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Domannexstifte

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Neumünster (links) und Dom (rechts) im alten Würzburger Stadtbild vor der Zerstörung 1945. (aus: Werner Burmeister, Dom und Neumünster zu Würzburg [Deutsche Bauten 12], Magdeburg 1928, 51)
Die Westfassade des Neumünsters von 1712/19. (aus: Bernhard Hermann Röttger, Die Stadt Würzburg [Alte Kunst in Bayern], Augsburg 1931, 43)
Ausschnitt aus einer Stadtansicht von Eichstätt 1627. Man erkennt den Dom und die dahinter liegende Frauenkirche. (aus: Eichstätts Kunst. Festschrift zum goldenen Priesterjubiläum des hochw. Herrn Bischofs Dr. Franz Leopold von Leonrod, München 1901, 102)
Ansicht der Stadt Freising 1642. Auf dem Domberg erkennt man westlich des Doms die Stiftskirchen Sankt Johann und Sankt Andreas. Das Kollegiatstift Sankt Veit liegt vor der Stadt auf halber Höhe des Weihenstephaner Berges. (aus: Matthäus Merian/Martin Zeiller, Topographia Bavariae, Frankfurt am Main 1690, zwischen 18 und 19).

von Frank G. Hirschmann

Personell, rechtlich und liturgisch mit der Bischofskirche verbundene Stifte in unmittelbarer Nähe der Kathedrale. Domannex- oder Domnebenstifte entstanden im heutigen Bayern von der Mitte des 11. Jahrhunderts bis Anfang des 14. Jahrhunderts an aus zum Teil erheblich älteren Kirchen. Ihre Gründung war stark von den indiviuellen Gegebenheiten vor Ort bestimmt, weshalb in Freising gleich drei Stifte, in Chiemsee, Bamberg und Passau gar keine entstanden. Aus den Domannexstiften, die auch in die Liturgie der Kathedrale eingebunden waren, rekrutierte sich das Personal für die Bistumsverwaltung. Die Spannbreite der möglichen rechtlichen Stellungen war groß. Sie reichte von Minderstiften ohne eigene Kirche bis hin zu weitgehend selbständigen Stiften mit reicher Ausstattung. Bis auf Sankt Johann in Regensburg wurden alle Domannexstifte im Zuge der Säkularisation 1802-1806 aufgehoben.

Begriffsbestimmung

Unter Domannexstiften versteht man die in engem topographischen Kontext zur Domkirche stehenden und an diese personell, rechtlich und liturgisch mehr oder weniger stark gebundenen Kollegiatstifte. Domannexstifte, die in der Literatur auch als "Minderstifte" (Peter Moraw) und "Domnebenstifte" (Gertraud Streich) bezeichnet werden, waren entweder im Dom selbst oder an einer direkt beim Dom gelegenen Kirche der zur Kathedrale gehörigen "Kirchenfamilie" angesiedelt. Ihre Gründer waren stets Bischöfe oder das Domkapitel, mit dem die Stifte meist eng verflochten waren. Neben den Domannexstiften in unmittelbarer Nähe der Kathedrale bestanden in oder vor den Bischofsstädten weitere, oft ebenfalls mit dem Domkapitel rechtlich eng verbundene Kollegiatstifte.

Domannexstifte wurden seit dem 11. Jahrhundert gegründet. Ihre Kanoniker wirkten vielfach bei der Liturgie in der Domkirche mit. Die Stifte dienten als Personalreservoir für die Diözesanverwaltung. Ihre Erforschung steckt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch in den Kinderschuhen.

Domannexstifte bestanden seit dem Mittelalter an allen Bischofssitzen im heutigen Bayern mit Ausnahme von Chiemsee, Passau und Bamberg – und somit signifikant häufiger als im übrigen Reichsgebiet.

Würzburg

Das älteste (in Bayern wie insgesamt im Reich rechts des Rheins) stellt das Würzburger Neumünster dar, welches 1057 nördlich des Doms und vielleicht an der Stelle des ersten rechtsmainischen Würzburger Doms erbaut wurde. Die Initiative ging dabei von Bischof Adalbero (reg. 1045-1090) aus, jedoch waren auch Stifter aus dem Gorzer Umfeld sowie Königin Richeza von Polen (reg. 1024-1034, gest. 1063) daran beteiligt. Wahrscheinlich wurden hierher die Kanoniker von St. Peter / St. Stefan versetzt, welches in ein Benediktinerkloster umgewandelt worden war. Neumünster verfügte über reichen Besitz. Das Kapitel ergänzte sich durch Kooptation; die Pröpste wurden aus den Reihen des Domkapitels frei gewählt, jedoch hatte das Annexstift kein eigenes Patrozinium. Es wurde 1803 aufgehoben. Der Gründungsbau des 11. Jahrhunderts steht in stark barockisierter Form und mit barocker Fassade von 1716 bis heute.

Freising

In der selben Zeit wie das Würzburger Neumünsterstift entstand in Freising ein Kollegiatstift an der auf das 8. Jahrhundert zurückgehenden Kirche St. Andreas an der Westspitze des Domberges. Als Gründer gilt Bischof Ellenhard (reg. 1052-1078). Erstmals bezeugt ist das damals schon bestehende Stift 1062. Die Stiftskirche galt als ranghöchste Kirche der Diözese nach dem Dom. Der Propst des Stifts wurde vom Bischof aus dem Domkapitel ernannt; der de facto das Stift leitende Dekan vom Kapitel gewählt. Die Aufnahme war seit dem späteren Mittelalter Adeligen oder Doktoren bzw. Lizenziaten der Rechte oder der Theologie vorbehalten. St. Andreas war sehr reich dotiert. Es wurde 1802 aufgehoben. Die Gebäude und die Kirche wurden vollständig abgerissen.

Auf dem Freisinger Domberg entstanden im Verlauf des Mittelalters noch zwei weitere Annexstifte: 1251 gründete Bischof Konrad I. (reg. 1230-1258) ein solches am Paulusaltar im Dom, um liturgische Missstände zu mindern. St. Paul war jedoch sehr klein und schwach ausgestattet. Es besaß keine eigene Kirche und keine Dignitäten; die Pfründen vergab der Dompropst. 1802 wurde es aufgehoben.

1319 gründete Bischof Konrad III. (1314-22) ein Kollegiatstift an der von ihm 1319-1321 neu erbauten Johanneskapelle. Dieses war personell eng mit dem Domkapitel verflochten; die Pfründen vergab der Bischof. In Bezug auf seine Eigenständigkeit nahm St. Johann also eine Zwischenstellung zwischen St. Andreas und St. Paul ein; wie jene wurde es 1802 aufgehoben.

Dem Freisinger Domkapitel wurde 1313 und 1465 garantiert, dass die Pröpste der Stifte St. Andreas und St. Johann stets aus dem Domkapitel zu stammen hatten. Diese Regelung galt analog auch für weitere Kollegiatstifte in Bischofsstadt, Hochstift und Diözese Freising.

Augsburg

In Augsburg richtete Bischof Embricho (reg. 1064-1077) 1071 ein Kapitel an der östlich des Doms gelegenen Kirche St. Gertrud ein. Dieses blieb stets unbedeutend und eng an den Dom gebunden. Die Kirche wurde 1356 zugunsten des gotischen Neubaus der Kathedrale abgerissen. Die Stiftsherren hatten seither bis zur Auflösung 1802 ihren Sitz im Domchor.

Regensburg

Bischof Kuno (1126-32) von Regensburg gründete 1127 an der Taufkapelle der Domkirche das Augustiner-Chorherrenstift St. Johannes. Seit der Wende zum 13. Jahrhundert wandelte sich dieses schrittweise zu einem Kollegiatstift - ein Prozess, der 1290 mit der Aufgabe der "vita communis" abgeschlossen war. Das Annexstift besaß relativ große Unabhängigkeit gegenüber dem Domstift und konnte u. a. den Propst selbst wählen; jedoch war dieser dem Domkapitel zu entnehmen. Beim Bau des gotischen Domes wurde die Kirche verlegt. Sie war 1381 fertiggestellt und steht mit barocker Innenausstattung bis heute. Auch das Stiftskapitel existiert noch.

Eichstätt

1276 richtete Bischof Hildebrand (1261-79) von Eichstätt am Willibaldschor des Doms ein Annexstift als seinerzeit erstes Stift der Stadt ein. Seit 1454 war es Doktoren der Rechte oder der Theologie vorbehalten und spielte – obwohl ohne eigene Kirche – eine nicht unbeträchtliche Rolle im Bildungswesen der Stadt. Die Aufhebung erfolgte 1806.

Auch das zweite Eichstätter Domannexstift, der Neue Stift, wurde in jenem Jahr aufgelöst. Die Gründung an der als Pfarrkirche dienenden Marienkirche, der wohl noch vor dem Dom ältesten Kirche Eichstätts, geht auf 1316 und den Dompropst und späteren Bischof Markward von Hageln (reg. 1322-1324) zurück. Personell und rechtlich war das Neue Stift eng an das Domkapitel gebunden. Wegen der Funktion der Stiftskirche als Pfarrkirche lässt sich für das späte Mittelalter ein zunehmender Einfluss der Stadt konstatieren. Auf deren Initiative geht auch der 1472 begonnene Neubau zurück. Die Stifts- und Pfarrkirche wurde nach der Säkularisation abgebrochen.

Salzburg

Einen Sonderfall stellt Salzburg dar. Am Metropolitansitz der bayerischen Kirche gründete erst Erzbischof Paris Lodron (1619-53) 1631 das Annexstift St. Maria Schnee, welches seinen Sitz im Dom hatte, liturgische Aufgaben wahrnahm und 1806 aufgehoben wurde. Die Errichtung von Maria Schnee gehört in eine Reihe von Stiftsgründungen im Zuge der Katholischen Reform durch Erzbischof Paris Graf Lodron (auch in Tittmoning, Mühldorf und Laufen).

Zusammenfassung

Ein Drittel der 27 Domannexstifte im Reichsgebiet befand sich somit im heutigen Bayern bzw. in Salzburg. Ihre Rechtsstellung, ihre materielle Fundierung und nicht zuletzt ihre Bausubstanz wiesen erhebliche Unterschiede auf. Die Spannbreite veranschaulicht einerseits das reiche und über ein hohes Maß an Eigenständigkeit, aber über kein eigenes Patrozinium verfügende Würzburger Neumünster, andererseits St. Paul in Freising ohne Dignitäten, ohne Kirche und mit nur geringen Einkünften. Bis auf das Stift St. Johannes in Regensburg überdauerte keines der Domannexstifte die Säkularisation.

Literatur

  • Norbert Backmund, Die Kollegiat- und Kanonissenstifte in Bayern, Furth bei Landshut 1973.
  • Irene Crusius, "Basilicae muros urbis ambiunt". Zum Kollegiatstift des frühen und hohen Mittelalters in deutschen Bischofsstädten, in: Dies. (Hg.), Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland (Studien zur Germania sacra 18), Göttingen 1995, 9-34.
  • Freising. 1250 Jahre Geistliche Stadt. Ausstellung im Diözesanmuseum und in den historischen Räumen des Dombergs in Freising, 10. Juni bis 19. November 1989. 1. Band, München 1989.
  • Frank G. Hirschmann, Die Domannexstifte im Reich - Zusammenstellung und vergleichende Analyse, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 88 (2002), 110-158.
  • Paul Mai (Hg.), 850 Jahre Kollegiatstift zu den heiligen Johannes Baptist und Johannes Evangelist in Regensburg. 1127-1977. Festschrift, München/Zürich 1977.
  • Guy P. Marchal, Was war das weltliche Kollegiatstift im Mittelalter? Dom- und Kollegiatstifte: Eine Einführung und eine neue Perspektive, in: Revue d'histoire écclesiastique 94 (1999), 761-807 und 95 (2000), 7-53.
  • Peter Schmid (Hg.), Geschichte der Stadt Regensburg. 2 Bände, Regensburg 2000.
  • Ulrich Wagner (Hg.), Geschichte der Stadt Würzburg. 2 Bände, Stuttgart 2001.
  • Alfred Wendehorst, Das Stift Neumünster in Würzburg (Germania Sacra Neue Folge 26), Berlin 1989.
  • Alfred Wendehorst/Stefan Benz, Verzeichnis der Säkularkanonikerstifte der Reichskirche (Schriften des Zentralinstituts für Fränkische Landeskunde und Allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg 35), Neustadt an der Aisch 2. Auflage 1997.

Weiterführende Recherche

Domnebenstifte

Empfohlene Zitierweise

Frank G. Hirschmann, Domannexstifte, publiziert am 18.08.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL:<http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Domannexstifte> (29.03.2024)