Zeugen Jehovas
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Um 1870 in den USA entstandene, endzeitlich ausgerichtete Glaubensgemeinschaft, die sich anfangs "Ernste Bibelforscher" nannte und seit 1931 den Namen "Zeugen Jehovas" führt. In Deutschland waren die Zeugen Jehovas seit ca. 1900, in Bayern seit den 1920er Jahren aktiv, wobei sich - von Behörden und Kirchen mißtrauisch beäugt - Gemeinschaften vor allem in Großstädten bildeten. Nach schweren Verfolgungen durch die Nationalsozialisten wurden die Zeugen Jehovas nach 1945 wieder missionarisch tätig, nun auch verstärkt im ländlichen Raum.
Gründung und weltweite Entwicklung
Die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas entstand in den 1870er Jahren in Nordamerika. Kennzeichnend ist eine Heilserwartung, die auf das Studium der Bibel als dem an die Menschheit gerichteten Wort Gottes gestützt ist. Dies führte mehrfach zu zeitlich konkreten Endzeitverheißungen ("Harmagedon" als Untergang aller Menschen und menschlichen Einrichtungen mit Ausnahme der eigenen in der Gottesherrschaft lebenden Gläubigen), z. B. für 1878, 1914, 1918, 1925 und 1975.
Gründer der Glaubensgemeinschaft, die sich anfangs "Bible Students" bzw. "Ernste Bibelforscher" nannte, war Charles Taze Russel (1852-1916), der um 1870 in Pennsylvania mit Gleichgesinnten ein intensives Bibelstudium begann. Die erste Ausgabe der Zeitschrift "Watch Tower" erschien 1879, zwei Jahre später entstand als Organisation "Watch Tower Bible and Tract Society".
Joseph Franklin Rutherford (1869-1942), der 1917 Nachfolger Russells wurde, straffte die Organisation deutlich, verschärfte aber auch die Lehrmeinung gegenüber staatlichen Einrichtungen - mit daraus resultierenden Konflikten in zahlreichen Ländern - und den Kirchen ("Huren Babylon").
1931 wurde der Name "Zeugen Jehovas" angenommen. Die Hauptverwaltung der "Watch Tower and Tract Society" (WCT) befand sich seit 1909 in Brooklyn, New York, wo auch die leitende Körperschaft der Glaubensgemeinschaft ihren Sitz hatte. Seit 2017 ist die Weltzentrale der Zeugen Jehovas von Warwick, New York, aus tätig.
Die Anfänge in Deutschland und Bayern
In Deutschland fasste die Lehre um 1900 mit zunächst kleinen Gemeinschaften Fuß (1897 erste deutsche Ausgabe des "Wachturms", 1901 Büro in Barmen-Elberfeld, Nordrhein-Westfalen) und blieb bis 1920 auf wenige tausend Anhänger beschränkt (1919 knapp 5.600 aktive Mitglieder).
In den 1920er Jahren erhielten die Bibelforscher starken Zulauf, nun auch in Bayern, wo im Februar 1922 Präsident Rutherford einen Vortrag im Zirkus Krone in München hielt. Seit 1923 befand sich der Sitz der Gemeinschaft für Deutschland in Magdeburg, wo 1927 eine vereinsrechtliche Eintragung der "Internationalen Bibelforschervereinigung" (IBV), "Deutscher Zweig", erfolgte. 1933 wurden in Deutschland rund 25 000 "Verkündiger" gezählt, hinzu kamen etwa 10.000 Sympathisanten. Örtliche Schwerpunkte bestanden in nord- und mitteldeutschen Großstädten (etwa in Dresden) bzw. verstädterten und industrialisierten Regionen. Grundsätzlich gilt dies mit größeren Gruppen in Nürnberg, München und Augsburg auch für Bayern.
Vertreter der großen Konfessionen, v. a. Kardinal Michael von Faulhaber (1869-1952), wandten sich energisch gegen die Missionstätigkeit der IBV, deren Druckschriften seit 1931 in Bayern auf der Grundlage des Notverordnungsrechts beschlagnahmt werden konnten.
Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im "Dritten Reich"
Da die Tätigkeit der Zeugen Jehovas den Nationalsozialisten als hochgradig staatsfeindlich und international beeinflußt galt, war die Verfolgung ihrer Anhänger nach Ausmaß und Härte in der NS-Zeit mit der keiner anderen unter den kleineren Religionsgemeinschaften vergleichbar.
Von April bis Juni 1933 erfolgten in den meisten deutschen Ländern Verbote der Bibelforschervereinigung, am 13. April 1933 auch in Bayern. Nach einer längeren Phase des Zuwartens und der Versuche, durch Verhandlungen und Erläuterungen der eigenen Positionen eine Duldung im "Dritten Reich" zu erreichen, wurde nach einem internationalen Bibelforscher-Kongress in Basel im September 1934 das "Zeugnisgeben" wieder aufgenommen. Nach dem reichsweiten Verbot im April 1935 unterlag die Anhängerschaft v. a. 1936/37 heftiger Verfolgung durch die politische Polizei mit zahlreichen Verhaftungen und Verfahren vor Sondergerichten. Die Maßnahmen verschärften sich seit 1939 in Fällen von Wehrdienstverweigerung und Propaganda, die als Zersetzung der Wehrkraft beurteilt wurden. Allerdings konnten die Kontakte zu dem für Süddeutschland zuständigen Bibelhaus Bern ("Zentraleuropäisches Büro") lange aufrechterhalten werden.
Polizeieinsätze zerschlugen Anfang 1943 und im Frühjahr 1944 Gruppen in Südbayern und im württembergisch-mittelfränkischen Grenzgebiet. Rund 9.000 deutsche Bibelforscher waren 1933-1945 in Gefängnis- und Lagerhaft, über 1.100 kamen zu Tode.
Entwicklung seit 1945 in Deutschland und Bayern
Im September 1945 wurden die "Jehovas Zeugen, Deutscher Zweig" offiziell wiedergegründet. Nachdem die Vereinigung 1950 in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von der Liste der zugelassenen Religionsgemeinschaften gestrichen worden war, übersiedelte das Zweigbüro von Magdeburg nach Wiesbaden-Dotzheim (Sitz seit 1984: Selters/Taunus). Nach zeitweilig heftiger Verfolgung wurde die Glaubensgemeinschaft 1990 auch für den Bereich der ehemaligen DDR wieder zugelassen. Um die Jahrtausendwende zählte sie - in Kreise und Versammlungen vor Ort gegliedert - in Deutschland rund 165.000 "Verkündiger". Nach langjährigem Verfahren erreichte die Gemeinschaft im Februar 2006 vor dem Bundesverwaltungsgericht die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Land Berlin.
1947 trat die Gemeinschaft auch in Bayern wieder stärker in die Öffentlichkeit, unter anderem mit Werbeaktionen in ländlichen Gegenden und in Flüchtlingslagern. Bereits im September 1946 hatte auf der Zeppelinwiese in Nürnberg eine "Hauptversammlung" mit rund 6.000 Besuchern stattgefunden. Wie schon vor 1933 stießen die Zeugen Jehovas in den 1950er und 1960er Jahren - zumal in katholischen Gebieten - auf heftige Widerstände der Geistlichkeit und der Gemeindebehörden.
München war in der Nachkriegszeit Schauplatz mehrerer internationaler Kongresse der Zeugen Jehovas: im Juli 1963 auf der Theresienwiese mit über 80.000 Teilnehmern (Motto: "Ewige gute Botschaft") sowie im August 1973 ("Göttlicher Sieg") und im Juli 1978 ("Siegreicher Glaube") im Olympiastadion. In Bayern gab es nach Angaben des Informationsbüros in Selters 2008 in 380 Versammlungen annähernd 30.000 "Verkündiger". Sie sind zwölf Kreisen zugeordnet, die allerdings zum Teil auch Versammlungen in Baden-Württemberg einschließen.
Taufe der Zeugen Jehovas in der Olympia-Schwimmhalle während ihres Kongresses "Göttlicher Sieg" im Olympiastadion, 1973. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-ERG-F-0004)
Literatur
- Konrad Algermissen, Konfessionskunde, Paderborn 8. Auflage 1969.
- Detlef Garbe, Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im "Dritten Reich" (Studien zur Zeitgeschichte 42), München 4. Auflage 1999.
- Friedrich-Wilhelm Haack, Jehovas Zeugen, München 15. Auflage 1993.
- Gerhard Hetzer, Ernste Bibelforscher in Augsburg, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hg.): Bayern in der NS-Zeit. Band IV, München 1981, 621-644.
- Horst Reller/Hans Krech/Matthias Kleininger (Hg.), Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, Gütersloh 5. , neubearb. u. erw. Auflage 1978, 370-386.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
Ernste Bibelforscher
Empfohlene Zitierweise
Gerhard Hetzer, Zeugen Jehovas, publiziert am 23.06.2008; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Zeugen Jehovas> (6.12.2024)