Theatergemeinde München (bis 1933)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die Theatergemeinde München (bis 1920: "Volksbund für Kunst und Theater") wurde im November 1919 gegründet. In der Zeit von 1919 bis 1933 war sie - neben der Münchener Volksbühne - die wichtigste gemeinnützige Theaterbesucherorganisation Münchens sowie nach Berlin die mächtigste Theatergemeinde des 1919 entstandenen Bühnenvolksbundes (BVB) im Deutschen Reich. Der zentrale Vereinszweck der Besucherorganisation bestand darin, ihren Teilnehmern ermäßigte Theaterkarten bereitzustellen. Die Theatergemeinde verfolgte dabei jedoch ein konkretes kulturpolitisches Programm. Sie beabsichtigte, breite Bevölkerungsschichten zu einer national-konservativen Kulturvereinigung zusammenzuschließen, an die gehobene Kunst und das Theater heranzuführen und in diesem Sinne die "deutsche" Kultur zu fördern. 1933 erfolgte ihre Auflösung im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Entstehungsgeschichte
Die Entstehung zahlreicher Theatergemeinden in Deutschland ab 1919 war eng mit dem Bühnenvolksbund (BVB) in Frankfurt am Main (Hessen) verbunden, der unmittelbar nach den revolutionären Wirren von 1918 damit begann, über die von ihm gegründeten Ortsausschüsse Besucherorganisationen im ganzen Deutschen Reich zu etablieren. Die erklärte Absicht bestand darin, "christliche" und "deutsche" Werte zu verteidigen und der vermeintlich linken Gefahr, verkörpert durch die sich von Berlin ausbreitenden Volksbühnenbewegung, eine geschlossene, national-konservative Kulturvereinigung entgegenzustellen. Eine dieser Theatergemeinden entstand 1919 auch in München, wobei der Unternehmer Ludwig Siemer (1885–1946) bei der Gründung eine Schlüsselstellung einnahm; ferner zählten u. a. der Musikprofessor Dr. Josef Ludwig Fischer (1879–1942), der Literaturhistoriker Dr. Johannes Eckardt (1887–1966) und der Archivrat Dr. Joseph Weiß (1864–1939) zu den entscheidenden Persönlichkeiten der Anfangszeit. Sie alle standen den Ideen der Bühnenvolksbundbewegung nahe. Am 25. November 1919 wurde der Verein unter dem Namen "Volksbund für Kunst und Theater" ins Leben gerufen. Die Gründungsfeier fand am 8. Januar 1920 im Hotel Bayerischer Hof in München statt. Die Reaktionen auf die Schaffung des Volksbundes fielen in der Folgezeit jedoch nicht nur positiv aus, was sich beispielsweise an den Äußerungen der damals in München bereits bestehenden Volksvorstellungsvereinigung, der Münchener Volksbühne, oder an Pressestimmen zeigte. So glaubte etwa die Volksbühne, ihre kulturellen Bestrebungen würden durch den neu gegründeten Verein massiv bedroht. Die sozialdemokratische Münchner Post vom 14. September 1920 witterte hinter dem Volksbund gar reaktionäre Kreise, die unter dem Deckmantel des Unpolitischen agieren würden und beurteilte das Kulturprogramm des Verbandes als lächerlich und als eine Rufschädigung für ganz München.
Im Münchner Hotel Bayerischer Hof am Promenadeplatz fand am 8. Januar 1920 die Gründungsfeier des Volksbundes für Kunst und Theater (später Theatergemeinde München) statt. Foto Philipp Kester, 1930. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NL-WEIN-0336, lizenziert durch CC BY-ND 4.0)
Vereinsname und Vereinsstruktur
Schon am 1. Oktober 1920 kam es zur Änderung des bis dahin gültigen Vereinsnamens "Volksbund für Kunst und Theater. Vereinigung zur Theaterpflege in christlich-deutschem Volksgeist". Die Besucherorganisation nannte sich fortan "Theatergemeinde München", um sich klar von der Münchener Volksbühne abzugrenzen, und dies, obwohl beide Interessensgemeinschaften Ähnliches leisteten. Wie die Theatergemeinde verfolgte die Volksbühne, die sich ebenfalls als eine unparteiische und überkonfessionelle Kulturgemeinde bezeichnete, die Absicht, durch gezielte Steuerung des Theaterbesuches in weiten Bevölkerungskreisen das Interesse an der bürgerlichen Hochkultur zu fördern. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Besucherorganisationen bestand jedoch in ihrer jeweiligen Einstellung zum Kulturschaffen. Zeigte sich die Volksbühne durchaus offen für moderne Bühnenwerke, die Zeitfragen aufgriffen und die Werte der bürgerlichen Gesellschaft einer kritischen Prüfung unterzogen, erwartete die Theatergemeinde vom Kulturbetrieb die Wahrung bürgerlich-konservativer Moral- und Wertevorstellungen.
Der Untertitel "Volksbund für Kunst und Theater in christlich-deutschem Volksgeist" betonte das Programm: Die Theatergemeinde möchte "bei ihrer Kunstpflege alles ausgeschlossen wissen […], was dem Begriffe der deutschen Volksgemeinschaft widerspr[icht]." (Kunst und Volksgemeinschaft, Nr. 11/12, 1924, S. 4). Obwohl man nach Außen stets bekräftigte, eine völlig unpolitische Vereinigung zu sein, zeigte sich schon früh eine besondere Nähe zu christlich-konservativen Parteien. Auch mischte sich die Organisation seit ihrem Bestehen immer wieder in politische und kulturpolitische Belange ein, so z. B. in die Spielplanpolitik der Bayerischen Staatstheater oder in die geplante Schließung des Prinzregententheaters.
Auf Führungsebene setzte sich die Theatergemeinde München aus dem Vorstand, den drei Kunstausschüssen (Literatur und Schauspiel, Musik, bildende Kunst) und dem Aufsichtsrat zusammen. Die Bindung an die Dachorganisation, den Bühnenvolksbund, betonten die Verantwortlichen immer wieder.
Teilnehmerzahlen
Verzeichnete der Verband zu Beginn nur einige hundert Teilnehmer, erfolgte schon bald ein rasanter Anstieg (zweites Spieljahr: rd. 13.000, drittes Spieljahr: rd. 17.000). Der höchste Teilnehmerstand wurde 1924 mit rund 24.000 erreicht, halbierte sich durch die Nachwirkungen der Inflation und pendelte sich in den folgenden Jahren auf eine Zahl von rund 13.000 ein. Im Münchner Umland entstanden zudem immer mehr Ortsgruppen der Theatergemeinde (z. B. in Pasing [heute Stadt München] Feldafing, Starnberg und Tutzing [alle Lkr. Starnberg]). Zu Beginn der 1930er Jahre setzte sogar noch einmal ein leichter Aufschwung (15.140 Teilnehmer) ein, gefolgt jedoch von einer außergewöhnlich hohen Zahl an Austritten (3.107) im Spieljahr 1931/32 v. a. als Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929.
Sozialstruktur der Teilnehmer und Netzwerke
In der Theatergemeinde München versammelten sich von Anfang an verschiedene Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten, jedoch dominierte, prozentual betrachtet, der bürgerliche Mittelstand (mittlere Beamte, Lehrer, Angestellte, Kaufleute und Gewerbetreibende) den Verein. Ein wenig anders sah es im Bereich der Führungsebene aus. Die Mitglieder der Vorstandschaft, der Fachausschüsse, der Ehrenausschüsse sowie des Aufsichtsrates stellten in der Regel Vertreter der Intelligenz und des öffentlichen Lebens dar, wie z. B. Georg August Baumgärtner (1869–1936, Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten), Dr. Nikolaus Brem (1877–1957), päpstlicher Geheimkämmerer (1921), erster Vorsitzender des Jugendfürsorgevereins (1923) und Domkapitular in München (1923) oder Dr. Heinrich Held (BVP, 1868–1938, Ministerpräsident 1924–1933), Präsident des deutschen Katholikentags (1921). Darüber hinaus bestanden vielfältige Verbindungen zur Münchner Presse, zu christlichen Kunst- und Kulturkreisen, zu bayerischen Bildungseinrichtungen, zur Münchner Stadtverwaltung, zum Landtag und zur Staatsregierung, so z. B. zum Journalisten Dr. Fritz Gerlich (1883–1934) oder zu Dr. Karl Scharnagl (BVP, 1881–1963, Oberbürgermeister von München 1925–1933, 1945–1948). Sowohl Einzelpersonen als auch Körperschaften (Vereine und juristische Personen) konnten dem Verein beitreten.
Die Tätigkeitsbereiche der Theatergemeinde München
Ein wesentliches Anliegen des Kulturverbandes bestand darin, den Theaterbesuch planmäßig zu organisieren. Zu ermäßigten Preisen wurden Aufführungen in den Bayerischen Staatstheatern, aber auch in Privattheatern (z. B. Kammerspiele an der Augustenstraße, Kammerspiele im Schauspielhaus, Volkstheater) vermittelt. Klassiker der Schauspiel- und Opernkunst standen dabei stets im Mittelpunkt. Die Theatergemeinde hatte keinen Anspruch auf Zuteilung bestimmter Stücke für ihre Teilnehmer durch die Theater, konnte aber Aufführungen ablehnen, welche ihren Anschauungen widersprachen und sie machte von diesem Recht auch mehrmals Gebrauch. So wies die Besucherorganisation zwischen 1922 und 1931 sieben Stücke in den Bayerischen Staatstheatern und zwischen 1926 und 1932 13 Stücke im Schauspielhaus zurück - 1929 beispielsweise Ferdinand Bruckners „Die Verbrecher“, weil sich der Verein u. a. an der in diesem Werk dargestellten liberalen Rechtsauffassung und der modernen Sexualmoral störte.
Anzeige eines von der Theatergemeinde München veranstalteten Ballfestes im Deutschen Theater, in: Allgemeine Zeitung, 15.2.1925. (Bayerische Staatsbibliothek, Hbl/Film 4 Eph.pol. 50-355)
Anzeige eines von der Theatergemeinde München veranstalteten Ballfestes im Deutschen Theater, in: AZ am Morgen. Allgemeine Zeitung, 13.1.1926. (Bayerische Staatsbibliothek, Hbl/Film 4 Eph.pol. 50-358)
Die Kulturpflege erstreckte sich jedoch nicht nur auf die Distribution günstiger Theaterkarten, sondern auf viele weitere Gebiete. Dazu zählte die konsequente Bildungsarbeit. Diese trieb der Verband u. a. durch die periodische Herausgabe der Vereinszeitschrift "Kunst und Theater. Monatliche Mitteilungen der Theatergemeinde München e.V." (später: "Die Theatergemeinde"), die Publikation von "Wegweisern", d. h. Interpretationshilfen für Neueinstudierungen im Bereich der Bühnenkunst, oder die Veranstaltung von Einführungskursen in das Schauspiel unter der Leitung des Literaturhistorikers Dr. Walter Stang (seit 1930 NSDAP,1895–1945, MdR 1936–1945) voran.
Spielplan der Münchner Theater vom 31. Mai mit 8. Juni 1925, in: AZ am Morgen. Allgemeine Zeitung, 7.6.1925. (Bayerische Staatsbibliothek, Hbl/Film 4 Eph.pol. 50-356)
Auch die systematische Förderung der Konzertkunst spielte seit jeher innerhalb der Theatergemeinde eine große Rolle. So veranstaltete die Vereinigung zahlreiche Eigenkonzerte oder beteiligte sich an Musikaufführungen verschiedener Münchner Gesellschaften in Form von Platzabnahmen. Der Pflege der als deutsche Meister verstandenen Größen des bildungsbürgerlichen Kunstkanons kam dabei besondere Bedeutung zu. Die Gesellschaft organisierte darüber hinaus weit über hundert Museumsführungen, hielt zahlreiche Vorträge zu verschiedenen kulturhistorischen Themen, unterstützte theaterwissenschaftliche Forschungsarbeiten, lud zu Bällen, Abenden und programmatischen Reisen ein oder engagierte sich im Bereich der Erinnerungskultur, indem sie immer wieder in verschiedener Form namhafter Geistesgrößen gedachte. Die Ideen der Bühnenvolksbundbewegung förderte man u. a. durch Werbemaßnahmen, den Vertrieb von Werken aus dem BVB-Verlag oder durch finanzielle Unterstützung der bayerischen Landesarbeit des Bühnenvolksbundes. Darüber hinaus setzten sich die Kulturfreunde für die Gründung von Theaterbesucherorganisationen in ganz Bayern sowie für die Arbeit der Bayerischen Landesbühne ein.
Neben vielfältigem kulturellen Engagement legte die Publikumsorganisation von Anfang an auch großen Wert auf die Bildung von Kindern und Jugendlichen sowie Erwerbslosen. 1929 erfolgte beispielsweise die Gründung der Jungtheatergemeinde, d. h. der Jugendorganisation der Theatergemeinde, die klar formulierte erzieherische Absichten verfolgte. So sollten besonders die Werke der deutschen Klassiker die Jugend an "deutsche" Kulturideale heranführen. Auch fanden immer wieder Losverkäufe und Sammelaktionen für wohltätige Zwecke statt.
Die Theatergemeinde München und die Bayerischen Staatstheater
Einer der wichtigsten Vertragspartner der beiden Besucherorganisationen Theatergemeinde München und Münchener Volksbühne waren die Bayerischen Staatstheater, mit denen in gewissen zeitlichen Abständen Verträge geschlossen wurden, um den für die Teilnehmer der Volksvorstellungsvereine verpflichtenden Theaterbesuch zu organisieren. Die Verbände führten den Staatstheatern zahlreiche Besucher zu. So nahm die Theatergemeinde München zwischen 1919 und 1933 1.337.225 Schauspielplätze und 466.055 Opernplätze von den Staatstheatern ab. Auch knüpfte die Stadt München ihre finanzielle Unterstützung der Bayerischen Staatstheater an die Bedingung, dass Letztere die Ziele der beiden Volksvorstellungsvereine aktiv fördere, d. h. diese mit bestimmten Kartenkontingenten zu versorgen habe. Die Theatergemeinde München warb darüber hinaus für die staatlichen Bühnen und setzte sich gegen die geplante Schließung des Prinzregententheaters bei höchsten staatlichen und städtischen Stellen ein (z. B. Staatsregierung, Landtag, Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Münchner Stadtrat). Sie übte aber auch einen gewissen Druck auf die Intendanten der Staatstheater aus. Beispielsweise mischte sie sich in ihrer Monatszeitschrift in Spielplanangelegenheiten und Struktur- und Personalfragen ein.
Die Kunstprogrammatik der Theatergemeinde München und die veränderte Selbstdarstellung seit dem Spieljahr 1928/29
Seit ihrer Gründung setzte sich die Theatergemeinde v. a. für die Volksbildungsarbeit und die Vermittlung "nationaler" und "christlicher" Werte ein, wobei die Vereinigung stets Kontakte zu christlichen Kreisen und Persönlichkeiten unterhielt, wie zu Pater Rupert Mayer SJ (1876–1945), Stadtpfarrer Johannes Kreppel (1874-1928) oder Dr. Hilmar Schaudig (1876-1944), seit 1912 erster Vereinsgeistlicher der inneren Mission in München. Ein großes Anliegen war dem Verein in diesem Zusammenhang deshalb die Pflege der deutschen Klassiker sowie die Förderung volkstümlicher und christlicher Dichter, ferner das Vorgehen gegen moderne Entwicklungen in Kunst und Gesellschaft sowie letztlich die Schaffung eines Nationaltheaters für das deutsche Volk.
Ab den späten 1920er Jahren vertrat der Verein zunehmend aggressiv antidemokratische, antiliberale und völkische Ansichten und übte harsche Kritik am politischen System der Weimarer Republik. Seit dem Spieljahr 1928/29 und der Jubiläumsfeier zum zehnjährigen Bestehen formulierte die Besucherorganisation ihre Forderungen immer offensiver, auch die Rhetorik des Vereins verschärfte sich massiv. Man war nun bestrebt, "alle[n] antideutschen, antichristlichen, alte, ererbte Kulturwerte vernichtenden Bestrebungen" ("Die Theatergemeinde", Dezember 1930, S. 4) entgegenzutreten und sagte vermeintlich ideellen Gegnern den Kampf an. Zahlreiche Artikel der NS-Sympathisanten Dr. Walter Stang und Paul Ehlers (1871–1942, Pressechef der Staatsoper, Leiter des Kampfbundes für deutsche Kultur), die diese in der Folgezeit für die Vereinszeitschrift verfassten, dokumentieren dies. Die Theatergemeinde wetterte nun in aller Öffentlichkeit mit drastischen Worten gegen die "Kulturkrise" der Gegenwart, gegen den "Kulturbolschewismus" und die "Gottlosenbewegung", gegen Kunstautonomie, Libertinismus, Modernismus, gegen "Entartungen" jeglicher Art, gegen Amerika, gegen die Weimarer Republik und mehr oder weniger offen gegen das Judentum. Darüber hinaus verklärte der Verband nach wie vor die deutsche Nation in all ihren Facetten.
Auch wenn sich die Vorstandschaft im Juli 1932 von Stang trennte, um eine parteipolitische Beeinflussung der Organisation zu verhindern und sich im November zum "Christenkreuz" und nicht zum "Hakenkreuz" (Vereinssitzung der Theatergemeinde, 17.11.1932) bekannte, setzte sie auch nach Stangs Entlassung ihren eingeschlagenen rechtsgerichteten Kurs fort und empfahl den Bayerischen Staatstheatern 1933 etwa Hanns Johsts (NSDAP, 1890–1978, Präsident der Reichsschrifttumskammer 1935–1945) nationalsozialistisches Bühnenwerk "Schlageter" (1932).
Das Verhältnis der Theatergemeinde zu den beiden anderen Münchner Besucherorganisationen
Obwohl die Gründung der Theatergemeinde München aus dem Bestreben heraus erfolgte, der von ihr als sozialistisch und radikal eingestuften Volksbühne entschieden entgegenzutreten, bestanden doch Ähnlichkeiten in den Grundsätzen, den Zielen und der Arbeitsweise. Selbst das Programmangebot beider Volksvorstellungsvereinigungen unterschied sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre kaum voneinander. Wie die Theatergemeinde verfolgte die Volksbühne, die sich ebenfalls als eine unparteiische und überkonfessionelle Kulturgemeinde bezeichnete, die Absicht, durch gezielte Steuerung des Theaterbesuches in weiten Bevölkerungskreisen das Interesse an der bürgerliche Hochkultur zu fördern. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Besucherorganisationen bestand jedoch in ihrer jeweiligen Einstellung zum Kulturschaffen. Zeigte sich die Volksbühne durchaus offen für moderne Bühnenwerke, die Zeitfragen aufgriffen und die Werte der bürgerlichen Gesellschaft einer kritischen Prüfung unterzogen, erwartete die Theatergemeinde vom Kulturbetrieb die Wahrung bürgerlich-konservativer Moral- und Wertevorstellungen. Darüber hinaus traten die beiden Besucherorganisationen nicht selten geschlossen gegenüber den Bayerischen Staatstheatern und dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus auf, um ihre Forderungen durchzusetzen.
Ganz anders und teils äußerst ambivalent war das Verhältnis zu der im Spieljahr 1932/33 gegründeten nationalsozialistischen Kampfbundbühne, die die Vorstandschaft zunächst als regelrechte Bedrohung - höchstwahrscheinlich auch als gefährliche Konkurrenz - empfand und gegen die die Theatergemeinde München sogar bei führenden kommunalen Stellen sowie bei der Generaldirektion der Bayerischen Staatstheater protestierte, wie sie noch im November 1932 bei ihrer Vorstandssitzung zu Protokoll gab. Man fürchte - so die Protokollaussagen - eine parteipolitischen Beeinflussung der Bühnen. Wenige Monate später jedoch, im Mai 1933, forderte die Theatergemeinde eine umfassende Spielplanreform an den deutschen Theatern nach den Maßstäben der Richtlinien, welche das dramaturgische Büro des Kampfbundes für deutsche Kultur im Sommer 1932 veröffentlichte. Auch bestanden nicht unerhebliche Übereinstimmungen in den weltanschaulichen und kulturpolitischen Zielen beider Organisationen.
Aufgehen der Theatergemeinde München in der NS-Besucherorganisation "Deutsche Bühne"
Im März 1933 warf der „Münchner Beobachter“ Nr. 75 der Theatergemeinde vor, sich nicht genügend für die „nationale Erhebung“ eingesetzt zu haben, was der erste Vorsitzende Baumgärtner in seinem Schreiben an Franz Ritter von Epp (NSDAP, 1868-1947, Reichsstatthalter in Bayern 1933-1945) und die kommissarischen Minister vom 17. März 1933 entschieden zurückwies. Auch in einem anderen Schreiben aus dem Jahr 1933 unterstrich der Verband seine Ausrichtung: Das Motto der Vereinigung „in christlich-deutschem Volksgeist“ hätte „immer schon Volk und Gott im Sinne der jetzigen Reichsführung“ bedeutet, wobei aber zu beachten ist, dass diese Aussage aus der Spätzeit der Publikumsorganisation stammt und nicht unbedingt exakt die Intentionen früherer Jahre widerspiegelt.
Am 10. August 1933 ging der Verein schließlich zusammen mit den beiden anderen damals in München bestehenden Besucherorganisationen – Münchener Volksbühne und Kampfbundbühne – in der NS-Besucherorganisation "Deutsche Bühne" auf. Zwar bemühte sich die Theatergemeinde München noch im Mai 1933 um Wahrung ihrer Eigenständigkeit innerhalb des Reichsverbandes deutscher Theaterorganisationen. Doch schon im Juni 1933 waren Vorstand und Aufsichtsrat zur Gleichschaltung bereit. Was zu dieser schnellen Entscheidung führte, ist nach Aktenlage unklar.
Ausblick auf die Wiedergründung im Jahr 1947
Die Wiedergründung der Publikumsorganisation erfolgte 1947 durch Mitglieder der "Katholischen Jungen Mannschaft", der "Christlichen Loge" und durch Charlotte Siemer, Tochter von Ludwig Siemer, Gründungsmitglied der alten Theatergemeinde, auf demokratischer Grundlage und "im Geiste christlich-abendländischer Gesinnung" (§ 2 Satzung Theatergemeinde München, 3.6.1947). Zum ersten Vorsitzenden der Besucherorganisation wurde am 3. Juni 1947 der Geschäftsmann Jakob Baumann (1908–1995, Stadtrat 1965–1978) gewählt, der den Verein bis 1990 maßgebend prägen sollte.
Bewertung
Die Theatergemeinde München gilt als eine bedeutende Publikumsorganisation zur Zeit der Weimarer Republik. Ihre Arbeit gestaltete sich als sehr facettenreich und war von großer Bedeutung für das Münchner Kulturleben. Besonders ihr Einfluss auf die Theaterlandschaft in der bayerischen Landeshauptstadt ist nicht zu unterschätzen. Wie die Volksbühne ermöglichte sie wenig betuchten Kreisen, mit bürgerlicher Hochkultur in Kontakt zu treten. Hochrangige kommunale und staatliche Stellen bekannten sich zur Arbeit der Besucherorganisation und unterstützten diese. Die Tätigkeit der Theatergemeinde muss somit auch vor dem Hintergrund staatlicher und kommunaler Kulturpolitik betrachtet werden.
Ideell stand die Theatergemeinde München den gesellschaftlichen Veränderungen der Jahre zwischen 1919 und 1933 skeptisch und äußerst ablehnend gegenüber. Besondere Gefahr sah sie in liberalen, kommunistischen und atheistischen Strömungen der Zeit und in der zunehmenden Internationalisierung der Gesellschaft. Diese Geisteshaltung stellte jedoch kein singuläres Phänomen dar. Ganz im Gegenteil: Sie war in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft jener Zeit zu finden.
Dokumente
Literatur
- Peter Eidenberger, Die Theatergemeinde in München. Ihre Neuetablierung nach dem Zusammenbruch der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 1993.
- Michael Hermann, Kommunale Kulturpolitik in München von 1919 bis 1935 (Miscellanea Bavarica Monacensia 179), München 2003.
- Josef Kurz, Theatergemeinde München. Chronik 1947-1997, München 1997.
- Antonia Leugers, Zwischen Revolutionsschock und Schulddebatte. Münchner Katholizismus und Protestantismus im 20. Jahrhundert (Theologie. Geschichte 7), Saarbrücken 2013.
- Peter Lilje, Der Verband der deutschen Volksbühnenvereine, in: Dieter Klenke/Peter Lilje/Franz Walter (Hg.), Arbeitersänger und Volksbühnen in der Weimarer Republik, Bonn 1992, 249–335.
Quellen
- August Georg Baumgärtner, Theatergemeinde München e. V. an den Bayerischen Landtag, betrifft: Etat des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultur; hier: Bayerische Staatstheater und Besuchergemeinschaften, München 1932.
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MK 41032.
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MK 50800.
- Walter Feldmann, Die Theaterbesucherorganisationen und ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung für das Theater, Lübeck 1931.
- Festschrift zum zehnjährigen Jubiläum der Theatergemeinde München. München 1929.
- Heinrich Kneuer, Die bayerischen Staatstheater im Zeitraum 1921-1930, München 1932.
- Ludwig Siemer, Münchner Kultur-Gemeinschaft. Volksbund für Theater, Musik, Literatur und bildende Kunst. Denkschrift, München 1946.
- Stadtarchiv München, DE-1992-KULA-0386.
- Theatergemeinde München (Hg.), Die Theatergemeinde, München 1928–1933.
- Theatergemeinde München (Hg.), Gegen den Kulturabbau an den Bayerischen Staatstheatern. Weckruf der Theatergemeinde München, München 1932.
- Theatergemeinde München (Hg.), Kunst und Volksgemeinschaft. Besondere Mitteilungen der Theatergemeinde München, München 1924–1928.
- Volksbund für Kunst und Theater (Hg.), Geschäftsordnung, München 1919.
- Volksbund für Kunst und Theater (Hg.), Gründungsfeier, München 1920.
- Volksbund für Kunst und Theater (Hg.), Kleine Druckschriften 1–3, München 1920.
- Volksbund für Kunst und Theater (Hg.), Kunst und Theater, München 1920.
Externe Links
Weiterführende Recherche
- Schlagwortsuche in der Bayerischen Bibliographie
- Schlagwortsuche im Online-Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern
- Stichwortsuche in bavarikon
Volksbund für Kunst und Theater
Empfohlene Zitierweise
Daniela Maier, Theatergemeinde München (bis 1933), publiziert am 11.10.2021; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Theatergemeinde_München_(bis_1933) (31.10.2024)
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