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Deutschsozialistische Partei (DSP), 1920-1922

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Deutschsozialistische Partei (DSP), 1920-1922)

von Siegfried Zelnhefer

Die Deutschsozialistische Partei gilt als ein Vorläufer und Wegbereiter der NSDAP. Sie wurde bei einem Parteitag (23.-25. April 1920) in Hannover auf Reichsebene gegründet, im Mai 1919 war eine Gründung in München vorausgegangen. Auch wenn sie über den Status einer Splittergruppe nie hinauskam, war sie Sammelbecken radikaler antisemitischer Kräfte in der völkischen Bewegung nach dem Ersten Weltkrieg. In Bayern spielte der spätere NSDAP-Gauleiter Julius Streicher (1885-1946) eine führende Rolle; er unterwarf sich aber schließlich dem Führungsanspruch Adolf Hitlers (1889-1945).

Die Thulegesellschaft als Ausgangspunkt

Im Hintergrund der DSP stand - ähnlich wie bei der Münchner Deutschen Arbeiterpartei - die Thulegesellschaft. Den Anstoß zur DSP-Gründung hatte deren Leiter Freiherr von Sebottendorf (1875-1945) bereits Ende 1918 gegeben. Teilweise rekrutierten sich die späteren DSP-Mitglieder auch aus dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (DVSTB).

Programmatische Grundlage bildete ein Werk des Düsseldorfer Maschinenbauingenieurs Alfred Brunner (1881-1936), das bereits im Dezember 1918 in den Ordensnachrichten des Germanenordens veröffentlicht worden war. Brunner wollte an die Stelle des römischen ein deutsches Recht setzen. Außerdem forderte er den Zusammenschluss der Arbeiterschaft "auf deutschnationaler Grundlage" unter betont antisemitischen Vorzeichen.

Erste Gründungen in Bayern

Im Mai 1919 erfolgte die Gründung in München. Führende Männer waren Hans Georg Müller und Max Sesselmann, beide verantwortliche Schriftleiter des Münchener Beobachters (ab 9. August 1919 Völkischer Beobachter). Am 24. November 1919 wurde in Nürnberg eine DSP-Ortsgruppe unter dem Vorsitz von Hans Vey und Ludwig Käfer, beide Mitglieder des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, gegründet. Zahlreiche andere DVSTB-Angehörige wechselten zur DSP - unter ihnen auch Julius Streicher (1885-1946). Obschon er nie eine offizielle Funktion in der Nürnberger DSP hatte, baute er seine Machtposition als führender DSP-Mann schnell aus. Dabei half ihm die von ihm gegründete Zeitung Deutscher Sozialist.

Gründung im Reich

Auf Reichsebene wurde die DSP bei einer Versammlung vom 23. bis 25. April 1920 in Hannover gegründet - kurz nachdem die DAP-Führer in München den Namen ihrer Partei in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) geändert hatten. Vertreter von DSP-Ortsgruppen in Bielefeld, Duisburg, Kiel, Leipzig und Wanne-Eickel waren in Hannover zusammengekommen. Alfred Brunner wurde zum Vorsitzenden gewählt. Julius Streicher rückte in den Vorstand. Doch Streicher und Max Sesselmann (München) galten als so unabhängig, dass zentrale Entscheidungen von der Nürnberger und Münchner Zustimmung abhängig waren.

Eine der stärksten Ortsgruppen: Nürnberg

Im Sommer 1920 zählte die Nürnberger DSP bereits 350 Mitglieder und besaß damit neben München eine der stärksten Ortsgruppen im Deutschen Reich. Im Gegensatz zur DAP, die sich auf München beschränkte, versuchte sich die DSP im gesamten Reich auszubreiten. Julius Streicher gründete eine Reihe von DSP-Ortsgruppen, unter anderem in Berlin. Bei der Wahl zum 1. Reichstag am 6. Juni 1920 erhielt die DSP 7.186 Stimmen (0,03%).

Streicher arbeitete früh daran, die DSP deutlich vom Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und von der sich ausbreitenden NSDAP abzugrenzen. Beim DSP-Parteitag im Sommer 1920 in Leipzig konnte er sich damit allerdings nicht durchsetzen. Es kam wenig später zu einer anderen Vereinbarung: DSP und NSDAP definierten bei einer Versammlung aller "Nationalsozialisten" im Sommer 1920 ihre Einflusssphären: Südlich des Mains sollten alle Ortsgruppen der NSDAP gehören, nördlich davon der DSP. Der Raum Nürnberg blieb davon offensichtlich aber unberührt. Die DSP blieb ohne organisatorischen Zusammenhalt. Ihr fehlte ein organisatorisches Zentrum.

Starke Stellung Streichers

Julius Streicher agierte völlig unabhängig. Innerhalb der DSP glich seine Stellung der Adolf Hitlers (1889-1945) in der NSDAP. Beide hatten den Ehrgeiz, Führer der antisemitischen Bewegung zu werden. Der in Fleinhausen bei Augsburg geborene Streicher wurde nach Volksschule, Lehrerseminar und erster Berufstätigkeit als Aushilfslehrer in Dörfern im bayerischen Schwaben 1909 als Lehrer nach Nürnberg versetzt. 1911 schloss er sich der Demokratischen Partei an. 1912 betätigte er sich als Wahlredner der Fortschrittlichen Partei. 1914 bis 1918 nahm er am Ersten Weltkrieg teil, in dem er zum Leutnant der Reserve avancierte. Er erhielt mehrere Tapferkeitsauszeichnungen. Zurückgekehrt aus dem Krieg schloss er sich dem vom Alldeutschen Verband gegründeten Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund an. In seinen Reden, die anfänglich von antikapitalistischer Haltung bestimmt waren, überwog zunehmend der Antisemitismus. "Für Streicher war der Antisemitismus eine Kompensationsmöglichkeit für vorhandene Minderwertigkeitskomplexe, Ersatz für Wissen und Bildung." (Werner Maser)

Hitler machte nicht mit

Anfänglich hatte die DSP-Führung noch geglaubt, sich mit der NSDAP arrangieren zu können. Hitler ließ sich allerdings in keiner Weise in seinen Aktivitäten einschränken. Ende März 1921 verständigten sich in Zeitz Vertreter der DSP (darunter auch Streicher) mit dem NSDAP-Vorsitzenden Anton Drexler (1884-1942) und österreichischen Nationalsozialisten, NSDAP und DSP unter dem Namen "Deutsche Nationalsozialistische Partei" mit Sitz in Berlin zusammenzuschließen. Der Vorstoß scheiterte an Hitler, der sich dem Vorschlag zwei Wochen später bei Verhandlungen in München heftig widersetzte.

Neue Formation: Deutsche Werkgemeinschaft

Streicher gab den Kampf mit Hitler um die Vorherrschaft nicht auf. Im Sommer 1921 unternahm er einen neuen Vorstoß, gleichartige Parteien zu vereinen und Hitler zu verdrängen. Über die "Werkgemeinschaft des Abendländischen Bundes" (Deutsche Werkgemeinschaft/DW) des Augsburger Studienrats Dr. Otto Dickel versuchte er, neue Verbündete zu gewinnen und sich zu profilieren. Auf Drängen Dickels benannte Streicher sein Blatt in "Deutscher Volkswille" um. Am 20. November 1921 entstand in Nürnberg eine DW-Ortsgruppe mit Streicher als zweitem Vorsitzenden.

Die NSDAP gewinnt den Konkurrenzkampf

Die DSP verlor an Bedeutung. Die DW, beschränkt auf Nürnberg und Augsburg, konnte hingegen großen Zuwachs verzeichnen und fand in den Landgemeinden Schwabens, Mittel- und Unterfrankens neue Unterstützer. Ende 1921 hatte sie rund 1.000 Mitglieder - etwa ein Fünftel der NSDAP.

Die Radikalisierung des Antisemitismus Streicherscher Prägung und persönliche Diskrepanzen führten zu Konflikten in der DW-Führung. Am 19. September 1922 trat Streicher aus der Partei aus. Zuvor hatte er Kontakte zur NSDAP geknüpft und gründete am 11. Oktober 1922 in Hersbruck, am 20. Oktober 1922 in Nürnberg eine NSDAP-Ortsgruppe. Streicher musste sich Hitler unterwerfen. Am 8. Oktober 1922 schrieb er an den südbayerischen Konkurrenten: "Ich unterstelle mich hiermit der Münchner Hauptleitung. Über die Befehlsverhältnisse in Franken müssen wir uns noch aussprechen."

Die Deutschsozialistische Partei spielte keine Rolle mehr. Sie löste sich im Herbst 1922 auf. Ihre Mitglieder schlossen sich der NSDAP an. "Für die Entwicklung der NSDAP in Franken und den nördlichen Regierungsbezirken Bayerns war es ein wesentlicher Schritt, daß Streicher sich Hitler 1922 persönlich unterstellte" (Kershaw, Hitler, 229). Die NSDAP verdoppelte dadurch praktisch ihre Mitgliederzahl: Nach rund 2.000 Mitgliedern Anfang 1921 und 6.000 zwölf Monate später zählte sie nun Ende 1922 ungefähr 20.000.

Literatur

  • Michael Diefenbacher/Rudolf Endres (Hg.), Stadtlexikon Nürnberg, Nürnberg 1999.
  • Rainer Hambrecht, Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken (1925-1933) (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte. Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg 17), Nürnberg 1976, v. a. 21-33.
  • Werner Maser, Der Sturm auf die Republik. Frühgeschichte der NSDAP, Frankfurt am Main/Berlin/New York 1981.
  • Manfred Weißbecker, Deutschsozialistische Partei 1919-1922, in: Dieter Fricke (Hg.), Lexikon zur Parteiengeschichte. 2. Band, Leipzig 1984, 547-549. (materialreich, aber mit streng marxistischer Interpretation)

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Siegfried Zelnhefer, Deutschsozialistische Partei (DSP), 1920-1922, publiziert am 28.08.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Deutschsozialistische_Partei_(DSP),_1920-1922> (29.03.2024)