Rote Armee Fraktion (RAF)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Sabine Fütterer und Alexander Straßner
Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) war eine sozialrevolutionäre terroristische Organisation, die in der Bundesrepublik Deutschland von 1970 bis 1998 aktiv war. Sie bezeichnete sich selbst als antiimperialistisch, antikapitalistisch und antifaschistisch sowie als "Stadtguerilla" und linke Protestbewegung. Gründungsmitglieder waren u. a. Andreas Baader (1943-1977) und Ulrike Meinhof (1934-1976). Ihre Mitglieder rekrutierte die RAF aus der linken Szene. Sie verübte mehrere Bombenanschläge in der Bundesrepublik, einige davon in Bayern. Die terroristischen Aktionen erreichten ihren Höhepunkt im Herbst 1977, dem sog. Deutschen Herbst. Ihr Ziel, die Gründungsmitglieder mit ihren Terrorakten aus der Haft zu befreien, verfehlte die zweite RAF-Generation jedoch. Der Staat reagierte auf den Terrorismus der RAF mit der Einschränkung von Verteidigungsrechten bei Prozessen gegen RAF-Mitglieder, der Verschärfung der Haftbedingungen sowie Erleichterungen für die Verfolgung von RAF-Mitgliedern durch die Staatsanwaltschaft und Bundesanwaltschaft. Der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, die veränderte Vorgehensweise des Staates bei der Terrorismusbekämpfung (sog. Kinkel-Initiative) und Kritik aus dem eigenen Lager führten zum Niedergang der RAF, die sich schließlich 1998 selbst auflöste.
Gründung und historischer Hintergrund
Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) war eine sozialrevolutionäre terroristische Organisation, die in der Bundesrepublik von 1970 bis 1998 aktiv war.
Die RAF gründete sich ideell aus der Studentenbewegung der 1960er Jahre, die sich gegen Ende des Jahrzehnts zu einer Jugendrevolte ausgeweitet hatte. Teile des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) radikalisierten sich während der sog. 68er-Bewegung zusehends. Gemeinsam war allen Beteiligten eine ablehnende Haltung gegenüber verschiedenen innerdeutschen wie auch internationalen Ereignissen und Entwicklungen. Dabei hatten in Deutschland zunächst Studenten Strömungen aus den USA aufgenommen, die sich vornehmlich gegen den Vietnamkrieg richteten. Nachdem am 2. Juni 1967 in Berlin der Student Benno Ohnesorg (1940-1967) während einer Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi (1919-1980) in Westberlin von einem Polizisten erschossen worden war, trat die Bewegung in ganz Deutschland zu Tage. Demonstrationen gegen polizeiliche Willkür, die nicht aufgearbeitete NS-Vergangenheit von Elterngeneration, gesellschaftlicher und politischer Elite sowie andere, auch internationale Themen wie den Vietnamkrieg waren die Folge. Verschärft wurde die Gesamtsituation nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke (1940-1979) am 11. April 1968 durch die ungefähr zeitgleich von der ersten großen Koalition aus CDU/CSU und SPD erlassenen sog. Notstandsgesetze vom 30. Mai 1968. Aus Teilen der Studentenbewegung formierte sich nach dem eigentlichen Ende ihrer Hochphase am äußeren linken Rand die RAF.
Die Beziehungen der RAF zu anderen terroristischen Organisationen sind teilweise undurchsichtig. Sie schwankten zwischen Sympathiebekundung um den gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus und offener bzw. verdeckter Kooperation, letzteres insbesondere etwa mit der französischen Action Directe (AD), der italienischen Brigate Rosse (BR), der belgischen Cellules Communistes Combattantes (CCC) oder der Palästinensischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), einer Unterorganisation der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Anders gestaltete sich die Anzahl der Unterstützer und Sympathisanten der Organisation, deren Dunkelziffer mehrere Tausend umfasst. Unter diese Gruppe lässt sich ein breites Feld von 2.000 bis 5.000 Personen fassen, die den aktiven Mitgliedern mit Unterstützungsleistungen, wie die Bereitstellung der eigenen Wohnung zur Nutzung durch die RAF, beistanden. Die Frage, ob auch Unterstützer einen aktiven Beitrag zur Forcierung der Aktionen der terroristischen Organisation beitrugen und damit auch dieser Personenkreis kriminalisiert werden sollte, löste eine große Debatte aus.
Die Geburtsstunde der RAF ist klar definiert: Mit der Befreiung des inhaftierten Andreas Baader (1943-1977) aus dem Institut für Soziale Fragen in Berlin, wo er vorgab, an einem Projekt für randständige Jugendliche zu schreiben, war die Gründung der Organisation beschrieben. Dabei ist in der Forschung relativ umstritten, wo die historischen Wurzeln der Gruppierung zu finden sind. Während der Großteil der Autoren noch immer davon ausgeht, dass die RAF aus der Studentenbewegung des Jahres 1968 hervorging, vertreten andere Wissenschaftler die Anschauung, dass bei mehreren Gründungsmitgliedern die Radikalisierung schon in den Jahren zuvor deutlich zutage getreten war.
Gemeinsam ist beiden Ansätzen, dass sich in der bereits zerfallenden Studentenbewegung ein radikaler und militanter Kern absonderte, dem die späteren Führungsfiguren der "ersten Generation" an Terroristen angehörten: Andreas Baader, Gudrun Ensslin (1940-1977), Jan-Carl Raspe (1944-1977), Horst Mahler (geb. 1936) später auch die bekannte und etablierte Journalistin Ulrike Meinhof (1934-1976). Die Gruppe identifizierte sich mit einer Ideologie, die sich rein eklektizistisch präsentierte: Aus verschiedensten Ideologien wurden einzelne Elemente, die sich für die Legitimation der eigenen Ziele eigneten, extrahiert und zu einer neuen verwoben. Hier fanden sich nicht nur Elemente aus dem Anarchismus (eine unterkomplexe Vorstellung der Funktionsfähigkeit herrschaftsloser Gesellschaften) wieder, sondern auch aus dem Marxismus (der Glaube an die Revolution als Motor für gesellschaftliche Veränderungen), dem Leninismus (eine kleine Avantgarde kann die Revolution beschleunigen) und aus dem Maoismus (politische Macht entspringt Gewehrläufen). Ausgehend davon lässt sich die ideologische Motivation mit den Themenfeldern des Antiimperialismus, Antifaschismus und der Anti-Vietnam-Bewegungen erklären. In der Bundesrepublik regierte von 1966 bis 1969 unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU 1904-1988, Bundeskanzler 1966-1969) eine große Koalition aus CDU/CSU und SPD, die als verlängerter Arm einer internationalen kapitalistisch-militärischen Verschwörung gesehen wurde, die zudem die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht genügend aufarbeitete. Insofern galt es, den Menschen in den "europäischen Metropolen" jenes "knisternde Vietnam-Gefühl" (Zitat Bekennerschreiben) zu vermitteln, indem Baader und seine Gefolgsmänner 1968 in den Kaufhäusern Kaufhof und Schneider in Frankfurt am Main (Hessen) Feuer legten. Baader wurde im Zuge der Strafverfolgung inhaftiert und konnte von mehreren späteren RAF-Mitgliedern befreit werden.
Der Aufbau der "Stadtguerilla": Die Formierung der RAF
Nach der Befreiung Baaders am 14. Mai 1970 publizierte die RAF 1971 ihre erste Programmschrift "Das Konzept Stadtguerilla". Dort formulierte sie - Urheber waren unter anderem Ulrike Meinhof und Horst Mahler (geb. 1936) - ihre ideologische Basis und rief zum (internationalen) Klassenkampf gegen den Imperialismus und das Diktat des Kapitalismus auf, an dessen Spitze sie sich als selbsternannte kämpfende Avantgarde setzte. Währenddessen reiste eine Gruppe von RAF-Mitgliedern (neben Baader, Ensslin, Mahler und Meinhof ca. 20 weitere Personen) in ein Camp der Terrororganisation El Fatah nach Jordanien. Dort wurden die Teilnehmer in die Guerilla- und terroristische Kriegführung, etwa den Bau von Zeitbomben, eingewiesen.
Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ging die "Baader-Meinhof-Gruppe", wie sie die Medien bis 1972 noch nannten, zur Sicherung ihrer finanziellen Basis über. Mit drei zeitgleich in Berlin durchgeführten Banküberfällen ("Dreierschlag") gelang die Schaffung einer Basis, die Waffenankäufe ebenso möglich machte wie ein teilweise luxuriöses Leben im Untergrund für einzelne Mitglieder. Die personelle Rekrutierung geschah zu diesem Zeitpunkt vornehmlich durch persönliche Anwerbung. Im Zuge der gelungenen Organisierung machte sich die RAF an ihre erste "Mai-Offensive" im Jahr 1972, bei dem auch Bayern in den Mittelpunkt der Aktionen rückte. Bei mehreren Bombenanschlägen auf das V. Armeekorps der US-Streitkräfte in Frankfurt am Main (11. Mai 1972), das Augsburger Polizeipräsidium (12. Mai 1972), das Bayerische Landeskriminalamt in München (12. Mai 1972), den Springer-Verlag in Berlin (19. Mai 1972) und das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Heidelberg (Baden-Württemberg) (24. Mai 1972) wurde die Schlagkraft der Organisation deutlich. Die nun verschärfte Gangart der Landes- und Bundesbehörden führte zu raschen Fahndungserfolgen. Bereits Ende des Jahres waren alle Kernmitglieder inhaftiert, für die in Stuttgart-Stammheim (Baden-Württemberg) ein Gefängnisneubau entstand.
Der Prozess der Brutalisierung: Die "zweite Generation" der RAF
Das Ende der RAF war mit den Erfolgen der Behörden jedoch nicht beschrieben: Verschiedene Untergrundorganisationen, angeführt von Brigitte Mohnhaupt (geb. 1949), begannen nun damit, Strategien zu entwerfen, mithilfe derer die inhaftierten Mitglieder der ersten Generation freigepresst werden konnten. Die Integrationskraft der Gruppierung war noch groß: Die personelle Rekrutierung gelang durch Organisationen der linken Szene wie "Rote Hilfe" oder "Schwarze Hilfe" in München oder das "Sozialistische Patientenkollektiv" in Heidelberg. So fanden sich rasch neue Mitglieder (neben anderen besonders Christian Klar [geb. 1952], Stefan Wisniewski [geb. 1953], Peter-Jürgen Boock [geb. 1951]) bereit, für die propagierten Ziele den bewaffneten Widerstand zu wählen. Zu diesem Zweck besetzte ein RAF-Kommando 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm. Zwar kamen bei der Aktion zwei Botschaftsmitglieder ums Leben, der RAF gelang es aber nicht, ihr Ziel zu erreichen. Mehrere Festnahmen waren die Folge.
Die Stockholmer Aktion war aber nur der Auftakt für die große Zahl terroristischer Anschläge des Jahres 1977, den heute sog. Deutschen Herbst. Zunächst wurden Generalbundesanwalt Siegfried Buback (1920-1977, Generalbundesanwalt seit 1974) und seine beiden Fahrer in Karlsruhe (Baden-Württemberg) ermordet. Dann reifte der Plan, durch eine Entführung den Druck auf die politischen Handlungsträger zu erhöhen. Der Versuch, Jürgen Ponto (1923-1977), den Vorstandssprecher der Dresdner Bank, zu kidnappen, scheiterte, weil Ponto im Verlauf der Aktion erschossen wurde. Indes gelang die Entführung von Hanns-Martin Schleyer (1915-1977), dem Vorsitzenden des Bundesverbandes deutscher Arbeitgeber (BDA) und Bundesvorsitzenden des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), die zur Ermordung von dessen Fahrer und dessen Personenschützer führte. Über sechs Wochen hinweg wurde Schleyer von der RAF gefangen gehalten. Als sich abzeichnete, dass die Bundesregierung den Forderungen der RAF nicht nachgeben würde, erhöhte letztere den Druck, indem sie durch die Volksfront zur Befreiung Palästinas) (PFLP; politische Befreiungsorganisation, die ihr ethnisches und separatistisches Motiv mit sozialrevolutionärem Gedankengut kombinierte) eine deutsche Passagiermaschine der Lufthansa ("Landshut") entführen ließ. Bei der Entführung wurde der Pilot der Maschine, Jürgen Schumann (1940-1977), ermordet. Gerade an dem Punkt der Entführung Hanns-Martin Schleyers lässt sich erkennen, dass die RAF in anderen terroristischen Gruppierungen ein Vorbild sah, und umgekehrt (zu nennen sind etwa Brigade Rosse [BR] in Italien oder die Action Directe [AD] in Frankreich). Erkennbar wird dies zum Beispiel an der Ähnlichkeit zwischen der Schleyer-Entführung und der Entführung Aldo Moros (1916-1978, italienischer Ministerpräsident 1963-1968 und 1974-1976) 1978 durch die Brigade Rosse.
Nach einer Odyssee über mehrere (außer-)europäische Flughäfen landete die entführte Lufthansa-Maschine schließlich in Mogadischu (Somalia). Dort wurde sie durch die nach den Olympischen Spielen in München 1972 gegründete Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes (heute: Bundespolizei), der Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9), befreit. Drei der vier Geiselnehmer kamen dabei ums Leben, während fast alle Passagiere unverletzt blieben. Die logistisch, finanziell und personell extrem aufwändige Aktion zur Befreiung der RAF-Gründer war gescheitert; die RAF stand vor der Auflösung. Schleyer wurde ermordet, die RAF-Mitglieder zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen: Naher Osten, Jugoslawien und nicht zuletzt die DDR wurden zu Anlaufstellen für die gescheiterten Terroristen. Die Inhaftierten der ersten Generation begingen bei der Nachricht vom Scheitern der Entführung Selbstmord.
Hinzu kam, dass zu dieser Zeit besonders im linksextremen Milieu eine Isolierung bestimmter Gruppen stattfand. Dies lässt sich vor allem auf auftauchende antisemitische Tendenzen zurückführen, die unter terroristischen Gruppen in der Bundesrepublik deutlich wurden. Zeugnis davon liefert die Entführung einer Air-France-Maschine am 27. Juni 1976 auf ihrem Weg nach Tel Aviv (Israel) durch ein deutsch-palästinensisches Kommando (die deutschen Täter waren Terroristen der Revolutionären Zellen Wilfried Böse [1949-1976] und Brigitte Kuhlmann [1947-1976]). Die 250 überwiegend jüdischen Passagiere und die Crew konnten am Flughafen Entebbe (Uganda), wo die Maschine gelandet war, schließlich befreit werden. Solche Aktionen führten dazu, dass sich andere Linksradikale von der Gruppe entfremdeten.
Der Widerstand entsteht neu: Die "dritte Generation" der RAF
Zwischen 1977 und 1982 gab es Aufsehen erregende Anschläge auf NATO-Generäle in Deutschland, darunter 1979 einen auf den amtierenden NATO-Oberbefehlshaber in Europa (SACEUR), Alexander Haig (1924-2010), und 1981 auf den kommandierenden General der Central Army Group der NATO, Frederick J. Kroesen (1923-2020). Bis heute sind die Attentate weitgehend ungeklärt; es wurde aber nach 1990 offenkundig, dass die in der DDR untergetauchten RAF-Mitglieder durch die Staatssicherheit (Stasi) ausgebildet worden waren.
Dass die RAF nach der desaströsen Niederlage des Jahres 1977 und der Verhaftung von Mohnhaupt und Klar 1982 überhaupt noch einmal neu entstehen konnte, war nur den für die RAF günstigen weltpolitischen Rahmenbedingungen geschuldet. Im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses (1979) entstand eine europaweite Friedensbewegung, die der geplanten Stationierung US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen in ganz Mitteleuropa entgegentrat. An den Rändern bildete sich abermals eine militante Struktur, die sich nun die RAF der vorhergehenden Jahre zum Vorbild nahm. Dabei hatten die Mitglieder der dritten Generation (nur die Mitgliedschaft von Eva Haule(-Frimpong) [geb. 1954], Birgit Hogefeld [geb. 1956] und Wolfgang Grams [1953-1993] gilt als gesichert; alle anderen sind bis heute unbekannt) den großen Vorteil, dass sie auf ein strategisches Programm zurückgreifen konnten, das noch von den in der DDR Untergetauchten stammte: das "Mai-Papier". Darin wurde jeglicher Bezug zur marxistischen Ideologie hintangestellt und stattdessen allein die militärische Gangart betont: Der Krieg gegen den "militärisch-industriellen Komplex" war (abermals) eröffnet.
Die in der Folge in aller Brutalität durchexerzierte "Offensive '85/'86" fand vor allem in Bayern statt, nachdem Aktionen zur Schaffung einer geeigneten Logistik ein Waffengeschäft in Maxdorf (Rheinland-Pfalz) als auch eine Bundeswehrkaserne in Neukirchen trafen. Zu Beginn misslang 1984 ein Anschlag auf die NATO-SHAPE-School in Oberammergau (Lkr. Garmisch-Partenkirchen). Aber mit den personenbezogenen Attentaten begann dann eine Serie politischer Morde, die dem Jahr 1977 in nichts nachstand. Den Anfang machte der Anschlag auf den Manager der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) Ernst Zimmermann (1929-1985), der am 1. Februar 1985 in Gauting (Lkr. Starnberg) erschossen wurde. Vorausgegangen war am 25. Januar 1985 ein Mordanschlag der Action directe (AD) auf den französischen General René Audran (gest. 1985). Nachdem der US-Luftwaffenstützpunkt Rhein-Main Air Base in Frankfurt am Main am 8. August 1985 Ort eines verheerenden Anschlags geworden war (Zusammenwirken der RAF und der französischen Action directe), rückte abermals Bayern in den Fokus: 1986 tötete die RAF den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts (1930-1986) in Straßlach (Lkr. München) durch eine ferngezündete Bombe. Auch bei den anderen tödlichen Attentaten 1986 auf Gerold von Braunmühl (1935-1986, Diplomat im Auswärtigen Amt), 1989 auf Alfred Herrhausen (1930-1989, Vorstandssprecher der Deutschen Bank) und 1991 auf Detlev Karsten Rohwedder (1932-1991, Präsident der Treuhandanstalt) wurde deutlich, dass die RAF im Vergleich zu früher über ein gesteigertes Maß an Logistik verfügte und auch eine größere Professionalität an den Tag legte. Das Ergebnis war, dass bis heute nur einer der Anschläge als aufgeklärt gilt: Der Mord an dem US-Soldaten Edward Pimental (1965-1985), der Birgit Hogefeld zur Last gelegt wird.
Der Anfang vom Ende: Die Degeneration der RAF
War die Absage an die ideologische Rechtfertigung im "Mai-Papier" bereits theoretisch erfolgt, so wurde sie durch die Tötung Pimentals auch praktisch umgesetzt: Er wurde nicht etwa ermordet, weil er "Agent des Systems" gewesen war, sondern weil man in den Besitz seiner Identifikationskarte kommen wollte, um damit Zutritt zum militärischen Teil des Frankfurter Flughafens zu erlangen. Die Folge war ein breit gefächerter, erheblicher Widerstand gegen die RAF sogar aus dem linksextremen Umfeld, dem gegenüber sich die RAF stets unnachgiebig und als Befehlsgeber gezeigt hatte.
Parallel zur Kritik aus dem eigenen Lager kam die Weltgeschichte der RAF nun in die Quere: Mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus entfiel auf der einen Seite die (zumindest noch subkutan wirksame) Zielstellung einer sozialistischen Gegenordnung; auf der anderen Seite zeigten sich die in der DDR untergetauchten Mitglieder der zweiten Generation aussagefreudig und zeichneten ein defätistisches und resigniertes Bild des Lebens im Untergrund, von dem sich zahlreiche Aktivisten nun lossagten. Dazu veränderte der Staat seine Vorgehensweise in der Terrorismusbekämpfung. Neben einer wenig erfolgreichen Kronzeugenregelung formulierte der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP, 1936-2019, Bundesminister für Justiz 1991-1992) 1992 die sog. Kinkel-Initiative, die nun auch vorsah, dass ausstiegswillige Mitglieder der RAF nicht die volle Härte des Gesetzes zu erwarten hatten.
Die Folgen für die RAF waren fatal. Innerhalb der Inhaftierten entstand ein Streit über den Umgang mit der Kinkelinitiative, der die unversöhnliche Spaltung des Gefangenenkollektivs 1993 zur Folge hatte. Die sich in Freiheit befindenden RAF-Kommandos reagierten auf die Initiative deutlich: Sie formulierten 1992 einen befristeten Gewaltverzicht, den sie aber vom künftigen Verhalten des Staates gegenüber der RAF abhängig machen wollten. Als 1993 in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) der Zugriff auf die beiden letzten bekannten Mitglieder der dritten Generation (Hogefeld und Grams) gelang und Grams unter lange ungesicherten Erkenntnissen zu Tode kam (Grams wurde bei dem Einsatz der GSG 9 mehrfach getroffen; offenbar schwer verwundet, starb Grams in der Medizinischen Universität Lübeck, nachdem er sich selbst mit seiner Waffe in den Kopf geschossen hatte), wurde eine neuerliche terroristische Offensive befürchtet, die aber entgegen der RAF-Drohung, den Gewaltverzicht rückgängig zu machen, ausblieb. Von diesem Zeitpunkt an trat die RAF öffentlich nur noch durch die Sprengung eines Gefängnisneubaus 1993 in Weiterstadt (Hessen) in Erscheinung, danach allein durch kurze Verlautbarungen in der Presse.
1998 legte die RAF schließlich eine Erklärung vor, in welcher sie ihre Selbstauflösung bekannt gab.
Literatur
- Stefan Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, Hamburg 1997.
- Sabine Bergstermann, Stammheim. Eine moderne Haftanstalt als Ort der Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 112), Berlin 2016.
- Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus. 2 Bände, Hamburg 2006.
- Butz Peters, Tödlicher Irrtum, Die Geschichte der RAF, Berlin 2004.
- Alexander Straßner, Die dritte Generation der "Roten Armee Fraktion". Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation, Wiesbaden 2005.
- Alexander Straßner, Perzipierter Weltbürgerkrieg: Rote Armee Fraktion in Deutschland, in: ders. (Hg.), Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien, Wiesbaden 2008, 209-236.
- Petra Terhoeven, Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt (Beck Wissen 2878), München 2017.
- Annette Vowinckel/Jan-Holger Kirsch (Hg.), Die RAF als Geschichte und Gegenwart. Texte und Materialien zum "Deutschen Herbst" und seinen Folgen, in: Zeitgeschichte-online, Mai 2007.
- Klaus Weinbauer u. a. (Hg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006.
- Willi Winkler, Die Geschichte der RAF, Berlin 2007.
- Tobias Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder. Die zweite Generation der RAF, Wiesbaden 1997.
Quellen
- Alexander Gallus (Hg.), Meinhof, Mahler, Ensslin. Die Akten der Studienstiftung des deutschen Volkes, Göttingen 2016.
- Ulrike Marie Meinhof, Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken, Berlin 1984.
- Rote Armee Fraktion, Das Konzept Stadtguerilla. April 1971, in: Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1997, 27-48.
- Terrorismus: Hier spricht die RAF, in: Der SPIEGEL, 4.2.1985.
Weiterführende Recherche
Externe Links
RAF, R.A.F., Baader-Meinhof-Gruppe
Empfohlene Zitierweise
Sabine Fütterer/Alexander Straßner, Rote Armee Fraktion (RAF), publiziert am 20.01.2015; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Rote_Armee_Fraktion_(RAF)> (3.12.2024)