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Bürgerwehraffäre, 1918

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Rudolf Buttmann, Landtagsbibliothekar und Initiator der Bürgerwehr, ohne Datum. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-668)
Der Innenminister Erhard Auer untersützte den Aufruf zur Bildung einer Bürgerwehr am 27.12.1918 und geriet dadurch in politische Bedrängnis. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-69)
Justizminister Johannes Timm (1866-1945). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-69718)

von Franz J. Bauer

Angesichts der Straßenkämpfe in Berlin Ende Dezember 1918 riefen die Minister Erhard Auer (1874-1945) und Johannes Timm (1866-1945) am 27. Dezember 1918 zur Bildung einer Bürgerwehr in München auf. Dabei gerieten sie an gegenrevolutionäre Kräfte um Rudolf Buttmann (1885-1947). Trotz der Unterstützung durch die Minister zerschlug die Münchner Militärpolizei am 28. Dezember 1918 die in Aufstellung befindliche Bürgerwehr und verhinderte damit wahrscheinlich einen rechtsgerichteten Putsch. Die Bürgerwehraffäre führte zu einer der schwersten Krisen der Regierung Eisner.

Bedeutung

Die so genannte Bürgerwehraffäre in den letzten Dezembertagen 1918 markierte eine der schwersten Krisen der revolutionären Übergangsregierung unter Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD, 1867-1919). Eisners schärfster Gegner im Kabinett, der mehrheitssozialdemokratische Innenminister Erhard Auer (1874-1945), hatte durch seine zeitweilige Unterstützung des vorwiegend von monarchistisch-reaktionären Kräften getragenen Unternehmens einmal mehr seine Verbundenheit mit den Trägern des alten Regimes und seine höchst ambivalente Haltung zur Revolution unter Beweis gestellt.

Bürgerwehr-Pläne von rechts

Das Vorhaben, in München eine Bürgerwehr aufzubauen, ging auf den Landtagsbibliothekar und späteren Vorsitzenden der NSDAP-Fraktion im Bayerischen Landtag, Dr. Rudolf Buttmann (1885-1947), zurück. Nach dem Umsturz vom 7. November 1918 hatte er zunächst den Plan verfolgt, in einem "Bund der Königstreuen" zusammen mit Offizieren der alten Ordnung die Monarchie gewaltsam zu restaurieren. Als er für eine offen gegenrevolutionäre Aktion in Offiziers- und bürgerlichen Kreisen keine Resonanz fand, wurde unter den bereits verschworenen Leuten beschlossen, "die Sache in ein anderes Fahrwasser zu bringen" (Bauer, Regierung Eisner, Nr. 35, S. 211, Fn. 1). Fortan ließ Buttmann die geplante Bürgerwehr als eine bewaffnete Organisation firmieren, deren Aufgabe es sein sollte, die staatlichen Sicherheitsorgane bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und bei der Sicherung einer verfassunggebenden Nationalversammlung gegen linksradikale Kräfte zu stärken.

Für diese Pläne fand Buttmann Unterstützung in dem von dem Mehrheitssozialdemokraten Auer geleiteten Innenministerium. Auf Ablehnung stießen sie indes bei Stadtkommandant Oskar Dürr (1877-1959) und Polizeipräsident Josef Staimer (1871-1941) als den für die öffentliche Ordnung in München unmittelbar Verantwortlichen, ebenso bei Militärminister Albert Roßhaupter (1878-1949), der eine zunächst gegebene Zusage zur Ausgabe von Waffen an die Bürgerwehrleute wieder zurückzog. Bei der Werbung für die Bürgerwehr im Laufe des Dezembers 1918 wurde Buttmann nicht nur von etlichen Offizieren, sondern auch von dem alldeutschen Verleger Julius Friedrich Lehmann (1864-1935) und dem völkischen Aktivisten Rudolf von Sebottendorff (1875-1945), Führer der Thule-Gesellschaft und des Germanenordens, unterstützt.

Beteiligung der sozialdemokratischen Minister Auer und Timm

Vor dem Hintergrund der sich politisch zuspitzenden Lage in Berlin - der Rat der Volksbeauftragten hatte das Militär gegen die revolutionäre Volksmarinedivision zu Hilfe gerufen - erkundigte sich Innenminister Auer am 24. Dezember 1918 bei Buttmann, wie weit die Bürgerwehr gediehen und ob sie zur Niederschlagung eines spartakistischen Putsches bereits in der Lage sei.

Am frühen Morgen des 27. Dezember 1918 unterzeichneten Auer und Justizminister Johannes Timm (1866-1945) einen von Buttmann vorgelegten Aufruf zur Schaffung einer Bürgerwehr (Bauer, Regierung Eisner, Dok. 23), der am folgenden Tag im 'Bayerischen Staatsanzeiger' veröffentlicht wurde. Die Führer der freien Gewerkschaften lehnten ebenso wie zahlreiche Mehrheitssozialdemokraten, darunter weiterhin Militärminister Roßhaupter, die Gründung einer Bürgerwehr entschieden ab.

Als die staatlichen Sicherheitsorgane am 27. Dezember 1918 eine in den Clubräumen der Thule-Gesellschaft im Hotel 'Vier Jahreszeiten' stattfindende Versammlung der Initiatoren der Bürgerwehr infiltrieren konnten und dabei über das Ausmaß der Verschwörung Kenntnis erhielten, wurde am folgenden Tag eine weitere Versammlung dieses Zirkels ausgehoben. 40 führende Bürgerwehr-Organisatoren wurden verhaftet.

Regierungskrise

Auer geriet über seine Beteiligung an diesem Unternehmen in ernste politische Bedrängnis und die Regierung Eisner in eine ihrer schwersten Krisen. Der Innenminister, der aufgrund seiner vielfältigen Verbindungen mit dem alten monarchischen Regime und seiner ambivalenten Haltung zur Revolution ohnehin in den Arbeiter- und Soldatenräten auf wachsendes Misstrauen stieß, wurde für seine Unterstützung der Bürgerwehrpläne auch von seinen eigenen Parteifreunden kritisiert. Im Ministerrat distanzierte sich Auer nun von den Bürgerwehr-Plänen und erklärte, Opfer einer Irreführung geworden zu sein. Nur mit Mühe und unter persönlichem Einsatz Eisners, der Auer vor dem Provisorischen Nationalrat verteidigte, gelang es, ein Auseinanderbrechen der Revolutionsregierung nur zwei Wochen vor dem Wahltermin für die bayerische Nationalversammlung (Landtag) am 12. Januar 1919 zu verhindern.

Auch wenn die Initiatoren der Bürgerwehr offiziell stets betonten, die geplante Organisation stehe auf dem Boden "der bestehenden Staatsordnung" und wolle diese nur gegen bolschewistische Angriffe verteidigen, ist doch nicht zu übersehen, dass es sich bei den führenden Köpfen dieses Unternehmens vorwiegend um monarchistische und rechtskonservativ-völkische Elemente handelte.

Literatur

  • Franz J. Bauer (Bearb.), Die Regierung Eisner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Dokumente (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Erste Reihe: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik 10), Düsseldorf 1987, 211-237.

Weiterführende Recherche

Bürgerwehrkrise

Empfohlene Zitierweise

Franz J. Bauer, Bürgerwehraffäre, 1918, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bürgerwehraffäre,_1918 (28.03.2024)