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Bayerische Patriotenpartei (1868-1887)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Friedrich Hartmannsgruber

Die Bayerische Patriotenpartei repräsentierte in der Epoche der Reichsgründung und des Kulturkampfs die katholisch-konservative Mehrheit der bayerischen Wähler. Entstanden ab 1868 als Sammlungspartei gegen die sich abzeichnende kleindeutsche Reichsgründung, gegen wirtschaftsliberale Reformen und den liberalen Säkularismus, hielt sie in der Kammer der Abgeordneten seit 1869 die Mehrheit der Mandate. Jedoch blieb sie in die Opposition verwiesen, da König Ludwig II. (1845-1886, reg. 1864-1886), um jeden Anschein einer Parlamentarisierung zu meiden, an seinen liberalen Ministern festhielt. Interne Gegensätze über heftige Flügelkämpfe austragend, von mehreren Sezessionen betroffen, fand sie ihren Weg als föderalistische, nicht partikularistische und politische, nicht konfessionelle Partei auf dem Boden des bayerischen Konstitutionalismus. Die Umbenennung in Bayerische Zentrumspartei schloss 1887 diese Entwicklung ab. Die patriotischen Reichstagsabgeordneten traten aus eigenem Entschluss schon seit 1871 der Zentrumsfraktion bei.

Entfaltung, nicht Gründung (1868/69)

Franz Xaver Freiherr von Hafenbrädl, Lithographie. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-025141)

Die Bayerische Patriotenpartei kannte keinen förmlichen Gründungsakt. Ihre Entstehung wurde angestoßen von der sich zuspitzenden nationalpolitischen Entwicklung und einer Reihe umstrittener bayerischer Gesetzesprojekte.

Der Krieg von 1866 hatte die deutsche Frage vorentschieden, Preußen trieb sie nun mit der Reorganisation des Zollvereins unter seiner Hegemonie voran. Innenpolitisch polarisierten das Projekt eines Schulgesetzes und andere liberale Vorhaben, welche die öffentliche Stellung der Kirche durch Entzug überkommener Befugnisse, etwa in der Schulaufsicht und der Armenpflege, vital tangierten. Der alte Mittelstand schließlich fasste die "Sozialgesetzgebung" von 1868/69 (Gewerbe‑, Heimat-, Niederlassungs- und Verehelichungsgesetz, Gemeindeordnung) als Generalangriff auf seinen Besitzstand auf. Zusammengenommen mobilisierten diese Faktoren das großdeutsche und konservative Element. Am Beginn standen improvisierte Adressbewegungen. Diese forderten vergeblich Neuwahlen, erreichten immerhin die Ablehnung des Schulgesetzes durch die Kammer der Reichsräte.

Vor der Zollparlamentswahl im Februar 1868 formierte sich binnen kurzem eine "bayerische Partei", die aus dem Stand 28 der auf Bayern entfallenden 48 Mandate eroberte. So gestärkt, durchkreuzte die auf bayerische Initiative formierte Süddeutsche Fraktion im Zollparlament alle nationalliberalen Pläne zu dessen Kompetenzerweiterung in Richtung auf ein Nationalparlament. Bis Herbst 1869 entfaltete sich zudem flächendeckend eine Trias politischer Vereine als Unterbau der neuen Partei:

  • Vereine bayerischer Patrioten, zuvörderst jener im März 1868 von einem großbürgerlich-aristokratischen Kreis um Magistratsrat Joseph Radspieler (1819−1904, MdL 1869−1875) in München initiierte, der programmatisch zum Vorbild wurde;
  • patriotische Bauernvereine, am verbreitetsten der Deggendorfer, gegründet durch den Gutsbesitzer Franz X. Freiherr von Hafenbrädl (1818−1900, MdL 1869−1886) und Stadtpfarrer Joseph K. Pfahler (1826−1887, MdL 1969−1887, MdR 1881−1883);
  • in den Städten vorzugsweise Katholische Kasinos.

Der Pfarrklerus leistete Organisationshilfe, ein Netz an Lokal- und Provinzzeitungen trug die Bewegung in die Breite. So vorbereitet, gemäß den Restriktionen für politische Vereine gleichwohl beschränkt auf rein lokale Organisation, errang die Patriotenpartei bei den Wahlen im November 1869 trotz schikanösem, die liberale Minorität begünstigendem Zuschnitt der Wahlkreise ("Wahlkreisgeometrie") mit 83 von 154 Sitzen die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und fand sich zu einer Fraktion zusammen.

Politischer Grundkonsens

Verein der Bayerischen Patrioten, München 1868. Auszug aus dem Programm, übernommen in Augsburg. (Staatsarchiv München, RA 28876)

Die Patrioten verstanden sich als Wahrer der bayerischen Volks- und Staatstradition, nicht eigentlich als "Partei" (im Sinne von "pars"). In der Tradition christlicher Staatslehre hingen sie einer organischen Staatsidee auf Basis des Naturrechts an, verfochten die Autonomie gewachsener Korporationen (so auch der Kirche) gegen den liberalen Gesetzesstaat und die Staatsomnipotenz. Ihr Ordnungsideal war das eines sozial befriedeten Kosmos, nicht die in Einzelindividuen zersplitterte ("atomisierte") Gesellschaft des Industriezeitalters. In der deutschen Frage favorisierte man selbst nach der Vorentscheidung von 1866 noch eine großdeutsche Lösung unter Einschluss Österreichs, in der Außenpolitik hielt man das Legalitätsprinzip hoch gegen einen Nationalismus, der den europäischen Frieden gefährden müsse. Da diese Zielkomponenten, mit ganz wenigen Ausnahmen unter konservativen Protestanten, realiter nur bei Katholiken zusammentrafen, kamen als Wähler der Patriotenpartei faktisch auch nur sie in Frage. Den stärksten Anklang fand sie denn auch in den katholischen Regionen Altbayerns, Unter- und Oberfrankens sowie Schwabens. Während aber das preußische Zentrum als reine "Fraktionspartei" entstanden war, so erwuchs sie aus einer außerparlamentarischen Bewegung, die sich das Verdienst am raschen Erfolg der Partei zuschrieb und das Agieren ihrer Mandatsträger selbstbewusst-kritisch begleitete.

Missglückter Einstand im Landtag

Flügelbildung und Abspaltungen der Patriotischen Fraktion in der Kammer der Abgeordneten im Bayerischen Landtag (1869-1887). (Angaben nach: Hartmannsgruber, Die bayerische Patriotenpartei, 311)

Schon ihre Anfänge als Mehrheitsfraktion offenbarten das Konfliktpotential einer programmatisch ungefestigten Sammlungspartei. Zwischen den gemäßigten Konservativen unter ihrem Vordenker Joseph Edmund Jörg (1819−1901, MdL 1865−1881, MdR 1874−1878) und einer radikalen Minderheit, die ungestüm auf vollen "Systemwechsel" zielte, konkret die Erzwingung eines Ministeriums nach dem Willen der Kammermehrheit, brachen die Gegensätze alsbald offen auf. Im März 1870 begnügte man sich als Minimalkonsens mit dem Rücktritt des für seine kleindeutsche Linie bekannten leitenden Ministers Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819−1901). Im Mai aber legten schon die ersten Verfechter einer Fundamentalopposition aus Enttäuschung über die maßvolle Linie der Fraktionsmehrheit, die vor einem Kurswechsel auf Biegen und Brechen zurückscheute, ihre Mandate nieder.

Über zwei Entscheidungen im Umfeld der Reichsgründung zerbrach die Fraktionseinheit vollends: Nachdem König Ludwig II. (1845-1886, reg. 1864-1886) die Mobilmachung gegen Frankreich schon angeordnet hatte, negierten am 19. Juli 1870 noch 47 Patrioten den Bündnisfall und bewilligten die geforderten Kriegskredite nur für "bewaffnete Neutralität". Dieselbe Anzahl lehnte am 21. Januar 1871, drei Tage nach der Kaiserproklamation in Versailles, auch die Zustimmung zu den schon ausgefertigten Bündnisverträgen ab. In beiden Fällen entstammten die Opponenten ganz überwiegend den östlichen Landesteilen, während insbesondere Abgeordnete aus dem westlichen Oberbayern und Schwaben sich zur zustimmenden Minderheit zusammenfanden. Letztere separierte sich in der Folge als "Centrum" von der Mehrheit im (nach dem Klublokal so benannten) "Bamberger Hof". Die aufbrandende nationale Begeisterung paralysierte das patriotische Lager förmlich, jede Vereinstätigkeit erlahmte.

Richtungen und Flügel

Im parlamentarischen Alltag überlagerte den skizzierten Grundkonsens häufig ein Dissens bei Sachthemen, in Fragen der Taktik, aber auch bezüglich des Selbstverständnisses als Partei – eine Folge der verschiedenen Traditionen, die in ihr zusammenflossen. Zeitgenössisch behalf man sich mit den Schlagworten "gemäßigt" und "extrem". Ihrer politischen Natur nach muss man eine konservative Mehrheit von einer reaktionären Minderheit abheben. Schematisch lassen sich fünf Flügel unterscheiden:

(1) Im Gesamtspektrum der Majorität trat in der Anfangsphase ein am Staat des Vormärz orientierter Kreis von Altkonservativen prominent hervor, ehemalige Minister, Reichsräte und hohe Beamte. Sie erhofften von den Patrioten ein Gegengewicht zum Linksliberalismus und lehnten Verfassungsreformen ab, etwa im Wahlrecht. Nach der Gründungsphase zogen sie sich meist zurück, düpiert vom patriotischen Populismus. Zu den länger Aktiven dieser Gruppe gehörten der Jurist, spätere Präsident der Abgeordnetenkammer und schließlich gemäßigt Konservative Karl von Ow (1818–1898, MdL 1863–1893, MdR 1871–1882) sowie der bevorzugt hinter den Kulissen agierende Gutsbesitzer Konrad Graf von Preysing (1843–1903, MdR 1871–1893 und 1900–1903); in der Königskrise 1886 trennte er sich von der Partei.

(2) Eine Reihe von renommierten Fraktionsmitgliedern der ersten Jahre wird man Liberalkonservative nennen dürfen. Dazu zählten der Staatsrechtler Ludwig Weis (1818–1880, MdL 1849–1871), 1869 erster Fraktionsvorsitzender und Kammerpräsident, Max Huttler (1823–1887, MdL 1869–1875), Verleger der "Augsburger Postzeitung" und des "Bayerischen Kurier", sowie der Advokat Karl Barth (1881–1886, MdL 1863–1875). Diese Gruppe trennte sich bei den Abstimmungen im Kontext der Reichsgründung von der Fraktionsmehrheit, strebte auch in der Folge eine (im Kulturkampf obsolete) Synthese von liberal und konservativ an und fiel der Neuwahl von 1875 zum Opfer.

(3) Anders als die vorgenannten Gruppen betrachtete das konservative Gros der Fraktion weder die Verfassungsentwicklung als abgeschlossen noch scheute es eine energische Mobilisierung des Wahlvolks. Im Jahr 1848, argumentierte man, habe sich das einfache Volk als verlässliche Stütze der Monarchie erwiesen. Nun aber beraubten sich die Throne dieser Kraftquelle, biederten sich dem Liberalismus an. Sie übernähmen auch dessen säkularistische Ziele und verspielten im Kulturkampf ihren Nimbus als Schutzmacht der Kirche. Deren Wohl, so Joseph Edmund Jörg, liege fortan allein "in Gott und dem Volke". Die Fraktionsmehrheit setzte demnach darauf, den Willen der weit überwiegend konservativen Bevölkerung in der Sitzverteilung der Abgeordnetenkammer abzubilden. Bereits 1868 und mehrmals danach forderte man eine Wahlrechtsreform, konkret die Ersetzung der indirekten Wahl durch das allgemeine, direkte und geheime Verfahren für das Zollparlament, dann den Reichstag, scheiterte aber immer an der Frage einer gesetzlichen Fixierung der Wahlkreise. Denn die liberale Fortschrittspartei und mit ihr das Ministerium bestanden auf einer Separierung und bevorzugten Vertretung der Städte gegenüber dem Land. Die Patrioten lehnten dies als unzeitgemäßen Rückfall in die ständische Repräsentation ab.

Homogen freilich war diese Gruppe nicht, schon wegen ihrer Größe. Aristokraten befanden sich darunter wie der Gutsbesitzer Max Graf von Seinsheim-Grünbach (1811–1885, MdL 1868–1874, MdR 1871–1874), der Deggendorfer "Bauernbaron" Hafenbrädl und etliche bäuerliche Abgeordnete; im Reichstag namentlich die Gutsbesitzer Georg Arbogast Freiherr von und zu Franckenstein (1825–1890, MdR 1872–1890) und Karl Peter Freiherr von Aretin (1814–1887, MdR 1871–1887). Einflussreicher in der Landtagsfraktion war ein Kreis bürgerlicher Abgeordneter: neben dem Landshuter Archivar und bedeutenden Publizisten Jörg, der bis 1881 als ihr Kopf gelten darf, der Münchner Advokat Andreas Freytag (1818–1905, MdL 1869–1881, MdR 1871–1874 und 1878–1884), bis 1879 Fraktionsvorsitzender; als sein Vertreter der Bamberger Advokat Jakob Schüttinger (1816–1877, MdL 1869–1877, MdR 1871–1877); von der jüngeren Generation der in Amberg überaus aktive Richter Johann B. Walter (1831–1900, MdL 1875–1899), später Landtagspräsident; nicht zuletzt der Studienprofessor Georg Orterer (1849–1916, MdL 1883–1916, MdR 1884–1892), seit Einzug in den Landtag im Fraktionsvorstand, schließlich Vordenker und Hauptredner des Zentrums, ab 1899 bis zum Tod Kammerpräsident. Unter den nicht wenigen geistlichen Abgeordneten ragt der Freisinger Lyzealprofessor Balthasar Daller (1835–1911, MdL 1871–1911) hervor, Mitbegründer des Bauernvereins Tuntenhausen, ab 1891 unbestrittener Führer der Zentrumsfraktion.

(4) Eine vierte konservative Gruppe verstand sich als "Klerikaldemokraten". Sie stellten 1868/69 die tatkräftigsten und entschiedensten Organisatoren an der Parteibasis. Dabei erstrebten sie nicht eine formelle Demokratisierung, vielmehr die Geltendmachung (sozial)konservativer Interessen mit demokratischen Mitteln. Überwiegend waren es jüngere Männer, sozialisiert im Aufbruch der katholisch-politischen Bewegung. Viele "Presskapläne" und Redakteure befanden sich darunter, am prominentesten der Herausgeber der Passauer "Donau-Zeitung" Joseph Bucher (1838–1909, MdL 1869/70, 1881–1893) und sein langjähriger Beiträger, der Militärkurat Joseph Lukas (1834–1879, MdL 1869/70). Weil aber ihre radikale Linie schon in der eigenen Fraktion nicht mehrheitsfähig war, zogen sich die Wortführer dieser Richtung sehr bald von der Parlamentsbühne zurück; Bucher wechselte nach 1880 ganz ins ministerielle Lager.

(5) Scharf abzuheben von den konservativen Schattierungen ist eine reaktionäre Minorität, die 1876/77 die maßvolle Oppositionslinie grundsätzlich verurteilte und forderte, sich als "Katholische Fraktion" auf eine konfessionelle Basis zu stellen. Mit dem Liberalismus verwarf sie die gesamte auf ihm aufbauende Verfassungsordnung, ebenso die Parität der Konfessionen, zielte im Grunde auf eine theokratische Gesellschaft. Ihr Programm war von anachronistischer Realitätsferne, die 1877 ausgerufene "Katholische Volkspartei" daher eine kurzlebige Erscheinung, mit einigem Rückhalt nur in rein agrarischen, industriefernen Regionen. Zu den Wortführern zählten überwiegend journalistisch tätige Geistliche wie Alois Rittler (1839−1890, MdL 1875−1890) und Joseph Schäfler (1843−1891, MdL 1879−1882, MdR 1879−1884), aber auch der geistliche Sozialtheoretiker Georg Ratzinger (1844−1899, MdL 1875−1877 und 1893−1899, MdR 1877/78 und 1898/99) sowie, außerhalb des Landtags, der ihm nahestehende Ludwig Graf von Arco-Zinneberg (1840−1882). Der überregional bekannte Verleger des "Bayerischen Vaterland" Johann B. Sigl (1839−1902) propagierte die neue Partei, ohne innere Beziehung zu ihr, als Vehikel seines Hasses auf die "Kammerpatrioten".

Landtagsmehrheit in Opposition

Die beiden über der Reichsgründung gespaltenen Fraktionsgruppen fanden im Zeichen des aufbrechenden Kulturkampfs bis Ende 1871 wieder zusammen. 1872 aber wechselten einige Abgeordnete um den Historiker Johann N. Sepp (1816−1909, MdL 1849−1855, 1869−1875) als "Freie Vereinigung" zu den Liberalen. Damit herrschte für den Rest der Legislaturperiode ein Patt von 77 : 77. Das patriotische Lager blieb eine labile Größe und hätte die Erzwingung von Fraktionsdisziplin nicht überlebt. Allein in Sachen kirchlicher Freiheit zeigte man sich geschlossen; als Initiator des "Kanzelparagraphen", der kritische Äußerungen von Geistlichen im Rahmen seelsorglicher Handlungen unter Strafe stellte, musste Kultusminister Johann von Lutz (1826−1890) deshalb 1871 auf die Reichsgesetzgebung ausweichen. Hingegen verfehlte 1872 ein Antrag die Mehrheit, der das Ministerium verpflichtet hätte, bei Änderungen der Reichsverfassung vor einer Abstimmung im Bundesrat das Votum beider Kammern einzuholen. Desgleichen scheiterte eine Initiative, die auf Abbau der Auslandsvertretungen Bayerns gegen Aktivierung seines Vorsitzes im Bundesratsausschuss für auswärtige Angelegenheiten zielte. Denn Otto von Bismarck (1815-1898) wusste zu verhindern, dass dieser Ausschuss jemals tagte. Jörg begleitete den Vorstoß durch eine fulminante, den Kanzler provozierende Rede im Reichstag.

Die Neuwahl 1875 dezimierte den liberal-konservativen Flügel. Die Patrioten errangen 79 der 154 Mandate. Indes wies Ludwig II. ihr Begehren nach einer Regierungsumbildung im Sinne der Mehrheit abermals schroff zurück, weil es eine Parlamentarisierung mindestens implizierte. Daraufhin erwog man, den nächsten Budgetlandtag zu boykottieren und so Neuwahlen zu erzwingen. Mäßigende Stimmen warnten vor drohender Reichsexekution, zudem verbiete die Verfassung einen "Kammerstreik", die Fraktion werde ihm auch nicht geschlossen folgen. Ein positives Ergebnis dieser Legislaturperiode war immerhin die Wahlrechtsnovelle von 1881, die zwar am indirekten Verfahren festhielt, aber die geheime Wahl einführte und die Einteilung der Ur- und Hauptwahlbezirke verbindlicher regelte. Im Übrigen verblieb es bei der Verweigerung einzelner Etatposten und ähnlichem. Es war eine Opposition kleiner und kleinlicher Schritte, die resignativ stimmte und die Wählerbasis enttäuschte.

Die vom extremen Flügel 1876/77 erneut ausgehende Parole eines dezidiert katholischen Parteistatuts reagierte auf diese Lage. Aus den Wahlen von 1881 ging dieses Element gestärkt hervor. Im Landtag bildeten seine Vertreter ("Äußerste Rechte") mit den Gemäßigten und vier protestantischen Konservativen die "Vereinigte Rechte". Diese gebot über eine deutliche Mehrheit von 89 Abgeordneten, indes prallte ihr Generalangriff wiederum an der Weigerung des Königs ab, seine Minister preiszugeben. 1883 resignierten die Extremen, die Äußerste Rechte zerfiel, ihre Exponenten legten das Mandat nieder oder wechselten gar ins ministerielle Lager. Damit war die Linie einer unspektakulären Opposition in Sachfragen, in der Männer wie Daller und Orterer den Ton angaben, endgültig durchgedrungen. Selbst als die Königskrise von 1886 offenlegte, wie die Minister sich jahrelang auf das Vertrauen eines Monarchen berufen hatten, den sie nun selbst für geisteskrank erklärten, forderte die Fraktion nicht einen Wechsel im "System", also ein vom Vertrauen der Landtagsmehrheit getragenes Ministerium, jedoch einen Austausch der in ihren Augen diskreditierten Personen. Aber auch Prinzregent Luitpold (1821-1912, Regent 1886-1912) versagte sich diesem Begehren.

Mitarbeit in der Zentrumsfraktion des Reichstags

Die Patriotenpartei in den Wahlen zu Zollparlament (1868) und Reichstag (1871-1887). Angaben nach: Hartmannsgruber, Bayerische Patriotenpartei, 172. (Gestaltung: Stefan Schnupp)

In der ersten Reichstagswahl 1871 fielen nur 18 der 48 bayerischen Wahlkreise an Patrioten. Soweit sie auch dem Landtag angehörten, hatten alle gegen einen Anschluss an das neue Kaiserreich votiert. Gleichwohl traten sie der Zentrumsfraktion bei und stellten sich damit auf den Boden der Reichsverfassung. Das Zentrum garantierte Eintreten für den Föderalismus mit Wahrung der Reservat- und Sonderrechte Bayerns, sicherte auch Abstimmungsfreiheit zu. Vereinzelte Rufe erklärter "Reichsfeinde" nach Separation, so in der Oberpfalz 1873, erneut 1876/77 durch Ratzinger, 1878 durch Arco-Zinneberg, blieben ohne Echo.

In der Neuwahl 1874 errangen die Patrioten schon 32 Sitze; bis Ende der 1880er Jahre waren es regelmäßig 31–33. Bayerische Abgeordnete stellten damit ein Drittel der Zentrumsfraktion, mit entsprechendem politischen Gewicht. Aristokraten fanden sich unter ihnen häufiger als im Landtag, eine Folge natürlicher sozialer Selektion wie auch der Diätenlosigkeit im Reichstag. Doppelmandatsträger waren nicht selten, was die Abstimmung zwischen Reichs- und Landtag erleichterte. Allerdings blieb das Zentrum während der ersten Jahre isoliert, erst ab 1878 erhielt es als nun stärkste Reichstagsfraktion die Chance politischer Mitgestaltung.

Die Patrioten traten in Berlin an mit der Maxime: Festhalten am verfassungsrechtlichen Status quo, Widerstand gegen jede Art der Unitarisierung. Mit dem Zentrum stimmte man vergeblich gegen die Vereinheitlichung des Zivilrechts, der Gerichtsverfassung und der Strafprozessordnung, auch aus Sorge vor reichsweiten Kulturkampfgesetzen. Man stellte sich gegen Bismarcks Reichseisenbahnprojekt, das die Einzelstaaten dann im Bundesrat zu Fall brachten. Im Stellvertretergesetz von 1878 tilgte man jene Passage, die neben der Vertretung für Bismarck eine Bildung von Reichsministerien vorsah, womöglich in Personalunion mit preußischen. Ein Tabak- und ein Branntweinmonopol wurden 1882/86 nicht allein vom Zentrum vereitelt, weil deren Ertrag das Reich von den Bundesstaaten unabhängig gemacht und das Budgetrecht des Reichstags ausgehebelt hätte. Letzterer Aspekt stand – neben der generellen Aversion gegen den "preußischen Militarismus" – auch hinter wiederholten Initiativen der Patrioten in der Militärpolitik: gegen Heeresvermehrungen, gegen die dauerhafte oder mehrjährige Festschreibung des Wehretats (Aeternat, Septennat o. ä.), für Verkürzung der dreijährigen Dienstzeit.

Eine Schlüsselrolle bei der aktiven Mitarbeit des Zentrums an der Reichspolitik fiel dem fränkischen Baron Georg von Franckenstein zu. Seit 1875 Fraktionsvorsitzender neben dem strategischen Kopf Ludwig Windthorst (1812-1891, MdR 1871-1891), Vizepräsident des Reichstags, setzte Franckenstein für die im selben Jahr verabschiedete Reichsfinanzreform eine Kompromissformel durch, die das Reich weiter auf die Matrikularbeiträge der Einzelstaaten verwies, somit föderalen Ansprüchen genügte, und zudem das Budgetrecht des Reichstags wahrte ("Franckensteinsche Klausel"). In den Folgejahren gestaltete er, bisweilen in Abgrenzung gegen Windthorst, an zentraler Stelle auch die Sozialgesetzgebung mit, in welcher das Zentrum entgegen dem intendierten Staatssozialismus die Prinzipien der Selbstverwaltung und Dezentralisation zu verankern wusste.

Umbenennung in Bayerische Zentrumspartei

Das Zurücktreten extremer Elemente in der Landtagsfraktion ab 1883 bedeutete die endgültige Durchsetzung eines politischen, nicht konfessionellen Parteikonzepts und beendete einen jahrzehntelangen Richtungsstreit. Überdies legte das weitgehend reibungslose Zusammenwirken mit dem Zentrum im Reichstag nahe, die Kooperation auch äußerlich zu bekunden. Anfang Oktober 1886 regte eine Konferenz von Landtagsabgeordneten an, künftig unter dem Namen "Bayerische Zentrumspartei" anzutreten; man berief sich dabei auf die volle Übereinstimmung in Programmatik und politischer Zielsetzung. Auch die Parteipresse begrüßte den Wechsel als Ausdruck eines längst bestehenden tatsächlichen Verhältnisses. Noch vor der Reichstagswahl im Februar 1887 traten alle Wahlkomitees unter dem neuen Namen an, ein Landesdelegiertentag am 14./15. April 1887 in München beschloss ihn förmlich. Die Änderung der Titulatur bedeutete nicht die Aufgabe der Eigenständigkeit, etwa als Landesverband des Reichszentrums, und freilich auch nicht das Ende aller einer Volkspartei auferlegten inneren Konflikte.

Historischer Standort

Die Bayerische Patriotenpartei stand auf dem Boden der konstitutionellen Monarchie. Die königliche Prärogative stellte sie nie in Frage. Demokratisierung im Sinne eines förmlichen Übergangs zur parlamentarischen Monarchie oder gar zur demokratischen Staatsform lag ihr fern. Gleichwohl schuf sie durch entschlossene Politisierung breiter Volkskreise und die stete Forderung nach einer Regierung entsprechend dem in Wahlen bekundeten Volkswillen die wesentliche Voraussetzung für eine demokratische politische Partizipation und legte so den Grund für die faktische Parlamentarisierung. Dies ist ihr bleibendes Verdienst.

Literatur

  • Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1871−1918), in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler, Bd. IV: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Teilbd. 1: Staat und Politik, 2., neu bearb. Aufl. München 2003, 318−438.
  • Freya Amann, „Hie Bayern, hie Preußen“? Die Bayerische Patriotenpartei / Bayerische Zentrumspartei und die Konsolidierung des Deutschen Kaiserreiches bis 1889, Diss. masch. München 2013.
  • Karl Otmar von Aretin, Franckenstein. Eine politische Karriere zwischen Bismarck und Ludwig II., Stuttgart 2003.
  • Winfried Becker, Zur politischen Stellung und sozialen Zusammensetzung des bayerisch-patriotischen und katholischen Vereinswesen in Passau und Niederbayern, in: Ostbairische Grenzmarken 39 (1997), 89−117.
  • Friedrich Hartmannsgruber, Die Bayerische Patriotenpartei 1868−1887 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 82), München 1986.
  • Joseph Edmund Jörg. Briefwechsel 1846−1901, bearb. v. Dieter Albrecht (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, R. A, 41), Mainz 1988.
  • Bernhard Löffler, Die bayerische Kammer der Reichsräte 1848 bis 1918. Grundlagen, Zusammensetzung, Politik (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 108), München 1996.
  • Markus Raasch, Der Adel auf dem Feld der Politik. Das Beispiel der Zentrumspartei in der Bismarckära (1871−1890) (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 169), Düsseldorf 2015.
  • Wilhelm Volkert, Die politische Entwicklung von 1848 bis 1871, in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. von Max Spindler, Bd. IV: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. Teilbd. 1: Staat und Politik, 2., neu bearb. Aufl. München 2003, 237−317.

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Empfohlene Zitierweise

Friedrich Hartmannsgruber, publiziert am 18.12.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Patriotenpartei_(1868-1887)> (19.12.2025)