Untersuchungsausschüsse
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Parlamentarisches Kontrollgremium, das besondere Sachverhalte, meist Missstände, aufklären soll. Die Reichsverfassung von 1871 kannte das ursprünglich aus der englischen Parlamentspraxis stammende Gremium nicht, die Weimarer Reichsverfassung von 1919 verankerte das Untersuchungsrecht des Parlaments als Minderheitsrecht erstmals in Art. 34. Der Begriff selbst entstand im Februar 1919 während der Beratungen des Staatenausschusses unter Hugo Preuß (1860-1925) nach Vorarbeit von Max Weber (1864-1920). Auch die bayerischen Verfassungen von 1919 (Art. 52) und 1946 (Art. 25) verankerten den Untersuchungsausschuss als parlamentarisches Gremium, ebenso das Grundgesetz von 1949 (Art. 44). Im Vergleich der Länder ist der Bayerische Landtag seit 1946 das Parlament, das am häufigsten zu diesem Instrument gegriffen hat.
Heutige Funktion und Bedeutung
Die Untersuchungsausschüsse werden oft als das "schärfste Schwert" des Parlaments bezeichnet, was insofern berechtigt ist, als sie zumindest vom Grundsatz her das wirksamste Instrument parlamentarischer Kontrolle gegenüber der Staatsregierung und der staatlichen Verwaltung darstellen. Entsprechend der Strafprozessordnung, nach welcher diese Ausschüssen arbeiten, kann ein Untersuchungsausschuss Beweise erheben, Zeugen und Sachverständige vorladen, vernehmen und beeidigen; nötigenfalls kann er auch das Zeugniszwangsverfahren gegen sie durchführen. Die Gerichts- und Verwaltungsbehörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse um Beweiserhebung Folge zu leisten und müssen diesen auf Verlangen ihre Akten vorlegen (Art. 25 Abs. 3 BV). Wie alle Ausschüsse des Bayerischen Landtags verhandeln auch seine Untersuchungsausschüsse grundsätzlich öffentlich, die Öffentlichkeit muss jedoch auf Verlangen von zwei Dritteln der Mitglieder ausgeschlossen werden (Art. 25 Abs. 5 BV).
Verfassungsrechtliche Absicherung in Art. 25 der Bayerischen Verfassung von 1946
Entsprechend ihrer großen Bedeutung sind die Untersuchungsausschüsse verfassungsrechtlich abgesichert. Artikel 25 der Bayerischen Verfassung bestimmt, dass der Landtag das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht hat, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Seit der Verfassungsänderung vom 20. Februar 1998, die die Rechte der Opposition stärkte, wechselt bei jedem neuen Untersuchungsausschuss das Recht auf den Vorsitz entsprechend der Stärke der Fraktionen; bis dahin stellte nur die Mehrheitsfraktion den Ausschussvorsitzenden. Zudem definiert Artikel 25 die Kompetenzen des Untersuchungsausschusses und stellt sicher, dass die Minderheit nicht übergangen werden kann. So verlangt er, dass die oben genannten Instrumente auf Antrag von mindestens einem Fünftel der Ausschussmitglieder angewandt werden müssen. Kontroversen über die Zulässigkeit solcher Anträge werden vom Plenum entschieden, gegen dessen Beschluss wiederum der Bayerische Verfassungsgerichtshof angerufen werden kann (Art. 25 Abs. 4 BV). Die Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Bestimmungen regelt das Gesetz über die Untersuchungsausschüsse des Bayerischen Landtags. Im Übrigen gelten für diese die allgemeinen Bestimmungen über die ständigen Ausschüsse.
Schwächere Position der Ausschussminderheit in der Verfassung von 1919
Da die Kontrolle der Exekutive grundsätzlich das Vorrecht des Souveräns ist, konnte der Landtag in der Zeit der Monarchie, als die Souveränität beim König lag, keine Untersuchungsausschüsse einsetzen.
Diese Befugnis räumte ihm - nach der Weimarer Reichsverfassung - erstmals die Verfassung des Freistaats Bayern von 1919 ein (§ 52 Abs. 2). Deren § 52 Abs. 2 bestimmte, dass der Landtag auf Antrag von mindestens einem Fünftel seiner Mitglieder „Ausschüsse zur Untersuchung von Tatsachen“ zu „ernennen“ habe. Diese waren berechtigt, die Dienste staatlicher und gemeindlicher Behörden in Anspruch zu nehmen, konnten die Untersuchungen aber auch selbst durchführen. Bei diesen Erhebungen fanden die Vorschriften der Strafprozessordnung sinngemäß Anwendung. Das Weitere blieb der Regelung durch die Geschäftsordnung vorbehalten, welche für die Bildung und Tätigkeit der Untersuchungsausschüsse im Wesentlichen die selben Vorschriften in Anwendung brachte wie für die übrigen Ausschüsse. Eine Besonderheit war, dass Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nur dann beraten werden durften, wenn sie zuvor auf die Tagesordnung gesetzt waren (Geschäftsordnung nach den Beschlüssen vom 9.3.1923 und 1.8.1924, § 18). Damit sollte ein Missbrauch dieses Antragsrechts verhindert bzw. eingeschränkt werden. Im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung hatte die Ausschussminderheit in Bayern nach der Bamberger Verfassung eine schwächere Position, da ihre Rechte auf den Vorgang der Ausschusseinsetzung beschränkt waren. Sie konnte keine Beweisanträge stellen; das Votum der Ausschussminderheit musste nicht publiziert werden.
Bewertung
Waren die Rechte der Opposition im Enqueterecht der Bamberger Verfassung noch eingeschränkt, so wurden sie in der Verfassung von 1946 sowie durch die Verfassungsreform von 1998 gestärkt. Der Minderheitenbericht wird zusammen mit dem Schlussbericht des Untersuchungsausschusses publiziert. Neben der Kontrolle durch Öffentlichkeit, die durch die meist intensive Presseberichterstattung gewährleistet ist, liegt die zentrale Bedeutung der Untersuchungsaussschüsse in diesen Berichten, die Wirken und Ergebnisse ihrer Arbeit dokumentieren. Waren die Untersuchungsausschüsse der 1980er Jahre, die sich mehrfach mit dem persönlichen und beruflichen Beziehungsgeflecht von Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU, 1915-1988) befassten, noch weitgehend ohne konkrete Ergebnisse, so zeigt sich gerade in den letzten Jahren, dass der durch die Untersuchungsausschüsse entstandene öffentliche Druck wiederholt zu personellen Konsequenzen führte. Gerade in Bayern hat sich das Enqueterecht mit mehr als 50 Untersuchungsausschüssen seit 1946 zu einem wichtigen parlamentarischen Instrument der Opposition entwickelt; kein deutsches Landesparlament hat seit Kriegsende mehr Untersuchungsausschüsse eingesetzt als der Bayerische Landtag.
Name | Zeitraum | Datierung der Schluss- und Minderheitenberichte | Abdruck der Berichte | Besonderheiten |
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Untersuchungsausschuss betreffend die aktenmäßige Nachprüfung der Eisnerschen Enthüllungen | eingesetzt auf Antrag der BVP am 14. August 1919, fortgesetzt 1921 | Kurzbericht des Berichterstatters vom 8. Februar 1922 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1921/22, Beilage Nr. 2259 | Der Abschlussbericht wurde den Abgeordneten gesondert zugesandt und anschließend als "Bayerische Dokumente zum Kriegsausbruch" durch Pius Dirr zu Ostern 1922 herausgegeben. |
Untersuchungsausschuss zur Untersuchung der Vorgänge vom 1. Mai 1923 in München und der gegen Reichs- und Landesverfassung gerichteten Bestrebungen in Bayern vom 26. September bis 9. November 1923 | 31. Juli 1924-27. April 1928 | Schlussbericht vom 23. März 1928 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1927/28, Beilage Nr. 3737 | Separate Publikation des SPD-Minderheitsvotums in Anonym (= Wilhelm Hoegner), Hitler und Kahr. Die bayerischen Napoleonsgrößen von 1923. |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Vorgänge im Landesentschädigungsamt | 25. April 1951-20. Januar 1954, eingesetzt auf Antrag der Bayernpartei | Schlussbericht vom 10. Dezember 1953 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1953/54, Beilage Nr. 5128 | "Auerbach-Affäre"; zeitgleich Strafverfahren gegen den Leiter des Landesentschädigungsamtes, Philipp Auerbach; er begeht nach dem Urteil im August 1952 Selbstmord |
Untersuchungsausschuss zur Überprüfung der Vorgänge um die Erteilung der Spielbankenkonzessionen | 27. Oktober 1955-7. Mai 1957, eingesetzt auf Antrag der CSU | Schlussbericht vom 7. Mai 1957, Minderheitenbericht vom 10. Mai 1957 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Beilage Nr. 2551 | "Spielbankenaffäre"; im Zuge der Affäre zerfiel 1959 die Bayernpartei (BP) |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Durchführung des Staatsvertrages zur Vergabe von Studienplätzen | 29. Januar 1976-27. März 1980, eingesetzt bzw. 1979 wieder eingesetzt auf Antrag der SPD | Schluss- und Minderheitenbericht vom 7. Februar 1980 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1978/82, Drucksache Nr. 3971 | |
Untersuchungsausschuss zum Verhalten vom Herrn Staatssekretär Sackmann und Herrn Ministerialrat Dr. Dörrbecker im Zusammenhang mit Vorgängen um die Firmengruppe Glöggler | 27. Januar 1977-15. März 1978, eingesetzt auf Antrag der SPD | Schlussbericht vom 1. Februar, Minderheitenbericht vom 9. März 1978 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1974/78, Drucksache Nr. 7578 | |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung aller Vorgänge beim Bau der Trabantenstadt Neuperlach infolge der Einschaltung der nicht gemeinnützigen "Terrafinanz" und der "Neuen Heimat" durch die Landeshauptstadt München in der Amtszeit des ehemaligen Oberbürgermeisters Dr. Hans Jochen Vogel | 23. März 1983-23. Februar 1984, eingesetzt auf Antrag der CSU | Schluss- und Minderheitenbericht vom 15. Februar 1984 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1982/86, Drucksache Nr. 3015 | |
Untersuchungsausschuss "Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf" | 11. Dezember 1985-24. Juli 1986, eingesetzt auf Antrag der SPD | Schlussbericht vom 1. Juli 1986, Minderheitenbericht vom 14. Juli 1986 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags, Drucksache Nr. 10914 | |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung des Vorgehen der zuständigen Finanzbehörden (Finanzamt München für Körperschaften, Oberfinanzdirektion München, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen) im Zusammenhang mit der Besteuerung des Wienerwald-Konzerns | 13. Dezember 1989-19. Juli 1990, eingesetzt auf Antrag der SPD | Schlussbericht vom 10. Juli 1990, Minderheitenbericht vom 13. Juli 1990 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1986/90, Drucksache Nr. 17394 | |
Untersuchungsausschuss betreffend Bayerische Bezüge der Tätigkeit des Bereichs "Kommerzielle Koordinierung" und Alexander Schalck-Golodkowski | 23. Oktober 1991-13. Juli 1994, eingesetzt auf Antrag der SPD | Schluss- und Minderheitenbericht vom 6. Juli 1994 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1990/94, Drucksache Nr. 16598 | |
Untersuchungsausschuss betreffend das Verhalten von Mitgliedern der Staatsregierung | 5. Mai 1993-20. Juli 1994, eingesetzt auf Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP | Schlussbericht vom 18. Juli 1994, Minderheitenbericht vom 14. Juli 1994 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1990/94, Drucksache Nr. 16728 | "Amigo-Untersuchungsausschuss"; während der Untersuchungen Rücktritt von Ministerpräsident Max Streibl (27.5.1993) |
Untersuchungsausschuss zum Beziehungsgeflecht in Bayern zwischen Politikern und Steuerschuldnern - "Steuerfälle" | 24. November 1993-14. Juli 1994, eingesetzt auf Antrag der SPD | Schlussbericht vom 6. Juli 1994, Minderheitenbericht vom 11. Juli 1994 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1990/94, Drucksache Nr. 16599 | Im Zentrum der Untersuchung stand der "Steuerfall Zwick"; Rücktritt des stellv. CSU-Parteivorsitzenden Gerold Tandler während der Ermittlungen |
Untersuchungsausschuss betreffend Aufklärung der Tätigkeit bayerischer Behörden in Fälle von Nuklearkriminalität | 26. Oktober 1995-23. Oktober 1997, eingesetzt auf Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen | Schlussbericht vom 23. Oktober 1997, Minderheitenbericht vom 28. November/10. Dezember 1997 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1994/98, Drucksache Nr. 9583 | "Plutonium-Affäre" |
Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorgänge, die bei der Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern mbH (LWS) zu bisher bekannt gewordenen Verlusten von annähernd 400 Mio. DM geführt haben | 28. Oktober 1999-9. Mai 2001, eingesetzt auf Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen | Schluss- und Minderheitenbericht vom 3. April 2001 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1998/2003, Drucksache Nr. 6270 | "LWS-Untersuchungsausschuss"; zuvor Rücktritt von Justizminister Alfred Sauter |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung etwaiger unzulässiger staatlicher Einflussnahme seitens bayerischer Amtsträger auf die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Karlheinz Schreiber, Max Josef Strauß, Dr. Ludwig-Holger Pfahls, Dieter Holzer, Walther Leisler Kiep, Jürgen Maßmann, Winfried Haastert und Dr. Erich Riedl | 15. Februar 2001-18. Juli 2002, eingesetzt auf Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen | Schlussbericht vom 9. Juli 2002, Minderheitenbericht vom 16. Juli 2002 | Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1998/2003, Drucksache Nr. 10000 | "Schreiber-Untersuchungsausschuss" |
Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Frage, inwieweit Staatsministerin Hohlmeier über Vorgänge in der CSU, die dem Landeswahlgesetz in Verbindung mit der CSU-Satzung zuwiderliefen und/oder eine Verletzung des Strafgesetzbuches darstellen, informiert war und ggf. diese nicht verhinderte oder sogar aktiv unterstützte | seit 16. Dezember 2004, eingesetzt auf Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen | "Hohlmeier-Untersuchungsausschuss"; während der Untersuchung Rücktritt von Kultusministerin Monika Hohlmeier |
Literatur
- Walter Holzapfl, Die verfassungsrechtliche Stellung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bayern unter besonderer Berücksichtigung der Parlamentspraxis seit 1946, Diss. masch. München 1953.
- Peter Jakob Kock, Der Bayerische Landtag. Eine Chronik, München 5. Auflage 2006, insb. 514-521. [Übersicht über sämtliche Untersuchungsausschüsse 1946-2006]
- Jürgen Plöhn, Untersuchungsausschüsse der Landesparlamente als Instrumente der Politik (Sozialwissenschaftliche Studien 26), Opladen 1991. [Vergleichende Untersuchung, die auch Bayern ausführlich berücksichtigt]
Quellen
- Die Abschlussberichte der Untersuchungsausschüsse sind in den Beilagenbänden bzw. Drucksachen der Stenographischen Berichte des Bayerischen Landtags für den betreffenden Jahrgang abgedruckt.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
Untersuchungsausschuss, Enqueterecht, Enquetekommission
Empfohlene Zitierweise
Dirk Götschmann, Untersuchungsausschüsse, publiziert am 23.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Untersuchungsausschüsse> (7.12.2024)