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Evangelische Akademie Tutzing

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Mitarbeiterfreizeit in der Evangelischen Akademie Tutzing. (LAELKB, Bildersammlung Orte 06, Bild Nr. 8/5)
Historiker- und Germanistentagung unter der Leitung von Matthias Simon (1893-1972) in Tutzing. (LAELKB, Bildersammlung Orte 05)
Außenansicht der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: Evangelische Akademie Tutzing)
Außenansicht der Evangelischen Akademie Tutzing mit dem Garten im Vordergrund. (Foto: Evangelische Akademie Tutzing)

von Jürgen König

Die Evangelische Akademie Tutzing wurde 1947 als "Evangelisches Heimkehrer- und Freizeitenheim" in Tutzing (Lkr. Starnberg) gegründet. Sie befindet sich im Tutzinger Schloss, das die evangelische Landeskirche 1949 von Rudolf August Oetker (1916-2007) erwarb. Die Evangelische Akademie Tutzing ist eine Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, die unter der Aufsicht des Landeskirchenrats steht, der als Leiter einen Direktor sowie weitere leitende Mitarbeiter ernennt. Sie veranstaltet Tagungen, Seminare und Kolloquien zu Fragen der Zeit und gibt verschiedene Publikationen, darunter die Akademiezeitschrift "Tutzinger Blätter", heraus. Darüber hinaus verleiht sie mehrere Preise, u. a. den Marie Luise Kaschnitz-Preis für deutschsprachige Schriftsteller.

Entstehung

Die Gründung der Akademie in Tutzing (Lkr. Starnberg) erfolgte ungefähr zeitgleich mit der Gründung vergleichbarer Einrichtungen in anderen Landeskirchen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In Bad Boll (Baden-Württemberg) fand bereits Ende 1945 die erste Akademie-Tagung statt. Im Herbst 1946 begann der Arzt August Knorr im Auftrag der "Inneren Mission" in den angemieteten Räumlichkeiten des Schlosses in Tutzing mit der Betreuung von aus der Sowjetunion zurückgekehrten Kriegsgefangenen. Im darauffolgenden Frühjahr beauftragte ihn die bayerische Landeskirche zusätzlich mit der Abhaltung von Tagungen.

Am 15. Juni 1947 wurde die neue Einrichtung offiziell als "Evangelisches Heimkehrer- und Freizeitenheim" eröffnet. Mit einer Tagung für Ärzte begann im Juli die eigentliche Akademiearbeit. Deren Leitung wurde im folgenden Jahr mit Gerhard Hildmann (1907-1992, Direktor der Akademie 1948-1967) wieder einem Theologen übertragen. Landesbischof Hans Meiser (1881-1956, Landesbischof 1933-1955), ein engagierter Förderer der Arbeit, setzte sich mit Erfolg für die Beibehaltung des Standortes in der Nähe von München ein. So erwarb die Landeskirche vom Unternehmer Rudolf August Oetker (1916-2007) im Frühjahr 1949 das Tutzinger Schloss.

Erst durch das "Kirchengesetz über die Einrichtung einer Evangelischen Akademie" vom 23. September 1950 erhielt dieselbe eine rechtliche Grundlage. Durch die Verlegung der Heimkehrerarbeit nach Berchtesgaden standen ihr nunmehr die Räumlichkeiten des Schlosses uneingeschränkt zur Verfügung.

Organisation

Die Evangelische Akademie Tutzing ist eine landeskirchliche Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sie steht unter der Aufsicht des Landeskirchenrats, der auch (seit 1978 im Benehmen mit dem Kuratorium) als Leiter einen Direktor sowie weitere leitende Mitarbeiter ernennt. Diesem unterstehen heute (2013) ein Stellvertreter und sechs Studienleiter, die für bestimmte Sachgebiete und teilweise auch Querschnittsaufgaben zuständig sind, ferner auch der ehrenamtliche Leiter des "Politischen Clubs" (in der Regel ein aus seinen Führungspositionen ausgeschiedener hochrangiger Politiker). An der Spitze der Wirtschaftsverwaltung steht ein Geschäftsführer. Die Akademie finanziert sich aus dem Haushalt der Landeskirche sowie aus Tagungsgebühren und Spenden. Die Räume des Schlosses mit ihrer Infrastruktur werden auch an externe Veranstalter aus dem kirchlichen oder weltlichen Bereich vermietet.

Zur Erfüllung ihrer Aufgaben steht der Akademie ein Kuratorium von zwölf (bis 1986: neun) Personen zur Seite, dessen Kompetenzen durch Vollzugsbestimmungen des Landeskirchenrats (zunächst vom 8. Januar 1951, später vom 6. März 1978) bestimmt werden. Dazu gehören u. a. die Mitwirkung an Personalangelegenheiten, an der Aufstellung des Haushaltsplans und des Tagungsplans. Die Mitglieder des Kuratoriums werden vom Landeskirchenrat im Benehmen mit dem Landessynodalausschuss aus dem Kreise der Freunde und Förderer der Akademie ernannt.

Arbeitsbereiche und -formen

Die Akademie veranstaltet nicht nur in ihren Räumlichkeiten Tagungen, Seminare und Kolloquien zu Fragen der Zeit. Ebenso tritt sie auch als Veranstalter von solchen außerhalb von Tutzing auf, insbesondere in Franken. Für die Förderung der Arbeit in dieser Region ist seit 1957 ein eigener Referent zuständig. Für die Jugendarbeit gibt es eigene Veranstaltungen und eine Sommerakademie. Als Multiplikator der Akademiearbeit fungieren sog. Freundeskreise in ca. 20 Städten in Bayern. Die Aufgabe dieser selbständigen Vereinigungen besteht neben der finanziellen Unterstützung vor allem in der Durchführung von Veranstaltungen nach dem Vorbild der Akademie vor Ort.

Der bekannteste Arbeitszweig der Akademie ist der seit 1954 bestehende "Politische Club", der aus früheren Tagungen zu politischen Themen hervorgegangen ist. In ihm diskutieren aktive und ehemalige politische Akteure verschiedener Parteien, teilweise auch aus dem Ausland, sowie Publizisten und Experten kontroverse Fragen.

Ein weiterer Tätigkeitsbereich umfasst den Bereich von Auszeichnungen und Preisverleihungen. Bekannt ist im kirchlichen Bereich ein Wettbewerb für neue geistliche Kirchenlieder in den frühen 1960er Jahren, aus dem das Lied "Danke" von Martin G. Schneider (geb. 1930) als Sieger hervorging.

Anknüpfend an die frühere Beschäftigung mit Themen aus dem Bereich der Literatur verleiht die Akademie seit 1984 einen nach der Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) benannten Preis. Erster Preisträger des 2000 gestifteten Tutzinger Toleranzpreises war der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU, 1934-2017, Bundespräsident 1994-1999).

Die Akademie trat seit ihren Anfängen auch als Herausgeber von Zeitschriften, Informationsmaterialien und Schriftenreihen auf, wobei sich die zwischenzeitlich unübersehbare Vielfalt mittlerweile gelichtet hat. Übrig geblieben ist die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift "Tutzinger Blätter".

Wechselnde Themen

Die Anfangsjahre (bis 1950) waren bestimmt von Tagungen für bestimmte Berufsgruppen wie Arbeiter, Bauern, Geschäftsleute, Akademiker verschiedener Fachrichtungen, nicht zuletzt auch Künstler und Literaten. Daneben gab es Problemtagungen (Flüchtlingsfrage) und Tagungen zu innerkirchlichen Themen. Für den Zeitraum von 1965 bis 1970 bezifferte Landesbischof Hermann Dietzfelbinger (1908-1984, Landesbischof 1955-1975) die Gesamtzahl der Tagungen auf 377. Davon entfielen auf

  • theologische Themen: 59
  • Meditationstagungen: 11
  • politische Themen: 37
  • Hochschulpolitik: 11
  • soziale Themen (inkl. Verhaltensforschung) 37
  • Wirtschaftsthemen: 26
  • literarische Themen: 30
  • philosophische Themen: 8
  • Erwachsenenbildung: 8
  • Akademiefeste: 10
  • Reisen (inkl. Freundeskreis): 44
  • Jugendtagungen: 37
  • Frankentagungen: 53

Landesbischof Johannes Hanselmann (1927-1999, Landesbischof 1975-1994) benannte 1993 auf der Synode in Fürth als thematische Arbeitsschwerpunkte der Akademie: Fundamentalismus, Gemeinschaftssinn, Ost-/West- und Nord-/Süd-Beziehungen, Friedensethik, "Frieden mit der Natur". 2011 standen laut "Tutzinger Blättern" in den Tagungsordnungen der Diskussionen folgende Punkte: Eurokrise, Islam, Kinder- und Jugendschutz im Internet, Alzheimer.

Bedeutung und Selbstverständnis

Mit der Gründung der Akademie beabsichtigte die Landeskirche, vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus, die Trennung zwischen "Kirche" und "Welt" zu überwinden und mit der kirchlichen Botschaft in Bereiche vorzudringen, die ihrer Arbeit bisher verschlossen waren. Obwohl Akademiker ausdrücklich zu den Zielgruppen gehörten, sollte die Bezeichnung der Einrichtung keineswegs als Ausgrenzung von Menschen ohne akademische Bildung missverstanden werden. Um die Menschen zu erreichen, wollte man ihnen die Möglichkeit zum Dialog geben, statt ihnen feste Ordnungsvorstellungen vorzusetzen. Zum Programm gehörte seinerzeit allerdings immer die Teilnahme an einer von einem Theologen gehaltenen Bibelarbeit. Ende der 1960er Jahre ist allerdings eine Tendenz zur Verkirchlichung der Arbeit festzustellen.

In der Folgezeit profilierte sich die Akademie - mit dem Politischen Club als Aushängeschild - als ein "faires Forum" (Claus-Jürgen Roepke), in dem gegensätzliche Interessengruppen ihre Standpunkte vertreten konnten in einer Weise, wie dies außerhalb dieses Rahmens nicht möglich war. Daher gingen von den Tutzinger Gesprächen vielfältige politische Impulse aus. Die Teilnehmer sprachen dort u. a. über Themen wie die Demokratisierung der Gesellschaft, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Reform des Bildungswesens, den Schutz der Umwelt und die Aufarbeitung der NS-Zeit. Die Diskussionen in den 1960er Jahren bereiteten die neue Ostpolitik vor, die eine Verständigung mit den osteuropäischen Staaten in den 1970er Jahren erreichte. Auch die Abrüstungsgespräche in den 1980er Jahren und letztendlich auch der Abbau der Spannungen zwischen den verfeindeten Militärblöcken in Ost und West können bedingt als Erfolge des in Tutzing eingeübten Dialogs gelten. Zur Diskussionskultur gehören aber auch - und nicht zuletzt - die Respektierung verschiedener Meinungen und der Verzicht auf die Herstellung einer künstlichen Einvernehmlichkeit.

Leiter der Evangelischen Akademie Tutzing
Wirkzeit Leiter Lebensdaten
1946-1948 August Knorr
1948-1968 Gerhard Hildmann 1907-1992
1968-1972 Paul Rieger 1928-2013
1972-1977 Johannes Viebig 1919-2008
1977-1979 Erhard Ratz
1980-1991 Claus-Jürgen Roepke geb. 1937
1991-2011 Friedemann Greiner geb. 1946
seit 2011 Udo Hahn

Dokumente

Literatur

  • Evangelische Akademie. 50 Jahre Evangelische Akademie Tutzing 1996, in: Tutzinger Blätter 3 (1997), 1-31.
  • Evangelische Akademie Tutzing, 60 Jahre Evangelische Akademie Tutzing. Über alle Grenzen sprechen, Tutzing 2007.
  • Gerhard Bogner/Heinz Burghart (Hg.), Erinnerung und Erwartung. Evangelische Akademie Tutzing 1947-1987. Briefe zum vierzigjährigen Jubiläum der Akademie, Tutzing 1987.
  • Hermann Dietzfelbinger, 1965-1975. Fünf Jahre im Leben der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Bericht für die Tagung der Landessynode vom 7.3. bis 12.3 1971 in Schweinfurt, Schweinfurt 1971.
  • Johannes Hanselmann, Bekennen und Gestalten. Bericht ... vor der Landessynode in Fürth am 22. November 1993, München 1993.
  • Klaus Kürzdörfer, Kirche und Erwachsenenbildung. Modelle und Grundprobleme im evangelischen Raum (Würzburger Arbeiten zur Erziehungswissenschaft), Bad Heilbrunn 1976.
  • Claus-Jürgen Roepke (Hg.), Schloß und Akademie Tutzing, München 1986.
  • Axel Schwanebeck (Hg.), Denkwerkstatt zu Grundfragen unserer Gesellschaft. Zur 50-Jahr-Feier der Evangelischen Akademie Tutzing am 6. Juli 1997, München 1997.

Quellen

  • Tutzinger Blätter, Informationen aus der Evangelischen Akademie (1975-2013).
  • Vorlage III. Entwurf eines Kirchengesetzes über die Errichtung einer Evangelischen Akademie, in: Verhandlungen der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Synodalperiode 1947-1953. 3. ordentliche Tagung in Bayreuth 17.-21. September 1950, München 1953, 108-110.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel


Evangelisches Freizeitenheim Schloss Tutzing

Empfohlene Zitierweise

Jürgen König, Evangelische Akademie Tutzing, publiziert am 19.08.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Evangelische_Akademie_Tutzing (19.03.2024)