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Vorarlberger Aufstand (1809)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Karte der Vorarlberger Gerichte bzw. Stände im ausgehenden 18. Jahrhundert. (Vorarlberger Landesarchiv)

von Alois Niederstätter

Im Frühjahr 1809 erhoben sich im Zuge des Fünften Koalitionskrieges die Vorarlberger gegen die bayerische Herrschaft, die seit 1806 mit ihren Reformen und Abgaben stark in die traditionellen Strukturen des Landes eingegriffen und damit den Unmut der Bevölkerung erregt hatte. Man erklärte den Wiederanschluss an Österreich, führte die alten Verfassungsstrukturen wieder ein und hob Milizen aus, die unter Führung des zum Generalkommissär ernannten Anton Schneider (1777-1820) das Gebiet bis Wangen und Leutkirch im Allgäu besetzten. Nachdem Österreich durch seine Niederlage im Koalitionskrieg die Abtretung von Vorarlberg und Tirol erneut bestätigen musste, rückten die Aufständischen gegen Wangen im Allgäu und Kempten vor, wo sie von Truppenverbänden aus Bayern, Württemberg und Frankreich abgewehrt wurden. Anfang August 1809 brach der Aufstand zusammen, Bayern konnte Vorarlberg wieder in Besitz nehmen. Im Gegensatz zum Tiroler Aufstand entwickelte der der Vorarlberger keine identitätsstiftende Wirkung für das 1814 endgültig unter österreichische Hoheit zurückgekehrte Land.

Vorgeschichte

Titelseite der „Beschreibung der unterm 13ten Monats Merz 1806 erfolgten feyerlichen Uebergabe des Landes Vorarlberg an Seine Majestät den König von Baiern Maximilian Joseph“, Bregenz am Bodensee 1806 (Bayerische Staatsbibliothek -- 4 Bavar. 3427 s)
Sogenanntes „Besitzergreifungspatent“ vom 30. Jänner 1806. (VLA, Administration Hohenems, Nr. 42, Akt 61/1806)

Nach dem Sieg Napoleons (1769-1821, franz. Kaiser 1804-1814) in der Dreikaiserschlacht von Austerlitz hatte Österreich gemäß dem Pressburger Frieden vom 26. Dezember 1805 nicht nur die Grafschaft Tirol mit den aufgehobenen Hochstiften Trient und Brixen, die Markgrafschaft Burgau, die Grafschaft Königsegg-Rothenfels im Allgäu, die Herrschaft Tettnang-Argen sowie die ehemalige Reichsstadt Lindau an Bayern abtreten müssen, sondern auch die "sieben Herrschaften im Vorarlbergischen mit ihren Inklavierungen". Es handelte sich um kleine Herrschaftssprengel, die seit dem Spätmittelalter nach und nach in habsburgische Hand gekommen und durch die Schaffung einer eigenen ständischen Körperschaft zu einem seit dem frühen 18. Jahrhundert "Vorarlberg" genannten Land geworden waren.

Noch vor dem Jahreswechsel rückte eine kleine bayerische Truppe in Bregenz ein, am 19. Januar 1806 huldigte eine Delegation der Vorarlberger Stände dem bayerischen König Maximilian I. Joseph (1752-1825, Kurfürst von Pfalzbayern 1799-1806, König von Bayern 1806-1825), bat aber auch um den Schutz der althergebrachten Verfassung und die Förderung der Wirtschaft, insbesondere der Textilindustrie. Die formelle Übergabe vollzogen am 13. März 1806 in Bregenz ein französischen Kommissär, der Direktor bei der Landesdirektion in Schwaben Maximilian von Merz (1758-1811) für Bayern sowie der scheidende Kreishauptmann und Landvogt Franz von Vintler (1768-1807).

In das arrondierte, souverän gewordene Königreich Bayern integriert, wurde Vorarlberg von einer Welle von Verwaltungsreformen erfasst. Zunächst erfolgte die Eingliederung des Landes in die Provinz Schwaben. Mit dem 16. November 1806 traten sieben gleichartige Landgerichte mit beamtetem Personal für Jurisdiktion, Verwaltung und öffentliche Wohlfahrt an die Stelle der bisherigen 24 Gerichtsprengel mit ihren völlig unterschiedlichen Strukturen und Kompetenzen. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht nahm den Landständen ihre Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Landesverteidigung, wenig später verloren sie auch das Recht der Steuereinhebung und mussten ihre Kassen abliefern. Das Inkrafttreten der "Constitution für das Königreich Baiern" am 1. Oktober 1808 hatte schließlich die Aufhebung der Landstände zur Folge. Mit der Zuweisung der sieben Landgerichte zum Illerkreis (Verwaltungssitz: Kempten) verschwand Vorarlberg als Begriff gänzlich von der Landkarte.

Das hohe Reformtempo, die traditionsfeindliche Politik der bayerischen Regierung, insbesondere die Maßnahmen auf religiösem Gebiet – u. a. Abschaffung von Feiertagen, Verbot von Prozessionen und Wallfahrten – sowie die Einrichtung bislang unbekannter bürokratischer Strukturen und die damit verbundenen finanziellen Belastungen erregten den Unmut vor allem der bäuerlichen Bevölkerung und ihrer von einem plötzlichen Machtverlust bedrohten Eliten. Positiv nahmen die Neuerungen hingegen jene auf, die sich wirtschaftliche Vorteile erhofften oder mit den Ideen der Aufklärung sympathisierten.

Erstmals fand die Unzufriedenheit im sog. Weiberaufstand von Krumbach ein Ventil. Ende Juni/Anfang Juli 1807 verhinderten in dieser und anderen Ortschaften des Bregenzerwaldes Frauen mit Gewalt die zur Umsetzung der allgemeinen Wehrpflicht vorgesehene Untersuchung der jungen Männer auf ihre Tauglichkeit und vernichteten die Musterungsregister. Wenig später warnte Karl Ernst Freiherr von Gravenreuth (1771-1826), Generalkommissar für die Provinz Schwaben, in einem amtlichen Bericht an Staatsminister Maximilian Graf von Montgelas (1759-1838): "Abgerissen von einer seit Jahren teuer gewordenen Herrschaft sieht Vorarlberg seine Auflagen auf verschiedene Weisen vermehrt, die Konskription eingeführt, seine ständische Verfassung angegriffen, seine ehemaligen Religionsbegriffe zum Teil über den Haufen geworfen und seine Hauptnahrungszweige, die verschiedenen Fabriken, zerstört. Bei Ausbruch eines Krieges mit Österreich, der nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte, wird daher Wachsamkeit sehr notwendig sein" (Gruber, Vorarlberg, 179).

Der Aufstand

Dr. Anton Schneider (1777–1820) aus Weiler im Allgäu war als Landes- bzw. Generalkommissär die führende Persönlichkeit des Vorarlberger Aufstandes von 1809. (Vorarlberger Landesarchiv)
Wolkersdorfer Handbillet von 29. Mai 1809. Kaiser Franz I. erließ es im Ort Wolkersdorf (Österreich), das ihm während des Feldzuges gegen Napoleon als Hauptquartier diente. (Bayerische Staatsbibliothek, 2 Eur. 51 r-2#Beibd.22)

Nachdem Napoleon die aufständischen Spanier nicht im ersten Anlauf hatte bezwingen können, wagten England und Österreich im Frühjahr 1809 einen neuerlichen Waffengang. Da der Fünfte Koalitionskrieg, in dem die Österreicher als Landmacht allein gegen Frankreich standen, vornehmlich in Süddeutschland und Oberitalien ausgetragen werden sollte, gewann neben Tirol auch Vorarlberg an strategischer Bedeutung. Zunächst erhoben sich die Tiroler unter Andreas Hofer (1767-1810). Als eine kleine Einheit österreichischen Militärs über den Arlberg vorrückte, wuchs in Vorarlberg die Bereitschaft zum Aufstand, vor allem im Süden des Landes sowie in den bäuerlichen Gebieten, weniger in den Städten. Da im Land keine bayerischen Truppen stationiert waren, konnte das unterwegs durch heimische Freiwillige verstärkte österreichische Detachement am 25. April ungehindert in Bregenz einziehen.

Die Beamtenschaft wurde auf Österreich verpflichtet, das Land damit organisatorisch in Besitz genommen. Die Stände reaktivierten sich und setzten das traditionelle, in den vorangegangenen Kriegen wesentlich verbesserte Milizsystem wieder in Kraft. Die "Insurrektion" der Vorarlberger gestaltete sich somit als eine geordnete, durch den allgemeinen Kriegsverlauf bewirkte Rückkehr zum österreichischen Kaiserstaat. Es gab allerdings auch Widerstand. So mussten etwa die ehemaligen Gerichte Lingenau und Hinterbregenzerwald zum Anschluss gezwungen werden. In den ersten beiden Maiwochen eroberten reguläres Militär und Landesschützen Lindau und stießen entlang des nördlichen Bodenseeufers sowie bis nach Wangen und Leutkirch im Allgäu (1803-1810 bei Bayern, heute Baden-Württemberg) vor. Am 19. Mai 1809 bestellten die Landstände den Advokaten Dr. Anton Schneider (1777-1820) zum Landeskommissär, am 9. Juni ernannte ihn Joseph Freiherr von Hormayr (1781-1848), der kaiserliche Intendant in Innsbruck, zum Generalkommissär, also zum Landeschef in zivilen und in militärischen Angelegenheiten. Schneider, der aus Weiler im Allgäu (Landkreis Lindau) stammte, hatte in Innsbruck Philosophie und Rechtswissenschaften studiert, bereits 1799 an den Abwehrkämpfen gegen die Franzosen teilgenommen und später als Anwalt in Bregenz und St. Gallen (Schweiz) gewirkt.

Der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten. Am 25. Mai besetzten zur Unterstützung der Bayern aufgebotene württembergische Soldaten unter François Grouvel (1771-1736) Bregenz, wurden aber in weiterer Folge bei Götzis geschlagen und zurückgeworfen. Die von Kaiser Franz I. (1768-1835, röm.-dt. Kaiser 1792-1806, Kaiser von Österreich 1804-1835) im "Wolkersdorfer Handbillet" gegebene Zusicherung, er werde niemals in einen Frieden einwilligen, der die neuerliche Abtretung Tirols und Vorarlbergs zur Folge habe, stärkte die Kampfbereitschaft. Am 5. Juni beschloss der Landtag die Mobilisierung zusätzlicher Milizverbände, die nicht nur einen weiteren Abwehrerfolg gegen württembergische und französische Kräfte (unter Marc-Antoine de Beaumont, 1763-1830) erzielten, sondern auch nördlich der Landesgrenze Boden gewannen. Bei einem zu Schiff über den Bodensee ausgeführten Handstreich wurden in Konstanz hunderte österreichische Gefangene befreit. Der Aufstand der Vorarlberger und der Tiroler strahlte auch auf einige ehemals vorderösterreichische, nun zu Baden, Württemberg und Bayern gehörende Gebiete aus und weckte dort die Hoffnung auf eine Rückkehr unter die habsburgische Herrschaft.

Nachdem Napoleon am 5./6. Juli bei Wagram gesiegt hatte, verpflichtete der Waffenstillstand von Znaim die österreichischen Truppen zur sofortigen Räumung Tirols und Vorarlbergs. Auch Kaiser Franz willigte nach anfänglichem Zögern ein. Die Nachricht darüber lösten in Vorarlberg heftige Kontroversen zwischen Friedenswilligen und den Befürwortern einer Fortsetzung des Kampfes aus. Am 17. Juli von jeweils etwa 2.000 Vorarlberger Milizionären gegen Wangen im Allgäu und gegen Kempten zur Unterstützung aus Tirol vorrückender österreichischer Kräfte geführte Angriffe wurden von württembergischem, bayerischem und französischem Militär abgewehrt. Angesichts der dabei erlittenen Verluste sowie eines drohenden französischen Vormarsches von Osten her beschloss der Landtag zunächst die Entlassung der Landesverteidiger und die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen, kurz darauf aber – als bekannt wurde, dass Erzherzog Johann (1782-1859), der jüngere Bruder des Kaisers, dem Militär verbot, Tirol und Vorarlberg zu räumen – weiteren Widerstand.

Anfang August ließ die allgemeine militärische Lage den Aufstand aber vollends zusammenbrechen, württembergische und französische Verbände – insgesamt etwa 10.000 Mann – besetzten Vorarlberg. 177 Geiseln aus allen Landesteilen wurden ausgehoben und nach Belgien gebracht. Dr. Anton Schneider stellte sich den Württembergern. Dass sie ihn nicht an die Franzosen auslieferten, ersparte ihm das Schicksal des 1810 in Mantua hingerichteten Andreas Hofer. Der dritten Erhebung der Tiroler schloss sich Vorarlberg nicht an, nur in entlegenen Seitentälern hielten sich kleinere Gruppen von "Insurgenten" bis in den späten Herbst. Im Frieden von Schönbrunn (13. Oktober 1809) verzichtete Österreich erneut zugunsten Bayerns auf Tirol und Vorarlberg. Im November zogen die Württemberger und Franzosen ab, an deren Stelle nun bayerisches Militär in Vorarlberg Quartier nahm.

Folgen

Von nun an betrieben beide Seiten eine Art Entspannungspolitik. Ein Großteil der Aufständischen wurde amnestiert, bei den Landgerichten installierte man vom Volk gewählte Deputierte als Vertrauensleute in beratender Funktion. Umgekehrt machten die Vorarlberger das aufgehobene Kloster Mehrerau bei Bregenz der bayerischen Königin Karoline (1776-1841) zum Geschenk, die benachbarte Ortschaft Rieden wurde ihr zu Ehren in "Karolinenau" umbenannt. Dennoch blieb die Stimmung gereizt, die Obrigkeit misstrauisch. Um eine neuerliche Erhebung zu unterbinden, ließ sie im Frühjahr 1813 mutmaßliche Verschwörer, darunter ehemalige Milizoffiziere, verhaften und außer Landes bringen.

Nachdem Österreich am 12. August 1813 Frankreich den Krieg erklärt hatte, schloss sich Bayern nach längerem Zögern, aber noch rechtzeitig vor der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19. Oktober 1813) der Allianz gegen Napoleon an und verpflichtete sich am 3. Juni 1814 in der Pariser Konvention, zugunsten Österreichs unter anderem auf Vorarlberg – allerdings ohne das Landgericht Weiler – zu verzichten. Die Feierlichkeiten zur Wiederinbesitznahme fanden am 24. Juli statt.

Rezeptionsgeschichte

Foto der Enthüllung des Anton‑Schneider‑Denkmals in Bregenz am 10. Juli 1910. (AT-STAB 910087)

Der Vorarlberger Aufstand des Jahres 1809 stand stets im Schatten des rasch zur Berühmtheit gewordenen Tiroler "Freiheitskampfes". Ihm fehlten die großen Schlachten und ein Held vom Kaliber des Andreas Hofer. Dr. Anton Schneider war als Jurist und offenkundiger Anhänger der Aufklärung kein "Mann des Volkes", zudem hatte er die "Insurrektion" überlebt. Als liberale Kreise ihm hundert Jahre später ein Denkmal errichten wollten, setzte eine heftige Gegenkampagne aus dem katholisch-konservativen Lager ein. Wegen dieser Widerstände konnte es erst nach den Jubiläumsfeierlichkeiten, bei denen nicht der Anlass selbst, sondern die Präsentation einer eigenständigen Landesgeschichte im Mittelpunkt stand, enthüllt werden. Identitätsstiftende Wirkung besitzt "1809" in Vorarlberg nicht mehr. Während 1959 noch ein großer Aufmarsch des Kameradschaftsbundes stattgefunden hatte, unterblieben in der Folge offizielle Gedenkfeierlichkeiten.

Weil Vorarlberg zwar als Folge kriegerischer Ereignisse, aber doch auf vertraglicher Grundlage an Bayern gelangt war, sah sich die regionale Geschichtsschreibung lange Zeit veranlasst, den Aufstand zu rechtfertigen. Als Argumente dienten die traditionelle Treue der Landesbewohner zum Haus Österreich, deren berechtigte Notwehr gegen die "bayerische Knechtschaft" (Kapitelüberschrift bei Bilgeri, Geschichte, 205) und der vorgebliche Wortbruch König Maximilian Josephs, der den Deputierten der Vorarlberger Stände im Reskript auf die Huldigung die Beibehaltung ihrer Verfassung zugesichert hatte. Erst seit den 1980er-Jahren rückten die positiven Aspekte der bayerischen Reformen, die nach der Rückkehr an Österreich großteils beibehalten worden waren, ins Blickfeld der Forschung. Eine breit angelegte Neubewertung der Thematik steht allerdings noch aus.

Literatur

Quellen

  • Thomas Albrich (Hg.), Vorarlberg 1809. Am Rande des Aufstands: das Tagebuch des Christoph Anton Kayser, Innsbruck 2009.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Alois Niederstätter, Vorarlberger Aufstand (1809), publiziert am 19.06.2024; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Vorarlberger_Aufstand_(1809)> (01.11.2024)