Terrorismus
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Unter Terrorismus versteht man die langfristige, gewaltsame Opposition einer gesellschaftlichen Gruppe gegen ein bestehendes politisches System mit dem Ziel, dieses zu destabilisieren und umzuwälzen. Daher wird insbesondere auf Repräsentanten des politischen Systems Gewalt ausgeübt, was die staatliche Autorität untergraben und zu einer breiten Zustimmung der Bevölkerung zur jeweiligen terroristischen Gruppierung führen soll. Der Terrorismus ist eine Form des politischen Extremismus (Rechts-, Linksterrorismus). Bis dato gibt es keine wissenschaftliche Definition des Begriffs "Terrorismus", die international anerkannt würde; die begriffliche Unschärfe zeigt sich u. a. auch in der z. T. synonymen Verwendung der Begriffe "Terrorismus" und "Terror" in den Medien. Die Motivation für terroristische Handlungen entspringt u. a. sozialrevolutionären, ethnisch-separatistischen oder religiösen Motiven. Durch gezielte Gewalt schüren Terroristen Ängste in der Bevölkerung; ein Grund, warum es ihnen nicht gelingt, tatsächlich an die Macht zu gelangen. Gewaltausübung dient ihnen nicht nur als Mittel der Zerstörung und Vernichtung, sondern bildet einen essentiellen Bestandteil ihrer spezifischen Kommunikationsstrategie. Bayern zählte in der Vergangenheit nicht zu den Operationsschwerpunkten von Terroristen. Gleichwohl war der Freistaat bereits mehrmals Schauplatz terroristischer Anschläge, die für Politik und Gesellschaft zum Teil erhebliche Konsequenzen hatten.
Terrorismus: ein undefinierbares Problem?
Terrorismus gehört zu den umstrittensten Begriffen der Politikwissenschaft, für den bis heute keine international anerkannte Definition vorliegt. Einerseits liegt dies an der normativ negativen Konnotation, die in seiner Bedeutung mitschwingt. Für Terroristen selbst ist ihr Aktivismus der Kampf gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung oder Fehlentwicklung. Ebenso wie nicht-gewalttätige Extremisten sehen sie sich daher selbst nie als Terroristen, sondern als legitime Widerstands- und Freiheitskämpfer gegen ein aus unterschiedlichsten Gründen abgelehntes "System". Insofern versuchen sich Terroristen stets den "Schein" der Legitimität anzuhaften, beanspruchen nicht selten den Status einer regulären Gegenarmee und stilisieren sich selbst zu einer "Guerilla", um den Eindruck einer regulär kämpfenden Kombattantentruppe mit weit reichenden Machtbefugnissen, einer eigenen territorialen Basis und nicht zuletzt einer weit reichenden Verankerung und Unterstützung in der Bevölkerung zu erwecken.
Terror und Terrorismus
Die begriffliche Unschärfe wird auch in der öffentlichen Verwendung von benachbarten Begriffen deutlich. In der medialen Berichterstattung mittlerweile ebenso gängig wie unzutreffend ist die Austauschbarkeit von Terror und Terrorismus.
Terror aber ist eine Form der Gewaltausübung durch den Staat, ein Instrument der politischen Eliten, um oppositionelle Bestrebungen zu bekämpfen oder im Keim zu ersticken oder aber die Bevölkerung der rigiden Kontrolle durch die eigenen Geheimdienste oder Polizeien zu unterwerfen, wie es in totalitären Systemen (u. a. Nationalsozialismus, Sowjetunion unter Stalin) üblich ist, um eine umfassende Ideologie umzusetzen.
Terrorismus hingegen ist die langfristige, gewaltsame Opposition einer Gruppe gegen ein politisches System aus der Gesellschaft heraus, um es zu destabilisieren und ein Klima von Angst und Schrecken zu verbreiten. Zwar können die quantitativ schwachen terroristischen Organisationen nicht wie Guerillaarmeen eine offene militärische Konfrontation mit den Truppen des regulären Systems suchen, sondern müssen sich auf eine niedrige Schwelle der militärischen Eskalation einlassen ("low intensity war"). Aus diesem Grund benötigen terroristische Gruppen Medien: Da Terrorismus stets ein Zeichen der Schwäche ist (es fehlt ihnen zum einen an einem Rückzugsterritorium, das nur sie kontrollieren, zum anderen an dem Rückhalt in der Bevölkerung, den gerade Guerillas an den Tag legen), gehen sie ein symbiotisches Verhältnis zu Medien ein. Terroristische Gruppen erscheinen dadurch größer und gefahrvoller; Medien profitieren durch steigende Auflagenzahlen und Einschaltquoten. Auch wenn das "symbiotische Verhältnis" zutiefst asymmetrisch ist (Medien profitieren weitaus mehr von der Verbindung als terroristische Gruppierungen): Durch die enge Kooperation mit Medienstrukturen gelingt es ihnen, über ihre rein quantitative Relevanz hinaus zumindest kurz- und mittelfristig gesellschaftliche Bedeutung zu erlangen.
In der Tat sind so zwar spezifische Gemeinsamkeiten zwischen Terror und Terrorismus, wie die Ausrichtung auf Furcht und Schrecken, auszumachen: Beiden inhärent sind ein Gewaltakt oder zumindest dessen Androhung, eine darauf folgende emotionale Reaktion (Furcht oder Sympathie) und daraus resultierende Verhaltensweisen, die dem eigenen Schutz dienen sollen. Terror aber vermag aufgrund seiner staatlichen Organisation weitaus mehr Todesopfer zu fordern als der im Gegensatz dazu extrem risikobehaftete Terrorismus kleiner Gruppierungen. Während kleine Gruppen daher stets auf Bündnispartner angewiesen sind, kann ein Regime Terror mithilfe einer Ideologie zum Hauptgesetz seines Handelns machen, ohne sich auf die Reaktion aus der Bevölkerung einlassen zu müssen.
Entgegen plakativen Vorstellungen handelt es sich bei dem Phänomen Terrorismus nicht um eine irrationale Vorgehensweise. Ganz im Gegenteil ist der Weg der militanten Opposition und seine inhärente Logik eine bewusste, rationale Entscheidung und folgt einer Nutzenmaximierungslogik und damit dem "rational choice", also einer strikt rationalen und systematischen Vorgehensweise von Individuen, die eine terroristische Strategie anderen Möglichkeiten der Interessenvertretung aus taktischen Gründen Vorrang geben. In terroristischen Gruppierungen wird die Gewalt daher nicht ausschließlich wegen ihres Zerstörungs- und Vernichtungseffektes gebraucht, sondern ist essentieller Bestandteil der langfristigen, im Zuge einer Tatserie ausgeübten terrorismusspezifischen Kommunikationsstrategie.
Der symbolisch-kommunikative Terrorismus, der sich auf extremistische Splittergruppen beschränkt und keine territoriale Basis für seine Aktionen vorweisen kann, hat jedoch keine Möglichkeit, tatsächlich die politische Macht zu übernehmen. Vielmehr erweist er sich, je länger er andauert, als kontraproduktiv zu seinem eigentlichen Anliegen. Er kann keine direkte Verbindung zu seiner Klientel oder zur Bevölkerung knüpfen, da er unter großen Teilen der Menschen, für die er zu kämpfen vorgibt, Furcht und Schrecken durch einen "offensiven Normbruch" verbreitet. Er setzt stattdessen auf den aufklärerischen Effekt seiner "Botschaften", und sein Terrorismus wird daher im Vergleich zur basisorientierten Guerilla zu einer "Verlegenheitsstrategie". In der Tat ist kein Beispiel bekannt, in welchem eine terroristische Organisation ihr Ziel einer gewaltsamen Umwälzung erreicht hätte. Terrorismus kann sich nur darauf beschränken, Angst zu verbreiten; eine tatsächliche Möglichkeit zur Machtübernahme hat er aufgrund seiner faktischen Isolation nicht. Um diese latent vorhandene Furcht vor neuerlichen Aktionen unter der gesamten Bevölkerung zu verbreiten, hat er die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten aufgegeben.
Das kommunikative terroristische Vorgehen
Die terroristische Vorgehensweise ist in ihren Grundzügen kommunikativ. Auf diese Weise versuchen terroristische Organisationen, durch den Schockeffekt ihrer Aktivitäten Angst unter der Bevölkerung zu verbreiten. Besonders relativ gewaltfreie Formen des Zusammenlebens wie die offenen Gesellschaften westlicher Demokratien bieten sich zu einer derartigen Strategie idealtypisch an, da schockierende Attentate wie das rechtsterroristisch motivierte Oktoberfestattentat 1980 in München und Entführungen hier stets größtmögliches öffentliches Interesse hervorrufen. Mit dieser allein negativen Beurteilung der Kommunikationsstrategie ist jedoch nur ein Aspekt terroristischen Handelns beleuchtet, denn Gruppierungen terroristischen Ursprungs sind schon allein aufgrund ihrer quantitativen Schwäche stets auf Gleichgesinnte und Bundesgenossen zum Erreichen ihrer politisch deklarierten Ziele angewiesen. Außerdem ist es daher ihre Absicht, mit den Aktionen ihr Umfeld und die Sympathisanten näher an sich zu binden, indem man sie von der eigenen Schlagkraft überzeugt.
Zum anderen besteht die kommunikative Funktion des Terrorismus in seiner Ausrichtung auf die staatliche Autorität. Es soll verdeutlicht werden, dass es eine militante und quasi-militärische Opposition gibt. Die Betonung des eigenen Aktionismus liegt deshalb für Terroristen auf der Erregung allgemeiner Aufmerksamkeit und der Verankerung in einer breiten Öffentlichkeit. In der Regel hat daher die ausgeübte Gewalt gegen eine Person meist relativ wenig mit ihr selbst als vielmehr mit ihrer symbolischen Funktion zu tun. Der aus der Reaktion des Staates resultierende Verlust an Legitimation soll den Boden bereiten für eine breite Zustimmung zur terroristischen Gruppierung in der Bevölkerung.
Unterscheidung terroristischer Gruppierungen
Zu den Problemen, die bis heute eine anerkannte Definition von Terrorismus verhindert haben, gehört auch die strukturelle Vielfalt und heterogene politische Motivation terroristischer Gruppierungen. Dabei sind mehrere Unterscheidungen gebräuchlich. So ist zunächst zwischen Links- und Rechtsterrorismus zu unterscheiden. Der Rechtsterrorismus zielt auf den Ersatz der bestehenden staatlichen Ordnung durch ein autoritär-faschistisches Staatssystem, seine Anschläge richten sich gegen Bürger ausländischer Herkunft ebenso wie gegen "nationale" Interessen vernachlässigende staatliche Institutionen oder ausländische Militäreinrichtungen. Die Motivationslage für terroristische Aktionen von links differenziert sich in Analogie zum Linksextremismus aus. Linksterroristen ziehen ihre Motivation aus den Strukturfeldern des Antikapitalismus, -imperialismus und des Antirassismus mit all ihren Unterverzweigungen. Originär linksterroristische Gruppierungen zeichnen sich im Gegensatz zu ihrem Pendant dadurch aus, dass sie sich zugunsten eines vermeintlich begünstigten Dritten engagieren. So ermordete die Rote Armee Fraktion (RAF) 1985 in Gauting (Lkr. Starnberg) den Vorsitzenden der Motoren- und Turbinen-Union (MTU), Ernst Zimmermann (1929-1985), und 1986 in Straßlach (Lkr. München) den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts (1930-1986), um damit symbolisch den militärisch-kapitalistischen Apparat der Bundesrepublik zu attackieren, der die Bevölkerung in der Bundesrepublik unterdrücke und weltweit Ungleichgewichte produziere.
Typologie
Ein detaillierterer Einblick in terroristische Motivation eröffnet sich, wenn die Zielstellung mit der zugrunde liegenden Motivation kombiniert wird. So schält sich zunächst erneut eine dichotome Deskription des terroristischen Phänomens heraus. Auf der einen Seite liegen gewaltbereiten Gruppierungen mehrere Streitfragen zugrunde ("multiple-issue-terrorism"), auf der anderen Seite gibt es Aktionisten, die sich in der Regel lediglich auf einen Themenkomplex "spezialisiert" haben, wie zum Beispiel den Kampf für den Tierschutz oder gegen Abtreibung oder die zunehmende Umweltverschmutzung. Auch eine Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsterrorismus nach den jeweiligen politischen Zielen ist möglich. Unter den Organisationen mit vielfältigen Themenbündeln finden sich aber erneute Ausdifferenzierungen, die jahrzehntelang die Terrorismusforschung prägten:
- sozialrevolutionärer Terrorismus
- ethnisch-separatistischer Terrorismus
- religiös motivierter Terrorismus
Sozialrevolutionärer Terrorismus
Zu seinen Zielen gehören politische und gesellschaftliche Veränderungen eines Systems nach den Vorstellungen der russischen Anarchisten des 19. Jahrhunderts, von Karl Marx (1818-1883) oder einer der Folgeideologien (Leninismus, Maoismus, Trotzkismus). Motiv für die angestrebte gewaltsame Veränderung eines Systems ist eine perzipierte soziale oder ökonomische Schieflage, die auf systemkonformem Wege nicht zu beseitigen ist, da der Kapitalismus und die Eliten des Systems eine qualitative Veränderung des Systemcharakters zu verhindern suchen. Propagiert wird darin gegen soziale Schieflagen, gesellschaftliche Verkrustungen, die aus dem im Kapitalismus typischen Gegensatz von Kapital und Arbeit hervorgehen und einen revolutionären Umsturz notwendig machen, da die staatliche Autorität nicht zum Wohle der Gesamtbevölkerung, sondern nur zum Wohle der Bourgeoisie und des Kapitals zu arbeiten scheint. So ist der sozialrevolutionäre Terrorismus insofern "revolutionär", als es um eine Umwälzung der bestehenden staatlichen wie gesellschaftlichen Strukturen geht. Er ist insofern "sozial", als er eine materielle Verbesserung der Situation einer meist ökonomisch unterdrückten oder zumindest benachteiligten Bevölkerungsschicht herbeiführen möchte, welcher die Aktivisten selbst nicht angehören.
Ethnisch-separatistischer Terrorismus
Der ethnisch-separatistische Terrorismus hat gegenüber der sozialrevolutionären Spielart territorialen Charakter. Sein Ziel besteht in der Gründung eines eigenen Staates für eine in einem anderen Staat integrierte Minderheit oder aber zumindest in der Erlangung weitgehender Autonomierechte. Seine Aufmerksamkeit gilt primär der eigenen Klientel, der Minderheit, welche sie als gefährdet ansehen und welcher sie in der Regel selbst entstammen. So kämpfte die baskische ETA (Euskadi ta Askatasuna) für ein freies und selbstbestimmtes Baskenland, die nordirische IRA (Irish Republican Army) für die Abspaltung Nordirlands von Großbritannien und die Wiedervereinigung mit der Republik Irland.
Religiös motivierter Terrorismus
Die älteste Spielart ist der religiös motivierte Terrorismus durch Sekten oder religiöse Gruppierungen. Er bezieht seine Legitimation in der Regel aus transzendenten Glaubensinhalten und ist in allen drei großen monotheistischen Religionen (Christentum, Islam, Judentum) beobachtbar. Idealtypisch religiös sind seine Motive indes nicht; es zeigen sich im Verbund damit weiterführende Motivkomplexe, die im Kampf gegen eine empfundene territoriale (Hamas, Hisbollah, Islamischer Dschihad) oder aber eine kulturelle Unterdrückung (AlQaida) wurzeln. Durch seine gleichzeitige Transzendenz und Verankerung in weiten Teilen der entsprechenden Bevölkerung erweist sich der religiös inspirierte Terrorismus gerade unter fanatisierten Individuen besonders islamistischer Provenienz als ausgesprochen langlebig und integrativ. Dass der religiös motivierte Terrorismus sich dabei in Verquickung mit nationalistischen Motiven als Widerstandspotential von ungeheurer Dimension entpuppt, ist an den palästinensischen Befreiungsbewegungen mit ihren zahlreichen Selbstmordattentaten ebenso nachvollziehbar wie an fundamental-islamistischen Bewegungen.
Weitere Formen des Terrorismus
In der Literatur sind neben diesen drei Idealtypen vereinzelt mehrere weitere Spielarten formuliert worden. So wurden neben sektiererischen Formen des Terrorismus (auf der Grundlage von Offenbarungs- bzw. Verschwörungstheorien fußende Organisationen wie die Christlichen Patrioten in den USA oder die AUM-Sekte in Japan) auch vigilantistische Erscheinungsformen (Organisationen, die ein System zu bewahren oder in anachronistischer Form wieder herzustellen versuchen, indem sie die normativen Regeln des Systems brechen, in den USA etwa der Ku-Klux-Clan, in Lateinamerika die "Todesschwadronen" gegen die "subversive Bedrohung" des Kommunismus besonders in den 1980er Jahren) als vierte Stoßrichtung festgehalten. Die sektiererischen Formen aber sind eher den Geheimbünden oder sogar der religiös motivierten Variante zuzuordnen, während der Vigilantismus im Grunde eine Spielart zwischen Terror und Terrorismus darstellt, da Todesschwadronen nicht selten zwar ohne behördlichen Auftrag handeln, sehr wohl aber die Interessen der staatlichen Autorität vertreten. Vor allem in der modernen terrorismustheoretischen Literatur wird spezifischen Erscheinungsformen Rechnung zu tragen versucht, indem Neologismen den klassischen Definitionsversuchen hinzugefügt werden (so etwa Townshend: Superterrorismus, Narcoterrorismus), die aber freilich keinen Beitrag zur Dekomplizierung des Begriffs darstellen.
Bayern im Fokus des (internationalen) Terrorismus
Obwohl Bayern bislang kein strategisches Zentrum und keinen Operationsschwerpunkt für Terrorismus darstellte, haben sich zahlreiche Anschläge im Freistaat ereignet. Den Auftakt bildete jener auf die israelitische Kultusgemeinde in München im Jahre 1970, bei dem die Urheberschaft noch immer ungeklärt ist. Sowohl Rechtsextremisten, Linksextremisten als auch palästinensische Gruppierungen stehen im Verdacht, an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein. Zumindest in diese Richtung deutet auch der Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972, in deren Verlauf ein palästinensisches Kommando ("Schwarzer September") elf israelische Sportler als Geiseln nahm, die im Verlauf der Geiselnahme und bei der versuchten Befreiung auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck ums Leben kamen.
Acht Jahre später wurde das Münchner Oktoberfest 1980 Ziel eines terroristischen Anschlags mit rechtsextremem Hintergrund. Auch hier bestehen hinsichtlich der Täterschaft weiterhin Zweifel. Während Verfassungsschutzbehörde und Landeskriminalamt von einer Einzeltäterschaft durch den isolierten Rechtsextremisten Gundolf Köhler ausgingen und die Ermittlungen 1982 einstellten, sprachen journalistische Kreise, Angehörige, SPD-Mitglieder, aber auch partiell die Staatsanwaltschaft von Verbindungen zur rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" (WSG Hoffmann; benannt nach ihrem Gründer, dem Nürnberger Neonazi Karl-Heinz Hoffmann [geb. 1937]) und nährten damit den Verdacht auf eine im Untergrund agierende rechtsterroristische Vereinigung. Auch die Erlanger Morde am Rabbiner und Verleger Shlomo Lewin (1911-1980, Vorsitzender der israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg) und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke (1923-1980), Witwe des ehemaligen Erlanger Oberbürgermeisters Michael Poeschke (SPD, 1901-1959, Oberbürgermeister 1946-1959), am 19. Dezember 1980 haben einen rechtsextremen Hintergrund. Der Täter Uwe Behrendt (1952-1981) stand der WSG Hoffmann sehr nahe. Nach seiner Flucht in den Libanon beging Behrendt 1981 Selbstmord und entzog sich damit der Strafverfolgung durch die deutschen Behörden.
In den 1980er Jahren wurden Wirtschaftseliten in Bayern zu Zielscheiben des sozialrevolutionären Terrorismus: Mit den tödlichen Anschlägen auf den Vorsitzenden der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) und Vorsitzenden des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) Ernst Zimmermann (1985) und den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts (1986) verfolgte die Rote Armee Fraktion (RAF) das Ziel, durch eine gezielte Liquidierung von militärischen und politischen Eliten den Kapitalismus gezielt anzugreifen und gleichzeitig eine westeuropäische Front an sozialrevolutionären Organisationen zu unterstützen.
Auch wenn der 11. September 2001 keine konkreten Auswirkungen auf Bayern zeitigte, war die Wirkung der "terrorismustheoretischen Zeitenwende" doch so enorm, dass sich auch Bayern nicht dem globalen Sog an sicherheitspolitischen Maßnahmen entziehen konnte. Auf der einen Seite lag dies an den generellen sicherheitspolitischen Änderungen in der Bundesrepublik Deutschland (Sicherheitspaket I und II), die sowohl das Religionsprivileg im Vereinsrecht aufhoben als auch den bis dahin problematischen Datenaustausch zwischen den Geheimdiensten und Polizeien erheblich erleichterten.
Insgesamt wurde im Rahmen der gesetzgeberischen Reaktionen im Zuge eines Sicherheitspakts der bayerische Justiz- und Polizeiapparat sowohl logistisch als auch personell weitgehend umgebaut. So wurde als Reaktion auf die Anschläge das Bayerische Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BaySÜG) um die Aufgabe des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes erweitert. Dessen Ziel war es, durch Sicherheitsüberprüfungen mögliche Sabotageakte auf lebenswichtige Einrichtungen durch sog. Innentäter zu verhindern.
Zwischen 2000 und 2006 erschütterten die Morde der terroristischen Organisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) an neun türkisch- und griechischstämmigen Personen sowie der Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter (1984–2007) Deutschland und Bayern. Den mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos (1973–2011), Uwe Böhnhardt (1977–2011) und Beate Zschäpe (geb. 1975, geb. Beate Apel) fielen nach bisherigen Erkenntnissen (2013) in München Habil Kılıç (1963-2001), Theodoros Boulgarides (1964-2005) und in Nürnberg Enver Şimşek (1961–2000), Abdurrahim Özüdoğru (1952-2001), İsmail Yaşar (1955-2005) zum Opfer. Das Oberlandesgericht München verhandelt seit dem 6. Mai 2013 die Morde (vgl. dazu Deutscher Bundestag, 2. Untersuchungsausschuss "Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund").
Literatur
- Hellmut Brunn/Thomas Kirn, Rechtsanwälte - Linksanwälte. 1971 bis 1981 - Das Rote Jahrzehnt vor Gericht, Frankfurt am Main 2004.
- Andreas Elter, Propaganda der Tat. Die RAF und die Medien, Frankfurt am Main 2008.
- Bruce Hoffman, Terrorismus. Der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Bonn ungekürzte Ausgabe 2008.
- Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Hamburg 2006.
- Klaus Pflieger, Die Rote Armee Fraktion - RAF. 14.5.1970 bis 20.4.1998, Baden-Baden 3., erweiterte und aktualisierte Auflage 2011.
- Jörg Requate, Gefährliche Intellektuelle? Staat und Gewalt in der Debatte über die RAF, in: Dominik Geppert/Jens Hacke (Hg.), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980, Göttingen 2008, 251-268.
- Louise Richardson, Was Terroristen wollen. Wie Gewalt entsteht und wie wir sie bekämpfen können, Frankfurt am Main 2007.
- Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des "neuen" Terrorismus, Frankfurt am Main 2006.
- Alexander Straßner, Die dritte Generation der "Roten Armee Fraktion". Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation, Wiesbaden 2005.
- Alexander Straßner (Hg.), Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien, Wiesbaden 2008.
- Alexander Straßner, Terrorismus und Generalisierung. Gibt es einen Lebenslauf terroristischer Gruppierungen?, in: Zeitschrift für Politik (ZfP) 4 (2004), 353-384.
- Michael Sturm, Tupamaros München: "Bewaffneter Kampf", Subkultur und Polizei 1969-1971, in: Klaus Weinhauer/Jörg Requate/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren (Campus historische Studien 42), Frankfurt am Main/New York 2006, 99-133.
- Charles Townshend, Terrorismus. Eine kurze Einführung (Reclams Universal-Bibliothek 18301), Stuttgart 2005.
- Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, Hamburg 3., aktualisierte und überarbeitete Auflage 2011.
- Peter Waldmann, Terrorismus und Bürgerkrieg. Der Staat in Bedrängnis, München 2003.
Quellen
Weiterführende Recherche
Externe Links
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Empfohlene Zitierweise
Alexander Straßner, Terrorismus, publiziert am 12.03.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Terrorismus (3.12.2024)