Neuffen, Adelsfamilie
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Seitenlinie des edelfreien Hauses Sulmentingen, die sich nach der Burg auf dem gleichnamigen Albsporn nahe Esslingen im heutigen Baden-Württemberg benannte. Nachdem die Neuffen um 1160 Besitzungen im bayerischen Schwaben geerbt hatten, verlagerte ein Teil der Familie seinen Sitz in die Weißenhorner Gegend. Ein anderer Zweig verblieb auf der Alb. Enge Beziehungen zum staufischen Herzogs- und Königshaus brachten den Neuffen höchste kirchliche und weltliche Ämter ein und machten sie während des 13. und frühen 14. Jahrhunderts zu einer der einflussreichsten Familien der Region. Nach dem agnatischen Erlöschen der Familie (1342) gelangten sämtliche neuffische Besitzungen an die Wittelsbacher. Der Titel eines Grafen von Marstetten, den die Neuffen seit 1239 führten, rührte von einer Heirat mit einer Tochter des Gottfrieds von Marstetten-Ursin-Ronsberg her. Die hieraus bis heute oft abgeleitete Folgerung eines territorialen Zusammenhangs zwischen der hochmittelalterlichen Herrschaft Marstetten an der Iller und der Neuffenherrschaft Weißenhorn ist abzulehnen.
Herkunft aus dem edelfreien schwäbischen Haus Sulmentingen
Die namensgebende Burg (Hohen-)Neuffen (Lkr. Esslingen, Baden-Württemberg) wurde vermutlich unter Manegold von Sulmetingen errichtet, der im ausgehenden 11. Jahrhundert als Mitglied der antistaufischen, schwäbischen Reformpartei in Erscheinung trat. Die Sulmetinger Besitzungen lagen vor allem im württembergischen Oberschwaben (Rißtal). Manegold war mit einer Tochter des einflussreichen Uracher Grafenhauses verheiratet. Dies brachte enge Verbindungen zu den Grafen von Achalm und deren Hauskloster Zwiefalten mit sich und bezeugt den hohen sozialen Rang von Manegolds edelfreier Familie. Manegolds Sohn Egino (gest. nach 1145) war der erste, der sich nach der Burg Neuffen benannte. Eine neue, jüngere Linie des Hauses Sulmetingen war somit ausgebildet worden.
Linienbildung: Neuffen-Weißenhorn und Neuffen-Neuffen
Ein Angehöriger von Manegolds Enkelgeneration mit Namen Liutfried war das erste Familienmitglied, das mit dem Namenszusatz "von Weißenhorn" erwähnt wurde, und zwar 1160 in einer Roggenburger (Lkr. Neu-Ulm) Urkunde. Liutfrieds Nachfolger Bertold (I.) (belegt 1160-1221) benannte sich abwechselnd nach seinen verschiedenen Burgen (Neuburg a. d. Kammel [Lkr. Günzburg], Weißenhorn [Lkr. Neu-Ulm], Neuffen, Achalm [Lkr. Reutlingen, Baden-Württemberg], Hettingen-Gammertingen [Lkr. Sigmaringen, Baden-Württemberg).
Unter Bertholds Söhnen Heinrich (1200-1246) und Albert kam es zur Erbteilung: Heinrich behielt die Burgen Neuffen und Achalm, Albert erhielt Besitzungen in Mittelschwaben, die um 1160 auf dem Erbweg an die Familie gekommen waren. Doch der jüngere Nebensitz entwickelte sich im Zuge des Ausbaus Weißenhorns zur Stadt immer mehr zum Herrschafts- und Aktionszentrum. Die auf der Stammburg verbliebene Linie wurde bald durch den Weißenhorner Zweig überflügelt. Denn der Iller-Günz-Raum war zu jener Zeit politisch bedeutender und in territorialer Hinsicht ausbaufähiger als die Gegend am ohnehin burgenreichen Albrand.
Die Linie Neuffen-Neuffen hatte nur kurzen Bestand: Mit Heinrichs Söhnen, zu denen neben Minnesänger Gottfried (erw. 1234-1255) auch ein Berthold (verheiratet mit Richenza von Löwenstein, um 1250-um 1294) und ein Albert gehörten, fand die ältere Linie offenbar ihr Ende.
Die Neuffen als Erben der hochadligen Familie Roggenburg-Biberegg
1160 trat ein Bruno, wohl Mitglied der Familie Eberstall, als Vogt des Prämonstratenserstiftes Roggenburg in Erscheinung. Die Stifterfamilie Roggenburg-Biberegg musste also zu diesem Zeitpunkt bereits erloschen sein, anderenfalls hätte man keinen Fremden mit dem Klosterschutz betrauen müssen. Im selben Jahr benannte sich mit Liutfried ein Angehöriger der Neuffen plötzlich nach Weißenhorn. Die ältesten Weißenhorner und Roggenburger Güterverzeichnisse (15./16. Jahrhundert) zeigen eine derart auffällige Verklammerung der jeweiligen Besitzungen, dass eine gemeinsame Herkunft sehr wahrscheinlich erscheint. Auch die Verteilung von Holzrechten und Gemeindewäldern sowie bestimmte kirchliche Gepflogenheiten und Titel legen diesen Schluss nahe. Nach dem Aussterben der Gründer Roggenburgs ging also der eine Teil des Erbes an ihr Hauskloster, während die Besitzungen um Weißenhorn und Neuburg an der Kammel via Muttererbe oder Mitgift an die Neuffen fielen.
Die Neuffen als Gründer der Stadt Weißenhorn
Als präurbaner Siedlungskern konnte aufgrund pfarreigeschichtlicher, archäologischer und auf Flurformen beruhender Indizien der heutige Weißenhorner Stadtteil Grafertshofen ermittelt werden. Obwohl in der Literatur meist eine Stadterhebung im 13. Jahrhundert postuliert wird, lässt sich eine Stadtverfassung erst zur Mitte des 14. Jahrhunderts erkennen (1338: Bezeichnung als Stadt; 1376: Erwähnung eines Rats). Die "Stadterhebung" geschah also möglicherweise erst in der Regierungszeit Ludwigs des Bayern (reg. 1314-1347, Kaiser seit 1328), der sich sehr für die Entwicklung des Gebiets zwischen Lech und Iller einsetzte. Neuere baugeschichtliche Erkenntnisse belegen zudem eine Entstehung des Weißenhorner Rathausbaus in den 1350er Jahren. Die Entwicklung von der Burgsiedlung hin zur Stadt war demnach zu diesem Zeitpunkt vollzogen. Eine Kodifizierung des nicht überlieferten ältesten Weißenhorner Stadtrechts im Sinne einer relativ deutlichen herrschaftlichen Oberaufsicht erfolgte 1474 unter Herzog Ludwig dem Reichen von Bayern-Landshut (reg. 1450-1479).
Die Ortsbezeichnung Weißenhorn stellt eine Namensübertragung dar: Die Stammburg der Neuffen lag auf einem leuchtend hellen Bergsporn, also quasi auf einem weißen Horn, am Albtrauf. Die Burg Weißenhorn wurde mindestens einmal (1258) auch als "Nifenhorn" erwähnt, was zeigt, dass der Zusammenhang zwischen alter und neuer Stammburg den Zeitgenossen durchaus bewusst war. Die redende Wappenfigur der Herren von Neuffen (silberne Hörner) findet sich bis heute im Weißenhorner Gemeindewappen.
Die Bezeichnung "Neuffenschloss" für das alte Weißenhorner Schloss führt in die Irre: Das Gebäude wurde erst im 15. Jahrhundert unter dem damaligen, durch die Wittelsbacher eingesetzten Pfandinhaber Jörg von Rechberg erbaut.
Die Neuffen unter den Staufern
Berthold von Neuffen (gest. nach 1221), Sohn Liutfrieds und der Adelheid von Achalm-Gammertingen, trat zunächst als Gefolgsmann Herzog Welfs VI. (reg. 1152-1162 als Markgraf der Toskana und Herzog von Spoleto), nach 1185 aber in den Reihen der staufischen Parteigänger in Erscheinung. Auch Bertholds Nachfahren waren im 13. Jahrhundert fast durchgehend in der Umgebung des staufischen Königshauses zu finden. Lediglich um 1240 gab es eine vorübergehende Annäherung an die papsttreue Adelspartei in Schwaben, und 1246 unterstützte ein Familienmitglied (Heinrich II.) offenbar den Gegenkönig Heinrich Raspe (reg. 1227-1247 als Landgraf von Thüringen). Davon abgesehen hielten die Neuffen aber zu den Staufern und bewegten sich auf beiden Seiten der Alpen in deren Diensten. Zum Beispiel war Berthold (gest. 1224) der Protonotar Friedrichs II. und erhielt 1217 das Bistum Brixen. Heinrich von Neuffen-Neuffen leitete 1220 im Auftrag desselben Kaisers die Verwaltung des Herzogtums Schwaben. 1234 wurden Heinrich (II.) und seine beiden Söhne, von welchen einer sich als Minnesänger am Hofe Heinrichs (VII). (1211-1242) bewegte, als "ministri regis" bezeichnet.
Der Grundbesitz
Die folgende Aufzählung kann aufgrund der schlechten Forschungslage keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.
- Besitzungen auf der Alb: Sehr wahrscheinlich gehörte zu den Besitzungen Bertholds von Neuffen (1160-1222) die Burgen Hettingen, Gammertingen (beide Lkr. Sigmaringen, Baden-Württemberg) und Achalm. Der Besitz dieser sehr bedeutenden, aus vornehmem Erbe stammenden Vesten könnte dazu beigetragen haben, dass Bertold mitunter als Graf bezeichnet wurde. Keine der drei Burgen ging an die durch Bertolds Sohn Albert gegründete jüngere Linie Neuffen-Weißenhorn über: Hettingen und Gammertingen finden sich bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Hand der Grafen von Veringen wieder. Die Burg Achalm verblieb nach der unter Bertholds Söhnen vorgenommenen Erbteilung bei der Linie Neuffen-Neuffen, stand zeitweise unter Kontrolle der Welfen und wurde 1235 durch die Staufer konfisziert. Die Stammburg Neuffen selbst kam nach dem Tod Bertholds I. (1160-1222) an dessen älteren Sohn Heinrich. Nach dem um 1255 erfolgten Erlöschen der Linie Neuffen-Neuffen fielen Burg und Zubehör an die Neuffen-Weißenhorn. Bertold von Neuffen-Weißenhorn verkaufte 1284 seinem Schwager Konrad von Weinsberg (gest. 1323/25) die Hälfte dieser Besitzungen; die andere Hälfte hatte der Weinsberger ohnehin schon auf dem Weg der Mitgift erhalten. 1301 gelangten Burg und Stadt Neuffen mit fünf Dörfern käuflich an das Haus Württemberg.
- Herrschaft Weißenhorn: Weißenhorn und Umgebung waren einst Teil der Besitzlandschaft der edelfreien Familie Roggenburg-Biberegg. Über den Umfang dieser hochmittelalterlichen Herrschaften ist nichts Näheres bekannt. Erst für den Zeitpunkt 1477 (Urbar Ludwigs des Reichen von Bayern-Landshut) lässt sich ersehen, dass die Herrschaft Weißenhorn damals zwei Verwaltungssitze hatte (Weißenhorn und Obenhausen) und Einkünfte aus folgenden Orten bezog: Stadt Weißenhorn, Hegelhofen (Lkr. Neu-Ulm), Deisenhausen (Lkr. Günzburg), Grafertshofen, Bubenhausen (beide Lkr. Neu-Ulm), Reichenbach (Lkr. ?), Gannertshofen, Buch, Weiler bei Buch (alle Lkr. Neu-Ulm), Ritzisried, Halbertshofen, Obenhausen, Dietershofen (alle Gde. Buch, Lkr. Neu-Ulm), Kettershausen (Lkr. Unterallgäu), Rennertshofen, Ebersbach, Bellenberg, Christertshofen (alle Lkr. Neu-Ulm), Egg (Lkr. Unterallgäu ?), Waldstetten (Lkr. Günzburg), Tafertshofen (Gde. Kettershausen, Lkr. Unterallgäu), Oberwiesenbach (Gde. Wiesenbach [Schwaben], Lkr. Günzburg). Zum Weißenhorner Besitz der Neuffen hatten sicherlich auch die direkt an Weißenhorn angrenzenden kleinen Herrschaften Biberachzell (mit Asch, Wenenden, Ober- und Unterreichenbach) und Bubenhausen gehört. Die Wittelsbacher traten dort nämlich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts unvermittelt als Herren auf, was sich eigentlich nur durch neuffischen Erbanfall von 1342 sinnvoll erklären lässt. Hinweis hierfür ist auch der Name des zu Biberachzell gehörigen Gehöfts Wenenden. Hier dürfte es sich um eine weitere Namensübertragung aus der alten Neuffenheimat in das neue Familienzentrum an der Roth handeln (von der neuffischen Burg Winnenden im Rems-Murr-Kreis).
- Herrschaft Neuburg a. d. Kammel: Neben der Herrschaft Weißenhorn verwalteten die Neuffen seit spätestens 1201 auch die Herrschaft Neuburg an der Kammel (Lkr. Günzburg), wozu die Vogtei über das Stift Ursberg und den Markt Thannhausen gehörte. Wahrscheinlich hatten auch diese Besitzungen bereits einen Teil des Roggenburg-Biberegger Erbes dargestellt und waren somit gemeinsam mit Weißenhorn an die Neuffen gekommen.
- Einzelbesitzungen im Raum Augsburg und Memmingen: Kirchliche Rechte sind bezeugt in Memmenhausen (1212) (Lkr. Günzburg), Unterrohr (1254) (Lkr. Günzburg), nahe Kloster Weihenberg (1270/1274). Güter und Lehensrechte, die mindestens zum Teil aus dem Ursin-Ronsberg-Marstetter-Erbe stammen dürften, lagen in Bannacker (1251), Großaitingen (1318), Diedorf (1298), Gessertshausen (1293), Lützelburg (1310) (alle Lkr. Augsburg) und Matzenhofen (1286) (Lkr. Neu-Ulm) vor. Weiterhin lassen sich für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts neuffische Lehen in Westerstetten, Ungerhausen und Stein bei Memmingen nachweisen; möglicherweise existierten neuffische Lehensrechte auch in Hart bei Memmingen und Pleß (Lkr. Unterallgäu).
- Grafschaft Graisbach: Die Grafen von Graisbach starben 1324 in männlicher Linie aus. Berthold von Neuffen-Weißenhorn (gest. 1342), Graf von Marstetten, war ein enger Vertrauter Kaiser Ludwigs des Bayern, und er hatte offenbar eine Schwester des letzten Grafen von Graisbach zur Mutter. Mit Unterstützung Kaiser Ludwigs konnte der Neuffe in die Besitznachfolge der mit wichtigen Regalien ausgestatteten Grafschaft Graisbach (gelegen im Donau-Ries), einrücken – und damit seinen Herrschaftsbereich ganz beträchtlich ausweiten. Berthold Graf von Marstetten und Graisbach starb 1342 ohne einen erbfähigen männlichen Nachkommen. Seine Erbtochter Anna wurde auf Betreiben Ludwigs des Bayern mit dem Kaiserenkel Friedrich von Bayern-Landshut (reg. 1375-1392 als Herzog von Bayern, 1392/93 als Herzog von Bayern-Landshut) verheiratet, so dass mit Ausnahme Neuburgs a. d. Kammel das gesamte neuffische Erbe an die Wittelsbacher fiel.
Die "Grafschaft" Marstetten und der Marstettener Grafentitel der Neuffen
Bertold von Neuffen-Weißenhorn war mit einer Tochter des Gottfried von Ursin-Ronberg-Marstetten verheiratet. Um 1239 begann er, sich noch zu Lebzeiten seines Schwiegervaters als Graf von Marstetten zu bezeichnen. Hieraus wurde gefolgert, dass der Neuffe sämtliche Besitzungen Gottfrieds mitsamt Burg und Herrschaft Marstetten im Allgäu geerbt hatte. Die Umstände, dass einerseits im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ein Landgericht Marstetten in der Stadt Weißenhorn tagte und dass andererseits die frühneuzeitliche Fuggerherrschaft Weißenhorn in den Quellen nicht selten auch als "Grafschaft Marstetten" bezeichnet wird, führt in der Literatur bis heute sehr häufig zu einer begrifflichen Gleichsetzung der Grafschaft Marstetten mit der Herrschaft Weißenhorn.
Bei der sagenumwobenen "Grafschaft" Marstetten, deren namensgebende Burg bei Aitrach (Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg) stand, dürfte es sich um ein recht kleines Gebilde gehandelt haben, das keinesfalls mit einer alten Gaugrafschaft in Zusammenhang stand (vgl. Schwarzmaier). Vielmehr begann sich um 1200 eine Seitenlinie der Markgrafen von Ursin-Ronsberg nach ihrer Burg Marstetten zu nennen und einen "usurpierten" Grafentitel zu führen - ein für diese Zeit nicht ungewöhnlicher Vorgang. Dieser Titel wiederum ging um 1239 als Mitgift an Bertold II. von Neuffen über. Thesen, die die ältere ursin-ronsbergische Burg bzw. "Grafschaft" Marstetten mit der abgegangenen Burg Buch bei Weißenhorn in Verbindung bringen und deshalb von einer Einheit der Grafschaft Marstetten und der Herrschaft Weißenhorn oder von einer Transferierung der Herrschaft Marstetten aus dem Allgäu in der Gegend von Weißenhorn ausgehen, sind nicht haltbar.
Berthold von Neuffen führte den Marstetter Grafentitel schon zu Lebzeiten seines Schwiegervaters Gottfried. Da die Burg und Herrschaft Marstetten 1281 als Geschenk Rudolfs von Habsburg (reg. 1273-1291) an das Stift Kempten kam, können diese Besitzungen nicht im Zuge der Eheschließung an Bertold von Neuffen gefallen sein. Vielmehr dürfte die Mitgift vor allem aus dem einen hohen ideellen und politischen Wert darstellenden Grafentitel bestanden haben. Dass auch Grundbesitz dabei gewesen sein muss, wird aus Urkundenbelegen deutlich. Diese beziehen sich aber lediglich auf einige wenige, weit von Marstetten entfernte Einzelgüter (wie z. B. in Bannacker nahe Augsburg). Auch das bekannte "Lied vom edlen Moringer" handelt davon, dass der Neuffe eben gerade nicht die Gräfin von Marstetten samt ihrer Burgherrschaft heiratete: Weil sich kurz vor der Eheschließung zeigte, dass der totgeglaubte Gatte doch noch lebte, musste Bertold mit der Tochter vorlieb nehmen. Gräfin inklusive Burg blieben hingegen beim rechtmäßigen "Besitzer".
Die Neuffen konnten ihre "Quasi-Grafen-Stellung" (Maurer, Herren von Neuffen, 116), die sie durch vorteilhafte Eheschließungen in jeder Generation weiter ausbauten, durch den Marstettener Grafentitel abrunden. Die Wittelsbacher wiederum nutzten als Besitznachfolger der Neuffen diesen Grafentitel auf raffinierte Weise: Um dem unter ihnen neu eingerichteten, meist zu Memmingen abgehaltenen Landgericht einen Anstrich alten Herkommens und gräflicher Legitimität zu verleihen, erhielt es die Bezeichnung "Marstetter Landgericht". Dieses Landgericht wurde im späten 15. Jahrhundert nach Weißenhorn verlegt, was vermutlich einer der Hauptgründe für den oft fälschlich vermuteten territorialen Zusammenhang zwischen der Herrschaft Marstetten und der Herrschaft Weißenhorn darstellt.
Spätestens im 16. Jahrhundert war dieser Hergang der Dinge schon nicht mehr nachvollziehbar: Erzherzog Ferdinand (reg. 1521-1564, 1558-1564 als römisch-deutscher Kaiser) gewährte den Fuggern 1535, sich nicht nur nach Kirchberg, sondern auch nach Weißenhorn und Marstetten zu nennen und ihr Wappen entsprechend zu mehren. Hierauf ließ Anton Fugger (1493-1560) Recherchen zu den Neuffen durchführen, die ohne Ergebnis verliefen. Das Herrscherprivileg selbst weist viele Unstimmigkeiten in unterschiedlichen Entwürfen und Wortlauten auf - auch die österreichischen Behörden konnten sich wahrscheinlich nicht erklären, wie die Neuffen, die Herrschaft Weißenhorn und die Grafschaft Marstetten in Zusammenhang zu bringen seien.
"Nachleben" der neuffischen Besitzungen
Bertold von Neuffen-Weißenhorn, Graf von Marstetten und Graisbach, hatte einen unehelichen Sohn namens Konrad von Weißenhorn, der als Stadtamman von Ulm fungierte. Bertold vermachte diesem Konrad sowie den Bürgern der Stadt Ulm die Herrschaft Neuburg an der Kammel mitsamt der Vogtei über das Kloster Ursberg und dem Markt Thannhausen (beide Lkr. Günzburg). Daher gelangten diese Titel - im Gegensatz zum übrigen neuffischen Erbe - nach 1342 nicht an das Haus Bayern. Sie wurden 1348 als Reichslehen vom Luxemburger Karl IV. (reg. 1346-1378) an Burkhart von Ellerbach (gest. 1369) verliehen; seit 1524 war Neuburg in der Hand der Patrizier- und Ritterfamilie Vöhlin.
Die Grafschaft Graisbach wurde 1342 zunächst zum wittelsbachischen Landgericht Graisbach und ging nach 1504 im neu geschaffenen Herzogtum Pfalz-Neuburg auf. Die Herrschaft Weißenhorn verblieb ebenfalls in bayerischem Besitz. Sie wurde aber 1504 durch Maximilian I. (reg. 1486-1519) konfisziert und 1507 gemeinsam mit der Grafschaft Kirchberg und der Herrschaft Pfaffenhofen an Jakob Fugger (1459-1525) weiterverkauft. Die Fugger führen die heraldischen Symbole der Neuffen (drei silberne Hörner = Weißenhorn) bis heute in ihrem Familienwappen. Die neuffische Stadtgründung Weißenhorn entwickelte sich bald zur "wirtschaftlichen Kleinregion" (Rolf Kiessling) mit Textilindustrie, eigenem Spital und einer selbstbewussten, auch unter den Fuggern stets auf ihre rechtliche Eigenständigkeit pochenden Bürgerschaft.
Bedeutende Vertreter
Name | Lebendaten | Tätigkeit | Bemerkung |
---|---|---|---|
Mathilde von Neuffen | gest. nach 1225 | Äbtissin des Stifts Obermünster in Regensburg | Tochter Bertholds (1160-1221) |
Berthold von Neuffen | reg.1217-1224, gest. 1224 | Bischof von Brixen | 1208 Viztum von Trient, 1212 königlicher Protonotar und 1215 Propst von St. German zu Speyer |
Gottfried von Neuffen-Neuffen | belegt 1234-1255 | Minnesänger | bewegte sich am Hof des Staufers Heinrich VII. |
Wolfram von Neuffen(-?) | 1230er Jahre | Propst von St. Getrud in Augsburg | |
Gottfried von Neuffen-Weißenhorn | 1306-1315 | Propst von St. Moritz in Augsburg | |
Berthold von Neuffen-Weißenhorn, Graf von Marstetten und Graisbach | gest. 1342 | Reichsvikar in Italien, kaiserlicher Hauptmann in Oberbayern, zeitweiliger Pfandinhaber der Reichsstadt Ulm | verheiratet mit Elisabeth von Truhendingen (gest. 1336), danach mit Agnes Burggräfin von Zollern |
Elisabeth von Neuffen-Weißenhorn | gest. 1392 | Äbtissin von Niederschönenfeld | |
Anna von Neuffen-Weißenhorn, Herzogin von Bayern | gest. 1393 | Gemahlin Herzog Friedrichs von Bayern-Landshut | Erbtochter Bertholds von Neuffen-Weißenhorn (gest. 1342) |
Zu Forschungsstand und Quellenlage
In den letzten Jahrzehnten blieben die Neuffen durch die Forschung unbehandelt. Eine Überblicksdarstellung in Buch- oder Aufsatzform liegt nicht vor. Hans-Martin Maurer (geb. 1929) hat 1966 einen Aufsatz über die genealogischen Zusammenhänge zwischen den Häusern Sulmetingen, Neuffen, Weißenhorn und Sperbersegg veröffentlicht. Darin wurde die Herkunft der Herrschaft Weißenhorn von der Familie Biberegg-Roggenburg wahrscheinlich gemacht. Infolge fehlender Rezeption der Arbeiten von Maurer und Schwarzmaier gibt es bezüglich der "Grafschaft" Marstetten noch immer beachtliche Missverständnisse in Handbuchliteratur und Heimatforschung. Die Neuffen werden in den bayerischen Handbüchern (Spindler, Baumann) als eine für das Spätmittelalter westlich des Lechs wichtige Familie lediglich erwähnt. Stälins "Wirtembergische Geschichte" geht etwas ausführlicher auf die Neuffen ein; durchgängige Gültigkeit ist hier jedoch heute nicht mehr gegeben. Nähere Brücksichtigung, vor allem in Form von Lexikonartikeln, fanden lediglich die beiden prominenten Familienmitglieder Gottfried der Minnesänger und Berthold der "Reichspolitiker".
Spezifisch auf die Neuffen bezogene Quelleneditionen liegen nicht vor. Relevant sind aber generell die Urkundenbücher schwäbischer Klöster sowie das Württembergische Urkundenbuch, das Ulmische Urkundenbuch und die (unedierten) Urkunden der umliegenden regionalen Herrschaftsträger (z. B. Reichsstift Roggenburg). Maurer bietet im Anhang seines Aufsatzes Regesten der einschlägigen Urkunden, Traditionseinträge und Notizen des 12. Jahrhunderts.
Literatur
- Hansmartin Decker-Hauff, Berthold von Neuffen, Graf von Marstetten und Graisbach, kaiserlicher Generalvikar für Italien. Um 1290-1342, in: Schwäbische Lebensbilder. 6. Band, Stuttgart 1957, 28-39.
- Sarah Hadry, Die Herren von Neuffen, Gründer Weißenhorns, in: Erich Mennel/Wolfgang Ott (Hg.), Weißenhorner Profile 1160–2010. Beiträge und Untersuchungen zur Stadtgeschichte (Kataloge und Schriften des Weißenhorner Heimatmuseums 5), Weißenhorn 2010, 7–21.
- Sarah Hadry, Neu-Ulm. Der Altlandkreis (Historischer Atlas von Bayern. Schwaben I/18), München 2011.
- Hans-Martin Maurer, Die hochadeligen Herren von Neuffen und von Sperberseck im 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 25 (1966), 59-130. (maßgeblicher Beitrag zur Geschichte der Neuffen)
- Bernhard Niethammer, Das Alte Rathaus der Stadt Weißenhorn - Eine Idee wird zum Monument. Zur Geschichte und Bedeutung des Weißenhorner Rathauses, in: Erich Mennel/Wolfgang Ott (Hg.), Weißenhorner Profile 1160–2010. Beiträge und Untersuchungen zur Stadtgeschichte (Kataloge und Schriften des Weißenhorner Heimatmuseums 5), Weißenhorn 2010, 23-67.
- Frieder Schanze, 'Moringer' ('Der edle Moringer'), in: Kurt Ruh (Hg.), Verfasserlexikon. 6. Band, Berlin u. a. 2. Auflage 1987, Sp. 688-692.
- Hansmartin Schwarzmaier, Königtum, Adel und Klöster im Gebiet zwischen oberer Iller und Lech (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte 1/7), Augsburg 1961.
- Eduard Wylicil/Josef Heider, Weissenhorn, in: Erich Keyser (Hg.), Bayerisches Städtebuch. 2. Band (Deutsches Stadtebuch 5), Stuttgart 1974, 733-736.
Quellen
- Hans-Martin Maurer, Die hochadeligen Herren von Neuffen und von Sperberseck im 12. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 25 (1966), 59-130. (Anhang: Regesten der Urkunden und datierbaren Notizen sowie der undatierbaren Einträge in Chroniken, Traditionsverzeichnissen und Totenbucheinträge)
- Wirtembergisches Urkundenbuch (680-1300). 11 Bände, hg. von dem Königlichen Staatsarchiv in Stuttgart, Stuttgart 1899-1913 (ND als "Württembergisches Urkundenbuch", Aalen 1972-1978).
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Empfohlene Zitierweise
Sarah Hadry, Neuffen, Adelsfamilie, publiziert am 11.09.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Neuffen,_Adelsfamilie> (12.10.2024)