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Wilderei

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Dorfszene, im Hintergrund Wild, das über die Zäune auf die Felder drängt. Bauern suchen es zurückzuhalten. Holzschnitt eines unbekannten Meisters, in: Opera Vergiliana, Lyon 1515 u. 1517. (Foto/Bildrechte: Museum Wald und Umwelt, Ebersberg)
Wildernder Untertan bittet kniend um Gnade. Titelkupfer aus Ahasver Fritschs (1629-1701) Corpus Iuris Venatorio Forestalis, Leipzig 1702. (Bayerische Staatsbibliothek)
Die Hirsche im Korn, Zeichnung von Max Haider, 1847. (Foto/Bildrechte: Museum Wald und Umwelt, Ebersberg)
Hirsch mit zusammengewachsenem Geweih, dahinter ein Palisadenzaun, der das Kornfeld vor eindringendem Wild schützen soll. Radierung von J. E. Riedinger, Augsburg, um 1760. (Foto/Bildrechte: Museum Wald und Umwelt, Ebersberg)

von Winfried Freitag

Die Jagd entwickelte sich im Verlauf des Mittelalters weitgehend zu einem Privileg des Adels. Niederwild konnte die bäuerliche Bevölkerung weiter bejagen. Wilderei spielte erst eine größere Rolle, als im 15. Jahrhundert die bayerischen Herzöge das Jagdrecht als Regal beanspruchten und seit dem 16. Jahrhundert Wilderei als Schwerverbrechen ahndeten und mit der Todesstrafe belegten. Der Landesherr monopolisierte die Jagd. Sie wurde zu einem zentralen Element barocken höfischen Lebens. Wilderer gingen allerdings kein großes Risiko ein. Wenn es überhaupt gelang, sie aufzuspüren, waren die Strafen selten hart. Manche Wilderer wurden zu Volkshelden stilisiert und fanden über Wildschützenlieder Eingang in die Volkskultur (Bayerischer Hiasl, Jennerwein). Nach 1800 wurden die Jagdgesetze gelockert, das Jagdregal abgeschafft und die Strafen gemildert. Seit den 1830er Jahren verschärften sich die Konflikte allerdings wieder, denn die von der Grundherrschaft befreiten Bauern lehnten sich dagegen auf, dass die Jagd im Grunde Vorrecht der privilegierten Bevölkerungsschichten blieb. Im 20. Jahrhundert flammte die Wilderei vor allem zu Krisenzeiten (Erster Weltkrieg, Nachkriegszeit und Inflation) wieder auf, um schließlich ein Gelegenheits- und Freizeitdelikt zu werden.

Wilderei ist nur dann möglich, wenn es Rechte oder Privilegien gibt, die andere von der Jagd ausschließen und die somit verletzt werden können. Ihre Strafbarkeit hängt von der Art dieser Rechte und dem Wert ab, den die gesellschaftlich maßgeblichen Gruppen ihnen jeweils beimessen. Das Delikt Wilderei ist ein dem historischen Wandel unterworfenes gesellschaftliches Konstrukt.

Mittelalter

Die Antike kannte weder Jagdrecht noch Wilderei. Das frei lebende Wild war eine herrenlose Sache, die sich jedermann aneignen konnte. Auch die germanischen Volksrechte gehen vom freien Tierfang aus. In der Lex Baiuvariorum sind alle Freien dazu berechtigt.

Einschränkung der freien Jagd

Im Laufe des Mittelalters wurde das allgemeine Jagen allerdings von zwei Seiten her stark eingeengt: Zum einen nahmen die Waldflächen, die den Freien offen standen, beständig ab. Dies geschah zuerst durch die Inbesitznahme (Einforstung) herrenlosen Landes durch die fränkischen Könige, die sich in ihren neuen Forsten die Nutzung - insbesondere die Jagd - vorbehielten. Seit dem 9. Jahrhundert wurde das ausschließlich königliche Jagdrecht, der Wildbann, auf Gebiete, die nicht im Eigentum der Krone waren, ausgedehnt. Ab dem 10. Jahrhundert schrumpfte der allen zugängliche Anteil des Waldes zudem durch die häufige Verleihung von Forst- und Wildbannrechten an weltliche und geistliche Magnaten bzw. die Usurpation solcher Rechte durch dieselben. Zum anderen wurde die freie Jagd durch den Wandel der Sozialstruktur ausgehöhlt. In der späten Karolingerzeit mussten sich immer mehr Freie unter den Schutz eines Grundherrn begeben. Vereinfacht ausgedrückt, entwickelte sich eine Gesellschaft, die hauptsächlich aus Bauernkriegern bestand, zu einer solchen, in der eine schmale Schicht geistlicher und adeliger Herren über die breite Masse höriger Bauern herrschte.

Einführung von Strafen

Bis ins hohe Mittelalter scheint die Einschränkung der Jagdmöglichkeiten Ministeriale sowie adelige und geistliche Herren weitaus stärker als die bäuerliche Bevölkerung getroffen zu haben. Die Quellen berichten jedenfalls in erster Linie von Übergriffen durch Mitglieder der "Großen". Sie hatten den Bruch des Königsbanns mit der Ersatzleistung von 60 Schillingen zu büßen. Die Rechtsweistümer des späten Mittelalters hingegen zielen ab auf Jagdfrevler aus dem einfachen Volk und sehen neben Geldbußen die Lieferung von Getreide oder eines Haustieres vor. Damals - im Übergang vom volksrechtlichen System materieller Kompensationen zu peinlichen Strafen - wurden auch Verstümmelungen angedroht, etwa der Verlust des Daumens oder der rechten Hand.

Erlaubte Selbsthilfe gegen Wildschäden

Dass die hohe Jagd im Laufe des Mittelalters zum Privileg der Herren wurde, scheint für die bäuerliche Bevölkerung angesichts der zunehmenden Einschränkung ihrer Holz- und Waldweiderechte ein eher sekundäres Problem gewesen zu sein. Ihr blieb meist die Jagd auf Niederwild mit Schlingen, Netzen und Fallen. Wirksame Selbsthilfe gegen Wildschäden auf den Feldern war noch erlaubt. Die Äcker durften durch Hecken und Zäune abgeschirmt und eingedrungenes Wild mit Hunden vertrieben werden. Selbst das Erlegen größerer Tiere wurde - soweit es auf eigenem Besitz zur Schadensabwehr geschah - geduldet. Auch die Jagdfronen (Beherbergung und Beköstigung der Jäger, Transportdienste und Aufzucht von Jagdhunden) dürften noch nicht als so drückend empfunden worden sein. Die Jägergruppen waren noch klein, und ihr Besuch ein- bis zweimal im Jahr hatte den Vorteil, das schädliche Wild zu dezimieren.

Frühe Neuzeit

Jagd als Regal der Reichsfürsten

Nachdem die bayerischen Herzöge mehr und mehr königliche Wildbannrechte in ihre Hand gebracht, diese zunächst aber nur lehensweise ausgeübt hatten, begannen sie im 15. Jahrhundert, das Jagdrecht als Regal zu beanspruchen und über die bisherigen Grenzen hinaus auf das ganze Land auszudehnen. Die Jagdverbote erlangten damit eine neue Qualität. Wilderei wurde zu einem Angriff auf die fürstlichen Prärogativen, zu einem Majestätsdelikt, gegen das mit aller Härte vorzugehen war. Dies ist eine Entwicklung, die sich in fast allen deutschen Fürstentümern beobachten lässt.

Im Herzogtum Bayern war es eine wahrscheinlich 1526 abgefasste Jagdordnung, die unerlaubtes "Wildbretpürschen" erstmals den Viztumshändeln, also den Malefiz- oder Schwerverbrechen, zurechnete. Noch einen Schritt weiter geht das Wildereimandat von 1567. In ihm kündigt Herzog Albrecht V. (reg. 1550-1579) an, Wilderer nicht wie bisher mit Gefängnis, sondern mit dem Tode zu bestrafen. Wie überall im Reich, so wurden auch in Bayern die Kriminalisierungsbestrebungen von dem Versuch begleitet, die Wildbretschützen zu diffamieren. Mandate, Jagd- und Forstordnungen nennen sie leichtfertige, unnütze Müßiggänger oder landschädliche Leute, die auch andere Übeltaten begingen, ihre Arbeit und Familie vernachlässigten und bewaffnet Land und Flur durchstreifend jedermann, nicht nur dem fürstlichen Jagdpersonal, gefährlich wären.

Mit der Monopolisierung der Jagd schlossen die Landesherren die einfachen Untertanen bis auf wenige Ausnahmen auch dort von der Niederjagd aus, wo sie dazu noch berechtigt waren. Zugleich wurden die Jagdbefugnisse von Adel, Klerus und Patriziat beschnitten und was verblieb von dienstbaren Juristen aus der landesherrlichen Oberhoheit abgeleitet.

Barocke Hofjagd und Überhegung des Wildes

Zur weiteren Verschärfung der Konflikte beigetragen haben die Hofjagden. Sie wurden in Europa im 17. Jahrhundert zu einem zentralen Element höfischen Lebens und barocker Repräsentation. Um großen Fest- und Jagdgesellschaften Beute im Überfluss zu bieten, gingen die Fürsten dazu über, in den Wäldern weit überhöhte Wildbestände zu hegen. Zugleich untersagten sie der Landbevölkerung wirksame Selbsthilfe gegen Wildschäden: Den Hunden sollten Knüppel am Hals befestigt werden, die beim schnellen Laufen gegen die Vorderbeine schlugen; die Wildzäune durften, um das Wild nicht zu verletzten, nicht spitz sein. Mit den großen Hofgesellschaften, die zur Jagd in den Wald zogen und Hunderte von Tieren erlegten, wurden die Jagdfronen zu einer schweren Last. Beträchtliche Schäden richteten auch die Parforcejagden an, bei denen berittene Jäger ohne jede Rücksichtnahme querfeldein ein ausgesuchtes Stück Wild solange verfolgten, bis es zusammenbrach.

Zunahme der Wilderei

Auffällig ist die in den fürstlichen Mandaten und Ordnungen ständig wiederkehrende Klage über das Ansteigen der Wilderei. Sie findet sich erstmals im 16. und noch im späten 18. Jahrhundert. Dass die Zahl der Delikte über einen so langen Zeitraum unablässig zugenommen hat, ist wenig wahrscheinlich. Mangels quantitativer Untersuchungen müssen sich Annahmen zum wirklichen Verlauf auf Indizien und Plausibilitätsüberlegungen stützen: Im 16. Jahrhundert änderten für die bäuerliche Bevölkerung der Wandel in der Haltung der Fürsten und die schärferen Strafandrohungen nichts an der Notwenigkeit, die eigenen Felder vor dem Wild zu schützen. Neu war lediglich, dass im ausgehenden Mittelalter noch erlaubte oder geduldete Handlungen nun als kriminell eingestuft wurden. Eine wachsende Zahl von Delikten ist somit auf die Neubewertung gewohnter Verhaltensweisen zurückzuführen.

Im 17. Jahrhundert dürfte die Wilderei tatsächlich zugenommen haben, denn mit der wachsenden Bedeutung der Hofjagden nahm die Überhegung des Wildes zu. Bäuerliche Selbsthilfe wurde dringlicher denn je. Vor die Alternative gestellt, durch das Wild ökonomisch zu Grunde gerichtet zu werden oder selber für Abhilfe zu sorgen, entschieden sich wohl viele Bauern für letzteres, denn die Gefahr, ertappt und überführt zu werden, war nicht sehr hoch. Für eine Zunahme sprechen auch der durch den Dreißigjährigen Krieg weit verbreitete Waffenbesitz sowie die dichter werdende Folge an Jagd- und Wildereimandaten. 1664 wurde in Kurbayern sogar ein eigenes Gremium zu Verfolgung der Wilderer, das "Wildbretschützenkollegium", geschaffen.

Sozialer Hintergrund der Wilderer/Risiken der Wilderei

Für die guten Chancen, ungestraft davon zu kommen, gab es mehrere Gründe: Da ist vor allem die "Mauer des Schweigens", mit der die Landbevölkerung den Nachforschungen der Behörden begegnete. Ebenfalls ist die Tatsache zu bedenken, dass Wilderer in der Regel keine gesellschaftlichen Außenseiter, sondern fest in ihrem sozialen Umfeld verankert waren. Zu ihnen zählten Bauern samt ihren Söhnen und Knechten, Tagelöhner, Handwerker und Wirte, aber auch Beamte, Offiziere, Pfarrer, Prälaten, Adelige und sogar Studenten. Zumindest in Kurbayern, das in dieser Hinsicht gut erforscht ist, gab es noch einen weiteren Grund: Die landesherrlichen Behörden traten den Wildbretschützen keineswegs geschlossen gegenüber. Die Gerichtsbeamten auf der unteren Ebene, die Pflegsverwalter, Gerichtsschreiber und Amtleute, arbeiteten nur unwillig mit dem Obristjägermeister und den ihm unterstellten Jagdbediensteten zusammen. Und selbst auf diese - sie hatten im Kampf gegen die Wilderei die Hauptlast zu tragen - war nur begrenzt Verlass. Einige von ihnen beugten sich dem Druck der Bevölkerung, in deren Mitte sie lebten, und ließen die Schützen gewähren. Andere mussten sich selbst wegen Wilderns verantworten. Auf der oberen Ebene trug das Vorgehen des Obristjägermeisters gegen einzelne Hofräte und hohe Beamte nicht gerade dazu bei, das Klima zwischen zwei Behördenzweigen zu verbessern, die in der Ausübung der Polizeigewalt ohnehin miteinander konkurrierten. Am wenigsten anzuhaben war den Klerikern, die gewilderte Tiere aufkauften oder selber zur Jagd gingen. Sie waren einer eigenen, kirchlichen Gerichtsbarkeit unterworfen, und diese zeigte keinerlei Interesse an einer Strafverfolgung.

Mehr als bei anderen Delikten gingen bei Wilderei Strafandrohung und Strafpraxis auseinander. Delinquenten aus der einfachen Bevölkerung erhielten meist kurze Haftstrafen. Zuchthaus und Landesverweis wurden nur ausnahmsweise verhängt; zu Todesstrafen kam es fast nie. Bei Schützen aus der Beamtenschaft und dem Adel blieb es bei einer Ermahnung oder der Aufforderung, sich zu rechtfertigen.

Motive der Wilderer

Auch wenn wildernde Untertanen in den erhaltenen Quellen so gut wie nicht zu Wort kommen, lässt sich zu ihren Motiven doch feststellen: Bäuerliche Selbsthilfe gegen die schweren Schäden, die das Wild auf den Feldern anrichtete, und Nahrungsbeschaffung spielten eine wichtige Rolle, ebenso der Erlös aus dem Verkauf der Beute. Auch scheint Wildern ein Ausdruck des Protestes und Widerstandes gegen das landesherrliche Jagdmonopol und die großen Hofjagden gewesen zu sein.

In den Augen der Wildbretschützen und der Bevölkerung, die sie deckte, war unerlaubtes Jagen alles andere als ein Schwerverbrechen. Versteht man unter Kriminalisierung nicht nur die Deklaration einer Handlung zum Verbrechen und die Androhung von Strafen, sondern vor allem eine Bewusstseinsveränderung auf Seiten der Untertanen, gilt: Die vom 16. bis ins späte 18. Jahrhundert anhaltenden Bemühungen der Landesherren, Wilderer zu kriminalisieren und zu diffamieren, zeitigten nicht den gewünschten Erfolg. Sie ließen vielmehr eine lang andauernde "Pattsituation" entstehen, in der keine der beiden Seiten ihre Rechtsauffassung durchzusetzen vermochte. Die Landesherren konnten es sich nicht leisten, Wilderer wie Diebe, Räuber und Mörder zu behandeln, und die Untertanen konnten nicht mehr ungehindert und ohne Angst vor Strafe jagen.

Von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis ca. 1900

Ansätze zu einem obrigkeitlichen Bewusstseinswandel

Bewegung kam in dieses Gleichgewicht der Kräfte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Damals geriet die höfische Jagd in immer schärferen Gegensatz zur Notwendigkeit, die zunehmende Bevölkerung zu ernähren und der damals drohenden Holznot und Energiekrise vorzubeugen. Das überhegte Wild schädigte nicht nur die Felder, es trug durch Verbiss und Schälen der Bäume auch zum desolaten Zustand der Wälder bei. Die dank ihrer Herrschernähe übermächtige Jagdverwaltung sah sich nicht länger ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verantwortung enthoben.

Bezeichnend sind die Ereignisse der Hungerjahre 1770/71. Damals erging an den bayerischen Obristjägermeister die Anweisung, in den kurfürstlichen Revieren "eine gewisse Quantität Wild monatlich schießen und für den sonst gewöhnlichen - oder soviel die Armen betrifft - für geringen Preis verkaufen" zu lassen. Auf diese Weise sollte dem "großen Brotmangel durch das Wildbret einigermaßen" abgeholfen und "die Anzahl des Wilds an Ort und End, wo solche etwan zu übermäßig", vermindert, "mithin die Feldfrucht destomehr konserviert" werden (Kurfürstliches Mandat vom 27. Mai 1771). Dieses Entgegenkommen genügte nicht mehr; es löste vielmehr eine Welle der Selbsthilfe aus. Untertanen machten sich einzeln oder gruppenweise daran, das Wildbret "haufenweis" wegzuschießen und den Jägern, die sie daran hindern wollten, "mit bewaffneter Hand" entgegenzutreten.

"Berühmte" Wilderer

Matthias Klostermayer, der "'Bub'" Andreas Mayr und der Hund Tyras in einer Rundscheibe, um sie herum eine Inschrift nach Matthias Etenhueber (1722-1785). Öl auf Holz, unbekannter Maler, 1776. (Deutsches Jagd- und Fischereimuseum, München, Inv. 6031)
Matthias Klostermayer und der ""Bub"" Andreas Mayr, im Vordergrund der Hund Tyras. Kupferstich von Johann Michael Söckler (1744-1781), um 1770. (Münchner Stadtmuseum, Graphiksammlung, Inv. M.S.IV/127)

Die auffälligste Erscheinung jener Zeit ist Matthias Klostermayer (1736-1771). Er war Anführer einer Wildererbande, die im Grenzraum von Kurbayern, Reichsstadt und Hochstift Augsburg, operierte. Der bayerische Hiasl, wie er heute noch genannt wird, handelte immer wieder im Auftrag wildgeplagter Bauern und vertrat die Ansicht, ein jeder habe das Recht zu jagen. Er und seine Bande konnten sich vier Jahre lang dem Zugriff der Behörden entziehen. Sie unterlagen erst im Januar 1771 in der Nähe von Kaufbeuren einer Grenadierkompanie des Augsburger Fürstbischofs. Die Überlebenden wurden zum Prozess nach Dillingen gebracht, Klostermayer mit dem Strang hingerichtet, gerädert und gevierteilt.

Zur selben Zeit gelangte im Spessart der "fameuse Erzwilderer" Johann Adam Hasenstab (1716-1773) zu großer Bekanntheit. Auch er profitierte von der Gemengelage verschiedener Herrschaften und konnte mit Unterstützung aus der Bevölkerung rechnen. Hasenstab wurde 1773 nach mehr als 20-jähriger Verfolgung von einem Jäger des Mainzer Kurfürsten erschossen.

Reform der Jagd- und Wildereigesetzgebung

In Frankreich beseitigte die Revolution von 1789 die Unfreiheit der Bauern und hob zusammen mit anderen Feudallasten das Jagdrecht auf fremdem Grund und Boden auf. Die deutschen Staaten sahen sich im Rahmen der großen Reformen, die der Siegeszug Napoleons (1769-1821) fast überall in Europa auslöste, genötigt, dem französischen Vorbild ein Stück weit zu folgen. Sie gestanden den Bauern persönliche Freiheit zu und änderten ihre Jagd- und Wildereigesetze. Bayern wandelte 1804 das landesherrliche in ein staatliches Jagdregal um und verpachtete – abgesehen von den königlichen Leibgehegen – die Jagden, ab 1829 auch an Nichtadelige. 1808 erhielten die Gutsherren das Recht, auf ihren eigenen Ländereien zu jagen.

Der Druck der Revolution von 1848 führte schließlich zur vollständigen Abschaffung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Boden. Das Jagdrecht wurde nun zu einem Bestandteil des Grundeigentums, seine selbständige Ausübung allerdings erst ab einer Mindestreviergröße gestattet. Für kleinere Flächen wurde die genossenschaftliche Jagdverpachtung vorgeschrieben.

Mit der Umwandlung und schließlichen Abschaffung des Jagdregals einher ging eine veränderte Bewertung der Wilderei. An der Wende zum 19. Jahrhundert ließ man die Einordnung als Majestätsdelikt fallen. Es blieb der Vorwurf, fremdes Eigentum verletzt und somit Diebstahl begangen zu haben. Seit den 1830er Jahren setzte sich im Diskurs der Juristen die heute noch herrschende Ansicht durch, Wilderei verletze lediglich ein Aneignungsrecht und könne deshalb nicht dem Diebstahl unterstellt werden, sondern sei als eigener Straftatbestand zu fassen. Mit dieser Bewertung wurden auch die Strafen milder. Das bayerische Wilddiebstahlsmandat von 1806 sah vor: Wer auf eigenem Grundstück Wild ohne Schusswaffen fängt, hat dieses lediglich dem Jagdherrn abzuliefern. Wer allerdings eine solche Waffe benutzt oder Forst- und Jagdpersonal mit Gewalt bedroht, muss mit bis zu 16 Jahren Zuchthaus, bei Todesfolge sogar mit Hinrichtung rechnen. Nach dem Revolutionsjahr 1848 wurden die Strafen weiter zurückgenommen. Kam nicht erschwerend "Forstwiderstand" hinzu, so betrug die Höchststrafe ein Jahr Gefängnis.

Zunahme der Wilderei ab 1830

Als die Bauern und Kleinbauern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrittweise von den überkommenen feudalen Bindungen befreit wurden, rieben sie sich zunehmend am Fortbestand des Rechts, auf fremdem – und damit meist ihrem – Boden zu jagen. In Oberbayern nahm seit den 1830er Jahren die Zahl der Wildereifälle stark zu, ebenso die der tödlichen endenden Konflikte zwischen Wildschützen und Forstpersonal. Als König Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848) am 3. März 1848 die Aufhebung der alten Jagdprivilegien ankündigte, wurde das von der Bevölkerung als Freigabe der Jagd für alle verstanden. Bis in den Sommer hinein machte man sich einzeln oder in Gruppen in aller Öffentlichkeit auf die Pirsch und erlegte massenhaft Wild. Als sich die Staatsmacht wieder gefestigt hatte, ging das Wildern zurück, hörte aber keineswegs auf. Das neue Jagdrecht, wie es im Februar 1849 in Kraft trat, war ein Kompromiss zwischen Revolution und Reaktion. Die Jagd war zwar als Regal abgeschafft, blieb aber weitgehend in den Händen von Privilegierten: von Gutsbesitzern, Adeligen und reichen Bürgern, die es sich leisten konnten, Reviere zu pachten. Dieser Kompromiss enttäuschte die Erwartungen und das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Das Wild, das die eigenen Äcker abfraß, das bis in die Gärten vordrang, auf das man häufig bei Arbeiten auf Feld und Wiese stieß, war in den Augen der Dorfbewohner unveräußerlicher Bestandteil ihrer Lebenswelt. Es stand nur ihnen und keinem Fremden zu.

Wildschützenlieder

Ausdruck fand dieses Rechtsgefühl in der Unterstützung, die Wilderer weiterhin aus der Bevölkerung erfuhren, im hohen Ansehen, das viele von ihnen genossen, und in den zahllosen Liedern, mit denen sie besungen wurden. In einem der bekanntesten verkündet der Bayerische Hiasl: "Das Wild auf weiter Erde is freies Eigentum, ...drum tua i d'Felder schützn mit meine tapfren Leut." Und wenn er die Augen für immer schließe, so der Hiasl des Liedes weiter: "Da wird sich's Wild vermehren und springen kreuzwohlauf, und Bauern werden ruafn: 'Steh, Hiasl, steh doch auf!'"

Die im Alpenraum weit verbreiteten Wildschützenlieder bieten weitere Einblicke in die bayerische Volkskultur. Sie lassen erkennen, dass Wildern für die ledigen jungen Burschen unter der Dorfbevölkerung eine Mutprobe war, die ihnen half, in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen zu werden, und dass sie in ihren erotischen Phantasien das zu jagende Wild mit der zu gewinnenden Geliebten gleichsetzten. Idealisiert und besungen wurde allerdings nicht jeder Wilderer, sondern nur derjenige, der Mut und Geschick bewies, sich waidmännisch verhielt, die Felder schützte und nicht nach Gewinn strebte. Wer mit Schlingen und Fallen arbeitete, ein Gewerbe daraus machte oder zudem Vieh stahl, verlor jegliches Ansehen und wurde von der Bevölkerung nicht durch eine "Mauer des Schweigens" geschützt. Ausdruck fand in den Liedern nicht zuletzt der Jahrhunderte alte Hass auf das herrschaftliche Jagd- und Forstpersonal. Dieses erscheint, wie im Jennerwein-Lied, als kalt, feig und hinterhältig, der von ihm erschossene Wilderer hingegen als tragischer Held. Georg Jennerwein (1848-1877) hatte in den 1870er Jahren in der Gegend von Schlierseeund Tegernsee gewildert und war 1877 von einem Jagdgehilfen mit drei Schüssen von hinten getötet worden.

20. Jahrhundert

Nach dem Ersten Weltkrieg während der Räterepublik kamen Wilderer kurzfristig zu einer Anstellung als "Volksjäger". Sie sollten zur Fleischversorgung der hungernden Bevölkerung beitragen. Die Forstbeamten hatten ihren ehemaligen Widersachern Hilfe zu leisten. So musste z. B. das Forstamt Garmisch einen Hirschkarren zur Verfügung stellen. (aus: Carl Schmöller / Jacques Andreas Volland, Bayerns Wälder. 250 Jahre Bayerische Staatsforstverwaltung, Augsburg 2002 (Haus der Bayerischen Geschichte, Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 27), 66 oben. (Bildrechte: Josef Bader, Grainau)

Im 20. Jahrhundert nahm die Wilderei lediglich kurzfristig in Krisenzeiten zu: nach dem Ersten Weltkrieg, während der Inflation, der Weltwirtschaftskrise und nach 1945. Insgesamt gesehen verlor sie stark an Bedeutung. Gründe dafür sind der zunehmende Wohlstand, die fortschreitende Verstädterung und der Wandel von der Agrar- zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft, der in den meisten Regionen Bayerns allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Wildern mehr und mehr zu einem Gelegenheits- und Freizeitdelikt ansonsten unbescholtener Bürger. Sie benutzen dazu häufig ihr Auto und bevorzugen Kleinkalibergewehre. Ihre Beweggründe sind vor allem Schieß- und Jagdleidenschaft sowie der Nervenkitzel unerlaubten Tuns.

Dass die heutigen Wilderer nicht das Ansehen eines Hiasls oder Jennerweins genießen, liegt auch an der veränderten Einstellung zur Jagd. Das Töten von Tieren als Liebhaberei und Freizeitbeschäftigung erscheint der großen Mehrheit der Bevölkerung verwerflich. Anerkennung findet lediglich die Notwendigkeit, bestimmte Wildtiere zu töten, um das ökologische Gleichgewicht in den Wäldern zu erhalten und die Bäume vor Wildschäden zu schützen. Dies hat allerdings - so die vorherrschende Meinung - unter den Gesichtspunkten des Tierschutzes zu geschehen, wie sie seit 2002 im deutschen Grundgesetz verankert sind.

Literatur

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Weiterführende Recherche

Wilddieberei, Wildfrevel, Wilddiebstahl

Empfohlene Zitierweise

Winfried Freitag, Wilderei, publiziert am 21.01.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Wilderei> (28.03.2024)