Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns, 1920/21
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Landesweite Organisation der bayerischen Einwohnerwehren, gegründet am 4. März 1920 als privater Verein in München. Landeshauptmann war Georg Escherich (1870-1941). Der Verband erreichte kurz vor seiner Auflösung am 31. Mai 1921 auf Druck der Alliierten eine maximale Mitgliederzahl von rund 361.000.
Die Initiativen zum Aufbau einer landesweiten Organisation der bayerischen Einwohnerwehren 1919
Unter dem Eindruck der Radikalisierung der Revolution in Bayern hatte die SPD-geführte Staatsregierung unter Johannes Hoffmann (1867-1930) am 17. Mai 1919 einen Aufruf zur Gründung von Einwohnerwehren erlassen, um auf diese Weise die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sicherzustellen. Diese Wehren sollten rein lokal organisiert sein und der Kontrolle der örtlichen Zivilbehörden unterliegen. Bald jedoch regten sich Stimmen zum Aufbau einer landesweiten Organisation. An die Spitze dieser Bestrebungen stellten sich die Einwohnerwehr-Führer von Isen und Rosenheim, Forstrat Georg Escherich (1870-1941) und Obergeometer Rudolf Kanzler (1873-1956), die durch den Regierungspräsidenten von Oberbayern, Gustav Ritter von Kahr (BVP, 1862-1934), eine besondere Förderung erfuhren. Allen Beteiligten – den Wehrmännern, Kahr und auch der sozialdemokratischen Staatsregierung – war dabei klar, dass eine solche Organisation formell nur als privatrechtlicher Verein aufgebaut werden konnte, da jeglicher staatlichen Organisation die Entwaffnungsbestimmungen des Versailler Friedensvertrages entgegenstanden.
Nachdem im Juli 1919 Staats- und Reichsregierung ihre Zustimmung zu einer solchen überregionalen Organisation gegeben hatten, überzogen Escherich und Kanzler das gesamte rechtsrheinische Bayern mit einem Netz von Kreis- und Gauorganisationen der Einwohnerwehr. Am 30. August 1919 gab dann Innenminister Fritz Endres (1877-1963) die Zusage, die Kosten der – de jure privaten – Einwohnerwehr-Landesorganisation aus der Staatskasse zu bestreiten. Kurz darauf stellte das Innenministerium schließlich offiziell fest, dass "die Behörden der inneren Verwaltung [...] der Einwohnerwehr nicht leitend, sondern beratend und fördernd gegenüber" ständen (zitiert nach: Kanzler, Bayerns Kampf, 49). Der Grundstein für die eigenartige öffentlich finanzierte, aber formell private Wehrorganisation war gelegt.
Die Gründung des Landesverbandes als privater Verein
Am 27. September 1919 gaben Escherich und Kanzler in München die offizielle Gründung des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns bekannt. Am 1. Oktober bestellten sie Major a. D. Hermann Kriebel (1878-1941) zum Leiter der Geschäftsstelle in der Herzog-Max-Burg. Der Vereinsvorstand, der den Namen "Landesausschuss" trug, wählte am 16. Dezember 1919 Escherich zum "Landeshauptmann" und Kanzler zu seinem Stellvertreter. Die zweite Sitzung des Landesausschusses beschloss am 10. März 1920 die Satzungen der neuen Organisation.
Bereits am 4. März 1920 war der Eintrag in das Vereinsregister als "Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns e. V." in München erfolgt.
Organisation und Mitgliederstärke
Der Landesverband gliederte die bayerischen Einwohnerwehren in insgesamt 156 Gaue und zehn Kreise, die im Wesentlichen den staatlichen Verwaltungssprengeln entsprachen. Offiziell sollten auf allen Ebenen die Führer demokratisch gewählt werden. Die Führer der Kreise und Städte sollten dann den Landesausschuss bilden. Die beiden Landeshauptleute sollten von einer alle drei Jahre stattfindenden allgemeinen Mitgliederversammlung, dem "Wehrtag", gewählt werden – wozu es auf Grund der Auflösung 1921 nie kam.
Als Vereinszweck nannte die Satzung in erster Linie die Sicherung von Ruhe und Ordnung, die vornehmlich durch die Ortswehren gewährleistet werden sollte. Es war jedoch das besondere Anliegen gerade Escherichs, darüber hinaus auch landesweit und sogar reichsweit einsetzbare Einheiten zu schaffen, die so genannten Land- und Reichsfahnen. Da die einfachen Wehrmänner nicht bereit waren, sich für derartige Einsätze zu verpflichten, sah sich die Landesleitung genötigt, den "Land- und Reichsfahnen" in verstärktem Maße ehemalige Freikorpskämpfer zuzuführen. So ergab sich dort eine Konzentration politisch radikaler Kräfte, also genau das, was eigentlich durch die Auflösung der betreffenden Freikorps-Formationen verhindert hatte werden sollen.
Insgesamt konnte der Landesverband dank des regen Zulaufes zu seinen lokalen Gruppierungen ein stetiges Wachstum an Mitgliedern verzeichnen. Besaß er im November 1919 ca. 200.000 Gefolgsleute, so waren es im Mai 1921, kurz vor seiner Auflösung, bereits 361.000. Der Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns stellte damit ein bedeutendes Machtinstrument dar.
Politische Einflussnahme und Kooperation mit der Reichswehr
Die Satzungen des Vereins hatten zwar explizit jede parteipolitische Stellungnahme ausgeschlossen. Dennoch waren Kriebel und Escherich im März 1920 zusammen mit General Arnold Ritter von Möhl (1867-1944) und Polizeipräsident Ernst Pöhner (1870-1925) mit für den Rücktritt des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann verantwortlich. Auf ihren politischen Druck hin wurde am 16. März 1920 Kahr zum Nachfolger Hoffmanns gewählt.
Des Weiteren sah der Landesverband eine Hauptaufgabe darin, in enger Kooperation mit dem Münchner Gruppenkommando Waffenbestände der Reichswehr in geheime Verstecke zu schaffen, um sie so dem Zugriff der Alliierten zu entziehen. Kriebel sorgte zudem dafür, dass die entscheidenden "Stabsleiterstellen" auf allen Ebenen der Organisation mit ehemaligen Offizieren besetzt wurden.
Auflösung und Nachfolgeorganisation
Die Waffenfrage war es letztlich dann auch, an der das ganze Unternehmen scheiterte. Die Existenz der gewaltigen Bestände konnte vor der Entente trotz aller Bemühungen nicht geheim gehalten werden. Die Alliierten forderten daher seit März 1920 in einer Reihe von Ultimaten Deutschland zur Auflösung seiner paramilitärischen Organisationen auf. Kahr deckte als Ministerpräsident den bayerischen Verband über ein Jahr lang, bis auch er – nach alliierten Sanktionen und dem Sturz der Reichsregierung unter Constantin Fehrenbach (1852-1926) – im Mai 1921 nachgeben musste. Daraufhin beschloss der Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns am 30. Mai 1921 seine Auflösung. In Wirklichkeit jedoch waren längst Vorkehrungen getroffen worden, um die Wehrarbeit fortzusetzen. Als geheime Nachfolgeorganisation des Einwohnerwehr-Landesverbands entstand die Organisation Pittinger, die sich später zum Bund Bayern und Reich umformierte.
Dokumente
Literatur
- Hans Fenske, Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, Bad Homburg u. a. 1969.
- Horst G. W. Nußer, Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918-1933. Mit einer Biographie von Forstrat Georg Escherich 1870-1941. 2 Bände, München 1973.
Quellen
- Landesleitung der Einwohnerwehren Bayerns (Hg.), Geschäftsordnung des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns. Genehmigt mit Beschluß des Landesausschusses vom 17. Dezember 1919 und 10. März 1920, München 1920.
- Satzungen des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns e.V., abgedruckt in: Rudolf Kanzler, Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus. Geschichte der bayerischen Einwohnerwehren, München 1931, 254-259.
- Rudolf Kanzler, Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus. Geschichte der bayerischen Einwohnerwehren, München 1931.
Weiterführende Recherche
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Empfohlene Zitierweise
Christoph Hübner, Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns, 1920/21, publiziert am 11.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Landesverband_der_Einwohnerwehren_Bayerns,_1920/21> (10.10.2024)