Obersalzberg
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Der in den Berchtesgadener Alpen gelegene Obersalzberg wurde im 19. Jahrhundert zu einem gefragten Fremdenverkehrsziel. Auch Adolf Hitler (1889-1945) hielt sich dort seit 1923 regelmäßig auf. Ab 1928 mietete er das "Haus Wachenfeld", das er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 erwarb. Der Obersalzberg wurde im Folgenden zu einem regelrechten Wallfahrtsort für Hitler-Anhänger. Tatsächlich wurde der Berg als "Führersperrgebiet" zusehends abgeriegelt. Die Propaganda nutzte die umliegende Berglandschaft als Kulisse für den Führerkult. Seit 1935 wurden Haus Wachenfeld, das fortan als "Berghof" bezeichnet wurde, und der Obersalzberg als Nebenregierungssitz ausgebaut. Hitler verkehrte dort nicht nur mit seinen engsten Vertrauten, sondern traf auch wichtige politische Entscheidungen, empfing Staatsgäste oder hielt während des Krieges militärische Lagebesprechungen ab. Kurz vor dem Untergang des NS-Regimes wurden weite Teile des Areals bei einem Luftangriff zerstört. Die Ruinen zogen in der Nachkriegszeit zahlreiche Neugierige und NS-Nostalgiker an, weshalb die US-Besatzungsmacht sie 1952 sprengen und das Gelände aufforsten ließ. Seit 1999 setzt sich auf dem Areal der Lern- und Erinnerungsort "Dokumentation Obersalzberg" mit der Geschichte des Ortes auseinander.
Der Obersalzberg bis 1933
Der Obersalzberg (Lkr. Berchtesgadener Land) liegt in den Berchtesgadener Alpen auf rund 1.000 Metern Höhe. Eine Besiedlung ist seit dem 14. Jahrhundert belegt, die Bewohner des bis zur Säkularisation 1803 zur Fürstpropstei Berchtesgaden zugehörigen Ortes lebten neben der Landwirtschaft vom namensgebenden Salzbergbau. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Ort zunehmend durch den Fremdenverkehr entdeckt. Die Schönheit der Landschaft lockte vor allem ein wohlhabendes städtisches Publikum zur "Sommerfrische", darunter zahlreiche Prominente, die sich teils dauerhaft dort niederließen.
Adolf Hitler (1889-1945) kam im Frühjahr 1923 erstmals auf den Obersalzberg, um den völkischen Dichter Dietrich Eckart (1868-1923), der sich dort wegen eines laufenden Strafverfahrens (Beleidigung des Reichspräsidenten) in der Pension Moritz versteckt hielt, zu treffen. Hitler fand Gefallen an dem Bergdorf und seiner Umgebung und kehrte immer wieder dorthin zurück. Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 8./9. November 1923 und anschließender Festungshaft diktierte er dort 1925/26 große Teile des zweiten Bandes von "Mein Kampf".
Auf dem Obersalzberg kam Hitler zunächst in verschiedenen Pensionen und Hotels unter, ehe er 1928 das "Haus Wachenfeld" mietete. Es diente ihm fortan als Rückzugsort. Im Juni 1933 erwarb der ein halbes Jahr zuvor zum Reichskanzler ernannte Hitler das Landhaus für ca. 175.000 Reichsmark.
Wallfahrtsort und Propagandakulisse des Führerkults
Nach der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland setzte ein regelrechter Ansturm von Hitler-Anhängern auf den Obersalzberg ein. Nicht nur die zuständige Regierung von Oberbayern sprach von einer "Wallfahrtsstätte". Ab Juli 1933 wurden die Besucherströme nach und nach reglementiert. Bis 1935/36 gab sich Hitler volksnah und zeigte sich regelmäßig in einer Art Audienz für etwa eine Stunde am Tor der Zufahrtsstraße. Dann war der Besuch nur noch nach Voranmeldung und in Gruppen möglich.
Der Obersalzberg war einer der zentralen Orte des Führerkults, wenn nicht sogar der wichtigste. Besonders in den ersten Jahren der Hitler-Wallfahrten entstanden die wirkmächtigen NS-Propagandabildwelten, die bis heute das Bild des Obersalzbergs prägen. Die Landschaft stand für eine "gesunde", urtümliche Lebenswelt, die durch ihre Schroffheit die dort lebenden Menschen prägte. Diese galten als ebenso ursprünglich, von der modernen Welt nicht verbogen und an ein hartes Leben gewohnt. Die Gipfel lieferten einen monumentalen und mythisch aufgeladenen Hintergrund, in dem sich Rassenideologie und Heimat, Blut und Berge miteinander verknüpften. Hitlers "Leibfotograf" Heinrich Hoffmann (1885–1957) setzte das alles bildgewaltig in Szene: die idyllische, völkisch heile Bergwelt und den "Führer", um den sich seine treue Gefolgschaft scharte. Die Motive waren suggestiv und präsentierten ein perfides Zerrbild der Realität. Hitler wird als menschenfreundlicher, leutseliger, kinderlieber und naturnaher Nachbar dargestellt; als ganz privater, bescheidener und nahbarer "Führer", der in einem vermeintlich unpolitischen Rückzugsraum unermüdlich für "sein Volk" wirke. Fotografie war das "Medium des Führer-Mythos" (Rudolf Herz), und die Berglandschaft des Obersalzbergs war die Kulisse.
Politik als Inszenierung vor retuschierten Berggipfeln: Hitler (von hinten) im Gespräch mit Hermann Göring (1893-1946, in Lederhose) und Reichskriegsminister Werner von Blomberg (1878-1946); durch die Retusche wurde der milchige Effekt erzeugt. Fotografie von Heinrich Hoffmann, 24.7.1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-11169)
Nachbar Hitler begegnet dem Obersalzberger Bauern Rasp: Das Bild verbindet Hitler mit der einheimischen Bevölkerung und ist kein zufälliger Schnappschuss; die Begleitung Hitlers war auf solche Aufnahmen gut vorbereitet. Fotografie von Heinrich Hoffmann, 1934. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-9471)
Eintopfsonntag in Haus Wachenfeld - der "bescheidene Führer" speist wie die "Volksgenossen" mit seinen Gästen: (v.l.) die Münchner Künstlerin Sophie Stork (1903-1981), Hitlers Begleitarzt Karl Brandt (1904-1948), sein Adjutant Wilhelm Brückner (1884-1954) und Erna Hoffmann (1904-1996). Fotografie von Heinrich Hoffmann, 15.1.1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-10054)
Hitler als "volksnaher Führer" beim Bad in der Menge. Anhand einzelner Details (wie dem Fotografen, der im Hintergrund auf einer Leiter steht) und unveröffentlichten Aufnahmen der zugehörigen Bildserie erkennt man, dass solche Aufnahmen sorgfältig inszeniert wurden. Fotografie von Heinrich Hoffmann, August 1933. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-8153)
Hitler fasst ein Mädchen am Arm: Die Großmutter (?) trägt ein Abzeichen der Nationalsozialistischen Frauenschaft und streckt Hitler das Mädchen entgegen. Motive von Hitler mit Kindern sind häufig, sie waren in der Regel ebenfalls inszeniert und zeigten Mädchen und Jungen, die dem nationalsozialistischen "Rasseideal" entsprachen. Fotografie von Heinrich Hoffmann, 24.7.1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-11170)
Hitler beim Winterspaziergang durch die verschneite Bergwelt mit seinem Schäferhund Muck. Auch die Aufnahmen solcher Spaziergänge des "naturnahen Führers" waren vorbereitet; Hitler war dann teils von mehreren Fotografen begleitet. Fotografie von Heinrich Hoffmann, Januar 1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-10058)
Brachialer Umbau: Führersperrgebiet und zweiter Regierungssitz
Hitler verbrachte zwischen 1933 und 1944 über 1.000 Tage auf dem Obersalzberg und damit rund ein Viertel seiner Regierungszeit. Der Berghof war so nach der Reichshauptstadt Berlin das wichtigste Herrschaftszentrum des NS-Staates. Um dem gerecht zu werden, veränderten Hitler und Martin Bormann (NSDAP, 1900–1945) den Obersalzberg grundlegend. 1935/36 wurde das kleine Haus Wachenfeld erheblich erweitert und firmierte künftig unter dem Namen "Berghof". Es wurde zum Zentrum eines streng abgeschirmten "Führersperrgebiets". Auf Rechnung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) erwarb Bormann die umliegenden Gebäude und Liegenschaften, lediglich Hitlers Berghof und das Haus Hermann Görings (NSDAP, 1893-1946) befanden sich in deren Privatbesitz. Die gezahlten Entschädigungen variierten stark, und nötigenfalls bediente sich Bormann rabiater Methoden: Wer nicht verkaufen wollte, wurde massiv unter Druck gesetzt – bis hin zu Androhung von Haft im Konzentrationslager (KZ). Auf diese Weise wurden die alteingesessenen Bewohner verdrängt. 1937 hörte das Dorf Obersalzberg auf zu existieren.
Die alten Gebäude wurden zum Teil weitergenutzt. Was nicht mehr gebraucht wurde oder im Weg stand wurde abgerissen, während gleichzeitig eine ganze Reihe neuer Bauwerke errichtet wurde. Binnen kurzer Zeit entstand auf dem Obersalzberg eine regelrechte Kleinstadt mit SS-Kaserne, Gutshof, Kindergarten und Siedlungen für die Angestellten. Als Ausflugsziele für Hitlers tägliche Nachmittagsspaziergänge wurde ein Teehaus am Mooslahnerkopf mit Panoramablick in Richtung Salzburg errichtet. 1937/38 wurde ein zweites Teehaus in noch exponierterer Lage gebaut: Das Kehlsteinhaus liegt in 1.834 Metern Höhe auf einem Bergsporn. Mit großem Aufwand wurde extra eine Zufahrtsstraße geschaffen. Nur rund ein Dutzend Besuche Hitlers lassen sich nachweisen. Häufiger fuhr Hitlers Lebensgefährtin Eva Braun (1912–1945) mit ihren Freundinnen und Gästen hinauf.
Die Bewohner des Führersperrgebiets pflegten vielfältige Beziehungen zum Ort Berchtesgaden, der sich wiederum gern als "Wahlheimat" des "Führers" präsentierte. Neben ökonomischen Verbindungen waren die Angestellten und auch die SS-Wachmannschaften im Ortsbild präsent. Gäste Hitlers, die nicht durch eine Unterbringung auf dem Obersalzberg besonders geehrt wurden, kamen in Hotels im Ort unter. In der Region wurde die Infrastruktur den Bedürfnissen des "Führers" und Reichskanzlers angepasst: Im nahen Ainring (Lkr. Berchtesgadener Land) entstand ein Regierungsflughafen, der Berchtesgadener Bahnhof wurde repräsentativ ausgebaut, die Reichskanzlei errichtete eine Außenstelle in Stanggaß (Gde. Bischofswiesen), in deren Nachbarschaft auch der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel (1882–1946), und der Chef des Wehrmachtführungsstabes, Alfred Jodl (1890–1946), Quartier bezogen.
Gäste auf dem Obersalzberg
Hitler nutzte sein Bergdomizil häufig als Ort der politischen Repräsentation und als außenpolitische Bühne. Prominente Gäste aus Wirtschaft und Gesellschaft waren etwa der Bergsteiger und Schauspieler Luis Trenker (1892–1990), Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952, Erzbischof von München und Freising 1917–1952) oder der Ingenieur Ferdinand Porsche (1875–1951). Mit Kriegsbeginn 1939 endeten diese zivilen Besuche weitgehend
1936/37 kamen die prominentesten Besucher aus Großbritannien, mit dem Hitler einen Ausgleich zu finden hoffte. Der Diktator empfing den britischen Premierminister des Ersten Weltkriegs David Lloyd George (1863-1945, britischer Premierminister 1916-1922) und den Herzog (1894-1972) und die Herzogin von Windsor (1896-1987). Die prodeutsche Haltung des vormaligen Königs, der 1936 als Edward VIII. auf den Thron verzichtet hatte, war allgemein bekannt. Ab 1938 spielte der Obersalzberg bei den großen Expansionsschritten eine zentrale Rolle: 1938 etwa erpresste Hitler dort vor der Annexion Österreichs Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897–1977, österreichischer Kanzler 1934–1938) zur Unterzeichnung des "Berchtesgadener Abkommens" am 12. Februar 1938. Häufigste Gäste waren freilich die Vertreter verbündeter Staaten, allen voran die faschistischen Partner der "Achse Berlin-Rom": Der italienische "Duce" Benito Mussolini (1883-1945, italienischer Ministerpräsident 1922-1943) kam fünfmal, sein Schwiegersohn und Außenminister Graf Gian Galeazzo Ciano (1903-1944) sechsmal auf den Obersalzberg.
Amt | Datum der Besuche | |
---|---|---|
Józef Lipski | Polnischer Botschafter (1933-1939) | 20.9.1938; 24.10.1938 |
Miklós Horthy | Reichsverweser von Ungarn (1920-1944) | 23.8.1936; 6.6.1944 |
David Lloyd George | Ehem. britischer Premierminister (1916-1920) | 4.9.1936 |
Gian Galeazzo Ciano Graf von Cortelazzo | Italienischer Außenminister (1936-1943) | 24.10.1936; 12./13.8.1939; 28.8.1940; 18.11.1940; 19./20.1.1941; 30.04.1942 |
Kung Hsiang-hsi | Chinesischer Finanzminister (1933-1944) | 13.06.1937 |
Aga Khan III. | Geistliches Oberhaupt der ismaelitischen Nizariten (1885-1957) | 20.10.1937 |
Edward VIII. mit seiner Frau Wallis Simpson | Ehem. König von Großbritannien (1936), Herzog von Windsor | 22.10.1937 |
Edward Frederick Lord Halifax | Lord President of the Council (1937-1938) | 18./19.11.1937 |
Kurt Schuschnigg | Österreichischer Bundeskanzler (1934-1938) | 12.02.1938 |
Guido Schmidt | Österreichischer Staatssekretär des Äußeren (1936-1938) | 12.02.1938 |
Italo Balbo | Generalgouverneur von Italienisch-Libyen (1934-1940) | 13.08.1938 |
Neville Chamberlain | Britischer Premierminister (1937-1940) | 15.9.1938 |
André François-Poncet | Französischer Botschafter in Berlin (1931-1938) | 18.10.1938 |
Umberto II. | Kronprinz von Italien | 1.11.1938 |
Shigeenori Togo | Japanischer Botschafter in Berlin (1937-1938) | 18.10.1938 |
Hiroshi Oshima | Japanischer Botschafter in Berlin (1938-1945) | 21.11.1938; 28.2.1941; 3.6.1941; 18.4.1943; 27.5.1944 |
Carol II. | König von Rumänien (1930-1940) | 24.11.1938 |
Michael I. | Kronprinz von Rumänien | 24.11.1938 |
Oswald Pirow | Südafrikanischer Verteidigungs- bzw. Wirtschaftsminister (1933-1939) | 24.11.1938 |
Józef Beck | Polnischer Außenminister (1932-1939) | 5.1.1939 |
Monsignore Cesare Orsenigo | Päpstlicher Nuntius (1930-1945) | 5.5.1939 |
Khalid al Hud | Sondergesandter des Königs von Saudi-Arabien | 17.6.1939 |
Josip Tiso | Slowakischer Staatspräsident (1939-1945) | 28.7.1939 |
Adelbert Tuka | Slowakischer Ministerpräsident (1939-1944) | 28.7.1939 |
Graf Istvan Csaky | Ungarischer Außenminister (1938-1941) | 8.8.1939 |
Nevile Henderson | Britischer Botschafter in Berlin (1937-1939) | 23.8.1939 |
Paul | Prinzregent des Königreichs Jugoslawien (1934-1941) | 4./5.3.1940; 4.3.1941 |
Ion Gigurtu | Rumänischer Ministerpräsident (4.7-4.9.1940) | 26.7.1940 |
Mihail Manoilescu | Rumänischer Außenminister (1940) | 26.7.1940 |
Bogdan Filow | Bulgarischer Ministerpräsident (1940-1943) | 27.7.1940; 4.1.1941; 1.3.1941 |
Vladimir Popoff | Bulgarischer Außenminister (1940-1942) | 27.7.1940 |
Alexander Mach | Slowakischer Innenminister (1940-1945) | 28.7.1940 |
Marie José | Italienische Kronprinzessin | 17.10.1940 |
Boris III. | König von Bulgarien (1918-1943) | 18.11.1940; 13.01.1941; 7.6.1941; 3.4.1943 |
Ramón Serrano Súñer | Spanischer Außenminister (1940-1942) | 18.11.1940 |
Leopold III. | König von Belgien (1934-1951) | 19.11.1940 |
Dimitrije Cincar-Markovic | Jugoslawischer Außenminister | 28.11.1940 |
Helene | Königinmutter von Rumänien | 14.12.1940 |
Ion Antonescu | "Conducator" von Rumänien (1940-1944) | 14.01.1941 |
Benito Mussolini | Italienischer Ministerpräsident | 19./20.1.1941; 22.5.1941; 30.4.1942; 7.-10.4.1943; 22./23.4.1944 |
Karoly Bartha | Ungarischer Verteidigungsminister (1938-1942) | 29.1.1941 |
Dragiša Cvetkovic | Jugoslawischer Ministerpräsident (1939-1941) | 14.2.1941 |
François Darlan | Französischer Außen- und Innnenminister (1941-1942) | 11.5.1941 |
Dino Alfieri | Italienischer Botschafter in Berlin (1940-1943) | 22.05.1941; 10.06.1943 |
John Cudahy | Ehem. US-Botschafter in Brüssel (1940) | 23.05.1941 |
Ante Pavelić ("Poglavnik") | Kroatischer Staatschef (1941-1945) | 6.6.1941; 27.4.1943 |
Italo Gariboldi | Oberbefehlshaber der 8. italienischen Armee (1942-1943) | 1.4.1943 |
Vidkun Quisling | Norwegischer Ministerpräsident (1942-1945) | 19.4.1943 |
Pierre Laval | Französischer Ministerpräsident (1942-1944) | 29.4.1943 |
Auswahl nach Feiber, "Filiale von Berlin", 133f. |
Herrschaftsort mit privater Atmosphäre
Am Berghof herrschte eine eigentümliche Atmosphäre, die einer Mischung aus Regierungs- und privatem Wohnsitz entsprang, an dem Hitler eine Art Ersatzfamilie unter einem Dach versammelte. Den innersten Kreis bildete die sog. Berghof-Gesellschaft, die rund zwei Dutzend Personen umfasste. Ihre Mitglieder waren unbedingt loyal. In ihrem Zentrum stand seit 1935 Hitlers Partnerin Eva Braun, die als Hausherrin und Gastgeberin auftrat, bei offiziellen Terminen jedoch strikt im Hintergrund blieb. Die Berghof-Gesellschaft war nicht statisch, sondern fluktuierte, und sie war nicht deckungsgleich mit dem inneren Herrschaftskreis der NS-Diktatur. Wichtige NS-Größen gehörten nicht dazu, etwa der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß (NSDAP, 1894–1987), Reichsführer-SS Heinrich Himmler (NSDAP, 1900–1945) oder Hermann Göring – trotz seines Hauses auf dem Obersalzberg. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (NSDAP, 1897–1945) war mit seiner Familie häufiger Gast, Martin Bormann und Albert Speer (1905–1981) wohnten mit ihren Familien ganz in der Nähe des Berghofs. Hinzu kam Hitlers Gefolge aus Verbindungsoffizieren, persönlichen Adjutanten, Dienern und Sekretärinnen.
Am Obersalzberg folgte der Tagesablauf einem festen Schema. Der Diktator ließ sich erst gegen Mittag wecken, dann wechselten sich Besprechungen mit Plaudereien ab. Einem späten Mittagessen folgte der obligatorische Spaziergang zum Teehaus am Mooslahnerkopf. Nach dem Abendessen versammelte sich die Berghof-Gesellschaft in der sog. Großen Halle, um den Tag ausklingen zu lassen. Hitler stieß oft erst zu später Stunde hinzu.
Die Berichte der Beteiligten, die dann geführten Gespräche seien gänzlich unpolitisch gewesen, Ideologie habe keine Rolle gespielt und Hitler habe im Grunde alle nur gelangweilt, sind Schutzbehauptungen aus der Nachkriegszeit. Die Zugehörigkeit zu diesem innersten Kreis bedeutete vielmehr einen privilegierten Immediatzugang zu Hitler, und die Angehörigen der Berghof-Gesellschaft wussten diese Machtstellung zum eigenen Vorteil zu nutzen. Die nach dem Krieg aufgefundenen Filmaufnahmen Eva Brauns und die wenigen Privataufnahmen aus dem inneren Kreis etwa zeigen nur auf den ersten Blick ein unpolitisches Idyll einer Feriengesellschaft. Analysiert man die Bilder, betrachtet die Gäste und stellt sie in den Kontext der Ereignisse, zeigen sie tatsächlich, wie eng die private Atmosphäre am Obersalzberg mit der Politik und den Verbrechen des Nationalsozialismus verknüpft waren: Die Orte, an denen die Berghof-Gesellschaft entspannte – die Terrasse etwa oder die Große Halle des Berghofs mit dem Panoramafenster – waren gleichzeitig Orte des politischen Handelns. Zur Berghof-Gesellschaft gehörten wichtige Vertreter der Funktionseliten des NS-Staates, andere waren regelmäßige Gäste. Selbst die Spitzen der Schutzstaffel (SS) ließen sich problemlos in die Berghof-Gesellschaft integrieren, die sich gleichwohl nach dem Krieg gerne als unpolitisch und geradezu ahnungslos exkulpierte.
Krieg und Verbrechen
Vor und während des Krieges zog sich Hitler immer wieder auf den Obersalzberg zurück, um wichtige Entscheidungen vorzubereiten oder den Krieg zu planen und zu führen. So hielt sich Hitler etwa in den Monaten und Wochen vor dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 auffallend häufig am Obersalzberg auf. Dorthin bestellte er seine Militärs, um ihnen Anweisungen zur radikalen Kriegführung in Polen zu geben (22. August 1939), und von dort aus orchestrierte er den sog. Hitler-Stalin-Pakt (24. August 1939). Auch der Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde zuvor in weiten Teilen am Obersalzberg vorbereitet. Die verbrecherischen Befehle für den Rasse- und Vernichtungskrieg ergingen dort – so etwa der Kriegsgerichtsbarkeitserlass (13. Mai 1941) und der Kommissarbefehl (6. Juni 1941).
Den Zweiten Weltkrieg führte Hitler auch vom Obersalzberg aus. Die regelmäßigen militärischen Lagebesprechungen fanden meist in der Großen Halle statt. Dort stand vor dem Panoramafenster, das die Fassade des Berghofs beherrschte, ein großer Tisch, auf dem Lagekarten ausgebreitet wurden. Neben hohen Wehrmachtsoffizieren ist auch der italienische "Duce" Benito Mussolini (1883-1945) zu sehen (ganz links). Fotografie von Heinrich Hoffmann, 29./30.4.1942. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-44281)
Bis hin zu Holocaust und Völkermord an den Juden gibt es kaum einen Komplex der NS-Verbrechen, der nicht mit dem Obersalzberg verknüpft wäre. Schon der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 war dort vorbereitet worden, ebenso im Herbst 1939 die Ermächtigung zur sog. Euthanasie. 1944 verbrachte Hitler die erste Jahreshälfte fast ununterbrochen am Obersalzberg – in diesem Zeitraum wurde die Ermordung der ungarischen Juden entschieden.
War Hitler anwesend, wurde der Berghof zum Führerhauptquartier, von dem aus er den Krieg führte. Das Führersperrgebiet wurde entsprechend ausgebaut: Zwischen Juli 1943 und Kriegsende entstand ein weitläufiges Bunkersystem, das die verschiedenen Bauten und Einrichtungen am Obersalzberg miteinander verband: Ein unterirdisches Führerhauptquartier, das jedoch nie als solches genutzt wurde. Für den Bau des Bunkers und weitere Baumaßnahmen wurden während des Krieges mehrere Tausend Zwangsarbeiter zahlreicher Nationalitäten eingesetzt. Sie waren in mehreren Lagern am und rund um den Obersalzberg untergebracht.
Der Obersalzberg nach Hitler
Hitler verließ den Obersalzberg endgültig am 14. Juli 1944. Am 25. April 1945 bombardierte die britische Royal Air Force (RAF) das Areal und zerstörte zahlreiche Gebäude. Der Angriff hatte nur noch symbolische Bedeutung. Zuvor war das Gelände unter anderem deshalb nicht angegriffen worden, weil den Alliierten verlässliche Informationen über den jeweiligen Aufenthaltsort des Diktators fehlten. Der Berghof selbst wurde nur leicht beschädigt. Am Abend des 4. Mai erreichten Truppen der 2. französischen Panzerdivision und der 3. US-Infanteriedivision den Berghof. Wenig später folgte die 101. US Airborn Division, die als erste zum Kehlsteinhaus vorstieß. Zu Gefechten kam es nicht mehr, die SS-Wachtruppen waren kampflos abgerückt, hatten jedoch zuvor das Gebäude angezündet. Nachdem sich die einheimische Bevölkerung bereits nach der Bombardierung bedient hatte, wurde das ehemalige Führersperrgebiet in den Tagen nach der Befreiung auch von den alliierten Siegern geplündert. "Hitlers Home" entwickelte sich rasch zu einer Attraktion, die sich viele alliierte Soldaten nicht entgehen lassen wollten. Für Deutsche blieb das Areal zumindest offiziell gesperrt. 1949 übertrug die amerikanische Besatzungsverwaltung den ehemaligen NS-Besitz auf dem Obersalzberg an den Freistaat Bayern, der seitdem Eigentümer der Liegenschaften ist. Eine Rückerstattung an die ehemaligen Besitzer erfolgte in der Regel nicht – nur in Ausnahmefällen erhielten Vorbesitzer, die als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt wurden, ihre Anwesen zurück. Die US-Army richtete eine Recreation Area ein, für die sie jahrzehntelang eine Reihe noch erhaltener Gebäude auf dem Obersalzberg und in der Region nutzte.
Organisierte Besucher: Eine Abordnung der Bauernschaft auf dem Weg zum Berghof, 1937. (Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo, Bild-ID: 00005862)
Mit der Kapitulation 1945 hatte das Interesse an Hitlers ehemaligem Herrschaftszentrum am Obersalzberg keineswegs nachgelassen. Auch wenn zunächst die Mehrzahl der Besucher aus dem Ausland kam, änderte sich dies, nachdem das Areal 1949 wieder frei zugänglich wurde, nicht. Bilder aus den frühen 1950er Jahren erinnern durchaus an die Wallfahrten der 1930er Jahre. Die Einheimischen bedienten die damit einhergehende Nachfrage nach geführten Besuchen und Souvenirs und regten sie gleichzeitig an – erhältlich waren (teils bis in die Gegenwart) etwa Postkarten, Stocknägel oder Hochglanzbroschüren. Dass unter den Besuchern nicht einfach nur Neugierige waren, sondern auch Hitler-Jünger und NS-Nostalgiker, führte schon Anfang der 1950er Jahre zu ersten öffentlichen Skandalen. Dies befeuerte die Debatten um eine zukünftige Nutzung des Obersalzbergs. Das wohl symbolträchtigste Ergebnis dieser Debatten war die Beseitigung der Überreste des Berghofs: Gegen Widerstände der lokalen Politik, von Geschäftsleuten und Bürgern, die vor allem mit wirtschaftlichen und touristischen Interessen argumentierten, setzte die amerikanische Besatzungsmacht die Sprengung der ausgebrannten Ruine des Berghofs am 30. April 1952 durch. Das Gelände des ehemaligen Berghofes wurde mit schnellwachsenden Baumsaaten aufgeforstet. Auch die übrigen baulichen Überreste wurden beseitigt und alle Bunkerzugänge vermauert. So sollte der "Hitlertourismus" verhindert werden. Das Kalkül, durch die Beseitigung der Ruinen Neugierige, Nostalgiker und Nazis vom Obersalzberg fernzuhalten, ging indes nicht auf. Stattdessen etablierte sich ein "Trampelpfad-Tourismus" (Ulrich Chaussy), der den Obersalzberg immer wieder in die Negativ-Schlagzeilen brachte. Der Versuch, den Ort zu tabuisieren, hat nicht nachhaltig zu seiner Entmystifizierung geführt.
In den 1950er Jahren herrschte die Erwartung, das Areal könne gleichsam in einen Vor-Hitler-Zustand zurückversetzt werden. Es sollte wieder landwirtschaftlich genutzt werden und als gehobener Fremdenverkehrsort zahlungskräftige Gäste anlocken. In den Mittelpunkt des Interesses rückte dabei schnell das Kehlsteinhaus, das den Luftangriff unbeschadet überstanden hatte. Parallel zu den Planungen für die Sprengung des Berghofs gab die US-Besatzungsverwaltung das Teehaus auf dem Kehlstein für den allgemeinen Fremdenverkehr frei. Seit 1960 ist die Berchtesgadener Landesstiftung für das Kehlsteinhaus zuständig. Die kreiskommunale Stiftung wurde gegründet, um die Einnahmen aus der Verpachtung des Hauses und aus dem Betrieb der Busse, die die Gäste hinauf zum Kehlstein bringen, für soziale und kulturelle Zwecke im Landkreis Berchtesgadener Land verwenden zu können. 2017 fuhren über 400.000 Menschen zum Kehlsteinhaus hinauf.
Dokumentation Obersalzberg
Im Februar 1995 verkündete die US-Army, sie werde sich vom Obersalzberg zurückziehen. Die Frage, wie mit dem historisch belasteten Areal umzugehen sei, wurde damit erneut akut. In Berchtesgaden forderte eine Bürgerinitiative die Einrichtung einer Dokumentationsstätte und stieß damit zunächst auf erhebliche Widerstände. Die Staatsregierung entwickelte daraufhin in Abstimmung mit dem Landkreis Berchtesgadener Land und der Marktgemeinde Berchtesgaden das "Zwei-Säulen-Konzept": Zum einen wurde für rund vier Mio. DM die Dokumentation Obersalzberg eingerichtet, die 1999 eröffnet wurde. Trägerin ist die Berchtesgadener Landesstiftung, das Konzept für die Dauerausstellung sowie die fachliche Leitung verantwortet das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ). Als zweite Säule wurde bis 2005 für rund 50 Mio. € ein Luxus-Hotel errichtet (Intercontinental Berchtesgaden Resort Hotel, seit 2015 Kempinski Hotel Berchtesgaden). 2019 lag die Zahl der Besucher der Dokumentation Obersalzberg bei rund 170.000. Insgesamt haben sich dort bis Ende 2019 mehr als drei Mio. Menschen über den historischen Ort informiert. Das Gelände, auf dem Hitlers Berghof stand, ist nach wie vor von Bäumen bewachsen. Eine Texttafel informiert knapp über die Geschichte des Ortes.
Literatur
- Ulrich Chaussy/Christoph Püschner, Nachbar Hitler. Führerkult und Heimatzerstörung am Obersalzberg, Berlin 8. aktual. Auflage 2012.
- Albert Feiber, "Filiale von Berlin". Der Obersalzberg im Dritten Reich, in: Volker Dahm u. a. (Hg.), Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, München 7. Auflage 2016, 53-187.
- Albert Feiber, Der lange Schatten Adolf Hitlers. Der Obersalzberg 1945-2015, in: Volker Dahm u. a. (Hg.), Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, München 7. Auflage 2016, 671-729.
- Mathias Irlinger, Der Obersalzberg nach 1945. Über den Umgang mit einem Ort des "Dritten Reiches", unveröffentlichte Magisterarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität München 2011.
- Despina Stratigakos, Hitler at Home, New Haven/London 2015.
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Berghof; Kehlsteinhaus
Empfohlene Zitierweise
Sven Keller, Obersalzberg, publiziert am 10.08.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Obersalzberg> (1.12.2024)