Zensualen
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Zensualen hießen im Mittelalter Personen, die zugunsten eines Heiligen regelmäßige (Geld)leistungen an seinen Altar erbrachten. Im Gegenzug wurden sie durch ihn, genauer durch die dahinterstehende kirchliche Institution, z. B. ein Kloster, vor Zugriffen Dritter geschützt. Im Regelfall konnten sie ihren Aufenthalt und ihre Tätigkeit frei wählen und verfügten über deren Erträge. Erfolgte die Leistung an den Altar in Wachs (lat. cera) oder in Geld für dessen Lichter, so sprach man von Wachszinsern oder Cerozensualen. In Altbayern und Österreich sind vermehrt ab dem 10. Jahrhundert Zensualen nachzuweisen, die als Handwerker oder Händler für die jetzt wachsenden oder erst entstehenden Städte bedeutsam wurden, bis sich im Hoch- und Spätmittelalter daraus die Bürger- und Einwohnerschaft mit ihren rechtlichen Spezifika entwickelte. Außerhalb der Städte stellten Zensualen eine wirtschaftlich und zahlenmäßig bedeutende Gruppe, die den Vorteil besaß, Besitz unterschiedlicher Herkunft ohne gleichzeitige grundherrschaftliche Bindungen bewirtschaften zu könnnen. Im Spätmittelalter führten die veränderten Rahmenbedingungen dann für das Gros dieser Zensualen zu einem Abstieg in den lokalen Bauernstand und nur für einen kleinen Teil zum Aufstieg unter bessergestellte Bauern und örtliche Amtsträger. Die Zensualität bildete somit vom 10. bis ins 13. Jahrhundert ein wichtiges Feld bei der Umformung der mittelalterlichen Gesellschaft. Ihre rechtliche und soziale Ausprägung wie ihre begriffliche Verfestigung erfolgte in Bayern weder gleichförmig noch gleichzeitig, so dass die Quellen ein sehr variantenreiches Bild zeigen.
Grundlegendes
Der Übertritt in die Zensualität
erfolgte
- bei einer freien Person, indem sie sich selbst am Altar der oder dem Heiligen übergab (Autotradition);
- bei einer unfreien Person, indem sie sich selbst aus den bisherigen Abhängigkeiten löste oder von Dritten ausgelöst wurde und dann, nachdem sie freigelassen oder von Knechtsarbeit (opus servile) freigestellt worden war, dem Heiligen übertragen wurde ("Lediglassung": Schulte 1910, 311), oder aber indem sie zu dem Altar weiterhin unfrei bei z. T. reduzierten Diensten übertragen wurde.
Diese Person verpflichtete sich zu einer regelmäßigen auf den Kopf bezogenen Abgabe an den Altar. Häufig wurde auch deren künftige Nachkommenschaft bereits miteingeschlossen. Gelegentlich wurde dabei zur Statussicherung der zensualen Person eine Urkunde übergeben.
Zu den Folgen
Die zensuale Person stand grundsätzlich unter dem Schutz bzw. der Vormundschaft des Heiligen (patrocinium ac defensionem: Tr. Regensburg 93, mundoburdium protectionemque: Tr. St. Emmeram 240). Sie konnte in der Regel über ihre Arbeitskraft und deren Erträge verfügen. Sie besaß Niederlassungsfreiheit, die manchmal beim Übertritt explizit zugesichert wurde. Manche Zensualen leisteten weiterhin sog. tägliche Dienste, als Magd oder Knecht, aber auch andere qualifizierte Dienste, z. B. als Reiter, Boten oder Amtsleute. Häufig wurde jedoch nur der Kopfzins entrichtet. Im Vergleich zu anderen Abhängigkeits- bzw. Schutzverhältnissen war dies eine sehr vorteilhafte Lage, die z. B. um 1180 in Benediktbeuern als liberalis servitus = "freiheitlicher Dienst" gekennzeichnet wurde (Tr. Benediktbeuern 102). Der institutionalisierte Status wurde als Kopfzinserrecht (lex capitecensorum), später als Zinsleuterecht (censuale ius) angesprochen.
Die Zensualität galt als Teilnahme an einer ideellen Hausgenossenschaft (familia) eines Heiligen. So fanden sich wie bei einer realen grundherrschaftlichen familia Beschränkungen der Ehefähigkeit, ein eigener Gerichtsstand nach Hofrecht – von dem in die Zensualität übertretende höherstehende Freie z. T. befreit blieben ‒ und die Vererbung des Status. In weiterer Angleichung kamen zusätzliche Abgaben bei einer Verehelichung außerhalb der familia und bei Tod (Todfall u. ä.) der zensualen Person hinzu – was z. T. auf den hohen Anteil Unfreier bzw. Freigelassener unter den Zensualen rückführbar ist. Am Ende der hier betrachteten Entwicklung wurde dann auch der Zensualenkopfzins als ein den Status mindernder Abhängigkeitszins aufgefasst (van Rey 2019; Grevemeyer 1977).
Beispiel einer Übertragung
Eine Notiz aus Passau hielt 1038 fest, "dass der Diakon O. seinen Eigenmann A. zum Heil seiner Seele dem Altar des heiligen Stephan auf die Weise übertrug, dass jener Mann [A.] in jedem Jahr fünf Pfennige an die Brüder zahlen müsse, die dort dem Heiligen dienen [Domkapitel], er aber selbst vor allen weiteren Diensten sicher sei und leben könne, wo auch immer er wolle, ohne dass dem widersprochen werde" (Tr. Passau 119).
Anfänge der Zensualität in Bayern
Von den vielen Vorformen der Zensualität im Frankenreich westlich des Rheins tauchte in Bayern zunächst jene Art der Freilassung auf, bei der ein Freigelassener Schutz durch diejenige Kirche genoss, in der er freigelassen worden war. Diese Form fand sich bereits in den Decreta Tassilonis (Konzil von Neuching 772) berücksichtigt. Unter Verweis auf Regelungen des weltlichen Rechts erschien sie noch um 1020 in einer kirchenrechtlichen Sammlung aus Freising. Auch jene Freilassungsform, bei der der Freigelassene die schutzgebende Kirche selbst bestimmte, fand sich um 1000 bei St. Peter in Salzburg wieder. Die Wachszinsigkeit ist im Vergleich zum rheinischen Raum spät belegt, z. B. in Salzburg-St. Peter um 1000 (Salzburger UB I, S. 259), in Passau erst im 12. Jahrhundert (Tr. Passau 716). Im Gegensatz zum Westen des Frankenreichs scheint eine Kontinuität aus Vorformen der Spätantike nicht gegeben.
Die Quellen und ihre Bewertung
Ohne dass bereits der Begriff "Zensualität" für das Geflecht von Zins und Schutz in Verbindung mit Freizügigkeit und Verfügungsmacht über die eigene Arbeitskraft und deren Ertrag entwickelt vorlag, wurden bereits im 8. und 9. Jahrhundert in bayerischen Traditionsbüchern Übertragungen einzelner Personen oder kleiner Gruppen an Altäre in Verbindung mit einer dauerhaften Geldleistung dieser Personen dokumentiert. Zum 11. Jahrhundert hin hatte sich das Institut so verstetigt, dass die Quellen von Zensualen (censuales/censuarii), Zensualenrecht (ius/lex censualium: Tr. Tegernsee 314/Tr. Regensburg 791), Zensualenhufen (hoba censualis: Tr. Freising 1410) als festen Begriffen sprechen konnten.
Spätere Abschriften fassten diese Notizen teilweise seriell in Gruppen zusammen, wodurch viele Details verloren gingen. Wurden Zins oder Schutz in der Übertragungsnotiz nicht erwähnt, sind kaum Schlüsse auf den Status der Übertragenen möglich. Eine Zuordnung zum Zensualenstand lässt sich dann oft nur über den Zusammenhang der Notiz in den Quellen vermuten. Die steigende Zahl der Zensualen machte ab dem 11. Jahrhundert deren Aufnahme in eigene Verzeichnisse, libri censualium, notwendig (Wild 2006).
Abgabenverzeichnisse geistlicher Grundherrschaften fallen bei der Klärung eines möglichen Zensualenstandes häufig aus, da sie Einnahmen und nicht den Status der daran beteiligten Personen dokumentieren sollten. Gelegentliche Notizen über Gerichtsverfahren, in denen geistliche Herren, z. B. Klöster, ihre an weltliche Herren, z. B. Grafen, verlehnten Zensualen zurückforderten oder ihnen entfremdete Zensualen auslösten, ermöglichen dagegen Rückschlüsse auf den Status der Betroffenen (z. B. Tr. Freising 1646c).
Dass Bayern häufiger als Schwerpunkt der Zensualität wahrgenommen wird, ist der guten Überlieferungslage durch Traditionsbücher und Zensualenverzeichnisse zuzuschreiben. Jedoch ist hier ebenso das Rhein- und Moselgebiet, Schwaben und Westfalen zu erwähnen.
Zur Gliederung der Zensualität
Vermutlich wegen des Schutzes für Leib und Besitz, der mit einer Zensualenstellung verbunden war, traten mehr Frauen als Männer in die Zensualität ein oder wurden in sie übergeben.
Alle Stände fanden sich in der Zensualität:
- Adelige und Geistliche;
- Mindermächtige, z. B. Freie, Barschalken und niedere Amtsträger (Ministeriale), Kriegsleute (Hiltischalken) und "Ritter" (milites), im Lauf der Entwicklung auch Bürger (cives);
- Minderfreie, z. B. Freigelassene, Hofgenossen (familiares) der unterschiedlichsten sozialen Ausprägung;
- Unfreie, z. B. Eigenleute (servi proprii).
Dabei ist zu bedenken, dass im Mittelalter rechtlicher und sozialer Status oft auseinanderfielen. Z. B. konnte eine einflussreiche Person noch Minderfreier sein oder es konnte entgegen dem Kirchenrecht im frühen Mittelalter unfreie Geistliche geben.
In Bayern stellten die Freigelassenen den größten Anteil unter den Zensualen. Der Anteil Unfreier nahm vom 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts zu. Dann reichte der Anteil zensualer Personen freier Herkunft an jenen der Unfreien heran bzw. übertraf ihn sogar.
Im Hochmittelalter nannten die Quellen fast alle Berufe aus Landwirtschaft, Handwerk und Verkehr unter den Zensualen.
Der Anteil der Zensualen an der Bevölkerung im mittelalterlichen Bayern muss bedeutend gewesen sein, was u. a ein Gerichtsverfahren um eine Niederaltaicher Zensualengruppe zeigt, die bereits vor 1300 ca. 400 Köpfe umfasste (Schulze 1987, 1218). Dabei war das Wachstum der Zensualen nicht nur durch die große Anzahl an Übertragungen gegeben - sie betrug z. B. allein für St. Stephan in Passau im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts knapp 40 Personen jährlich (Dollinger 1982, 312) -, sondern vor allem durch die Weitergabe des Status an die Nachkommenschaft. Hierbei galt mit wenigen Ausnahmen, z. B. bei Barschalken, dass Kinder den Status des rangniedrigeren Elternteils ('der ärgeren Hand') erhielten.
Pflichten aus der Zensualität
für die Herrschaft
Der Heilige wurde konkret durch jene kirchliche Gemeinschaft vertreten, die an seinem Altar diente, z. B. St. Stephan in Passau durch das Domkapitel, das wiederum mit seinen Amts- oder Funktionsträgern im Kontakt zu den Zensualen stand. Die Herrschaft hatte vor allem den Stand des Zensualen zu wahren, je nach Vertragsgestaltung auch ausdrücklich den Schutz vor den Zugriffen Dritter zu gewährleisten, insbesondere vor Verlehnung, mit der eine statusmindernde Ausnutzung des Zensualen auftreten konnte. Das drohte besonders jenen Zensualen, die auf fremdem Grund arbeiteten. Idealerweise versuchte die Herrschaft auf prozessualem Weg, den ihr entfremdeten Schutzbefohlenen zu helfen, oder sie löste sie durch eine Zahlung, z. T. zum wiederholten Male, aus (z. B. Tr. Regensburg 879 in Verb. mit 956).
für die Zensualen
Die zensuale Person hatte vor allem einen festen Betrag an Geld oder Wachs an den Altar bzw. die ihn vertretende kirchliche Institution zu leisten. Dieser betrug im 9. Jahrhundert noch einen oder zwei Denare. Fast als Regelsatz bildete sich in Bayern dann der 5-Denarzins aus, an dem häufig erst die Zensualen in den Quellen zu erkennen sind. Dabei gab es die Variante, dass Freie, die zu Zensualen wurden, zwar fünf Denare hingaben, jedoch einen Denar zum Zeichen ihrer Freiheit zurückerhielten (Tr. Freising 1755e). Auch Zinse zu 6, 12, 15 oder gar 30 Denaren, nennen die Quellen, diese z. T. in Verbindung mit weiteren Diensten und vereinzelt noch höheren Beträgen. Hinzu traten bei niederrangigen oder unfreien Tradierten z. T. reduzierte, gelegentlich auch tägliche Knechtsdienste; bei Letzteren ist bereits die Grenze zur Unfreiheit fließend. Die Höhe des Zinses richtete sich u. a. nach Status und Geschlecht der tradierten Person oder nach der Höhe der aus der neuen Funktion oder Tätigkeit erzielbaren Einkünfte. Die große Varianz sowie der Zeitrahmen vereiteln hier jegliche Systematisierung.
Die Zahlung konnte publizitätswirksam am Tag des Heiligen förmlich auf seinem Altar erfolgen - gerade bei adeligen oder mächtigen Zensualen - oder eher geschäftsmäßig ohne Förmlichkeiten; ferner konnte sie an den Kämmerer oder Ökonom der geistlichen Institution geleistet werden, was im Verlauf der Entwicklung der Regelfall wurde; z. T. erfolgte sie auch an mehreren Terminen (was bereits die Vermischung von Zensualenzins und Zinsen einer Grundherrschaft erkennen lässt) und z. T. an einen zum Einzug Bevollmächtigten, einen magister censualium. Letzteres war besonders dann der Fall, wenn die Zensualen innerhalb einer fremden Grundherrschaft oder in größerer Entfernung von der eigenen Herrschaft noch eine separate Gruppe bildeten.
Häufig wurden bereits im Rahmen der Lediglassung zwei, drei "Freijahre" für den Fall gewährt, dass die zensuale Person die vereinbarte Geldleistung nicht aufbringen konnte, und ebenso festgehalten, dass bei dauerhaftem Unvermögen ein Rücksinken auf den vorherigen Stand oder in den der täglichen Knechtsarbeit erfolgen sollte (z. B. zu 957-994: Tr. Freising 1315m).
Vorteile der Zensualität
für die Zensualen und ihre Angehörigen
Die in die Zensualität Eintretenden fanden für sich und ihre Nachkommen Schutz sowie Sicherheit für ihren Besitz. So konnten z. B. Konkubinen, häufig Mägde, und ihre Kinder durch Übertragung für die Zeit nach dem Tode des Vaters und Herrn sozial und rechtlich abgesichert werden; auch blieben Personen, die sich mit Geld aus einem Abhängigkeitsverhältnis gelöst hatten, vor Rückforderung geschützt. Der für die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zu beobachtende Anstieg von Autotraditionen Freier oder kleiner Adeliger ist auf den möglichen Schutz vor dem erstarkenden Teil des Adels zurückzuführen (Dollinger 1982, 312-314).
Ärmere Autotradenten brachten ihr Land mit in die Übertragung ein, das ihnen anschließend, u. U. vermehrt, zur lebenslangen Nutzung überlassen wurde, so dass sie sich z. T. jetzt überhaupt erst den Lebensunterhalt erarbeiten konnten (z. B. zu 957-977: Tr. Freising 1315c).
Auch Besitzende oder sozial Höherstehende profitierten vom Eintritt in die familia eines Heiligen. Sie konnten z. B. ihren Bodenbesitz nun innerhalb der familia leichter durch Tausch optimieren, als es ihnen zuvor als Außenstehenden möglich gewesen war; auch konnten sie über qualifizierte Dienste aufsteigen; weiter bestand die Möglichkeit, ihre eventuell rangverschiedene Frau und sich im Status anzugleichen und so den Übergang vom Konkubinat zur Ehe zu vollziehen, wodurch der Besitz für ihre nunmehr ehelichen Kinder gesichert wurde; sie konnten ihre außerehelichen Kinder absichern wie auch ihren eigenen sozialen und rechtlichen Status besser in Einklang bringen.
Vor allem aber ermöglichte der Eintritt in die Zensualität vielen, sich ein Einkommen jenseits der Landwirtschaft zu schaffen. Nun konnten sie als Handwerker, Händler, Schiffer frei agieren, mussten Einkünfte nicht mehr proportional mit einem Herrn teilen und waren trotzdem vor Verknechtung geschützt. So wurde vielfach der Eintritt in 'zensuale Unfreiheit' zum Übergang zur Freiheit.
für die Herren
Die ehemaligen Herren vermehrten durch die Schenkung einer Person an die himmlische Macht das Kapital ihres Seelenheils – das stand wohl am Anfang der Entwicklung. Sie konnten aber auch ihr irdisches Kapital mehren, da die Ablöse- oder Freikaufsumme der zu übertragenden Person ein Mehrfaches jener Einkünfte betragen konnte, die sie bisher aus der Person gezogen hatten. Um die Ablösesumme zu steigern, konnten Notlagen ausgenutzt oder gar erst herbeigeführt werden z. B. durch Einforderung täglicher Dienste bei einem Kaufmann. Es gab auch die Variante, dass der an den Altar zu leistende Kopfzins zunächst auf Lebenszeit für die Freilassung dem ehemaligen Herrn gezahlt wurde.
Die "Lediglassung" einer Person in die Zensualität und damit in wirtschaftliche Eigenverantwortung brachte für die Herrschaft zugleich eine Entlastung von der patronalen Fürsorge. Durch eine entsprechende Positionierung von Zensualen ließ sich die Versorgung einer Grundherrschaft optimieren, indem die Beschaffung unverzichtbarer Güter durch Zensuale oder deren Abgaben erfolgte, z. B. bei Salz, indem diese an Salzproduktionsstätten (Hall etc.) oder im Salztransport oder ‒handel angesetzt ihren Zins in Salz entrichten mussten. So konnte sich selbst innerhalb einer geistlichen Herrschaft, die eventuell bereits einem Heiligen zugeordnet war, noch die Übertragung einer Person in den Zensualenstatus lohnen.
für die aufnehmende geistliche Institution
Neben religiösen Motiven sprachen vor allem wirtschaftliche Überlegungen für einen Freikauf bzw. die Ablösezahlung durch die Kirchen und Klöster selbst. So wurden weitere Produzenten gewonnen, ebenso deren Gerichtsabgaben und es konnten personale Abhängigkeitsverhältnisse vereinheitlicht werden (Kuchenbuch 1978, 266 f.).
Wechselte eine Person innerhalb einer geistlichen Grundherrschaft in den Zensualenstand, war dies ebenfalls vorteilhaft, da der summierte Kopfzins leicht bereits in der ersten Generation der davon betroffenen Familie höher liegen konnte als der erzielbare Ackerzins, oder, da bei einem Wechsel des Zensualen ins Handwerk der Boden erneut vergeben und damit die Einkünfte doppelt, d. h. durch den Boden und durch die Person, generiert werden konnten. So finden sich in den Quellen dafür gleichsam 'systematisierte Tarife' (Schulz 1987, 1213), die als Beleg einer grundlegenden Umstellung der dahinterstehenden Grundherrschaft interpretiert werden.
In der Summe traten so die ursprünglich religiösen Motive deutlich zugunsten der wirtschaftlichen in den Hintergrund. Dies zeigt nicht zuletzt die Erwähnung von Juden (qui dicuntur iudeos), die 1187 dem heiligen Quirin in Tegernsee zinsen (Tr. Tegernsee 361).
Zensualität und Städte
Die gegenseitige Befruchtung von Zensualität und Stadtentwicklung ist auch für Bayern offensichtlich. Hier kam es zwar nicht zu einer pauschalen Verleihung des Zensualenstatus' an städtische Neusiedler, wie z. B. in Teilen Flanderns, jedoch wurden erhebliche Teile jener Schichten, aus denen sich Bürger im rechtlichen Sinne entwickelten, durch Zensuale gebildet (Brandl-Ziegert 1974). Dies galt sowohl für die alten Städte Augsburg, Passau (mit Kloster Niedernburg) und Regensburg (vor allem mit St. Emmeram), für die älteren Neuanlagen, z. B. Freising (hier mit Dom und später Weihenstephan und Neustift) oder Ingolstadt usw., wie auch für neuere Gründungen wie Landshut. Überall bildeten Zensualen in erheblichem Maß mit die "Gründungsschicht" und z. T. auch noch die zweite sowie weitere Bürgerschichten der entstehenden Stadtgemeinde. Sie wurden wohl auch gezielt im Einvernehmen mit den Stadtgründern, etwa den Wittelsbachern, von ihren geistlichen Herrschaften, z. B. Kloster Weltenburg, dorthin entsandt oder umgesetzt.
Eine enge Verbindung zwischen Zensualität und Handwerk hatte sich bereits im 9. Jahrhundert u. a. bei der herausgehobenen Rolle der Freisinger Schmiede angedeutet, die bereits vor der Verstädterung eine besondere Gruppe bildeten. Waren erst die städtischen Kerne vorhanden, kam es in einem selbstverstärkenden Prozess zu weiteren Übertritten von Personen in den Zensualenstatus, vor allem bei stadtsässigen Stiften und Klöstern. In der Folge konnten deren Zensualen-Gemeinschaften (wie bei St. Emmeram in Regensburg oder Niedernburg in Passau) die engere Stadtgemeinde in dieser frühen Phase auch wirtschaftlich an Bedeutung überragen, wenn z. B. die Zensualen-Händler von eventuellen Zollbefreiungen "ihrer" Klöster profitierten. Über die Spuren der eigenen Gerichtsbezirke (Immunitäten) blieben sie noch lange in der Topografie der Städte sichtbar.
Das Ende der Zensualität
Die Zensualität als Phänomen markiert den Übergang von der klassischen, in Herrenhof und Bauernstellen aufgeteilten Betriebsgrundherrschaft zur Rentengrundherrschaft und ebenso die gesellschaftliche Neubewertung der Verfügbarkeit einer Person (Schulz 1987), nämlich vom unmittelbaren Dienen hin zur kapitalisierten Nutzung einer Abhängigkeit. Zensualen und deren alte und neue Herren waren zugleich Träger und Nutznießer des Umbruchs von der Subsistenz- hin zur geld- und marktorientierten Wirtschaft. Auf dem Lande kam es dabei zu einer Entlastung des wachsenden Bevölkerungsdrucks, da größere Teile der Zensualen ihren Unterhalt nun aus Handwerk, Handel und Verkehr anstatt aus der Bodenbestellung ziehen konnten – abstrakt: in der Primärproduktion überschüssige Arbeitskraft in andere Sektoren abwandern oder umgesetzt werden konnte.
Als diese vielschichtigen Prozesse im Verlauf des 13. Jahrhunderts an ihr Ende gelangten, entfiel damit auch der Antrieb für die Ausbildung oder Beibehaltung der Zensualität. Auch änderten jetzt die Grundherren die wirtschaftliche Nutzung ihres Bodens, so dass nun die dort tätigen ländlichen Zensualen häufig entweder zu abhängigen Bauern absanken oder vereinzelt durch qualifizierte Dienste aufstiegen oder als gehobene Bauern saßen (Freisassen). Den Übergang kennzeichnete die Angleichung der Zensualen-familia an die Pflichten einer 'normalen' grundherrlichen Genossenschaft, z. B. durch die jetzt durchgängige Abgabe im Todesfall. Bei verlehnten zensualen Einzelpersonen kam es oft zur faktischen Einfügung in die fremde Grundherrschaft, bei Zensualengruppen, die weiter entfernt von der Kernherrschaft lebten, zu einer kollektiven Übertragung, wobei der Herrenwechsel zum statusmäßigen Absinken der Zensualen führen konnte.
Nicht immer war es auch den Zensualen möglich, den eigenen Besitz zu halten, wenn er für die in die Zensualität übertretende Generation im Zuge von Übertragung und Rückverleihung zwar vermehrt worden war, aber nur mit Nießbrauch gedient hatte. Er fiel also in dieser Familie je nach vertraglicher Ausgestaltung eventuell schon in der nächsten Generation ans Kloster zurück. Um zu überleben mussten dann Söhne oder Enkel in den Status von Knechten oder in stark eingeschränkte bäuerliche Freiheit eintreten.
Zur Forschung
Die enge Verbindung von Hörigkeit, Hausgenossenschaft und Zensualität schlug sich in Darstellungen der klassischen Rechts- aber auch Sozialgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts unter verschiedenen Fragestellungen nieder. Spezialisierte Untersuchungen wurden dabei früh der Wachszinsigkeit im Rahmen der Ursprünge der Hörigkeit gewidmet (Meister 1914, Minnigrode 1916, Schulte 1910 u. a.). Dabei stand zunächst der niederrheinisch-westfälische Raum im Vordergrund. 1949 (deutsch erst 1982) widmete Dollinger im Rahmen seines Buches über die Entwicklung des bayerischen Bauernstandes dann ein materialreiches Kapitel der Zensualität; parallel begannen nun auch die Darstellungen zur Zensualengemeinschaft einzelner bayerischer Klöster, z. B. Weizsäcker (1951) zu St. Emmeram, beeinflusst vom Fortschreiten der Quelleneditionen. Fruchtbar waren die Arbeiten mit Schwerpunkt im heutigen österreichischen Raum zur allgemeinen Wirtschafts- und Sozialgeschichte von A. Dopsch 1928/38, mit vielen Einzelbeobachtungen zur Zensualität, die zum Teil in selbständigen Schriften vertieft (1933) wurden; oder eigens zur Sozialgliederung und Siedlungsgeschichte wie z. B. von Klein (u. a. 1933), Schwarzenberg (1959) aber auch noch 1999 zur Brixener familia (Kim) u. a. Ein deutlicher Impuls ging ab 1966 von Bosls Arbeiten zur Sozialgliederung des Früh- und Hochmittelalters aus, wobei er auch die Zensualität mit ihrer Bedeutung für die Stadtentwicklung in Bayern behandelte, was vor allem durch Brandl-Ziegert 1974 ergänzt und vertieft wurde. Zuletzt fasste Banzhaf das Material zu den bayerischen Unterschichten (1982/93) zusammen. Mit einem Schwerpunkt im Westen setzten für das römisch-deutsche Reich zunächst in den 1970er Jahren die großen Synthesen zur Zensualität von Schulz ein, der nicht nur auf bayerische Quellen zurückgreifen konnte, sondern daran auch einzelne Spezialuntersuchungen, z. B. 1987 zum Freikauf, erarbeitete, so dass sich die gute bayerische Quellenlage auch in der Literatur widerspiegelte. Dagegen konnte Bayern bei Grundfragen zur Entstehung der Zensualität im Übergang von Spätantike zum Frühmittelalter wegen fehlender Kontinuität nicht im Fokus stehen, z. B. bei Esders (2010), ebensowenig in Arbeiten zu den religiösen Wurzeln des Stiftungswesens (z. B. Borgolte).
Literatur
- Michael Banzhaf, Unterschichten in bayerischen Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts, München 1991.
- Michael Borgolte, Freigelassene im Dienst der Memoria. Kulttradition und Kultwandel zwischen Antike und Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 17 (1983), 234-250.
- Egon Boshof, "Unfreie Freiheit". Zensualität und Ministerialität im Hochstift Passau (bis ins 13. Jahrhundert), in: Passauer Jahrbuch 58 (2016), 31-56.
- Karl Bosl, Kasten, Klassen, Stände im mittelalterlichen Deutschland. Zur Problematik soziologischer Begriffe und ihrer Anwendung auf die mittelalterliche Gesellschaft, in: Die Gesellschaft in der Geschichte des Mittelalters, Göttingen 1966, 61-83.
- Karl Bosl, Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Augsburger Bürgertums vom 10. bis zum 14. Jahrhundert, München 1969.
- Karl Bosl, Die Sozialstruktur der mittelalterlichen Residenz- und Fernhandelsstadt Regensburg. Die Entwicklung ihres Bürgertums vom 9.–14. Jh., in: Ders., Untersuchungen zur gesellschaftlichen Struktur der mittelalterlichen Städte in Europa, Konstanz 1966, 93-213.
- Renate Brandl-Ziegert, Die Sozialstruktur der bayerischen Bischofs- und Residenzstädte Passau, Freising, Landshut und Ingolstadt. Die Entwicklung ihres Bürgertums vom 9. zum 13. Jahrhundert, München 1974, auch in: Karl Bosl (Hg.), Die mittelalterliche Stadt in Bayern (Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte, Beihefte 6, Reihe B), München 1974, 18–127.
- Nicolas Carrier, Von der Sklaverei zur Leibeigenschaft. Unfreiheit im Königreich Burgund vom 8. bis 12. Jahrhundert, in: Jessika Nowak/Jan Rüdiger (Hg.), Zwischen Basel und Marseille. Das Burgund der Rudolfinger (9.-11.Jahrhundert ), De Bâle à Marseille. L'espace bourguignon à l‘époque rodolphienne (IXe-XIe siècles), Basel 2019, 74-100.
- Philippe Dollinger, Der bayerische Bauernstand vom 9. bis zum 13. Jahrhundert, München 1982.
- Alfons Dopsch, Herrschaft und Bauer in der deutschen Kaiserzeit. Untersuchungen zur Agrar- und Sozialgeschichte des hohen Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des südostdeutschen Raumes, Jena 1928 u. ö.
- Alfons Dopsch, Freilassung und Wirtschaft im frühen Mittelalter, in: Festschrift für Haldvan Koth, Oslo 1933, 79-84.
- Siegfried Epperlein, Bauernbedrückung und Bauernwiderstand im hohen Mittelalter. Zur Erforschung der Ursachen bäuerlicher Abwanderung nach Osten im 12. und 13. Jahrhundert, vorwiegend nach den Urkunden geistlicher Grundherrschaften, Berlin 1960.
- Siegfried Epperlein, Die sogenannte Freilassung in merowingischer und karolingischer Zeit. Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 4 (1963), 92-110.
- Stefan Esders, Die Formierung der Zensualität. Zur kirchlichen Transformation des spätrömischen Patronatswesens im früheren Mittelalter, Ostfildern 2010.
- Hans-Werner Goetz, Serfdom and the beginnings of a 'seigneurial system' in the Carolingian period. A survey of the evidence, in: Early Medieval Europe 2 (1993), 29-51.
- Jan-Heeren Grevemeyer, Zum Problem der Zensualität im Früh- und Hochmittelalter. Soziale und rechtliche Veränderungen der Grundherrschaft und die Voraussetzung für die Entfaltung des Städtewesens in Flandern, Berlin 1977.
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- Knut Schulz, Freikauf in der Gesellschaft des Hochmittelalters. Dargestellt an bayerischen Quellen, in: Uwe Bestmann/Franz Irsigler/Jürgen Schneider (Hg.), Hochfinanz, Wirtschaftsräume, Innovationen, Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 3, Trier 1987, 1197-1226.
- Knut Schulz, Zensualität und Stadtentwicklung im 11. und 12. Jahrhundert, in: Bernhard Diestelkamp (Hg.), Beiträge zum hochmittelalterlichen Städtewesen, Köln 1982, 73-93.
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Quellen
- Monumenta Osterhoviana, Monumenta Boica, Band 12, München 1775.
- Monumenta episсоpatus Wirziburgensis, Monumenta Boica, Band 37, München 1864.
- Monumenta Germaniae Historica, Concilia 2,1, hg.v. Albert Werminghoff, Hannover 1906, hier Konzil von Neuching 772, cc. 9 u. 10, S. 101.
- Monumenta Germaniae Historica, LL nat.germ., Band 3,2, Lex Ribvaria, hg. v. Franz Beyerle, Rudolf Buchner, Hannover 1954, hier c. 61 (58), S. 108-9.
- Monumenta Germaniae Historica, LL Formulae, hg. v. Karl Zeumer, Hannover 1886, hier form. Marc. II,32, S. 95; form. Sal. Lind. Nr.11, S. 274; form. S.Gall. 16, S. 406.
- Salzburger Urkundenbuch Band 1, bearb. v. Willibald Hauthaler, Salzburg 1910.
- Das Benediktbeurer Traditionsbuch, hg. v. L. von Baumann, in: Archivalische Zeitschrift 20 (1914), 1-82, hier Nr. 102, S. 45.
- Die Traditionen des Hochstifts Freising, hg. v. Theodor Bitterauf, München 1905.
- Die Traditionen des Hochstifts Passau, hg. v. Max Heuwieser, München 1930.
- Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters St. Emmeram, hg. v. Josef Widemann, München 1943.
- Die Traditionen des Klosters Tegernsee, hg. v. Peter Acht, München 1952.
- Die Traditionen, Urkunden und Urbare des Klosters Weltenburg, hg. v. Matthias Thiel, München 1958.
- Urkundenbuch des Landes ob der Enns, Linz 1852 = OÖUB I.
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Empfohlene Zitierweise
Jörg Müller, Zensualen, publiziert am 20.07.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Zensualen> (4.11.2024)