
Die bayerische Herrschaft in Tirol dauerte nur acht Jahre von 1806 bis 1814. Trotzdem war sie keine Episode, da sie die Modernisierung des Landes vorantrieb. Seit 1799 versuchten Kurfürst Max IV. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825, seit 1806 König Max I. Joseph von Bayern) und sein leitender Minister Maximilian von Montgelas (1759-1838) Bayern zu einem zentralistisch organisierten, effektiv arbeitenden und einheitlich regierten Staat umzubauen. Die Grenzen dieses Systems zeigten sich in Tirol, wo die Maßnahmen, wie eine neue Verwaltungseinteilung, eine Währungsreform und das Verbot von Wallfahrten, in Frage gestellt wurden. Unter der österreichischen Herrschaft hatten hier mit der landständischen Verfassung und dem Landlibell Freiheits- und Sonderrechte bestanden, die jetzt abgeschafft werden sollten. Es kam zum Tiroler Aufstand des Jahres 1809, der mithilfe französischer Truppen niedergeschlagen werden konnte. In den folgenden Jahren agierte die bayerische Regierung vorsichtiger und nahm einige Reformen im nun durch Gebietsabtretungen verkleinerten Tirol zurück. 1814 wurden die Gebiete an Österreich zurückgegeben, das die Reformen der bayerischen Zeit nicht zurücknahm.
Vorgeschichte

Im Frieden von Preßburg (26. Dezember1805) wurde dem Kurfürstentum Pfalzbayern unter anderen Territorien auch die Grafschaft Tirol mit den ehemaligen Fürstbistümern Brixen und Trient zugesprochen. Damit konnte Napoleon (1769-1821, Kaiser der Franzosen 1804-1814/15) drei Ziele erreichen: der österreichische Besitzstand wurde um ein militärisch und historisch wichtiges Land verkleinert, Bayern, das sich im Vertrag von Bogenhausen (25. August 1805) zum Bund mit Napoleon entschieden hatte, wurde belohnt und schließlich bildete ein bayerisches Tirol einen strategisch wichtigen Puffer zwischen den Frankreich gehörenden Gebieten und Österreich. Gleichzeitig erhielt Bayern mit diesem Frieden die Königswürde. Damit verbunden war die volle staatliche Souveränität ("de la plénitude de la souveraineté"), die zwangsläufig aus dem noch bestehenden Verband des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation herausführte und dem jungen Königreich grundsätzlich die Möglichkeit einer unabhängigen Innen- und Außenpolitik eröffnete.
Mit Tirol stieg Bayern zur bedeutendsten Mittelmacht Süddeutschlands auf. Das bezieht sich vor allem auf die Größe und Lage des Landes. Mit rund 25.000 Quadratkilometern und 618.000 Einwohnern, etwa 1/6 der damaligen Bevölkerung des Königreichs, war Tirol ein erheblicher Zugewinn für Bayern. Sein Gebiet erstreckte sich von Reutte und Kufstein im Norden bis an den Gardasee, von Lienz im Osten bis ins Paznauntal.
Das Landlibell von 1511 und eine Ständeverfassung, in der neben Adel, Bürgertum und Geistlichkeit auch die Bauern vertreten waren, bildeten die Marksteine der Tiroler Freiheiten. Mit ihnen einherging ein großes Maß an Selbständigkeit in der Landesverteidigung, der Verwaltung und der Besteuerung. Im Rahmen einer auf ein einheitlich verfasstes Königreich ausgerichteten integrativen Politik handelte es sich hier um Sonderrechte, die aus Sicht der bayerischen Regierung repräsentiert durch Maximilian von Montgelas (1759-1838) und Männer wie Georg Friedrich Freiherr von Zentner (1752-1835) oder Nikolaus Thaddäus von Gönner (1764-1827) zugunsten des Gesamtstaates aufgehoben werden mussten.
Der Konflikt zwischen Tirol und dem modernen Staat, in dem im besten Fall eine starke Zentralregierung, basierend auf einer funktionierenden Verwaltung, einheitlichen Gesetzen und einer gut ausgebildeten Beamtenschaft, die Geschicke der Staatsbürger lenkt, zeigte sich bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts unter der österreichischen Regierung. Vor allem Kaiser Joseph II. (Kaiser 1765-1790, allein regierend 1780-1790) hatte mit seiner Verwaltungsreform, der aufgeklärten Religionspolitik, mit der Aufhebung von Klöstern und der Heranziehung der Tiroler zum regulären Militär beinahe einen Aufstand heraufbeschworen.
Seine Nachfolger mussten zur Beruhigung der Lage und weil man die Tiroler als Schützen und Landsturm in den napoleonischen Kriegen brauchte, einige Maßnahmen zurücknehmen. Ein Landtag, der erstmals seit 1790 wieder als Vollversammlung stattfand, gab den Tiroler Ständen eine Stimme und beruhigte die Lage.
Besitzergreifung
Am 11. Februar 1806 übernahm der bayerische Hofkommissar Karl Graf von Arco-Valley (1769-1856) die Zivilverwaltung in Tirol und den ehemaligen Fürstbistümern Brixen und Trient aus den Händen eines französischen Kommissars. Mit dem Land wurde auch größtenteils die aktive oder bereits in Pension befindliche österreichische Beamtenschaft übernommen. Für die Bevölkerung sichtbar wurde der Wechsel im Austausch der Hoheitszeichen und in den weiß-blauen Kokarden, die künftig alle Staatsbediensteten tragen mussten.
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Besitzergreifungspatent des bayerischen Königs Max I. Joseph (1799-1805 Kurfürst, 1806-1825 König) für Tirol, München, 22. Januar 1806. (Tiroler Landesmuseen, Historische Sammlung, Flugschriften)
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"Ein biederes Volk seinem guten König", Huldigung der Tiroler an König Max I. Joseph (1799-1805 Kurfürst, 1806-1825 König). Die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes: Landwirtschaft, Bergbau und Handel werden der neuen Herrschaft gewidmet. Radierung von Franz Schweighofer (1797-1861), 1806 / Anfang 1809. (Tiroler Landesmuseen, Bibliothek, Inv.-Nr. FB 6504/32)
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Karl Maria von Arco (1769-1856) war 1806 Hofkommissar für die Besitzergeifung Tirols. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-008755)
Die Tiroler gehörten nun einem Staat an, in dem die Regierung seit dem Herrschaftsantritt des Wittelsbachers Max IV. Joseph (1799-1805 Kurfürst, 1806-1825 König) und seines leitenden Ministers Maximilian von Montgelas eine effektive Staatsverwaltung aufbauen wollte. Erklärtes Ziel war die Abschaffung von Sonderrechten. Nur dadurch, so die Ansicht Montgelasʼ und seiner Mitstreiter, konnte aus dem Länderkonglomerat, das Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts darstellte, ein einheitlicher Staat mit gleichberechtigten "Untertanen" und einem gesamtbayerischen Staatsbewusstsein geschaffen werden.
Dagegen lautete Art. VIII. des Preßburger Friedens, dass Tirol von Bayern "mit den Titeln, Rechten und Prärogativen" in Besitz genommen werde, mit denen es "der Kaiser von Deutschland und Österreich oder die Prinzen seines Hauses besessen haben, und anders nicht." Dieser Satz sollte in der Folge von den Tirolern anders interpretiert werden als von der bayerischen Regierung.
Im italienischsprachigen Tirol sowie in den Städten erhoffte man sich wirtschaftliche Vorteile von der neuen Regierung. Die städtische Bevölkerung insgesamt stand den Ideen der Aufklärung und einer strukturierten, funktionierenden Verwaltung durchaus positiv gegenüber. Allerdings wollte man, wie das Bozener Bürgertum und dessen Merkantilmagistrat, keine Einschränkungen der Selbständigkeit hinnehmen. Die ländliche Bevölkerung dagegen wünschte allgemein keine Veränderungen und stand vor allem den religionspolitischen Maßnahmen sehr skeptisch gegenüber.
Die bayerische Politik in Tirol
Es lassen sich drei Phasen der bayerischen Politik in den Jahren 1806 bis 1814 in Tirol unterscheiden: bis zur Konstitution vom Mai 1808 erfolgte eine Angleichung der Systeme, in der noch Sonderrechte gebilligt wurden; danach erlebten die Tiroler den Höhepunkt des etatistischen Prinzips, dem sämtliche landesspezifischen Eigenheiten geopfert wurden. Nach dem Aufstand von 1809 kam es im erheblich verkleinerten bayerischen Tirol zu Modifikationen, die den Landesgegebenheiten geschuldet waren, aber den alleinigen Herrschaftsanspruch des bayerischen Staates nicht aufgaben.
Oberste Priorität besaßen die Durchsetzung eines "Staatsabsolutismus" (Heinrich Held, Altbayerische Volkserziehung Bd. 1, 199) und die Integration der so unterschiedlichen Territorien zu einem Gesamtstaat Bayern. Die Umsetzung der einzelnen Verordnungen aus den Münchner Ministerien oblag den Beamten vor Ort, die ihrerseits für ein Scheitern verantwortlich gemacht wurden.
Maßnahmen bis zum Aufstand von 1809
Um handlungsfähig zu sein, musste die bayerische Regierung so schnell wie möglich eine funktionierende Verwaltung aufbauen. Dies geschah zunächst durch ein in Innsbruck angesiedeltes Generallandeskommissariat als Schaltstelle zwischen Tirol und München mit Karl Graf von Arco-Valley an der Spitze. Mit der Konstitution vom 1. Mai 1808 erfolgte eine vollkommen neue territorial-administrative Einteilung des gesamten Königreichs, die gleichzeitig auch das Aus für die bisherigen Behörden darstellte. Tirol wurde in den Inn-, Eisack- und Etschkreis geteilt und in seiner Gesamtheit als "Südbaiern" bezeichnet. Der Landesname "Tirol" wurde abgeschafft. Den Kreisen standen Generalkommissare vor, für Finanzen und Justiz schuf man gesonderte Behörden. Nur diese oberste Ebene durfte sich an die Regierung in München wenden.
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Amtsschild des Königlichen Baierischen Berg- und Hüttenamtes Kitzbühl, um 1806/09. (Tiroler Landesmuseen, Historische Sammlung, Inv.-Nr. AK/OER/85)
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Amtsschild der Königlichen Direktion des Wasser-, Brücken- und Straßenbaus im Innkreis, um 1810. (Tiroler Landesmuseen, Historische Sammlung, Inv.-Nr. AK/OER/15)
Mit Reskript vom 21. November 1806 war Tirol in die bayerische Landgerichtsordnung einbezogen worden. 24 Landgerichte und 22 Rentämter (ab Januar 1807 zusätzlich drei Landgerichte und ein Rentamt im ehemaligen Fürstbistum Trient) lösten die bisherige Behördenvielfalt ab. Ihr Aufgabenbereich umfasste die gesamte politische Verwaltung, die Aufsicht über die Gemeinden, die sog. Polizey sowie die Gerichtsbarkeit in erster Instanz. Die Finanzverwaltung besorgten die Rentämter. Den Landrichtern kam eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu. Ihnen oblag es, den Menschen die Grundsätze der Regierungspolitik zu vermitteln und letztlich dieselben ihnen gegenüber auch durchzusetzen.
Josef Leopold Strickner (1744-1826), 1808. Daneben Detailausschnitt der Bildmitte: Die Allegorie
Tyrolia kniet vor dem Medaillon mit Büsten des Königspaares während der "Genius" Bayerns mit
seinem Füllhorn Gaben streut. (Tiroler Landesmuseen, Bibliothek Inv.-Nr. FB 1673/69)
Die Gemeindeedikte von 1808 sollten die Gemeinden als unterste staatliche Behörden etablieren. Hier scheiterten die bayerischen Bürokraten in Tirol und im gesamten Königreich an der Vielfalt der vorhandenen Einrichtungen, am fehlenden Personal und am völligen Vorbeiregieren an den praktischen Bedürfnissen. Spürbar wurde das zum Beispiel an den Gemeindeumlagen zum Brücken- und Straßenbau, die nicht mehr bei Bedarf vor Ort erhoben und verbraucht werden konnten, sondern einen umständlichen und langwierigen Genehmigungs- und Erhebungsweg über die Münchner Ministerien gehen mussten.
Den Ständen wurde die eigene Finanzverwaltung entzogen. Am Ende stand die Aufhebung der ständischen Verfassung, die durch eine noch zu bildende sog. Nationalrepräsentation, ersetzt werden sollte, die das gesamte Königreich vertreten hätte. Sie kam aber bis 1814 nicht zustande.
Gut ausgebildete und bezahlte, loyale und unbestechliche Beamte sollten die Weisungen der Münchner Zentrale umsetzen. Mit der bayerischen Staatsdienerpragmatik vom 13. Februar 1805 war erstmals im Alten Reich eine Kodifizierung des Beamtenrechts gelungen. Gehalt, Hinterbliebenenversorgung, Ruhestandsbezahlung, Ausbildung und Beförderungen waren darin geregelt. Allerdings mussten bei der Übernahme Tirols viele ehemals österreichische Beamte im nun bayerischen Dienst eingesetzt werden, da sonst Pensionszahlungen fällig geworden wären. Zusätzlich konnten im südlichen Tirol nur italienisch sprechende Männer Verwendung finden, die darüber hinaus auch die dort weiter geltenden Landesgesetze kennen mussten. Der Ansatz, über den Austausch der Beamtenschaft im gesamten Königreich auch ein Gesamtstaatsbewusstsein zu erreichen, den Nikolaus Thaddäus Gönner 1808 formulierte und den Montgelas, Arco und andere führende Vertreter der Regierung mittrugen, konnte so in der Praxis kaum verwirklicht werden.
Der von vielen Bewohnern erhoffte positive Impuls auf die tirolische Wirtschaft blieb aus. Die Tiroler lebten besonders vom Handel und Transit. Da die innerbayerischen Zollschranken nur schleppend fielen, zusätzlich hohe Ausfuhr- und Transitzölle verpflichtend wurden und schließlich Österreich den Warenverkehr verbot, verschlechterten sich die Bedingungen erheblich. Darüber hinaus litt das Land unter der napoleonischen Kontinentalsperre.
Eine Währungsreform und die Abschaffung der "Wiener Bancozettel" (Papiergeld) sah Nutznießer und Geschädigte. Neue Steuern und die Erhöhung der bereits bestehenden, eine gesonderte Schuldentilgungssteuer und die Extrasteuer für die bayerische Armee bedeuteten eine Mehrbelastung der Bevölkerung. Gleichzeitig wurde das bisherige Kreditsystem, basierend auf der landständischen Kasse und diversen Stiftungen und Kommunalvermögen verstaatlicht und von München aus dirigiert. Neben dem psychologischen Effekt für die Bevölkerung, die ihre Gelder Richtung München entschwinden sah, kam diese Zentralisierung einer Stilllegung gleich, da der schwerfällige Gang über die Zentralbehörden die Abläufe immens verlangsamte. Im Extrem konnte das bedeuten, dass Kleinstbeträge etwa für den Ankauf von Kerzen in einer Kirche über die Ministerialverwaltung genehmigt und ausbezahlt werden mussten.
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Wiener Bancozettel über 100 Gulden von 1806. Die Banco-Zettel waren das erste Papiergeld in Österreich. In Tirol wurden sie durch eine Währungsrefom 1806 abgeschafft. (Giesecke+Devrient Stiftung Inv.-Nr. AUT-A42a lizenziert durch CC BY-NC-ND 4.0 via bavarikon)
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Trienter Bischof Emanuel Maria von Thun und Hohenstein (1753-1818), Porträt von Domenico Zeni (1762–1819), 1807. (Foto von Sailko, lizenziert durch CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
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Churer Bischof Karl Rudolf Buol von Schauenstein (1760-1833), Porträt um 1815. (Rätisches Museum Chur)
Unterschiedliche Reaktionen provozierte die bayerische Religions- und Kirchenpolitik. Gegen die staatliche Oberhoheit über Priester und Bischöfe verwahrte sich besonders der Churer Bischof Karl Rudolf von Buol-Schauenstein (1760-1833, seit 1794 Bischof von Chur), dessen Bistumsgebiet im Osten bis Meran reichte und den Vinschgau und das Passeiertal umfasste. Während Bischof Emanuel Maria von Thun und Hohenstein (1753-1818, seit 1800 Bischof von Trient) sich letztlich dem Ansinnen der bayerischen Regierung beugte, weigerte sich Buol-Schauenstein für seine Diözesananteile in Tirol, die Landgerichte Fürstenburg und Meran, vehement. Er rief die Priester und Gläubigen seiner Diözese zum Widerstand gegen die bayerischen Zumutungen auf. Ein Thema, das die Gläubigen eher indirekt betraf, weitete sich so zu einem öffentlichkeitswirksam ausgetragenen Konflikt.
Gleichzeitig wollte die bayerische Regierung ihren aufklärerischen Impetus in Glaubensdingen durchsetzen. Es ging dabei um Verbote im Bereich der gelebten Frömmigkeit, die sich in Bittgängen, Wetterläuten, der Christmette etc. niederschlugen. Zusätzlich erregte die Aufhebung vor allem der Bettelorden, die engen Kontakt mit der ländlichen Bevölkerung hatten, große Aufregung.
Als eine der letzten Maßnahmen vor der Zäsur des Tiroler Aufstands führte die bayerische Regierung die Konskription durch. Im übrigen Bayern galt bereits seit 1805 die allgemeine Wehrpflicht. In Tirol hatte man mit der Durchführung lange gewartet, denn seit dem Landlibell von 1511 waren die Tiroler vom allgemeinen Militärdienst befreit. Im Gegenzug mussten sie die Grenze des Habsburgerreichs sichern und jederzeit ihre Wehrhaftigkeit unter Beweis stellen können. Dazu waren eigene organisatorische Strukturen geschaffen worden; die Teilnahme an regelmäßig stattfindenden Übungsschießen war verpflichtend. Jeder Schütze durfte seine Waffe zuhause aufbewahren.
Im Sinne des aufgeklärten Staates und 20 Jahre nach der französischen Revolution, war dies für die bayerische Administration eine unhaltbare Situation. Zudem musste Bayern sein Truppenkontingent für Napoleons Feldzüge stellen. Im Februar 1809 begannen die Aushebungen und Musterungen. Die Tiroler betrachteten das als "Vertragsbruch". Andererseits war den meisten klar, dass es in einen Krieg gegen das ehemalige Herrscherhaus Österreich ging. Es folgten Unruhen, Desertionen, Angriffe gegen die ausführenden Beamten. Die Konskription war nicht durchzusetzen. Im April 1809 begann der Aufstand der Tiroler gegen die als fremde Macht empfundenen Bayern im Einvernehmen mit Österreich.
Der Aufstand der Tiroler

Der Tiroler Aufstand war Teil des fünften Koalitionskriegs gegen Napoleon. Die Tiroler waren von österreichischer Seite als Teil eines vom Volk getragenen Widerstands gegen Frankreich und dessen Verbündete vorgesehen. Vor allem Erzherzog Johann, der Bruder des österreichischen Kaisers, hatte in Tirol den "Volkskrieg" gegen die bayerische Regierung organisiert. Die Tiroler sahen sich im Recht gegen die als Fremdherrschaft empfundenen Bayern aufzustehen. Fast während des gesamten Jahres 1809 kam es zu Kampfhandlungen, einige Wochen bestand in Innsbruck eine Regierung aus Vertretern Tirols mit Andreas Hofer (1767-1810) an der Spitze. Die bayerischen Beamten als "Aushängeschilder" der ungeliebten Regierung wurden teilweise vertrieben, misshandelt oder gefangen genommen. Von Seiten ihrer Regierung mussten sie so lange wie möglich die Stellung halten bzw. sofort wieder an ihre Stellen zurückkehren, wenn das Kriegsblatt sich wendete. Erst im Frühjahr 1810 war wieder an ein geordneteres Regieren zu denken.
Die bayerische Politik in Tirol nach dem Aufstand

In der Folge des Vertrags von Paris vom 28.2.1810 musste Bayern den Süden Tirols mit Bozen, Buchenstein, Ampezzo und Toblach an das Königreich Italien abtreten, Osttirol und Innichen an die illyrischen Provinzen. Bayern behielt Nordtirol, den Vinschgau, das obere Eisack- und das Pustertal. Das bayerische Tirol bildete nun mit dem Gericht Werdenfels und dem salzburgischen Zillertal den neuen Innkreis. Das Landgericht Reutte wurde dem Illerkreis zugeschlagen, Kitzbühel dem Salzachkreis.
Bayern versuchte nun sein Regierungssystem in Tirol zu modifizieren ohne die Grundsätze des einheitlich regierten, zentralistisch ausgerichteten Staates aufzugeben. Kronprinz Ludwig (1786 – 1868) wurde zum Generalgouverneur in Tirol und Salzburg ernannt und residierte abwechselnd in Innsbruck und Salzburg.
Die Landgerichte wurden vermehrt, da sich die bisherigen Sprengel als zu groß für eine geordnete Verwaltung und Aufsicht erwiesen hatten. Ausnahmsweise konnte in schwer zugänglichen Orten zusätzlich ein exponierter Aktuar (Gerichtsschreiber) eingesetzt werden. Die Kriminalfälle wurden eigenen Gerichten übereignet, Patrimonialgerichte konnten unter bestimmten Bedingungen als "königlich bayerisch" reaktiviert werden.
In Religionsangelegenheiten wurden bisher als abergläubisch verbotene Praktiken wieder toleriert und die Säkularisation nicht weiter vorangetrieben. Noch nicht aufgelöste Klöster, wie das Kapuzinerkloster Imst, blieben bestehen. Allerdings behielt der Staat die Oberhoheit über das geistliche Personal und die kirchliche Finanzverwaltung.
Selbst in der Verwaltung der Stiftungen konnte ein Kompromiss gefunden werden. Eine Nationalversammlung mit Vertretern aus der Bevölkerung wurde in Aussicht gestellt. Allerdings zeigte sich sehr deutlich, dass die Ruhe in Tirol eher einer Erschöpfung geschuldet war als einer wirklichen Akzeptanz der bayerischen Regierung. Als seit Herbst 1813 der Bündniswechsel Bayerns auf die Seite Österreichs allmählich durchsickerte und die Menschen auf einen Regierungswechsel hofften, war es den Beamten kaum mehr möglich eine geordnete Verwaltung aufrecht zu erhalten.
Am 25.6.1814 endete die bayerische Herrschaft in Tirol. Das Land ging zusammen mit Vorarlberg (ohne die Gebiete im westlichen Allgäu) wieder in den Besitz Österreichs über. Die neue österreichische Herrschaft übernahm allerdings die Regierungsgrundsätze Bayerns. Der "moderne Staat" hatte auch hier endgültig Einzug gehalten.
Rezeption der bayerischen Herrschaft in Tirol
Je mehr sich die tirolische Geschichtsschreibung vom Bild der heldenhaften Tiroler verabschiedet, die sich gegen eine "Besatzungsmacht" und deren rigorose Modernisierungsmaßnahmen auflehnen, umso mehr wandelt sich die Interpretation der bayerischen Herrschaft auch in der Tiroler bzw. österreichischen und bayerischen Geschichtsschreibung. Dabei war das Thema gerade in Bayern nie wirklich emotional besetzt. Es herrscht mittlerweile überwiegend Einigkeit, dass Tirol ein Baustein in der Wiener und ganz am Rande auch der Pariser Außenpolitik der Jahre 1790-1815 war (B. Mazohl, Die Wiener Politik).
Einen umfassenden Überblick über den internationalen Forschungsstand gibt Martin P. Schennach (Revolte in der Region), der darin auch ein Kapitel zu "Tirol als bayerische Provinz" bearbeitet. Er fragt nach der Rolle Tirols in den bayerisch-französischen und bayerisch-österreichischen Beziehungen und stellt die These auf, dass vermutlich Bayern als einzige Macht tatsächlich an Tirol und seinem Wohlergehen interessiert war.
Das bestätigt die bayerische Geschichtsschreibung, die Tirol überwiegend aus innenpolitischer Perspektive betrachtet. (u.a. bei Heydenreuter, Tirol). Die bayerische Reformpolitik der Ära Montgelas musste verschiedenste Territorien integrieren, unter anderen auch Tirol. Es steht die Frage im Raum, warum die Integration der Landesteile im heutigen Franken und Schwaben gelang, während man in Tirol auf größere Widerstände stieß. Bei der Suche nach einer Antwort muss man die alten Beziehungen des Landes zu Österreich betrachten, die von Seiten Habsburgs im Sinne des Kaiserstaats genützt wurden. Weitet man den Blick gehört die bayerische Herrschaft in Tirol allgemein zur Etablierung moderner Staatswesen in der Auseinandersetzung mit dem alten Ständestaat (Weis, Montgelas und Tirol). In diesem Zusammenhang taucht Tirol häufig auch in den Biographien führender bayerischer Politiker dieser Zeit auf, z.B. Weis, Montgelas oder Junkelmann, Gravenreuth, aber auch Neri-Ultsch, Cetto.
Archivüberlieferung
Quellen zur bayerischen Verwaltung, einschließlich der Personalangelegenheiten, befinden sich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, vor allem in den Beständen des Innenministeriums (MInn). Daneben finden sich auch Akten zu den Verhältnissen in Tirol im Tiroler Landesarchiv Innsbruck (u.a. Bestand BA).
Literatur
- Ronald Bacher/Richard Schober (Hg.), 1809. Neue Forschungen und Perspektiven. Tagungsbeiträge Tiroler Landesarchiv und Universität Innsbruck (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 19), Innsbruck 2009.
- Walter Demel, Der bayerische Staatsabsolutismus 1806/08-1817. Staats- und gesellschaftspolitische Motivationen und Hintergründe der Reformära in der ersten Phase des Königreichs Bayern Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 76), München 1983.
- Nikolaus Thaddäus Gönner, Der Staatsdienst aus dem Gesichtspunkt des Rechts und der Nationalökonomie betrachtet, nebst der Hauptlandespragmatik über die Dienstverhältnisse der Staatsdiener im Königreiche Baiern mit erläuternden Anmerkungen, Landshut 1808.
- Margot Hamm, Die Bayerische Integrationspolitik in Tirol 1806-1814 (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 105), München 1996.
- Heinrich Held, Altbayerische Volkserziehung, Bd. 1, München 1926.
- Reinhard Heydenreuter, Tirol unter dem bayerischen Löwen. Geschichte einer wechselhaften Beziehung, Regensburg 2008.
- Markus Junkelmann, „Sie allein können Bayern retten!“ Carl Ernst von Gravenreuth. Eine Karriere zwischen Napoleon und Montgelas, Regensburg 2022; zum Erwerb von Tirol: 275-290, zu den Auswirkungen der Kontinentalsperre: 389-391, zur vergleichbaren Situation der bayerischen Regierung in Vorarlberg: 439-485.
- Marcus Junkelmann, Napoleon und Bayern. Eine Königskrone und ihr Preis, Regensburg 2014.
- Brigitte Mazohl, Die Wiener Politik und Tirol in den Jahren 1790-1815, in: Mazohl Brigitte/Mertelseder Bernhard, Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und „1809“ zwischen politischer Realität und Verklärung (Schlern-Schriften 346), Innsbruck 2009, 27-61.
- Daniela Neri-Ultsch, Anton Freiherr von Cetto (1756-1847), Ein bayerischer Diplomat der napoleonischen Zeit. Eine politische Biographie (Francia / Beihefte 36) , Sigmaringen 1993.
- Martin P. Schennach, Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), Innsbruck 2009.
- Reinhard Stauber, Der Zentralstaat an seinen Grenzen: Administrative Integration, Herrschaftswechsel und politische Kultur im südlichen Alpenraum, 1750-1820 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 64), Göttingen 2001.
- Eberhard Weis, Montgelas und Tirol (1806-1814), in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 78 (1998), 209-228.
- Eberhard Weis, Montgelas 1759-1838. Eine Biographie, München 2008, insb. Bd. 2, 428-456.
- Die Tirolische Nation 1790-1820, Katalog zur Landesausstellung im Auftrag des Landes Tirol zum Gedenkjahr 1809-1984, Innsbruck 1984, insb. 191-354.
Weiterführende Recherche
- Schlagwortsuche im Online-Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern
- Suche in der Bayerischen Bibliographie
Externe Links
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- Montgelas'sche Reformen
- Tiroler Aufstand (1809)
- Vorarlberger Aufstand (1809)
Empfohlene Zitierweise
Margot Hamm, Bayerische Herrschaft in Tirol (1806-1813/14), publiziert am 15.10.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Herrschaft_in_Tirol_(1806-1813/14)> (07.12.2025)