Steuerautonomie der Länder: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Datei:Steuern in DE.jpg|thumb|Gemeinschaftliche Steuern in der Bundesrepublik Deutschland: Bund, Länder und Gemeinden 2017. Zahlen nach: Statistisches Bundesamt, Statistik über das Steueraufkommen 2017. (Grafik: Bernhard von Zech-Kleber)]] <span class="author-pretext"> | [[Datei:Steuern in DE.jpg|thumb|Gemeinschaftliche Steuern in der Bundesrepublik Deutschland: Bund, Länder und Gemeinden 2017. Zahlen nach: Statistisches Bundesamt, Statistik über das Steueraufkommen 2017. (Grafik: Bernhard von Zech-Kleber)]] <span class="author-pretext"> | ||
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Bis 1918 lag die Steuerhoheit fast ausschließlich bei den Ländern. 1919/20 gingen Gesetzgebungshoheit und Steuerverwaltung weitestgehend an das Reich über; die Steuerertragshoheit wurde zwischen Reich und Ländern aufgeteilt. Im sog. Dritten Reich lag die Steuerhoheit ausschließlich beim Reich. Bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes gingen die Steuergesetzgebung auf die Alliierten, Steuerverwaltung und Steuerertragshoheit auf die Länder über. Die Alliierten beharrten auf einer im Wesentlichen einheitlichen Steuergesetzgebung. Das Grundgesetz gestaltete 1949 die Aufteilung der Kompetenzen im Bereich der Steuern in der Tradition eines Unitarismus mit föderalen Elementen der Weimarer Republik. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer sind nach Art. 106 Abs. 3 GG Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern, wobei an Einkommens- und Umsatzsteuer auch die Gemeinden beteiligt werden. Des Weiteren gibt es Steuern, deren Aufkommen alleine dem Bund (z. B. Zoll, Kapitalverkehrsteuer) oder alleine den Ländern (z. B. Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Biersteuer) zustehen. Den Ländern obliegt seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, die Kirchensteuer festzusetzen und zu erheben. Die Gemeinden erhalten das Aufkommen aus Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis (z. B. Hunde-, Schankerlaubnis-, Vergnügungs-, Zweitwohnungsteuer) und den Hebesätzen der bundesgesetzlich geregelten Realsteuern (Gewerbesteuer, Grundsteuer). Seit 2006 können die Länder zudem den Steuersatz der Grunderwerbsteuer selbst festsetzen. | Bis 1918 lag die Steuerhoheit fast ausschließlich bei den Ländern. 1919/20 gingen Gesetzgebungshoheit und Steuerverwaltung weitestgehend an das Reich über; die Steuerertragshoheit wurde zwischen Reich und Ländern aufgeteilt. Im sog. Dritten Reich lag die Steuerhoheit ausschließlich beim Reich. Bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes gingen die Steuergesetzgebung auf die Alliierten, Steuerverwaltung und Steuerertragshoheit auf die Länder über. Die Alliierten beharrten auf einer im Wesentlichen einheitlichen Steuergesetzgebung. Das Grundgesetz gestaltete 1949 die Aufteilung der Kompetenzen im Bereich der Steuern in der Tradition eines Unitarismus mit föderalen Elementen der Weimarer Republik. Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer sind nach Art. 106 Abs. 3 GG Gemeinschaftssteuern von Bund und Ländern, wobei an Einkommens- und Umsatzsteuer auch die Gemeinden beteiligt werden. Des Weiteren gibt es Steuern, deren Aufkommen alleine dem Bund (z. B. Zoll, Kapitalverkehrsteuer) oder alleine den Ländern (z. B. Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Biersteuer) zustehen. Den Ländern obliegt seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, die Kirchensteuer festzusetzen und zu erheben. Die Gemeinden erhalten das Aufkommen aus Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis (z. B. Hunde-, Schankerlaubnis-, Vergnügungs-, Zweitwohnungsteuer) und den Hebesätzen der bundesgesetzlich geregelten Realsteuern (Gewerbesteuer, Grundsteuer). Seit 2006 können die Länder zudem den Steuersatz der Grunderwerbsteuer selbst festsetzen. | ||
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== Entwicklungslinien der Steuerhoheit der Länder bis 1945 == | == Entwicklungslinien der Steuerhoheit der Länder bis 1945 == | ||
Bis 1918 lag die Steuerhoheit in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen (Zölle, Schaumweinsteuer) so gut wie ausschließlich in den Händen der Gliedstaaten des Deutschen Reiches. Sie hatten das Recht der Steuergesetzgebung wie auch die Ertragshoheit. Ihnen flossen die Steuererträge zu, die ihre Behörden einnahmen (örtliches Aufkommen). In der Weimarer Republik änderte sich dies infolge der [[Reichsfinanzreform (Weimarer Republik)|Erzbergerschen Finanzreform]] grundlegend (1919/20, benannt nach dem damaligen Reichsfinanzminister [[Person:11853100X|Matthias Erzberger]] | Bis 1918 lag die Steuerhoheit in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen (Zölle, Schaumweinsteuer) so gut wie ausschließlich in den Händen der Gliedstaaten des Deutschen Reiches. Sie hatten das Recht der Steuergesetzgebung wie auch die Ertragshoheit. Ihnen flossen die Steuererträge zu, die ihre Behörden einnahmen (örtliches Aufkommen). In der Weimarer Republik änderte sich dies infolge der [[Reichsfinanzreform (Weimarer Republik)|Erzbergerschen Finanzreform]] grundlegend (1919/20, benannt nach dem damaligen Reichsfinanzminister [[Person:11853100X|Matthias Erzberger]]{{#set:PND=11853100X}} [1875-1921]; u. a. Landessteuergesetz, 30.03.1920). Die Gesetzgebungshoheit wurde – abgesehen von Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis – an das Reich übertragen. Ebenfalls vom Reich übernommen wurde die Steuerverwaltung. Die Steuerertragshoheit wurde hingegen zwischen Reich und Ländern geteilt: Teils flossen die Erträge der Steuern entweder ausschließlich dem Reich oder den Ländern zu (Trennsystem), teils erhielten Reich und Länder prozentual festgelegte Anteile am Aufkommen bestimmter Steuern (Verbundsystem). So flossen den Ländern und Gemeinden zwei Drittel der Erträge der Einkommen- und Körperschaftsteuer, 20 % der Erbschaftsteuer, 50 % der Grunderwerbsteuer und 10 % der Umsatzsteuer zu. Mit der Gleichschaltung und Entmachtung der Länder im NS-Staat (1934) waren auch alle Formen der föderalen Finanzaufteilung obsolet. | ||
== Neugliederung der Steuerhoheit durch die Besatzungsmächte 1945 == | == Neugliederung der Steuerhoheit durch die Besatzungsmächte 1945 == | ||
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Anders sah es mit der Steuerverwaltung und der Steuerertragshoheit aus. Da das Reich nicht mehr existierte, übernahmen die Länder die Steuerverwaltung, soweit in der britischen Zone nicht die Finanzleitstelle in Hamburg einige der früheren Funktionen des Reiches übernahm. Im Zuge der Verschmelzung der britischen und amerikanischen Besatzungszone zum [[Vereinigtes Wirtschaftsgebiet (VWG)|Vereinigten Wirtschaftsgebiet]] ("Bizone") 1947 verlor die Finanzleitstelle aber ihre Bedeutung. Neben der Steuerverwaltung fiel den Ländern auch die Steuerertragshoheit zu. Grundsätzlich erhielt ein Land die Steuern, die von seinen Finanzbehörden erhoben wurden. Dies führte zu erheblichen Problemen, denn die mit [[Flüchtlinge und Vertriebene|Flüchtlingen]] besonders be- und überlasteten Länder (Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) hatten teilweise nur sehr geringe Steuereinnahmen (1947: Bayern 301 RM pro Einwohner, Hessen 285 RM, Niedersachsen 256 RM, Schleswig-Holstein 233 RM) zu verzeichnen, hingegen konzentrierten sich die Einnahmen aus Einfuhrzöllen und aus Verbrauchsteuern auf importierte Güter (Kaffee, Tee, Tabak) in den Seehäfen Bremen und Hamburg (Bremen 680 RM, Hamburg 1.078 RM). Dieses Problem konnte erst nach Verabschiedung des [[Grundgesetz (GG)|Grundgesetzes]] 1949 gelöst werden. | Anders sah es mit der Steuerverwaltung und der Steuerertragshoheit aus. Da das Reich nicht mehr existierte, übernahmen die Länder die Steuerverwaltung, soweit in der britischen Zone nicht die Finanzleitstelle in Hamburg einige der früheren Funktionen des Reiches übernahm. Im Zuge der Verschmelzung der britischen und amerikanischen Besatzungszone zum [[Vereinigtes Wirtschaftsgebiet (VWG)|Vereinigten Wirtschaftsgebiet]] ("Bizone") 1947 verlor die Finanzleitstelle aber ihre Bedeutung. Neben der Steuerverwaltung fiel den Ländern auch die Steuerertragshoheit zu. Grundsätzlich erhielt ein Land die Steuern, die von seinen Finanzbehörden erhoben wurden. Dies führte zu erheblichen Problemen, denn die mit [[Flüchtlinge und Vertriebene|Flüchtlingen]] besonders be- und überlasteten Länder (Bayern, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) hatten teilweise nur sehr geringe Steuereinnahmen (1947: Bayern 301 RM pro Einwohner, Hessen 285 RM, Niedersachsen 256 RM, Schleswig-Holstein 233 RM) zu verzeichnen, hingegen konzentrierten sich die Einnahmen aus Einfuhrzöllen und aus Verbrauchsteuern auf importierte Güter (Kaffee, Tee, Tabak) in den Seehäfen Bremen und Hamburg (Bremen 680 RM, Hamburg 1.078 RM). Dieses Problem konnte erst nach Verabschiedung des [[Grundgesetz (GG)|Grundgesetzes]] 1949 gelöst werden. | ||
Gleichwohl nutzten Länder in der [[US-Besatzungszone|amerikanischen]] und französischen Besatzungszone das Fehlen einer zentralen deutschen Autorität, um eigene Steuergesetze zu erlassen. Hierbei schritt Bayern voran, in dem es unter [[Staatsministerium der Finanzen|Finanzminister]] [[Person:118748297|Fritz Schäffer]] | Gleichwohl nutzten Länder in der [[US-Besatzungszone|amerikanischen]] und französischen Besatzungszone das Fehlen einer zentralen deutschen Autorität, um eigene Steuergesetze zu erlassen. Hierbei schritt Bayern voran, in dem es unter [[Staatsministerium der Finanzen|Finanzminister]] [[Person:118748297|Fritz Schäffer]]{{#set:PND=118748297}} ([[Christlich-Soziale Union (CSU)|CSU]], 1888-1967, Ministerpräsident und Finanzminister 1945, Bundesfinanzminister 1949-1957) ab dem 1. September 1945 eine "Notabgabe" in Höhe von 25 % auf alle zu versteuernden Einnahmen erhob. Die verbleibenden 75 % unterlagen weiterhin der Einkommensteuer. Bereits zum 1. November 1945 wurden Freistellungen und Freibeträge eingeführt. Aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 7 wurde diese Steuer nach nur drei Monaten wieder eingestellt, weil es eine zusätzliche Einkommensteuer war und damit eine gleichartige Steuer wie eine "reichsweit" – wie man damals noch sagte - bestehende. | ||
== Versuche einer Neustrukturierung bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes == | == Versuche einer Neustrukturierung bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes == | ||
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=== Grunderwerbsteuer === | === Grunderwerbsteuer === | ||
Etwas komplizierter liegen die Dinge bei der Grunderwerbsteuer. Seit 1919 war sie eine "kräftig sprudelnde" Reichssteuer. Die wesentlichen bis heute geltenden Strukturen datieren aus dem Reichsgrunderwerbsteuergesetz von 1940. Das Grundgesetz übertrug 1949 die Gesetzgebungskompetenz den Ländern, wodurch das Reichsgesetz als Landesrecht fortgalt. Erst 1962 begannen die Länder, das alte Gesetz zu modifizieren oder zu ersetzen. Die Grundstruktur wurde aber nicht geändert, sondern die Länder nutzten ihre Kompetenz, um unter Beibehaltung des hergebrachten Steuersatzes von sieben | Etwas komplizierter liegen die Dinge bei der Grunderwerbsteuer. Seit 1919 war sie eine "kräftig sprudelnde" Reichssteuer. Die wesentlichen bis heute geltenden Strukturen datieren aus dem Reichsgrunderwerbsteuergesetz von 1940. Das Grundgesetz übertrug 1949 die Gesetzgebungskompetenz den Ländern, wodurch das Reichsgesetz als Landesrecht fortgalt. Erst 1962 begannen die Länder, das alte Gesetz zu modifizieren oder zu ersetzen. Die Grundstruktur wurde aber nicht geändert, sondern die Länder nutzten ihre Kompetenz, um unter Beibehaltung des hergebrachten Steuersatzes von sieben % zahlreiche Ausnahmetatbestände wie begrenzte Steuerbefreiungen für den Erwerb oder Kauf von selbstgenutztem Wohneigentum oder für den sozialen Wohnungsbau zu schaffen. Das führte dazu, dass nach der Finanzreform von 1969, die den Ländern die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz wieder entzog, Klage über die Rechtszersplitterung geführt wurde. Durch Befreiungstatbestände waren etwa 80 % des Immobilienumsatzes steuerbefreit. Außerdem galt die Steuer wegen der zahlreichen Ausnahmen als besonders verwaltungsintensiv. | ||
Seit 1971 wurden in einer Bund-Länder-Kommission Veränderungsmöglichkeiten diskutiert. Die parlamentarischen Beratungen verzögerten sich aber, weil der Bundesgesetzgeber die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechtes abwarten musste. Eine Gesetzesvorlage wurde dann im Dezember 1979 eingebracht. Das Bundesgesetz von 1983 sah in Anlehnung an das Gesetz von 1940 eine wesentliche Vereinfachung des Gesetzes, insbesondere die Streichung der zahlreichen Ausnahmen, vor. Der Steuersatz wurde auf zwei | Seit 1971 wurden in einer Bund-Länder-Kommission Veränderungsmöglichkeiten diskutiert. Die parlamentarischen Beratungen verzögerten sich aber, weil der Bundesgesetzgeber die 6. EG-Richtlinie zur Harmonisierung des Umsatzsteuerrechtes abwarten musste. Eine Gesetzesvorlage wurde dann im Dezember 1979 eingebracht. Das Bundesgesetz von 1983 sah in Anlehnung an das Gesetz von 1940 eine wesentliche Vereinfachung des Gesetzes, insbesondere die Streichung der zahlreichen Ausnahmen, vor. Der Steuersatz wurde auf zwei % gesenkt. | ||
== Finanzreform 1969 == | == Finanzreform 1969 == | ||
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