• Versionsgeschichte

Landshuter Bürgerunruhen, 1408-1410

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Der Röcklturm in Landshut. Aufnahme von 1968. (Fotosammlung Erika Groth-Schmachtenberger, Universitätsbibliothek Augsburg)

von Karin Kaltwasser

Als Herzog Heinrich XVI. der Reiche von Bayern-Landshut (reg. 1393/1404-1450) 1404 seine selbständige Regierung antrat und seine Herrschaftspraxis neu ordnete, kam es aus herrschaftlichen und finanziellen Gründen 1408 zu einer Machtprobe zwischen Herzog und Stadtbürgerschaft. Sie endete 1410 mit der Integration der nach Autonomie strebenden Residenzstadt Landshut in den werdenden Territorialstaat Bayern-Landshut. Der Herzog ließ ein drakonisches Strafgericht über die aufbegehrende Bürgerschaft seiner Residenzstadt Landshut ergehen. Seither haftete ihm in der bayerischen Historiografie des 15. und 16. Jahrhunderts der Ruf eines geldgierigen und grausamen Fürsten an, der seine Bürger kaltblütig hinrichten ließ und der mit deren konfisziertem Hab und Gut die Finanzen seines hochverschuldeten Herzogtums sanierte.

Die Unruhen von 1408

Laut Berichten der bayerischen Historiografen des 15. und 16. Jahrhunderts folgten am 24. August 1408 die Landshuter Stadträte einer Einladung Herzog Heinrichs XVI. (reg. 1393/1404-1450) auf die Feste Trausnitz. Nach dem Essen ließ er insgesamt etwa 40 Räte und weitere Bürger verhaften. Urkundliche Quellen bezeugen, dass von September 1408 bis Juni 1409 die Aburteilung der Verhafteten erfolgte. Sie alle mussten dem Herzog Urfehde schwören, auf ihre Ratstätigkeit verzichten und/oder wurden aus der Stadt Landshut verbannt. Darüber hinaus wurde schon im Vorfeld der Verurteilungen bzw. Haftentlassungen ihr Vermögen von Heinrich XVI. konfisziert.

Die Unruhen von 1410

Die Unruhen von 1408 zogen erneute Auseinandersetzungen zwischen Heinrich XVI. und der Landshuter Bürgerschaft in der Karfreitagsnacht vom 21. März 1410 nach sich. Eine angebliche Bürgerverschwörung im "Röcklturm", im Hause des Bürgers und Mitverschwörers Dietrich Röckl an der Westseite der Stadtmauer unterhalb des Ländtores an der Isar, wurde von dessen untreuer Ehefrau an ein Mitglied des herzoglichen Hofes verraten, so dass ein Angriff auf die Burg Trausnitz erfolglos blieb. Noch heute erinnert die Sage vom "Nahensteig" daran, dass ein Hofnarr die Verschwörer belauscht und auf schnellstem Wege zur Burg hinauf über eine Geheimtreppe, der "Narrensteig" genannt, den Herzog gewarnt habe. Aber auch der Hoftrakt des Pappenbergerhauses in der Landshuter Altstadt Nr. 81 wird heute von Theo Herzog aufgrund der Lage und der weniger beengten Räumlichkeiten als Verschwörungsort in Betracht gezogen. Anders als bei den Unruhen von 1408 ging die Bewegung nicht vom Stadtrat, sondern von der Gemeinde aus. Insgesamt handelte es sich dabei um 31 Männer und 24 Ehefrauen aus Handwerk und Gewerbe. Viele wurden noch in der Karfreitagsnacht getötet, die übrigen, die ihre "poshait und untrew" gegenüber dem Herzog eingestanden hatten, wurden von Heinrich XVI. verhaftet und zum Tode verurteilt oder der Stadt und des Landes verwiesen. Ob und inwiefern tatsächlich eine Verschwörung geplant war oder lediglich eine Bürgerversammlung stattfand, lässt sich nicht mehr klären.

Die Folgen der Unruhen von 1410

Infolge der Unruhen von 1410 musste die Stadt massive Eingriffe des Herzogs in ihre Selbstverwaltung hinnehmen. Die Stadtbefestigung ging in die Hand des Herzogs über, ebenso wie das Recht, alljährlich Richter, Kämmerer und Rat der Stadt einzusetzen. Versammlungen - außer der Rats- und Gemeindeversammlung - wurden verboten. An der Gemeindeversammlung durften künftig nur noch 100 Bürger teilnehmen. Die Stadt musste die Bestrafung der Schuldigen "an leib und guet" auch für die noch aufzuklärenden Fälle zusichern, die Bürger sich zu unbedingter Kriegsfolge und zum Verzicht auf jeglichen Widerspruch gegen den Herzog verpflichten.

Ursachen und Auslöser

Den Auseinandersetzungen zwischen Herzog und Stadtbürgertum in Landshut von 1408/10 lagen vermutlich finanzielle und herrschaftsrechtliche Konfliktherde als eigentliche Ursachen zu Grunde. Die 1204 gegründete Stadt Landshut war spätestens seit der Landesteilung von 1255 kontinuierlich Residenz- und Herrschaftszentrum der Wittelsbacher in Bayern gewesen und zählte im Spätmittelalter zu den größten Handels- und Gewerbestädten Bayerns. Noch im 14. Jahrhundert stand die Stadt unter strenger landesherrschaftlicher Kontrolle. Dies änderte sich 1392, als beim Tode Herzog Friedrichs von Bayern-Landshut (reg. 1375-1392/93) das Landshuter Teilherzogtum aufgrund der Unmündigkeit seines Sohnes Heinrich XVI. von den hausinternen Kämpfen der um die Vormundschaft und die Vorherrschaft in Bayern rivalisierenden wittelsbachischen Herzöge von Bayern-München und Bayern-Ingolstadt erschüttert wurde. Davon profitierte die Stadt Landshut jedoch dahingehend, dass die Residenzstadt über mehrere Jahre hinweg in großem Maße sich selbst überlassen blieb und dadurch eine beachtenswerte Rechtsstellung erreichen konnte. Institutionen der Stadtverfassung wie äußerer und innerer Stadtrat, ein Gemeindeausschuss von 200 bis 300 Mitgliedern und die Zünfte sicherten sich neben dem Herzog ernst zu nehmende Mitspracherechte in den Stadtangelegenheiten.

Als Heinrich XVI. 1404 seine selbständige Regierung als Landes- und Stadtherr antrat, sah er sich in seiner Residenzstadt mit einer selbstbewussten, über Wohlstand und Reichtum verfügenden Bürgerschaft konfrontiert. Bayern-Landshut bedurfte aber gerade zu diesem Zeitpunkt eines repräsentativen Herrschafts- und Regierungszentrums, um sich als eigenständiges Fürstentum neben den anderen Teilherzogtümern Bayern-München, Bayern-Ingolstadt und Niederbayern-Straubing-Holland dauerhaft zu etablieren und im Zuge der Territorialstaatsbildung konkurrenzfähig zu bleiben. Unmittelbarer Auslöser der Auseinandersetzungen dürfte daher eine seit 1402 umtriebige, Repräsentationszwecken dienende Bautätigkeit Herzog Heinrichs XVI. in seiner Residenzstadt gewesen sein, die das Landshuter Stadtbild noch bis heute prägt. Über deren Finanzierung regte sich spätestens 1408 erster Unmut seitens der Ratsbürger als den eigentlichen Kostenträgern. Der Herzog kam dann wohl einem Aufbegehren der reichen Ratsbürger zuvor und zog deren Vermögen ein, um bei dieser Gelegenheit die leeren Staatskassen zu füllen.

Die Auseinandersetzungen von 1410 waren hingegen verfassungspolitischer Natur. Infolge der Strafmaßnahmen des Herzogs von 1408 machten sich wohl Unmut und Verärgerung breit und ergriffen weite Kreise der Landshuter Bürgerschaft, die in der angeblichen Verschwörung im Röcklturm endeten. Der Herzog kam einem vermeintlichen Aufstand in seiner Residenzstadt ein zweites Mal zuvor. Durch massive Eingriffe in die Stadtverfassung lag die Herrschaft über die Stadt letztendlich wieder in seinen Händen. Heinrich XVI. ging am Ende in seiner Position als Stadtherr gestärkt aus den Landshuter Unruhen von 1408/10 hervor. Es war ihm somit gelungen, die Autonomiebestrebungen in seiner Residenzstadt dauerhaft zu unterbinden und sie seiner fürstlichen Autorität stärker zu unterwerfen.

Die Rolle des Adels

Die oftmals in ihrer Härte überzogen wirkende Vorgehensweise Heinrichs XVI. des Reichen gegen die Landshuter Bürgerschaft wurde meist der Einfachheit halber von den bayerischen Historiografen des 15. und 16. Jahrhunderts auf dessen hitziges Temperament zurückgeführt. Die urkundliche Überlieferung vor allem in den Beständen "Kurbayern" und "Pfalz-Neuburg" des Bayerischen Haupstaatsarchivs in München liefern jedoch Hinweise darauf, dass eine kleine Gruppe adeliger Räte Heinrichs XVI. die herzogliche Entscheidungsfindung in den Landshuter Unruhen mit beeinflusst haben könnte. Die Einflussnahme des Hofmeisters Wilhelm Fraunhofer, des Viztums Ulrich Ecker zu Saldenburg, des Kammermeisters Albrecht Preysing zu Kopfsburg und eventuell des Küchenmeisters Niklas Apfentaler dürfte jedoch nie umfassend gewesen sein und sich auf die Tätigkeit in ihren Ämtern beschränkt haben. Es kann daher nicht von einem Adelsregiment der herzoglichen Räte gesprochen werden, unter deren Einfluss Heinrich XVI. in den Anfangsjahren seiner Regierung angeblich gestanden haben soll, wie es z. B. die Chronisten Andreas von Regensburg (ca. 1380-ca. 1442), Veit Arnpeck (ca. 1440-1496) oder Aventin (1477-1534) darstellten. Dennoch bedrohte vermutlich der Reichtum der Landshuter Patrizier die Vorrangstellung des Landherrenadels am Herzogshof. Als wichtigster Geldgeber des Herzogs und Inhaber der höchsten Ämter bei Hofe hatte der Landherrenadel kein Interesse daran, neu aufstrebende Kräfte wie die städtische Hochfinanz Landshuts in die Nähe des Fürsten und damit in einflussreiche Positionen innerhalb des Herzogtums zuzulassen. Hinzu kamen bereits im Vorfeld Kontroversen mit der Stadt, die unter anderem durch die Vorenthaltung von Gerichtsabgaben den höheren Adel am Herzogshof nicht nur in der Ausübung seiner Herrschaftsrechte als herzogliche Pfleger und Amtleute behinderten, sondern auch mit finanziellen Einbußen verbunden waren. Die herzoglichen Räte nutzten deshalb 1408/10 wohl ihren Einfluss am Herzogshof, um die unliebsame städtische Hochfinanz als Konkurrenz auszuschalten. Möglicherweise müssen daher die Landshuter Unruhen von 1408/10 als erste Vorboten des im Laufe des 15. Jahrhunderts stattfindenden sozialen Differenzierungsprozesses innerhalb der Adelsschicht in Verbindung mit der Abschließung des höheren Ministerialenadels zum Turnieradel gegenüber dem niederen Adel gesehen werden.

Forschungsstand und Quellenlage

Über die Landshuter Ereignisse von 1408/10 informieren vor allem die in kritischen Editionen vorliegenden Chroniken der bayerischen Historiografen des 15. und 16. Jahrhunderts. Als erster Geschichtsschreiber liefert der Augustiner-Chorherr Andreas von Regensburg in seiner um 1420/22 verfassten "Chronica pontificum et imperatorum Romanorum" die wichtigsten Fakten. Auf seiner Darstellung basieren die Berichte Veit Arnpecks, Hans Ebran von Wildenbergs (ca. 1426-1502), Ulrich Fuetrers (gest. 1496) und Aventins. Als problematisch erweist sich jedoch, dass die Beschreibungen der Landshuter Ereignisse aus der Rückschau und zeitlichen Distanz von teilweise mehreren Jahrzehnten erfolgten, worunter die Zuverlässigkeit der historiografischen Berichterstattung leidet und die Korrektheit der Angaben zu Namen und Personen nicht immer gewährleistet ist. Daher sind die einschlägigen Urkundenbestände "Kurbayern" und "Pfalz-Neuburg" des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München sowie die kopiale Überlieferung im Landshuter Stadtbuch des Landshuter Stadtarchivs heranzuziehen, die durch die Arbeiten Herzogs, Rillings, Spitzlbergers, Emslanders und Kaltwassers inzwischen gut erschlossen sind.

Aufgrund des gnadenlosen Vorgehens Heinrichs XVI. des Reichen gegenüber der aufbegehrenden Landshuter Bürgerschaft 1408/10 begründeten Andreas von Regensburg und später Aventin das in der Geschichtswissenschaft bis weit in das 20. Jahrhundert hinein einseitig negativ geprägte Herrscherbild Heinrichs XVI. als "pluetvergiesser" und skrupelloser Gewaltherrscher. Erst in jüngster Zeit kam es durch die Studien von Ziegler, Rilling, Ettelt-Schönewald, Kaltwasser und Glasauer zu einer Neubewertung des Herrscherbildes Heinrichs XVI. des Reichen als betriebsamer Landesherr, der den Grundstein zum Aufstieg des Landshuter Teilherzogtums und zum Reichtum der reichen Herzöge von Bayern-Landshut im 15. Jahrhundert legte.

Literatur

  • Hans Emslander, Der Bau der Heiliggeistkirche und die Differenzen Heinrichs des Reichen mit den Landshuter Bürgern, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 122/123 (1996/97), 33-51.
  • Beatrix Ettelt-Schönewald, Kanzlei, Rat und Regierung Herzog Ludwigs des Reichen von Bayern-Landshut (1450-1479). 2 Bände (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 97/I u. II), München 1996.
  • Bernhard Glasauer, Herzog Heinrich XVI. (1393-1450) der Reiche von Bayern-Landshut. Territorialpolitik zwischen Dynastie und Reich (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 5), München 2009.
  • Theo Herzog, Die Landshuter Bürgerunruhen der Jahre 1408 und 1410, in: Festausgabe zur Landshuter Fürstenhochzeit 1475, Landshuter Zeitung vom 26. Juni 1965, 5-7.
  • Stephanie Rilling, Studien zu Heinrich dem Reichen von Bayern-Landshut. Aspekte der Sanierung des Herzogtums Anfang bis Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 116/117 (1990/1991), 141-208.
  • Georg Spitzlberger, Die Bürgerverschwörung zu Landshut 1408 und 1410, in: Ders. (Hg.), Das Herzogtum Bayern-Landshut und seine Residenzstadt 1392-1503, Landshut 1993, 21-26.
  • Walter Ziegler, Studien zum Staatshaushalt Bayerns in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die regulären Kammereinkünfte des Herzogtums Niederbayern 1450-1500, München 1981.

Quellen

  • Friedrich Roth (Hg.), Des Ritters Hans Ebran von Wildenberg Chronik von den Fürsten aus Bayern (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte Neue Folge 2/1), München 1905 [ND Aalen 1969].

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Karin Kaltwasser, Landshuter Bürgerunruhen, 1408-1410, publiziert am 24.01.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Landshuter_Bürgerunruhen,_1408-1410> (23.04.2024)