Vom Würzburger Städtekrieg (Bernhard von Uissigheim, 1400)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Kurz nach der vernichtenden Niederlage der Würzburger Bürgerschaft in der Schlacht von Bergtheim (1400) entstandene politische Dichtung. Einer der Verfasser war der sonst nicht bekannte Bernhard von Uissigheim. Die Dichter standen auf der Seite des siegreichen Würzburger Bischofs und des fränkischen Adels. Die Bürger werden im Sinne bauernfeindlicher Literatur als lächerlich, großmäulig und verräterisch geschildert. Der rund 2.200 Verse lange Reimpaarspruch ist die umfangreichste politische Ereignisdichtung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.
Entstehungsgeschichte
Der rund 2.200 Verse lange Reimpaarspruch behandelt die politischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Würzburg und dem verbündeten Elfstädtebund einerseits und dem Würzburger Bischof Gerhard von Schwarzburg (reg. 1372-1400) und dem Stiftsadel andererseits in den Jahren 1397 bis 1400. Die Dichtung ist aus verschiedenen, ursprünglich wohl unabhängigen Einzelteilen zusammengesetzt, die in unterschiedlichen Phasen des Konflikts entstanden und sich in ihren Intentionen im einzelnen unterscheiden. Indirekt bezeugt der Reimpaarspruch auch Spottlieder der Gegenseite, die gegen den Bischof verbreitet wurden.
Als (einziger namentlich bekannter) Verfasser eines Teilspruchs nennt sich ein sonst nicht belegter Bernhard von Uissigheim. Er wird in den Handschriften teilweise fälschlich "von Utzingen" genannt, vielleicht verlesen aus Ussingen, einer Nebenform von Uissigheim (Stadt Külsheim, Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg). Er könnte ein fränkischer Adliger im Umfeld des Domkapitels oder ein Reimsprecher aus dem fränkischen Ort gewesen sein. In jedem Fall war er literarisch versiert und - wie die anderen, namentlich nicht bekannten Verfasser der Teilsprüche - Parteigänger der Sieger, insbesondere des Stiftsadels. Er polemisiert gegen den Würzburger Rat, die beteiligten Häcker (Weinbauern) und die Verbündeten der Würzburger. Angehörige des fränkischen Adels werden dagegen positiv hervorgehoben und gepriesen. Hier sind die Auftraggeber zu vermuten. Eine zeitgenössische Überlieferung existiert nicht.
Inhalt
Der Reimpaarspruch beginnt mit der Werbung der Würzburger Bürger um Verbündete für ein verräterisches Vorgehen gegen Bischof und fränkischen Adel. Debatten verschiedener, namentlich genannter Ratsmitglieder und Bürger machen deutlich, dass Aufruhr gegen den Bischof und Übergriffe gegen die Geistlichkeit geplant sind. Gegenstimmen werden brutal unterdrückt; es kommt zu Toten. Geschildert wird dann der vergebliche Sturm der Würzburger auf die Veste Marienberg. Nach Art der bauernfeindlichen Literatur sind die Bürger als lächerliche, großmäulige, feige Neidhartknechte (eine Anspielung auf die fiktiven Bauerngestalten der Neidhart-Dichtung, die der gleichnamige Minnesänger des 13. Jahrhunderts begründete) dargestellt: Zwar maßen sie sich an, wie Ritter Krieg zu führen, aber Filzhüte als Helme, Mistkörbe als Schilde und Pfannen als Brustpanzer zeigen, dass es sich um verblendete Möchtegern-Ritter handelt.
Weitere Unruhen und Übergriffe werden unter dem Einfluss des Teufels und des Frankenweins in einer Judas-Schule geplant, in der man lernt, seinen Herrn zu verraten. Als Teile der Bevölkerung zu murren beginnen und die Häcker einen Protesttanz inszenieren, begibt sich der Rädelsführer Fritz Schade (erw. 1371-1398) zu König Wenzel (reg. 1376-1400). Dieser lässt sich für die Sache der Aufständischen gewinnen und verleiht der Stadt die Reichsfreiheit. Der Reichsadler beklagt sein Schicksal, nach Würzburg geschickt worden zu sein, wo man ihn misshandelt und am Ratshaus festgenagelt habe. Als Alternative zum unfähigen König Wenzel wird auf die Wittelsbacher verwiesen. Anschließend wird Gerhard von Schwarzburg getadelt, nicht hart genug vorzugehen.
Der Würzburger Stadtrat schmiedet weitere böse Pläne. Hungernde Städter plündern, und der Rat beschließt, die bischöflichen Kornspeicher in Bergtheim (Lkr. Würzburg) zu stürmen. Erneut als angetrunkene Neidhartknechte denunziert, machen sich die Angreifer wieder lächerlich. Auch die mit dem Stiftsadel verbündeten Buchener Truppen aus dem fuldaischen Gebiet zwischen Hessen und Franken werden in ein schlechtes Licht gerückt. Die Würzburger Aufständischen erfahren eine blutige Niederlage. Unter den Siegern sticht besonders der spätere Würzburger Bischof Johann von Egloffstein (reg. 1400-1411) hervor, der mit anderen, namentlich genannten Domherren und Rittern gepriesen wird. Gefallene Adlige werden gerühmt; das Strafgericht Bischof Gerhards wird geschildert und gerechtfertigt.
Verschiedene Anhänge - darunter ein bürgerfreundlicher - folgen. Im interessantesten dieser Anhänge wird den Würzburgern vorgeworfen, sie hätten ihren Bischof in einem Spottlied als Bader verhöhnt. Dieser habe ihnen jetzt im Wildbad bei Bergtheim blutig eingeheizt.
Funktion
Der Reimpaarspruch ist eine politische Dichtung, nicht ein historischer Bericht. Er macht Stimmung gegen oft namentlich genannte Aufständische. Er diskreditiert ihre Aktionen und Motive, wirbt für ein hartes Vorgehen bzw. rechtfertigt ein solches im Nachhinein. Zu diesem Zweck bedienen sich die Verfasser verschiedener Elemente der Satire und Topoi der bauernfeindlichen Literatur. Die Städter werden als aufmüpfige Bauern ohne Berechtigung zum Kriegführen dargestellt. Die komplexen politischen Hintergründe werden ausgeblendet; die Würzburger und ihre Verbündeten sind vom Teufel aufgehetzt und vom Frankenwein berauscht und damit von vornherein im Unrecht. Stellungnahmen zur Reichsgeschichte bleiben vage, es dominiert die Polemik gegen die Aufständischen. Auf Seiten der Adligen werden verschiedene Kämpfer namentlich genannt und gepriesen.
Die Dichtung reagiert auch auf Spottdichtungen der Gegenseite, die nicht überliefert sind, und belegt weitere Formen öffentlicher politischer Meinungsäußerung wie einen Protesttanz der Weinbauern.
Überlieferung und Wirkung
Der Text ist in mehreren Handschriften des 16. Jahrhunderts überliefert; ein Druck von 1527 galt lange Zeit als verloren. Er war aber durch eine Abschrift des 16. Jahrhunderts in Teilen bekannt. Die Überlieferungslage bedürfte einer grundlegenden Untersuchung; die bis vor kurzem maßgebliche Ausgabe von Rochus von Liliencron (1820-1912) ist durch den wiederaufgefundenen Druck von 1527 überholt und genügt nicht mehr modernen editorischen Maßstäben.
Die Überlieferung bezeugt die Langlebigkeit politischer Dichtung, die in einer vergleichbaren politischen Situation kurz nach dem Bauernkrieg wieder zur Stimmungsmache aktualisiert werden konnte.
Einordnung in den Gattungskontext
Der Spruch "Vom Würzburger Städtekrieg" lässt sich den politischen Ereignisdichtungen zuordnen, die im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit massenhaft überliefert sind. In älteren Textsammlungen werden sie meist irreführend als "Historische Volkslieder" bezeichnet. Diese Texte sind oft als Drucke oder als Inserate in Chroniken überliefert und nehmen meist Bezug auf eine Fehde oder einen Krieg. Sie bemühen sich, die Hörer oder Leser für den eigenen politischen Standpunkt einzunehmen und zu motivieren, Gegner zu diskreditieren und zu entzweien, für ein Eingreifen oder Stillhalten zu werben, das eigene Vorgehen zu rechtfertigen. Es handelt sich meist um Meinungsäußerungen der Sieger, wie auch im Fall "Vom Würzburger Städtekrieg", der die umfangreichste politische Ereignisdichtung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ist, die wir kennen.
Literatur
- Horst Brunner, Die pawrschafft hoch steyget / Vnd ritterschaft nider seyget. Gewalt und Gewaltgemeinschaften in der deutschen Literatur um 1400, in: Winfried Speitkamp (Hg.), Gewaltgemeinschaften von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, 57-73, bes. 68-72.
- Peter Johanek, Bernhard von Uissigheim, in: Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 1. Band, Berlin u. a. 2. Auflage 1978, Sp. 774-776. (grundlegend)
- Hannes Kästner, Pfaffenhaß und Pfaffenschelte in der politischen Ereignisdichtung und im meisterlichen Spruchlied um 1400, in: Horst Brunner (Hg.), Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters (Imagines Medii Aevi 17), Wiesbaden 2004 , 359-370.
- Karina Kellermann, Abschied vom "historischen Volkslied". Studien zu Funktion, Ästhetik und Publizität der Gattung historisch-politische Ereignisdichtung, Tübingen 2000. (allgemein zur Gattung)
- Sonja Kerth, Der landsfrid ist zerbrochen. Das Bild des Krieges in den politischen Ereignisdichtungen des 13. bis 16. Jahrhunderts, Wiesbaden 1997. (zur Gattung und speziell zu Nr. 40: siehe Register, vgl. Literaturverzeichnis)
- Gisela Möncke, Zum Würzburger Buchdruck in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Johann Lobmeyer – Balthasar Müller – Melchior Bopp, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 62 (2008), 153-188.
- Ernst Schubert, Die Lieder vom Würzburger Städtekrieg (1397-1400), in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 64 (2004), 39-81. (wichtig v. a. für den politisch-historischen Hintergrund)
Quellen
- Rochus von Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. 1. Band, Leipzig 1865 (Nachdruck Hildesheim 1966), 164-195 (Nr. 40; Einführung 161-164, Apparat 195-201).
Weiterführende Recherche
Externe Links
- Repertorium "Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters": Reimchronik des Würzburger Städtekrieges
Empfohlene Zitierweise
Sonja Kerth, Bernhard von Uissigheim: Vom Würzburger Städtekrieg, publiziert am 22.02.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bernhard_von_Uissigheim:_Vom_Würzburger_Städtekrieg> (14.12.2024)