• Versionsgeschichte

Neues Bauen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Neues Bauen)
Otto Ernst Schweizer. (aus: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. 2. Band, Berlin 1931, 1688)

von Wolfram Lübbeke

Bezeichnung für eine Architektur mit stark funktionalem Charakter, die sich ab dem Ersten Weltkrieg deutlich vom Historismus des 19. Jahrhunderts absetzte. Obwohl das konservativ geprägte Bayern nicht zu den Zentren des "Neuen Bauens" gehörte, entstanden hier seit den 1920er Jahren vor allem in den großen Städten zahlreiche exemplarische Bauwerke dieser architektonischen Reformbewegung.

Zum Begriff

Neues Bauen ist ein architekturgeschichtlicher Stilbegriff für die formal und technisch fortschrittliche Architektur nach dem Ersten Weltkrieg. Eine Ausstellung vom Mai 1920 des "Arbeitsrats für Kunst", ein Zusammenschluss wegweisender Architekten, mit dem Titel "Neues Bauen" machte den Begriff öffentlich. Diese Architekturerneuerung läuft auch unter der Bezeichnung "moderne Bewegung" (Leonardo Benevolo, Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1964) oder ist der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Die Begriffskombination Neues Bauen wurde nach den Kriegszerstörungen des Zweiten Weltkriegs erneut für den programmatisch modernen Wiederaufbau und schließlich denkmalpflegerisch-städtebaulich als "Neues Bauen in alter Umgebung" benutzt.

Grundsätze und Merkmale

Das Neue Bauen zielt darauf, die historistisch verdeckende Architektur des 19. Jahrhunderts durch formal funktionalistische und experimentell entwickelte Bautechniken der zeitgenössischen Bauaufgaben abzulösen.

Für die angestrebte Zweckmäßigkeit sollten die Formen theoretisch aus den Funktionen entwickelt werden mit Konstruktionen in Stahlguss, Eisenskelettbau, Beton mit vorgefertigten Elementen, Klinkermauerwerk, Glasrasterflächen und Fensterbändern.

Solche aus der inneren Funktion zweckerfüllte Architektur wurde in der Regel kubisch rechtwinklig organisiert, seltener organisch entwickelt. Das Flachdach war das Konzept, das allgemein als Erkennungsmerkmal dient.

Die Architektur sollte nicht nur harmonisch und rational, sondern auch gesellschaftlich reformierend wirken. Diesen sozialen Ansatz denunzierten die Nationalsozialisten als Kulturbolschewismus und lehnten ihn ideologisch ab, was den Schwierigkeiten der Allgemeinheit mit der neuen Architektur entgegenkam.

Bauaufgaben

Die Bauaufgaben spiegeln die Wandlung des veränderten Lebensgefühls nach dem Ersten Weltkrieg. So zählen neben einzelnen programmatischen Villenbauten vor allem die großen Wohnsiedlungen der notwendigen Wohnungsfürsorge zu den Leistungen des Neuen Bauens. Ebenso wurden wegweisende Verwaltungsbauten, wie für die Post, und Bauten für die Gemeinschaft, wie Krankenhäuser, Sportstätten, Schulen und Kirchen, nach diesen Grundsätzen errichtet und selbstverständlich auch die seit der industriellen Revolution fortschrittlicheren Bauten der Arbeit, des Verkehrs und Anlagen der Elektrizitätsversorgung.

Entwicklung und Verbreitung

Die Tradition des Neuen Bauens reicht auch in Bayern vor den Ersten Weltkrieg zurück und ist unter dem Schlagwort „die andere Tradition“ bekannt gemacht worden. Das Neue Bauen kann daher nicht unmittelbar in Zusammenhang mit der Weimarer Republik gesetzt werden.

Reichsweit wurde das Neue Bauen durch die Gründung des Bauhauses, 1926 als staatliche Hochschule von Anhalt anerkannt, und durch die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ 1927 in Stuttgart als architektonisches Phänomen publik. In München und Bayern kam es trotz konservativer Grundstimmungen zu Bauwerken, die in Auseinandersetzung mit früherem Bauen doch formal und technisch Grundsätze des Neuen Bauens aufgriffen. Unter dem Oberbegriff Neue Sachlichkeit sind in der bayerischen Denkmalerfassung zahlreiche Werke aus dem breiten Strom der traditionell-orientierten Architektur herausgestellt worden. Solche herausragenden Bauten finden sich vor allem in den Großstädten München, Augsburg, Nürnberg, Würzburg, Fürth aber auch in kleineren Städten wo Wohnbauten und öffentliche Gebäude benötigt wurden.

Architekten und Werke

Die bekanntesten Namen deutscher Architekten sind:

Für Bayern sind beispielhaft die folgenden Architekten mit Werken zu nennen:

Theodor Fischer (1862-1938) Siedlung Alte Heide (ab 1919), erste strenge Zeilenanlage Münchens, sowie das Ledigenheim für Männer, München, als sozialfürsorgender, kubisch gegliederter Klinkerbau (1925-1927)
Peter Feile (1899-1972) Weiße Flachdachhäuser in Würzburg (ab 1928)
Thomas Wechs (1893-1970) Sachliche, auf das Erforderliche beschränkte Wohnanlagen Schuberthof (1928-1930) und Lessinghof (1930-1931) in Augsburg
Robert Vorhoelzer (1884-1954) Postbauten in München (radikalste bayerische Beispiele des Neuen Bauens) und zahlreiche weitere exemplarische Postbauten der Postbauschule in ganz Bayern
Otto Ernst Schweizer (1890-1965) Milchhof (1930, 2008 bis auf das Verwaltungsgebäude abgebrochen) und das Stadion mit Stadionbad (1927-1928) (Beispiele seines Architekturkonzeptes der Großform) in Nürnberg
Stadtbaurat Hermann Herrenberger (1881-1953) Krankenhaus der Klassischen Moderne (1928/1931) in Fürth
Walter Brugmann (1887-1944) Hochspannungsstation (1926/27) in Nürnberg
Fritz Landauer (1883-1968) Villenbauten (1930/31) in Augsburg und Fürth
Robert Erdmannsdorffer(1888-1968) Haus der Volksbildung in Ansbach (1929/1930) und Frauenklinik in Nürnberg (1928/1930)
Heinrich Zierl (1885-1950) Krankenhaus in Schweinfurt (1929/1930; abgebrochen 2011)

Für Neues Bauen nach dem Zweiten Weltkrieg sind folgende Bauten hervorzuheben:

Sep Ruf (1908-1982) Akademie der Bildenden Künste und Gobelinmanufaktur in Nürnberg an der Bingstraße (1952/54 bzw. 1959/61) und Bungalows in Gmund am Tegernsee (Landkreis Miesbach) (1952/55 bzw. 1954/55)


Literatur

  • Florian Aicher/Uwe Drepper, Robert Vorhoelzer - Ein Architektenleben. Die klassische Moderne der Post (Ausstellung Münchner Stadtmuseum - Deutsches Postmuseum, Frankfurt am Main), München 1990.
  • Immo Boyken, Otto Ernst Schweizer 1890-1965. Bauten und Projekte, Stuttgart 1996.
  • Die andere Tradition. Architektur in München von 1800 bis heute (Katalog Ausstellungsreihe der Bayerischen Rück „Erkundigungen“), München 2. Auflage 1982.
  • Norbert Huse, Neues Bauen 1918 bis 1933. Moderne Architektur in der Weimarer Republik, Berlin 2. Auflage 1985. (Intelligenteste Analyse des Neuen Bauens in Deutschland, die allerdings ohne Bayern auskommt)
  • Ulrich Kerkhoff, Eine Abkehr vom Historismus oder ein Weg zur Moderne: Theodor Fischer, Stuttgart 1987.
  • Sabine Klotz, Fritz Landauer (1883-1968). Leben und Werk eines jüdischen Architekten (Schriftenreihe des Architekturmuseums Schwaben 4), Berlin 2001.
  • Lexikon der Kunst. 5. Band, Leipzig 1993, 153-155, s.v. Neue Sachlichkeit, Neues Bauen.
  • Wolfram Lübbeke, Haus der Volksbildung, Promenade 29, Ansbach (Dokumente der Architektur des 20. Jahrhunderts), in: Der Architekt 12 (1984), 534.
  • Günter Meißner u.a. (Hg.), Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker, 115 Bde., München/Leipzig (bis 2010) u. Berlin (ab 2010), 1983-2022. Darin:
    • Bd. 40, 411(Theodor Fischer);
    • Bd. 83, 73 (Fritz Landauer);
    • Bd. 102, 353 (Ernst Otto Schweizer);
    • Bd. 114, 73 (Robert Vorhoelzer);
    • Bd. 115, 244 (Thomas Wechs).
  • Winfried Nerdinger (Hg.), Thomas Wechs 1893-1970. Ein Architekt der Moderne in Schwaben (Schriftenreihe des Architekturmuseums Schwaben 6), Berlin 2005.
  • Winfried Nerdinger, Theodor Fischer. Architekt und Städtebauer 1862-1938 (Ausstellungskatalog der Architektursammlung der Technischen Universität München und des Münchner Stadtmuseums 7), Berlin 1988.
  • Tanja Poppelreuter, Das Neue Bauen für den Neuen Menschen. Zur Wandlung und Wirkung des Menschenbildes in der Architektur der 1920er Jahre in Deutschland (Studien zur Kunstgeschichte 171), Hildesheim/Zürich/New York 2007.
  • Manfred Schlösser, Arbeitsrat für Kunst 1918-1921. Ausstellung mit Dokumentation (Katalog der Akademie der Künste Berlin), Berlin 1980. (Zum Anfang des Neuen Bauens)
  • Suse Schmuck, Der Architekt Peter Feile (1899-1972). Neue Sachlichkeit in Würzburg. Ausstellung 11.3.2005 - 8.4.2005 im Haus der Architektur, Waisenhausstraße 4, München, München 2005.
  • Suse Schmuck, Das Alte Krankenhaus (Hefte für Schweinfurt, Heft 1), Würzburg 2011.
  • Suse Schmuck, Die Lerchenhainsiedlung (Hefte für Würzburg, Heft 2), 2. geringfügig veränderte Auflage Würzburg 2018.
  • Suse Schmuck, Vorbild Bauhaus – eine Spurensuche (Hefte für Würzburg kompakt, Heft 1), Würzburg 2019.
  • Bruno E. Werner, Neues Bauen in Deutschland, München 1952. (Vorstellung von Architekturbeispielen des "Neuen Bauens" nach dem Zweiten Weltkrieg)

Quellen

  • Hugo Häring, Neue Baukunst, in: Wasmuth's Lexikon der Baukunst. 3. Band, Berlin 1931, 675-676.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Wolfram Lübbeke, Neues Bauen, publiziert am 11.05.2006 (aktualisierte Version 25.01.2022); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Neues_Bauen> (28.03.2024)