26. November 1923. "Einer der Herren Minister ist noch nicht vorbestraft. Ich hoffe, sie sind trotzdem zuverlässig." (Simplicissimus, 28. Jahrgang Nr. 35, 1926)
Skizze des Rheinübergangs der Speyerer Attentäter am 9. Januar 1924. (aus: Karlheinz Lintz, Grosskampftage. Aus der Separatistenzeit der Pfalz, Edenkoben 1930, 120)
Aufruf der Regierung der Autonomen Pfalz, Dezember 1923. (Landesarchiv Speyer, R 12, Nr. 165)

von Helmut Gembries

Am 12. November 1923 rief eine separatistische "Regierung der Autonomen Pfalz" in Speyer die "Pfälzische Republik im Verbande der Rheinischen Republik" aus. Unter dem Schutz der französischen Besatzungsmacht bestand sie nur drei Monate. Bevor sie am 17. Februar 1924 abgesetzt wurde, fiel ihr Präsident Franz-Josef Heinz (1884-1924) aus Orbis am 9. Januar 1924 einem Attentat zum Opfer.

Pfälzischer und rheinischer Separatismus im Herbst 1923

Dem französischen Delegierten in Speyer, dem 1920 zum General beförderten Adalbert Francois Alexandre de Metz (1867-1946), war es am 24. Oktober 1923 nicht gelungen, den pfälzischen Kreistag zur Trennung der Pfalz von Bayern und vom Reich zu bewegen. Vergeblich hatte er den Wunsch des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann (SPD, 1867-1930) nach einer eigenständigen Pfalz verfälscht vortragen lassen. Angesichts des Konflikts zwischen Bayern und dem Reich um die Form der Einstellung des passiven Widerstands, die Ernennung Gustav von Kahrs (1862-1934) zum Generalstaatskommissar und die Verpflichtung der bayerischen Reichswehreinheiten auf die Staatsregierung war es Hoffmann um die Trennung der Pfalz von Bayern, nicht um ihre Separation vom Reich gegangen.

In dem Führer der "Freien Bauernschaft", dem Landwirt Franz-Josef Heinz (1884-1924) aus Orbis bei Kirchheimbolanden, fand de Metz jedoch den gesuchten prominenten Anführer einer vollständigen Separation. Heinz war eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der politischen Öffentlichkeit der Pfalz, bekannt für seine Vorliebe für extravagante Kleidung, Frauen und Pferderennen. Bisweilen gab er sich als Baron Heinz von Orbis aus. Er saß für die DVP im Pfälzer Kreistag. Noch im Sommer und Herbst 1923 soll er sich in München in völkischen und monarchistischen Kreisen bewegt haben.

Seine "Freie Bauernschaft" war der stärkste Bauernverband im Süden des besetzten Gebiets. In der Pfalz gehörte ihm rund ein Viertel aller 60.000 Vollerwerbslandwirte an. Die überparteiliche und interkonfessionelle Vertretung der Landwirte trennte sich von Heinz, als dessen separatistische Aktivitäten bekannt wurden.

In einem geheimen Papier sicherte Heinz de Metz am 26. Oktober 1923 seine Mitwirkung an der Gründung einer Notenbank der Rheinlande zu. Gleichzeitig tauchte sein Name auf einer Kabinettsliste der "Rheinischen Republik" auf. Unter dem Schutz des französischen Präsidenten der Rheinlandkommission, Paul Tirard (1879-1945), war sie am 22. Oktober 1923 in Koblenz von dem Journalisten Joseph Friedrich Matthes (1886-1943) und dem ehemaligen Staatsanwalt Hans Adam Dorten (1880-1963) ausgerufen worden. Heinz war aber nicht bereit, sich Dorten als dem Generalkommissar für den Südbereich der "Rheinischen Republik" unterzuordnen. Als Dorten, der schon am 1. Juni 1919 in Wiesbaden geputscht hatte, bewaffnete Gruppen des "Rheinlandschutzes" in die Pfalz entsandte, suchte Heinz mit der Organisation eines eigenen "Pfälzischen Corps" seine Selbständigkeit zu behaupten.

Das Vordringen der Separatisten in der Pfalz

Anfang November 1923 trat Heinz offen an die Spitze der pfälzischen Separatisten. Gleichzeitig begannen bewaffnete Trupps, die öffentlichen Gebäude der größeren pfälzischen Orte zu besetzen. Eine Gegenwehr war in aller Regel nicht möglich. Die französischen Militärbehörden unterstellten die deutschen Polizeikräfte ihrem Befehl, ermöglichten den Separatistengruppen durch entsprechende Absperrungen den ungehinderten Anmarsch auf die Behördengebäude und postierten französische Soldaten in der Nähe der angreifenden Separatisten, so dass deren Feuer nicht erwidert werden konnte. Die Bevölkerung war von den Belastungen der Ruhrbesetzung erschöpft und verharrte, anders als 1919, in einer gleichgültigen Haltung. So fiel am Abend des 10. November 1923 auch das Dienstgebäude der Kreisregierung in Speyer in die Hände der Separatisten.

Die "Regierung" Heinz

Der zwei Tage später etablierten "Regierung der Autonomen Pfalz" gehörten neben ihrem Präsidenten Heinz als wichtigste Mitglieder der Fabrikant Adolf Bley (1874-1951) aus Kirchheimbolanden, der Journalist Josef Schmitz-Epper (1897-1979) aus Mainz und der Weinhändler Georg May (1886-1937) aus Schifferstadt an. Bley galt als ihr Vizepräsident und Finanzminister, Schmitz-Epper als ihr Pressechef. May war als Minister zugleich Bezirkskommissar für Speyer.

Eine geordnete Verwaltungstätigkeit konnte diese Regierung nicht entfalten. Ihren Mitgliedern mangelte es an administrativer Erfahrung. Die Beamten der Kreisregierung verweigerten ihr den Dienst. Aus dem Speyerer Regierungsgebäude vertrieben, versuchten sie stattdessen, ihre bisherigen Dienstgeschäfte meist von ihren Privatwohnungen aus fortzusetzen, so gut es ihnen möglich war. Ging es doch vor allem darum, wenigstens einen Teil der Unterstützungsgelder und der Löhne und Gehälter mit Hilfe geheimer Kuriere der Pfalzzentrale weiterhin an die Empfänger auszuzahlen. Auch bei der Ernennung ihrer Bezirkskommissare musste die separatistische Regierung auf Kaufleute, Kleinhändler und andere Personen ohne Kenntnisse der öffentlichen Verwaltung zurückgreifen. Die Tätigkeit der Regierung Heinz beschränkte sich darauf, widersetzliche Beamte zu verhaften oder auszuweisen, öffentliche Kassen zu beschlagnahmen, Loyalitätserklärungen von den Gemeinden einzufordern und auf oft handgeschriebenen Plakaten Verfügungen im Sinne der Besatzungsmacht zu verkünden. Während die Verwaltung weitgehend zum Stillstand kam und die wirtschaftliche Not weiter um sich griff, konzentrierte sich Heinz darauf, seinen Anspruch auf Gleichrangigkeit mit Dorten durchzusetzen. In einer gemeinsamen Erklärung gegenüber Tirard nahm Dorten Abschied von der Vorstellung einer Pfalz als bloßem Verwaltungsbezirk der "Rheinischen Republik". Statt dessen bestätigte er die Auffassung Heinz', nach der die Pfalz Teil einer föderativen rheinischen Republik war.

Das Ende der "Autonomen Pfalz"

Karikatur „Zum ewigen Gedächtnis“ über Heinz Orbis, Zeichnung von Thomas Theodor Heine (1867-1848). Abb. aus: Simplicissimus, 28 (1923/24), 558. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Per. 18 pe-28,2)

Unterdessen sah sich Frankreich einer immer massiveren Kritik Großbritanniens an seiner Rheinlandpolitik ausgesetzt. Die britische Regierung fürchtete dabei auch um ihre Reparationsansprüche. Sie war nicht bereit, einen rheinischen Separatstaat zu dulden, zumal er die britische Besatzungszone mit dem Hauptort Köln umgeben hätte. Deshalb musste Tirard Dorten am 23. Dezember 1923 das Ende ihres Projekts einer "Rheinischen Republik" mitteilen.

An der "Autonomen Pfalz" aber wollte Frankreich festhalten. Noch am selben Tag unterrichtete Tirard die Rheinlandkommission offiziell von ihrer Gründung. Wenig später leitete er ihre Anerkennung für den 12. Januar 1924 ein. Mit dem Attentat auf Heinz am 9. Januar 1924 sollte dies verhindert werden. Auf Initiative und mit Wissen bayerischer Regierungsstellen erschoss eine Gruppe sog. Abwehrkämpfer unter der Führung des Rechtsanwalts Edgar Julius Jung (1894-1934) Heinz und zwei weitere an diesem Abend im "Wittelsbacher Hof" in Speyer anwesende Personen.

Am 11. Januar 1924 verwahrten sich der Kirchenpräsident der Protestantischen Landeskirche der Pfalz, Karl Heinrich Fleischmann (1867-1954), und der Speyerer Bischof Ludwig Sebastian (1862-1943) bei der Rheinlandkommission gegen die Anerkennung der "Autonomen Pfalz" und baten um die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in der Pfalz. Die britische Regierung griff deshalb eine Anregung ihres Oberkommissars Lord Kilmarnock (1876-1928) vom November 1923 zur Untersuchung der separatistischen Umtriebe auf. Der britische Generalkonsul in München, Robert Henry Clive (1877-1948), bereiste dazu vom 14. bis 18. Januar 1924 die Pfalz. In seinen Gesprächen mit den verschiedenen Konfliktparteien um ein objektives Bild von der Lage in der Pfalz bemüht, stellte Clive in seinem abschließenden Bericht insgesamt zutreffend fest, die "Autonome Regierung" werde von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt und könne sich nur mit französischer Unterstützung behaupten. Drei Viertel der Separatisten seien von außerhalb in die Pfalz gekommen, sie verfügten über keinerlei Regierungserfahrung und seien teilweise sogar vorbestraft. Die weitere Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern sei der Mehrheit der Bevölkerung aber gleichgültig. Wichtig sei ihr nur der Verbleib beim Reich, wenngleich unter Bauern und Arbeitern auch der Wunsch nach einem politisch unabhängigen Rheinstaat verbreitet sei. Mit scharfer Kritik auch an der bayerischen Abwehr drängte die britische Regierung anschließend auf die Entsendung eines Sonderausschusses der Rheinlandkommission nach Speyer. Im sog. Speyerer Abkommen (17. Februar 1924) beauftragte er den Kreisausschuss mit dem Wiederaufbau einer geordneten Verwaltung. Der Kreisausschuss musste seine Tätigkeit am 17. Februar 1924 um 8.00 Uhr aufnehmen. Zur gleichen Zeit musste die "Autonome Regierung" jegliche Regierungs- und Verwaltungstätigkeit einstellen.

Literatur

  • Erwin Bischof, Rheinischer Separatismus 1918-1924. Hans Adam Dortens Rheinstaatsbestrebungen, Bern 1969.
  • Hans Fenske, Der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich im Herbst 1923 und die pfälzische Sozialdemokratie, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 71 (1974), 203-216.
  • Helmut Gembries, Verwaltung und Politik in der besetzten Pfalz zur Zeit der Weimarer Republik (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 4), Kaiserslautern 1992.
  • Gerhard Gräber/Matthias Spindler, Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24, Ludwigshafen am Rhein 2005.
  • (Gerhard) Gräber/(Matthias) Spindler, Revolverrepublik am Rhein. Die Pfalz und ihre Separatisten. 1. Band: November 1918-November 1923, Landau in der Pfalz 1992.
  • Rudolf Hamm, Freie Bauernschaft, Heinz Orbis und Separatismus. Nach Aufzeichnungen zusammengestellt, Otterbach 1930.
  • Hermann Hiery, Die Pfalzfrage in britischer Sicht, in: Wilhelm Kreutz/Karl Scherer (Hg.), Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19-1930) (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 15), Kaiserslautern 1999, 169-186.
  • Klaus Reimer, Rheinlandfrage und Rheinlandbewegung (1918-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der regionalistischen Bestrebungen in Deutschland. Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1979.

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Pfälzische Republik im Verbande der Rheinischen Republik, Pfälzische Republik

Empfohlene Zitierweise

Helmut Gembries, Autonome Pfalz, 1923/24, publiziert am 04.06.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Autonome_Pfalz,_1923/24> (19.03.2024)