Säben, Bischofssitz
Aus Historisches Lexikon Bayerns

Der spätantik-frühmittelalterliche Bischofssitz Säben im Südtiroler Eisacktal war mindestens seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts eng mit dem bayerischen Herzogtum verbunden und gehörte zur Kirchenprovinz Salzburg. Aufgrund einer sehr lückenhaften und späten Überlieferung sind die Anfänge des Bistums im 6. Jahrhundert wie auch dessen Frühgeschichte nur schwer zu erhellen. Im Ringen um die Kontrolle der Brennerroute zwischen Franken, Bayern und Langobarden konnte sich das Bistum nicht entfalten, was sich besonders nach dem Ende des agilolfingischen Herzogtums und dem karolingischen Zugriff auf den Raum im 9. Jahrhundert auswirkte. Das änderte sich erst mit der Übertragung des Königshofs Brixen 901 an den Bischof und der folgenden Verlegung des Bischofssitzes dorthin. Auf Säben verblieb ein urkundlich einmal erwähntes Kloster und eine bischöfliche Burg, die zusammen mit dem darunterliegenden Klausen Verkehr und Zoll an der Brennerstraße kontrollierte.
Vom frühmittelalterlichen Bistum Säben zur Diözese Bozen-Brixen
Auf einem markanten, zum Fluss hin steil abfallenden Felsenriff über der Stadt Klausen im unteren Eisacktal (Südtirol) befand sich ab dem 6. Jahrhundert der Bischofssitz Säben. Nach der Mitte des 8. Jahrhunderts ist eine enge Beziehung der Säbener Bischöfe zum bayerischen Herzogtum zu erkennen, manifest vor allem in den mehrfachen Aufenthalten Bischof Alims (belegt von 769 bis 800) in Bayern. Nach der Erhebung Salzburgs zum Erzbistum und der Gründung einer eigenen bayerischen Kirchenprovinz 798 war der Bischof von Säben Salzburger Suffragan. Im 10. Jahrhundert wurde der Bischofssitz vom Säbener Felsen in das rund 13 km nördlicher gelegene Brixen verlegt.
Während die Zuständigkeit der frühen Bischöfe nicht konkreter zu benennen ist, umfasste die mittelalterliche Diözese Säben-Brixen den größten Teil des deutschsprachigen Alt-Tirols, also das Inntal von Finstermünz bis zum Zillertal, das Wipp- und das Eisacktal bis unmittelbar südlich von Säben und das Pustertal, aber auch die südlich des Pustertals gelegenen ladinischen Gebiete Gröden, Fassa, Gadertal und Enneberg. Im Süden gehörte der Vinschgau bis Anfang des 19. Jahrhunderts zur Diözese Chur wie im Norden das Außerfern zu Augsburg. Das mittelalterliche Bistum Brixen grenzte somit westlich des Zillertals und nördlich des Inns bzw. im Karwendelgebirge an die Bistümer Freising und Augsburg, am Ziller an die Erzdiözese Salzburg, im Süden weiträumig an die Diözese Trient und im Südwesten an Chur. Das spätere Bistumsgebiet lag in Teilen vielleicht schon ab dem 7. Jahrhundert im Bereich des frühen bayerischen Herzogtums (Pustertal und unteres Eisacktal), nach der Mitte des 8. Jahrhunderts dann zur Gänze.
Waren bereits im frühen 19. Jahrhundert kirchliche Zuständigkeiten an aktuelle Landes- und Binnengrenzen angeglichen worden, so führte nach dem 1. Weltkrieg die Teilung Tirols zwischen Österreich und Italien und die daraus folgende Schwierigkeit, die österreichischen Bistumsteile von einem in Italien gelegenen Bischofssitz aus zu verwalten, langfristig zu einer Anpassung der kirchlichen an die staatlichen Verhältnisse. 1964 wurde die Diözese Bozen-Brixen gegründet, deren Diözesangebiet der Autonomen Provinz Bozen entspricht. Der Nordtiroler Anteil erfuhr eine Neuorganisation in der Diözese Innsbruck.
Der Ort: Topographie, Besiedlung, Bischofssitz

Die exponierte Lage auf dem Felsen, der Schutz und Aussicht zugleich bot, an der talabgewandten Seite aber auch Zugang zu weiten Hochflächen besaß, entspricht einer im Alpengebiet öfter zu beobachtenden Situation früher Höhensiedlungen mit zentralörtlicher Funktion (vgl. Burghügel von Schloss Tirol; Hohenrätien im Hinterrheintal/Graubünden). Fast regelhaft setzen archäologische Befunde in der Bronzezeit ein und bezeugen von da an eine – nicht unbedingt lückenlose – Besiedlung bzw. Nutzung der Plätze. Der frühgeschichtlichen Nutzung folgt häufig eine hochmittelalterliche Burg, so auch auf Säben, die hier mit der Bedeutungszunahme des Brennerwegs im Hochmittelalter und dem 1028 erstmals genannten Zoll in Klausen korreliert (MGH DD Konrad II. Nr. 115, 160f.).
In die Vorgeschichte zurück weist vermutlich auch der Name Säben (< 8. Jh. de Sabione, ecclesia Sabionensis). Obwohl meist als alpenromanischer Name gedeutet, gebildet aus der erschlossenen Wurzel *sab- mit dem lateinischen Suffix -onia, das durch Metathese zu -iona wurde, dürfte die Parallelität zu Namen wie Verona oder Cremona eine vorrömische Entstehung nahelegen, zumal die Basis *sábi̯- innerlateinisch keinen Anschluss findet.
Lässt sich allein aufgrund der Topographie eine Vorort-Funktion des Berges postulieren, auch wenn noch nicht entschieden werden kann, ob deren Grundlage primär religiöser, montanwirtschaftlicher oder administrativ-politischer Natur war, so ist offensichtlich, dass Säben nicht den kanonischen Vorschriften für einen antiken Bischofssitz entsprach. Dafür kam nach Kanon 6 des Konzils von Serdica (343) in der Regel nur ein städtischer Mittelpunkt (civitas-Vorort) in Frage. Einen solchen gab es im Eisacktal nicht.
Älteste Zeugnisse des Bischofssitzes
Der Bischofssitz von Säben reicht sicher in die zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts zurück, frühere Annahmen sind spekulativ. Paulus Diaconus († vor 800) berichtet in seiner Ende des 8. Jahrhunderts verfassten Langobardengeschichte, dass sich im Rahmen des fränkisch-langobardischen Krieges 590/91 Bischof Ingenuin von Säben († ca. 605) zusammen mit Bischof Agnellus von Trient für den Freikauf von Kriegsgefangenen einsetzte (PD Hist. Lang. III,31). Ingenuin tritt in denselben Jahren auch im Rahmen des sog. Drei-Kapitel-Streits, einer theologischen Auseinandersetzung um die wahre Natur Christi, in Gemeinschaft mit langobardischen Bischöfen des Patriarchats von Aquileia als Gegner der römisch-katholischen Position in Erscheinung (ACO IV,2, 132-135; PD Hist. Lang. III,26). Entgegen der späteren Salzburger Überlieferung, der Ingenuin als erster Bischof von Säben galt (9. Jh., Liber conprovincialium), scheint es bereits mindestens einen Vorgänger gegeben zu haben, denn die Unterschriftenliste einer Provinzialsynode in Grado, die zwischen 575 und 577 stattfand, nennt einen Materninus Sabionensis (Tiroler UB II,1 Nr. 15*). Diese Unterschriftenliste ist aber lediglich als Insert im Protokoll der Synode von Mantua 827 erhalten, das wiederum nur in einer Abschrift aus dem 15. Jahrhundert vorliegt. Eine weitere Teilnehmerliste einer Synode von Grado, angeblich von 579, ist in venezianischen Chroniken des 11. bis 14. Jahrhunderts überliefert. Verschiedene Fassungen nennen einerseits Ingenuinus episcopus, aber auch einen Marcianus bzw. Martinus episcopus als Stellvertreter des Ingenuin, deren Namen an den erstüberlieferten Materninus Sabionensis anklingen. Inwieweit es sich tatsächlich um zwei unterschiedliche Synoden von Grado handelte, ist eine ebenso offene Forschungsfrage wie die, inwieweit die Namen Materninus/Marcianus/Martinus angesichts der apokryphen Überlieferung der Unterschriftenlisten tatsächlich unterschiedliche Personen meinen, von denen zumindest Materninus als eigenständiger Bischof von Säben zu werten wäre, oder ob es sich lediglich um Überlieferungsvarianten des Namens eines Vertreters Bischof Ingenuins handelte.
Nicht zu entscheiden ist auch, ob sich ein Brief Papst Pelagius‘ I. (556-561) an einen Marcello episcopo Seuoniensis auf Säben bezieht (Tiroler UB II,1, Nr. 11). Der Name Marcellus erscheint zwar im spätmittelalterlichen Brixner Bischofskatalog, doch bereitet zum einen die Gleichsetzung von Seuoniensis mit Sabionensis lautliche Probleme, zum anderen sind Inhalte des Schreibens, wie die Erwähnung von Klöstern (Plural!), für die Mitte des 6. Jahrhunderts im Südtiroler Raum bisher weder historisch noch archäologisch zu verifizieren.
Der Brixner Bischofskatalog
Das Bistum Säben besitzt vor dem 10. Jahrhundert keine eigene Überlieferung. Darüber hinaus fehlen, abgesehen vom Zeugnis der Archäologie, jegliche Nachrichten zwischen dem Beginn des 7. und der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Angesichts dieses Überlieferungsmangels ist der Brixner Bischofskatalog trotz seiner erst spätmittelalterlichen Kompilation für die Frühzeit eine wertvolle Quelle. Der um 1420 zusammengestellte Codex des Brixner Kapitelarchivs, der den Katalog enthielt, ist seit der Bearbeitung durch den Brixner Domkleriker und Historiographen Joseph Resch (1716-1782) im 18. Jahrhundert verschollen, so dass im Wesentlichen auf dessen Beschreibung und Abschrift zurückgegriffen werden muss. Demnach war der Bischofskatalog im dritten Teil des Codex enthalten und von mindestens zwei Händen geschrieben, deren erste bis 1396 und zweite bis 1418 eintrug. Der erste Teil der Handschrift, der vor 1237 entstanden sein muss, enthielt eine Lebensbeschreibung der Bistumsheiligen, die Vita et Gesta Sanctorum Cassiani, Ingenuini et Albuini (Bf. Albuin ca. 975-1006), als deren Quellen der Verfasser den um 600 lebenden Abt Secundus von Trient († 612), Paulus Diaconus und einen älteren Catalogus pontificum Brixinensium nennt. Auf diesen, der jedenfalls älter als 1237 war, dürften auch die Bischofsnamen im älteren Abschnitt des überlieferten Bischofskatalogs zurückgehen, beginnend mit Cassian, dem legendenhaften Missionar, und Ingenuin (um 600), auf die die Bischöfe sanctus Constancius, item alter post hunc Constancius, Procopius, Ursus, Piennius, Proiectus?, Maturinus, Marcellus, Valerianus, Agnellus, Aurelianus, Antonius, Laurencius, Johannes, Mastulo, Alym, Heinricus, Arybo, Lentfridus, Zerito, Zacharias, Reinbertus, Nithart, Wisumptus, Richprechtus, sanctus Albuinus, Adalbero, Herbardus… Dive memorie beatus Hertwicus… folgen. Letzterer ist Hartwig, Bischof von 1022-1039.
Für die meisten Namen zwischen Ingenuin und Alim in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts fehlen andere Belege, ebenso für den im 9. Jahrhundert vor Bischof Zacharias (890-907) eingereihten Zerito. Lediglich der Name Agnellus findet sich im Salzburger Verbrüderungsbuch (784; MGH Necr. II, 26) in der Liste der verstorbenen Bischöfe und Äbte nach Emmeram und Corbinian (ca. 670-730) und vor Vivilo (ca. 731-747 Bischof von Passau); er könnte mit dem Säbener Bischof identisch sein, der demnach im 3. oder 4. Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts gestorben wäre. Neben Alim bezeugt der Salzburger Liber conprovincialium noch die Bischöfe Mastulo und Johannes.
Für die Authentizität der Liste spricht, dass vor Alim nur romanische Namen aufgeführt werden, was bis um 800 den historischen Umständen entsprach. Dass Namen fraglicher Bischöfe des 6. Jahrhunderts wie Marcellus, sofern überhaupt historisch, keinesfalls an chronologisch passender Stelle eingereiht sind, könnte mit dem Umstand erklärt werden, dass diese Namen aus Totenlisten stammen, die nur den Todestag, nicht das Jahr verzeichneten.
Das Cassianspatrozinium
Als ältester Bistumspatron wird der Märtyrer Cassian von Imola verehrt, dessen Legende der spätrömische Dichter Prudentius (348–413) in seinem Werk „Peristephanon“ überliefert. Im Zusammenhang mit Säben ist das Patrozinium allerdings nicht vor dem 9. Jahrhundert zu fassen. Erstmals heißt es in einer Urkunde Ludwigs des Deutschen (reg. 843-876) von 845/48 von der Säbener Kirche, sie sei erbaut in honore sancti Cassiani martyris (MGH DD Ludwig d. Dt., S. 66 Nr. 50), was u. a. Überlegungen motivierte, Cassian sei erst in fränkischer Zeit zum Bistumspatron geworden (Heuberger). Cassian erfuhr jedoch bereits im 6. Jahrhundert große Verehrung, wie die Mosaiken in Ravenna (erzbisch. Kapelle, S. Apollinare Nuovo) belegen. Wie in frühen Kirchen entlang der Bündner Passrouten (Vicosoprano, Lenz, Sils/Domleschg, Malans, Sargans) könnte sich das Patrozinium in dieser Zeit auch an der Brennerroute festgesetzt haben. Da anlässlich eines Besitztausches noch Ende des 10. Jahrhunderts festgehalten wird: … ad altare sancti Cassiani quod est in Sabiona, ist das Cassianspatrozinium zweifelsfrei mit Säben verbunden (Tr. Brixen 6), während Bischof Ingenuin erst mit der Verlegung des Bischofssitzes und der Translation seiner Gebeine nach Brixen als Bistumspatron in Erscheinung tritt.
Seit dem späten 12. Jahrhundert ist in Brixen die Legende zu fassen, wonach der Märtyrer Cassian auch der erste Bischof (und Missionar) Säbens gewesen sei (1187 Weihenotiz der Hl. Kreuz-Kirche auf Säben u.a. zu Ehren sancti Cassiani episcopi et martiris, Tiroler UB II,2 Nr. 823; vor 1237: Vita et Gesta Sanctorum Cassiani, Ingenuini et Albuini episcoporum). Als solcher führt er den Bischofskatalog an. Ob die Bezeichnung Cassians als Bischof in Brixen in Analogie zu den beiden anderen Bistumsheiligen, den Bischöfen Ingenuin und Albuin, erfolgte oder ältere Wurzeln in Italien hatte, wo Cassian auf einem Mosaik in der Vorhalle der Markusbasilika in Venedig aus dem 12./13. Jahrhundert in bischöflichem Ornat dargestellt wurde, ist unklar.
Die Bischofsfrage bewegte die Tiroler Gelehrtenwelt des 18. Jahrhunderts, die sie zwischen aufgeklärter Ablehnung (G. Tartarotti) und religiös-regionalpatriotischer Tradition (J. Resch, A. Roschmann) diskutierte.
Bischof Ingenuin und die Frage der räumlichen Ausrichtung Säbens vor 600

Ähnlich wie die Anfänge des Bischofssitzes ist auch die räumliche Ausrichtung eines frühen Bistums Säben Gegenstand der Diskussion. Denn einerseits agierte Bischof Ingenuin um 590 mit Bischof Agnellus von Trient und den Bischöfen des Sprengels von Aquileia, die unter langobardischer Herrschaft standen, was auf eine Südorientierung Säbens hinweist, andererseits unterzeichnete er mit diesen Bischöfen eine Petition an den oströmischen Kaiser Maurikios (reg. 582-602) an erster Stelle als Ingenuinus episcopus sanctae ecclesiae secundae Retiae („Ingenuin, Bischof der heiligen Kirche der Raetia secunda“. Tiroler UB II,1 Nr. 23). Mit dieser Titulatur sind weitreichende Schlüsse verbunden: Wenn Ingenuin, der bei Paulus Diaconus mit Säben verbunden wird, ein Bischof der Raetia secunda war, musste das auch für Säben gelten, das demnach am äußersten Südrand einer Raumeinheit lag, die im Norden bis zur Donau reichte. Daraus wurde nicht nur auf die Ausdehnung der römischen Provinz Raetia secunda von der Donau bis ins untere Eisacktal geschlossen, sondern umgekehrt auch ein früher räumlicher Zusammenhang mit dem bayerischen Herzogtum angenommen.
Allerdings rief die Gestalt von Ingenuins Unterschrift quellenkritische Bedenken hervor, weil nach normativen Vorgaben spätantike Bischöfe den Namen ihres Sitzes, d. h. der civitas, im Titel führten, selten in Verbindung mit der Provinzangabe, wie im Falle Churs und der Raetia prima überliefert, nicht aber den Provinznamen allein. Dass im zitierten Brief ein Sabionensis im Zuge der kopialen Überlieferung verloren gegangen bzw. umgedeutet worden sei, wie Richard Heuberger (1884-1968) vermutete, wird durch die Überlieferung der Unterschriftenliste von Grado in den erwähnten venezianischen Chroniken entkräftet, da auch dort Ingenuin nur als Bischof der Raetia secunda ohne Sitz erscheint (vgl. MGH SS rer. Lang., 393). Säben wird somit nie zusammen mit der ecclesia secundae Raetiae genannt.
Die Nennung allein nach der Provinz ist für Bischöfe auf der Flucht belegt, die ihre Provinz verlassen hatten (vgl. 599 ep. Iohannes nomine de Pannoniis veniens, Briefregister Papst Gregors I. = MGH Epp. 2, IX,155). Auf Ingenuin übertragen hieße das, dass er sich auf der Flucht außerhalb der Raetia secunda befand. Dass es sich bei Säben um ein spätantikes Fluchtbistum handelte, wurde zudem wegen des unkanonischen Sitzes diskutiert. Dabei wurde eine Herkunft Ingenuins aus Augsburg oder dem Nordtiroler Inntal erwogen. Für letzteres spricht u.a. der Hinweis des Paulus Diaconus, dass im späteren 6. Jahrhundert die raetischen Provinzen nur noch inneralpin bestanden (PD Hist. Lang. II,15).
Mit Ingenuins Titel lässt sich somit keine räumliche Zugehörigkeit des unteren Eisacktals mit Säben zur Raetia secunda begründen. Vielmehr ist von einer Südorientierung und Verbindung nach Trient auszugehen.
Die Einbindung Säbens ins Herzogtum Bayern
Die Frage der räumlichen Ausrichtung Säbens stellt sich bis ins 8. Jahrhundert. Wenn Bonifatius (ca. 675-754) 739 feststellt, die Bayern lebten außerhalb der kirchlichen Ordnung, weil sie in provincia keine Bischöfe hätten (Bonif. Brief 45), lässt das bezüglich Säben nur zwei Schlüsse zu: entweder war Säben damals kein Bischofssitz oder es gehörte nicht zur bayerischen provincia. War letzteres der Fall, dann änderte sich das nach der Mitte des 8. Jahrhunderts mit Bischof Alim. Seine enge Beziehung zu Herzog Tassilo III. wie seine wiederholten Aufenthalte in Bayern lassen keinen Zweifel daran, dass Säben nun nach Norden orientiert war: Alim fungierte 769 in Bozen als Schlusszeuge in der Stiftungsurkunde Tassilos für Innichen; bereits ein Jahr später ist er bei einem Rechtsgeschäft in Freising nachzuweisen (Tr. Freising 34; 39); er nahm an der Synode von Dingolfing 770/72 teil und führte laut Aventin (1477-1534) in den Folgejahren eine Gesandtschaft Herzog Tassilos zum Papst an. Im Salzburger Verbrüderungsbuch von 784 ist er unter den lebenden Bischöfen verzeichnet. Ist für das 6. Jahrhundert die Zugehörigkeit Säbens zum Metropolitansprengel von Aquiliea belegt, so zeigt sich nun eine enge Bindung an die bayerische Kirche. Als diese 798 mit der Erhebung Salzburgs zum Erzbistum auch eine eigene Kirchenprovinz wird, erscheint Alim unter den Suffraganen. Da sich die kirchliche Orientierung in der Regel an den politischen Verhältnissen ausrichtete, ist als Voraussetzung für die Nord-Orientierung Säbens anzunehmen, dass das untere Eisacktal wie die gesamte Brennerroute nach der Mitte des 8. Jahrhunderts unter die Herrschaft des bayerischen Herzogtums gelangt war.
Bischof Alim pflegte auch nach dem Sturz der Agilolfinger in Bayern 788 ein gutes Verhältnis zum Hof Karls des Großen (reg. 768-814, ab 800 als Kaiser). Ein Zusatz aus dem Jahr 794 im Prager Sakramentar verzeichnet Alim in einer Liste bayerischer Bischöfe im Anschluss an Angehörige des karolingischen Königshauses und nicht zuletzt der Briefwechsel von Karls des Großen Berater Alkuin (ca. 735-804) mit Erzbischof Arn von Salzburg (reg. 785-821) bezeugt eine hohe Wertschätzung des Säbener Kollegen (MGH Epp. 4, Nr. 193, 319ff. und Nr. 208, 345f.).
Festzuhalten ist, dass seit der Ausrichtung nach Bayern im 8. Jahrhundert das Bistum Säben-Brixen bis nach dem Ersten Weltkrieg Suffragan des Erzbistums Salzburg blieb.
Säben bis zur Verlegung des Bischofssitzes nach Brixen
Aus dem 9. Jahrhundert erhielten sich in Brixen drei Herrscherurkunden, eine Schutz- und Immunitätsverleihung König Ludwigs des Deutschen von 845/48 (s.o) sowie zwei Urkunden König Arnolfs (reg. 887-899, ab 896 als Kaiser) von 888 und 893. Im frühen 10. Jahrhundert kommen zwei Diplome Ludwigs des Kindes (reg. 900-911) hinzu (MGH DD Arnolf Nr. 17, 26f. u. Nr. 115, 170f.; Ludwig d. K. Nr. 12, 113f. u. Nr. 66, 196ff.). Der Hinweis in der Urkunde von 848 auf Schädigung des Bistums durch böswillige Menschen, mehrfach thematisierte Entfremdungen und richterliche Übergriffe deuten darauf hin, dass Säben unter den Karolingern keine gute Zeit erlebte. Offensichtlich erfreuten sich die Bischöfe damals keiner Königsnähe, denn König Ludwig das Kind begründete die Übertragung des Königshofes Brixen an die Säbener Kirche 901 u. a. damit, dass die Vernachlässigung durch seine Vorfahren das Bistum in allzu große Armut gestürzt habe. Die Wende, die mit der Übertragung des Königshofes eingeleitet wurde, spiegelt sich in einer erneuten Präsenz der Bischöfe in der Überlieferung: Bischof Zacharias fiel 907 in der Schlacht bei Pressburg mit einem Großteil des bayerischen Heerbanns gegen die Ungarn; sein Nachfolger Meginbert (907 – ca. 925) erhielt 909 von Ludwig dem Kind die Bestätigung von Königsschutz und Immunität mit der ausdrücklichen Anordnung, dass der Säbener Kirche entfremdete Güter zurückzugeben seien. Die veränderten Umstände finden ihren Reflex auch in der Aufnahme einer aktiven Besitzpolitik der Bischöfe, wie sie ebenfalls erstmals unter Bischof Meginbert zu fassen ist. Eine unter ihm durchgeführte Tauschhandlung ist das älteste Stück im Brixner Traditionsbuch, mit dessen Anlage wohl im ausgehenden 10. Jahrhundert begonnen wurde, bereits nach der Verlegung des Bischofssitzes nach Brixen.
Der „Umzug“ von Säben nach Brixen erfolgte erst über ein halbes Jahrhundert nach der Übertragung des Königshofes. Erstmals richtete sich ein Diplom König Ottos II. (reg. 961-983, ab selständig 973 als Kaiser) 967 an Rihpertus Prihsinensis sanctae ecclesiae episcopus (MGH DD Otto II. Nr. 14, 21f.). Derselbe Bischof Rihpert († vor 977) ist auch als Vorsteher eines monasterium sancti Stephani et beati Ingenuini … in loco Prixina greifbar (Tr. Brixen 4), dessen Klerikergemeinschaft man als Vorläufer eines Domkapitels verstehen darf.
Säben im Hochmittelalter
Auf dem Säbener Felsen ist im 11. Jahrhundert ein Marienkloster unbekannten Alters bezeugt: 1028 erhielt das monasterium Sebona dicto in honore sanctae Mariae constructo von Kaiser Konrad II. (reg. 1024-1039, ab 1027 als Kaiser) den Zoll im darunter gelegenen Klausen (Tiroler UB II,1 Nr. 202). Es wird danach nie mehr erwähnt. Der ehemalige Bischofssitz, der vielleicht bereits befestigt war, wie die Bezeichnung als urbs gegen Ende des 10. Jahrhunderts nahelegen könnte (Tr. Brixen 8), fungiert in der Folgezeit als bischöfliche Burg, die die Kontrolle der Klause und Zollstelle an der Brennerstraße ausübte, eine Funktion, die mit der zunehmenden Bedeutung dieser Verkehrsroute im Hochmittelalter wichtig wurde.
Literatur
- Giuseppe Albertoni, Cassianus primus episcopus. San Cassiano di Imola, primo vescovo di Sabiona, tra leggenda agiografica e dispute storiografiche, in: Tiziana Lazzari et al. (a cura di), La norma e la memoria. Studi per Augusto Vasina. Roma 2004, 115-138.
- Heinrich Berg, Bischöfe und Bischofssitze im Ostalpen- und Donauraum vom 4. bis zum 8. Jahrhundert, in: Herwig Wolfram/Andreas Schwarcz (Hg.), Die Bayern und ihre Nachbarn I (Österr. Akademie d. Wiss. Phil.-hist. Kl. Denkschriften 179), Wien 1985, 61-108.
- Martin Bitschnau, Säben, in: Oswald Trapp (Hg.), Tiroler Burgenbuch 4: Eisacktal, Bozen u.a. 1977, 114-155.
- Magdalen Bless-Grabher, Cassian von Imola. Die Legende eines Lehrers und Märtyrers und ihre Entwicklung von der Spätantike bis zur Neuzeit, Bern u.a. 1978.
- Rajko Bratož, Der Metropolitansprengel von Aquileia vom 5. bis zum frühen 7. Jahrhundert, in: Volker Bierbrauer/Hans Nothdurfter, Die Ausgrabungen im spätantik-frühmittelalterlichen Bischofssitz Sabiona-Säben in Südtirol I (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 58), München 2015, 665-700.
- Josef Gelmi, Bischof Ingenuin von Säben. Ein Heiliger zwischen Rom und Konstantinopel, Brixen 2005.
- Richard Heuberger, Rätien im Altertum und Frühmittelalter, Innsbruck 1932, Neudruck Aalen 1981.
- Franz Huter, Säben, Ursprung der bischöflichen Kirche Brixen. Tatsachen und Thesen aus anderthalbtausend Jahren, in: Der Schlern 51 (1977), 10-19.
- Peter C. Planta, Das Alte Raetien, Berlin 1872.
- Oswald Redlich, Geschichte der Bischöfe von Brixen vom 10. bis in das 12. Jahrhundert (mit einem Anhang zum Brixner Bischofskatalog), in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, ser. 3, 28 (1884), 1-52.
- Josef Riedmann, Die Funktion der Bischöfe von Säben in den transalpinen Beziehungen, in: Helmut Beumann, Werner Schröder (Hg.), Die transalpinen Verbindungen der Bayern, Alemannen und Franken bis zum 10. Jahrhundert (Nationes 6), Sigmaringen 1987, 93-103. (wieder abgedruckt in: Josef Riedmann, Historische Beziehungsgeflechte. Fünfzig Aufsätze aus fünf Jahrzehnten, hg. von Julia Hörmann-Thurn und Taxis und Gustav Pfeifer (Schlern-Schriften 377), Innsbruck 2024, 683-692).
- Josef Riedmann, Säben-Brixen als bairisches Bistum, in: Jahresberichte der Stiftung Aventinum 5, Abensberg 1991, 5‒35. (wieder abgedruckt in: Josef Riedmann, Historische Beziehungsgeflechte. Fünfzig Aufsätze aus fünf Jahrzehnten, hg. von Julia Hörmann-Thurn und Taxis und Gustav Pfeifer (Schlern-Schriften 377), Innsbruck 2024, 715-733).
- Josef Riedmann, Die Bischöfe von Säben. Zum historisch-politischen Kontext im frühen Mittelalter, in: Helmut Flachenecker u.a. (Hg.), Stadt und Hochstift. Brixen, Bruneck und Klausen bis zur Säkularisation 1803 (Veröff. d. Südtiroler Landesarchivs 12), Bozen 2000, 247-291.
- Anselm Sparber, Das Bistum Sabiona in seiner geschichtlichen Entwicklung, Brixen 1942.
- Anselm Sparber, Der Brixner Bischofskatalog, in: MIÖG 58 (1950), 373-385.
- Roland Steinacher, Die Bischofssitze Rätiens und Noricums vor ihrem historischen Hintergrund – Bruch und Kontinuität, in: Wolfgang Spickermann (Hg.), Frühes Christentum im Ostalpenraum (Keryx 5), Graz 2018, 39-65.
- Hartmut Wolff, Die Kontinuität der Kirchenorganisation in Raetien und Noricum bis an die Schwelle des 7. Jahrhunderts, in: Egon Boshof/Hartmut Wolff (Hg.), Das Christentum im bairischen Raum von den Anfängen bis ins 11. Jahrhundert, Köln u.a. 1994, 1–28.
- Hermann Wopfner, Die Reise des Venantius Fortunatus durch die Ostalpen, in: Richard v. Klebelsberg (Hg.), Festschrift zu Ehren Emil von Ottenthals (Schlern-Schriften 9), Innsbruck 1925, 362–417.
Quellen
- ACO IV,2 = Acta conciliorum oecumenicorum Bd. IV,2, ed. Eduard Schwartz, Straßburg 1914.
- Briefe des Bonifatius. Willibalds Leben des Bonifatius, lat. u. dt. neu bearb. von Reinhold Rau (Frhr. vom Stein-Gedächtnis-Ausgabe IVb), Darmstadt 1968.
- Brixner Bischofskatalog s. oben Oswald Redlich, Geschichte der Bischöfe von Brixen, Anhang.
- Chronica Patriarcharum Gradensium, in: MGH SS rerum Langobardorum, ed. Georg Waitz, Hannover 1878, 392–397.
- Liber conprovincialium, in: Lukas Wolfinger (ed.), Die sogenannten „Carmina Salisburgensis“ und der Clm.14743, in: Herwig Wolfram (Hg.), Quellen zur Salzburger Frühgeschichte (Veröff. d. Instituts für Österr. Geschichtsforschung 44), Wien/München 2006, 179-261, 206-212 (carm. 13).
- MGH DD Ludwig d. Dt., ed. Paul Kehr, Berlin 1934, Nr. 50, 66.
- MGH DD Arnolf, ed. Paul Kehr, Berlin 1940, Nr. 17, 26f. und Nr. 115, 170f.
- MGH DD Ludwig d. K., ed. Theodor Schieffer, Berlin 1960, Nr. 12, 113f. u. Nr. 66, 196ff.
- MGH DD Konrad II., ed. Harry Bresslau, Hannover/Leipzig 1909, Nr. 115, 160f.
- MGH Epp. I, ed. Paul Ewald und Ludo M. Hartmann, Berlin 1891, Nr. I/16a.
- MGH Epp. 4, ed. Ernst Dümmler, Berlin 1895, Nr. 193, 319ff. und Nr. 208, 345f.
- MGH Necr. II, Dioecesis Salisburgensis, ed. Sigismund Herzberg-Fränkel, Berlin 1904.
- Paulus Diaconus, Geschichte der Langobarden/Historia Langobardorum, hg. v. Wolfgang F. Schwarz, Darmstadt 2009, hier Buch III, 26 u. 31.
- Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, ed. Ludwig Bethmann und Georg Waitz, in: MGH SS rerum Langobardicarum, Hannover 1878, 14-187.
- Tiroler Urkundenbuch Abt. II,1: Die Urkunden zur Geschichte des Inn-, Eisack- und Pustertals bis zum Jahr 1140, bearb. v. Martin Bitschnau und Hannes Obermair, Innsbruck 2009.
- Die Traditionsbücher des Hochstifts Brixen. Vom zehnten bis in das vierzehnte Jahrhundert, hg. v. Oswald Redlich (Acta Tirolensia 1), Innsbruck 1886.
- Die Traditionen des Hochstifts Freising, 2 Bde., hg. v. Theodor Bitterauf (Quellen und Erörterungen 4 u. 5), München 1905/1909, Neudruck Aalen 1966.
- Vita et Gesta Sanctorum Cassiani, Ingenuini et Albuini Episcoporum, ed. Joseph Resch, in: Ders., Annales Ecclesiae Sabionensis nunc Brixinensis, Brixen 1760, 69ff.
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Archäologie: Volker Bierbrauer/Hans Nothdurfter (Hg.), Die Ausgrabungen im spätantik-frühmittelalterlichen Bischofssitz Sabiona-Säben in Südtirol I. Frühchristliche Kirche und Gräberfeld (Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte, Bd. 58), München 2015. (Teilbd. 1; Teilbd. 2; Teilbd. 3)
Verwandte Artikel
Hier alternative Titel für die Suchfunktion eintragen!
Empfohlene Zitierweise
Irmtraut Heitmeier, Säben, Bischofssitz, publiziert am 19.02.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Säben,_Bischofssitz> (17.03.2025)