Bambergische Halsgerichtsordnung
Aus Historisches Lexikon Bayerns
1507 am Bamberger Hof angefertigtes Strafprozess- und Strafgesetzbuch für das Hochstift Bamberg. Aufgrund ihrer hohen Qualität wurde die Bambergische Halsgerichtsordnung zum Vorbild für Kodifikationen sowohl in anderen Territorien wie auch im Reich. So diente sie als Vorlage für die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. (reg. 1519-1556, als Kaiser ab 1530) (Constitutio Criminalis Carolina), die als erstes Straf- und Strafprozessgesetz Anspruch auf Gültigkeit im ganzen Reich erhob.
Bedeutung
Die Bambergische Halsgerichtsordnung (Constitutio Criminalis Bambergensis, CCB) von 1507 wurde unter der Federführung des bedeutenden Bamberger Hofrichters Johann von Schwarzenberg (ca. 1463/65-1528) als Strafprozessordnung und Strafgesetzbuch für das Fürstbistum Bamberg verfasst. Sie gilt als beste und einflussreichste Straf- und Strafprozessordnung der Zeit. In gelungener Kombination des vom Inquisitionsverfahren geprägten römisch-kanonischen Strafprozessrechts mit einheimischen Traditionen diente sie dazu, Gewohnheitsverbrechertum und Richterwillkür gleichermaßen zu bekämpfen. Aufgrund ihrer hohen Qualität wurde sie 1516 fast unverändert in Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Kulmbach übernommen (Brandenburgische Halsgerichtsordnung, Constitutio Criminalis Brandenburgensis). Sie diente zudem als Vorlage für die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (reg. 1519-1556, als Kaiser ab 1530) (Constitutio Criminalis Carolina, CCC) von 1532, dem ersten Straf- und Strafprozessgesetz, das im gesamten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation Geltung beanspruchte, weshalb die Bambergensis als sog. mater Carolinae eine zentrale Rolle in der deutschen Rechtsgeschichte einnimmt.
Inhalt
Blumig charakterisierte Erik Wolf (1902-1977) die Constitutio Criminalis Bambergensis als einen "Markstein und Wendepunkt der deutschen Strafrechtsentwicklung" (Wolf, Rechtsdenker, 133). Unbestritten sind die gesetzgeberische Leistung und der große Einfluss der ursprünglich nur für das Fürstbistum Bamberg konzipierten Straf- und Strafprozessordnung. Bei genauer Betrachtung steht das Gesetz allerdings eher als krönender Abschluss am Ende einer Epoche, denn das sog. Inquisitionsverfahren, auf welchem die Bambergensis in ihrem verfahrensrechtlichen Teil im Kern aufbaut, war bereits im 15. Jahrhundert in weiten Teilen Deutschlands etabliert. Dieses aus dem römisch-kanonischen Recht entlehnte Verfahren verlangte eine amtliche Straftäterermittlung und –verfolgung unter Heranziehung objektiver Beweise. Die Bambergensis sieht daneben noch das hergebrachte sog. Akkusationsverfahren (Art. 17ff.) vor, wonach sich für die Verfolgung jedes Straftäters zunächst ein Privatmann (zumeist von der Opferseite) zur Anklage bereit finden musste, verpflichtet aber das Gericht, bei schwerwiegenden Straftaten von Amts wegen einzugreifen. Der Ablauf von Strafermittlungen und Prozess wird in der Bambergensis so ausgefeilt und präzise geregelt wie in keinem deutschen Gesetz zuvor.
Die Verurteilung eines Tatverdächtigen auf der Basis bloßer Indizien war verboten; stattdessen verlangte die Constitutio Criminalis Bambergensis den Vollbeweis der Tat durch die Aussage zweier glaubwürdiger Tatzeugen (Art. 30) oder das Geständnis des Verdächtigen. Da eine Zeugenaussage vielfach unmöglich war, kam dem Geständnis eine zentrale Bedeutung zu. Wie für den Inquisitionsprozess typisch, durfte dieses auch im Wege der Folter erzwungen werden. Es gilt als eine der größten Leistungen Schwarzenbergs, die Anwendung der Tortur an strenge Voraussetzungen gebunden zu haben. Die ausgefeilte Indizienlehre der CCB enthält nicht nur eine Liste allgemeiner Kriterien, wann zur Folter geschritten werden darf (Art. 31ff., z. B. die Aussage eines Tatzeugen), sondern für zahlreiche Delikte auch einen Katalog spezieller Indizien (Art. 40ff., so z. B. blutige Kleider und Waffen beim Mordverdächtigen). Bei einer Folterung ohne hinreichende Indizien sollte das Geständnis ungültig sein (Art. 28), ebenso wenn das Geständnis nicht wenigstens noch einen Tag später aufrechterhalten wurde (Art. 69). Auch sollte bei der Folter "mass" gehalten werden. Der Angeklagte hatte Anspruch auf einen Verteidiger (Art. 101ff.).
Die Bestimmungen zum materiellen Strafrecht finden sich in den Prozess eingebettet. Im Abschnitt zur Bestrafung der Täter sind die wichtigsten Straftaten mit den hierfür vorgesehenen Strafen aufgelistet (Art. 125ff.), wobei zu einigen Tatbeständen sogar scharf umrissene Tatbestandsvoraussetzungen benannt werden. Bei den Strafen dominieren grausame Todesstrafen (z. B. Feuertod, Ertränken, Rädern, Hängen) sowie Leibes- und Ehrenstrafen (z. B. Zunge abschneiden, Pranger, Vertreibung aus dem Land). Eindeutig stand hier die Abschreckung im Vordergrund. Immerhin gewährte die Constitutio Criminalis Bambergensis einige Entschuldigungsgründe: So war der Täter bei rechter Notwehr straffrei (Art. 165ff.), Jugendliche durften auf Strafmilderung hoffen (Art. 205).
Ein zentrales Ziel der Constitutio Criminalis Bambergensis war, den (zumeist unstudierten) Richtern und Schöffen auf dem Land eine unmissverständliche Anleitung für ihre Strafprozesse an die Hand zu geben, um so gerichtliche Willkür einzudämmen, worauf einige Spezialbestimmungen am Ende des Werks (insb. Art. 273) hinweisen. Neben dem systematischen Aufbau, der inhaltlichen Präzision und der allgemeinverständlichen Wortwahl in deutscher Sprache sollten hierzu auch die für ein Gesetzbuch ungewöhnlichen Holzschnitte dienen, die über das Werk verteilt zentrale Gedanken der Constitutio Criminalis Bambergensis aufgreifen und illustrieren. In schwierigen Fällen oder bei Unklarheiten verlangte das Gesetz von den Richtern und Schöffen, "bey unsern reten erclerung [zu] suchen", womit eine Anfrage am Bamberger Hofgericht gemeint war (Art. 277). Als geschickte gesetzgeberische Maßnahme erwies sich das sog. Correctorium - eine über mehrere Jahre hinweg fortgeschriebene Ergänzung der Constitutio Criminalis Bambergensis, in welcher bei der Anwendung des neuen Gesetzes aufgefallene Lücken geschlossen und Fehler beseitigt wurden.
Entstehungsgeschichte
Die Bambergensis entstand unter der Regierung des reformfreudigen Bischofs Georg III. Schenk von Limpurg (reg. 1505-1522). Als Hauptredaktor gilt der auch aufgrund seiner humanistischen Publikationen bekannte Bamberger Hofmeister Johann Freiherr von Schwarzenberg und Hohenlandsberg. Da Schwarzenberg weder Jura studiert hatte noch Latein konnte, ist nicht anzunehmen, dass er die Constitutio Criminalis Bambergensis alleine verfasst hat. Jedoch kann an seiner maßgeblichen und prägenden Funktion an der Spitze einer Kommission fachkundiger Spezialisten kein ernsthafter Zweifel bestehen. Er hat die Constitutio Criminalis Bambergensis "nach Rath der gelerten und ander verstendigen zusammengebracht", wie es in der Vorrede zu seiner Bearbeitung von Ciceros "Officia" heißt. Auch bei der Anfertigung des "Correctoriums" dürfte Johann von Schwarzenberg in den Anfangsjahren federführend gewesen sein, zumal sein Name in einer "Nota" zu Art. 275 ausdrücklich genannt ist.
Quellen der Halsgerichtsordnung
Wie bei einem territorialen Gesetz nicht anders zu erwarten, baut die Constitutio Criminalis Bambergensis in Teilen auf alten einheimischen Quellen auf (Bamberger Stadtrecht, Landesordnung von 1503). Dominant sind jedoch die Einflüsse des römisch-kanonischen Rechts, wie sie die Schriften der italienischen Juristen der Glossatoren- und Kommentatorenzeit vermittelten, vor allem wohl Albertus Gandinus (um 1245-um 1310). Da Johann von Schwarzenberg selbst kein Latein konnte, war er diesbezüglich auf Zuarbeiten Dritter angewiesen. In gleicher Weise stützte er sich auf bereits vorhandene deutschsprachige Bearbeitungen des römisch-italienischen Rechts, so namentlich die Nürnberger und die Wormser Stadtrechtsreformation (1479, 1498). Die wichtigste deutschsprachige Quelle für die Bambergensis dürfte der um 1436 verfasste sog. Klagspiegel des Schwäbisch Haller Stadtschreibers Conrad Heyden (gest. 1444) gewesen sein.
Ausgaben und Fortwirkung
Nach dem offiziellen Abdruck des Gesetzes 1507 (bei Hans Pfeil in Bamberg) erschienen noch mehrere weitere Druckausgaben der Bambergensis. Sie belegen, dass das Werk weit über das Fürstbistum Bamberg hinaus auf Interesse stieß. In Mainz wurde die Constitutio Criminalis Bambergensis gleich drei Mal im Jahre 1508 aufgelegt, dann wieder 1510, 1531, 1538 und 1543. 1580 folgte eine revidierte Ausgabe in Bamberg, die 1694 und 1738 nachgedruckt wurde. Eine (heute extrem seltene) niederdeutsche Übersetzung der Bambergensis, unternommen durch den Juristen und Verleger Hermann Barckhusen (um 1460-1528/29), erschien 1510 in Rostock unter dem Titel "Dat Halszgerichte vnde wii me in pynliken saken gelykformich deme rechten mit allerhande myszdederen vortfaren vnde handelen schal".
Das rechtshistorische Gewicht der Constitutio Criminalis Bambergensis zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie ungezählten weiteren Gesetzen und juristischen Publikationen direkt oder indirekt als Vorlage diente und so das deutsche Strafprozessrecht über Jahrhunderte nachhaltig prägte. Die 1516 als Gesetz für Brandenburg-Ansbach und -Kulmbach erstmals gedruckte "Brandenburgische Halßgerichtsordnung" ist letztlich nichts anderes als ein geringfügig angepasster Nachdruck der Constitutio Criminalis Bambergensis mit entsprechend geändertem Vorwort. Nach der Neuredaktion der Bambergensis (1580) erschienen auch von der Brandenburgensis mehrere revidierte Ausgaben: 1582 in Hof, 1582, 1720 und 1753 in Ansbach sowie 1709 und 1726 in Bayreuth. Mehrere Rechtsbücher übernahmen ganze Passagen aus der Constitutio Criminalis Bambergensis, so insbesondere der 1509 erstmals gedruckte "Laienspiegel" des Ulrich Tengler (um 1447-1511).
Dass die Constitutio Criminalis Bambergensis zum Vorbild für die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. wurde, lag – neben der hohen Qualität der Constitutio Criminalis Bambergensis – nicht zuletzt an der politischen Autorität, die Schwarzenberg zwischenzeitlich gewonnen hatte. Zum kaiserlichen Rat ernannt, nahm er 1521 am Wormser Reichstag teil, auf welchem der erste Entwurf einer Reichshalsgerichtsordnung auf der Tagesordnung stand. Der zuständige Ausschuss wählte die Constitutio Criminalis Bambergensis samt "Correctorium" als Grundlage der weiteren Beratungen. 1523/24 saß Schwarzenberg dann im Reichsregiment, wo er maßgeblich an der Überarbeitung des Wormser Constitutio Criminalis Carolina-Entwurfs beteiligt gewesen sein dürfte. Im Ergebnis unterscheidet sich die 1532 auf dem Reichstag von Regensburg als Reichssatzung beschlossene Constitutio Criminalis Carolina in erster Linie in ihrer Gliederung von der Constitutio Criminalis Bambergensis, während zahlreiche Artikel wörtlich übernommen wurden. Die Carolina wurde zum Vorbild für zahlreiche andere Gesetze und blieb in einigen Territorien des Reichs bis ins 19. Jahrhundert hinein gültiges Recht.
Literatur
- Emil Brunnenmeister, Die Quellen der Bambergensis. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Strafrechts, Leipzig 1879.
- Andreas Deutsch, Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden. Ein Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts als Wegbereiter der Rezeption, Köln/Weimar/Wien 2004, insbesondere 580ff.
- Carl Güterbock, Die Entstehungsgeschichte der Carolina - auf Grund archivalischer Forschungen und neu aufgefundener Entwürfe dargestellt, Würzburg 1876.
- Peter Landau/ Friedrich-Christian Schroeder (Hg.), Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption. Grundlagen Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, Frankfurt am Main 1984. (Sammelband mit zahlreichen wichtigen Beiträgen)
- Friedrich Merzbacher, Johann Freiherr zu Schwarzenberg, in: Fränkische Lebensbilder 4 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte. Reihe 7 A/4), Würzburg 1971, 173-185.
- Bernhard Pahlmann, "Johann von Schwarzenberg", in: Gerd Kleinheyer/Jan Schröder (Hg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Heidelberg 4. Auflage 1996, 364-368.
- Gustav Radbruch, Einleitung, zu: Arthur Kaufmann (Hg.), Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), Stuttgart 6. Auflage 1991.
- Hinrich Rüping/Günter Jerouschek, Grundriss der Strafrechtsgeschichte (Schriftenreihe der Juristischen Schulung 73), München 5., völlig überarbeitete Auflage 2007, 51-56 (Randnummern 97-110).
- Willy Scheel, Johann Freiherr zu Schwarzenberg, Berlin 1905.
- Friedrich-Christian Schroeder (Hg.), Die Carolina. Die peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, Darmstadt 1986. (Sammelband mit zahlreichen wichtigen Beiträgen)
- Erik Wolf, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, Tübingen 4. Auflage 1963, insbesondere 102ff.
Quellen
- Hermann Barckhusen (Übers., Bearb.), Dat Halszgerichte unde wii me in pynliken saken gelykformich deme rechten mit allerhande myszdederen vortfaren unde handelen schal, Rostock 1510.
- Brandenburgische Halßgerichtsordnung (1516).
- Arno Buschmann (Hg.), Textbuch zur Strafrechtsgeschichte der Neuzeit, München 1998, 18-101.
- Josef Kohler/ Willy Scheel (Hg.), Die Carolina und ihre Vorgängerinnen. Text, Erläuterung, Geschichte. 4 Bände, Halle an der Saale 1900-1915; insb: 2. Band: Die Bambergische Halsgerichtsordnung, Halle an der Saale 1902; 3. Band: Die Bambergische Halsgerichtsordnung in niederdeutscher Übersetzung Hermann Barkhusens, 1510, Halle an der Saale 1904.
- Sammelband der wichtigsten Strafgesetzbücher des 16. Jahrhunderts: Bambergensis 1507, Brandenburgensis 1516, Carolina 1533 (Bibliothek des deutschen Strafrechts. Alte Meister 35), Goldbach 1999.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
Constitutio Criminalis Bambergensis, Bambergensis, CCB, Bambergische Peinliche Halsgerichtsordnung
Empfohlene Zitierweise
Andreas Deutsch, Bambergische Halsgerichtsordnung, publiziert am 28.09.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bambergische_Halsgerichtsordnung> (15.10.2024)