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Rucker-Plan, 1956

Aus Historisches Lexikon Bayerns

August Rucker bei der Deutschen Erfinder- und Neuheiten-Messe, 2.-17. Juni 1951. (Bayerische Staatsbibliothek München, Sammlung Timpe)
Dr. Wilhelm Hoegner. (Foto: Bayerische Staatskanzlei)
Waldemar von Knoeringen. (aus: Handbuch der 3. Wahlperiode, Bayerischer Landtag)

von Norbert Lehning

Mit dem nach dem bayerischen Kultusminister August Rucker benannten "Rucker-Plan" sollte die Bildungslandschaft in Bayern nachhaltig verändert werden. Bedarfe in wichtigen Bereichen des Bildungswesens wurden erhoben und Maßnahmen für eine diesbezügliche Entwicklungsplanung erstellt. Zu den zentralen Bereichen gehörten neben dem gesamten Schulwesen auch die Pflege von Kunst und Kultur sowie die Erwachsenenbildung. Politische Veränderungen verhinderten die Umsetzung des Planes. Seine Grundprinzipien wurden aber ab Anfang der 1960er Jahre wieder aufgegriffen und beeinflussten die weitere Entwicklung der bayerischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik in den Folgejahren erheblich.

Zielsetzung und Konzeption

Am 8. November 1956 legte der Kultusminister der "Viererkoalition" (SPD, BP, FDP, GB/BHE, 1954-1957) Prof. Dr. August Rucker (1900-1978, seit 1947 Professor für städtisches Ingenieurbauwesen und Städtebau an der TH München, seit 1951 Rektor der TH) einen "Bedarfsplan für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre und des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses und dessen vorbereitende Ausbildungsstufen in Bayern" dem Landtag vor. Die Presse prägte unmittelbar nach Veröffentlichung des Bedarfsplans die Bezeichnung "Ruckerplan". Mit diesem Plan versuchte das Kultusministerium, zwei Problemkreise integrativ zu behandeln: Zum einen sollte auf die seit Jahren bestehende Notlage des Bayerischen Schulwesens mit Hilfe eines Gesamtplans reagiert werden. So waren z. B. zum Schuljahr 1955/56 immer noch 75 % der Gymnasiasten der Landeshauptstadt München vom Schichtunterricht betroffen. Zum anderen galt es, Antwort auf die jüngste Diskussion über den Mangel an technisch qualifiziertem Nachwuchs zu geben. Die Sicherung des wissenschaftlich-technischen Nachwuchses wurde parteiübergreifend im Kontext des Ost-West-Konflikts als grundsätzliches Anliegen des Staates verstanden. Bereits im Frühjahr 1956 hatte man daher begonnen, für eine langfristige Planung umfangreiche Erhebungen durchzuführen. Ziel des "Ruckerplans" war es, den wissenschaftlichen Rückstand Bayerns möglichst rasch aufzuholen. So sollte z. B. die Zahl der Studierenden an den bayerischen Ingenieurschulen von 5.558 im Jahr 1956 bis 1960 auf mindestens 8.300 gesteigert werden. In den "Ruckerplan" einbezogen wurde somit der gesamte Ausbildungsbereich von den Universitäten, Akademien und Instituten über die Ingenieurschulen und das gesamte Schulwesen bis zur Begabtenförderung über den Zweiten Bildungsweg. Der Bedarfsplan war nach folgenden Bereichen aufgeschlüsselt:

  1. Wissenschaft und technische Ausbildung (untergliedert in Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Sammlungen und Bibliotheken sowie Technische Ausbildung)
  2. Vorbereitende Ausbildungsstufen (untergliedert in Volks- und Berufsschulen, Höhere und Mittelschulen, Abendschulen und Begabtenzuführung)
  3. Aufwendungen im Rahmen der Ländergemeinschaft

Umsetzungs- und Finanzierungsvorhaben

Für die Erfüllung des Bedarfsplans wurde ein Zeitraum von zehn Jahren angesetzt, wobei bestimmte vordringliche Maßnahmen bereits innerhalb von fünf Jahren verwirklicht werden sollten. Die Mittelbeschaffung sollte nach einer Anlaufzeit geringeren Bedarfs stetig ihrem Höchstwert zustreben, um dann am Ende des Dezenniums langsam wieder abzusinken, wobei die Möglichkeit eines zweiten Bedarfsplans geringerer Leistung am Ende der Periode von Anfang an einkalkuliert wurde. Insgesamt veranschlagte der "Ruckerplan" für die anvisierten zehn Jahre eine deutliche Steigerung des Kultusetats um jährlich 343,3 Mio. DM, was bei einem Staatsetat von 3,4 Mrd. DM im Jahre 1956 ein Plus von 10 % bedeutet hätte. Bewusst priorisierte man zugunsten einer offenen Planung keine der Maßnahmen von vornherein. Dennoch wurden als erste grobe Schwerpunkte der Wiederaufbau der Schulgebäude der staatlichen Höheren Schulen, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Ausbau der Ingenieurschulen und die Ordnung und Verstärkung des Stipendienwesens benannt. Die Aufstellung selbst unterschied, entsprechend den haushaltsrechtlichen Unterteilungen, zwischen ständigen und einmaligen Aufwendungen.

Politische Reaktion und Folgewirkung

Die Reaktionen auf den Bedarfsplan waren sehr unterschiedlich. Die Koalitionsparteien (SPD, BP, FDP, GB/BHE) und viele Institutionen, Verbände und Personen insbesondere aus dem Bereich des Bildungssektors begrüßten den Plan. Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD, 1887-1980, Ministerpräsident 1945-1946, 1954-1957) und der SPD-Vorsitzende Waldemar Freiherr von Knoeringen (1906-1971, Parteivorsitzender 1947-1963) warben eindringlich für den vorgestellten Plan, zumal sie den Faktor Bildung auch unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachteten - eine Koppelung, die später allgemeine Gültigkeit erringen sollte. Auch Presse und Öffentlichkeit - z. T. weit über Bayern hinaus - sprachen sich positiv über den "Ruckerplan" aus und lobten ihn wie die Frankfurter Rundschau als "kühnes Projekt". Grundsätzlich anders beurteilte die oppositionelle CSU den "Ruckerplan": Sie sah ihn als finanziell nicht realisierbar an. Als Reaktion darauf übergab Kultusminister Rucker am 30. Januar 1957 dem Landtag eine Broschüre mit dem Titel "Was will der Ruckerplan?", um den Bedarfsplan ausführlich zu erläutern und unter anderem auch Stellung zur Finanzierbarkeit zu beziehen.

Zwar verhinderte der Regierungswechsel von 1957 die konkrete Umsetzung des ersten bayerischen Bedarfsplans, aber angesichts seiner Folgewirkungen ist der "Ruckerplan" als einer der bedeutendsten Impulse für die bildungspolitische Arbeit der damaligen Zeit anzusehen. Ministerpräsident Hoegner kündigte bereits im Vorfeld des "Ruckerplans" an, das Thema der technischen Nachwuchssicherung bei der Ministerpräsidentenkonferenz am 3./4. Mai 1956 in Bad Pyrmont/Niedersachsen zur Sprache zu bringen. Dies bildete den Startschuss zur Bildung des Wissenschaftsrates sowie für die erste Bedarfserhebung auf bundesdeutscher Ebene. Des Weiteren erstellte Staatsminister Rucker noch im selben Jahr im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) einen Bericht über die Maßnahmen aller Länder zur Sicherung und Ausbildung des technischen Nachwuchses, in dem Vorausberechnungen des zukünftigen Bedarfs an Technikern und Ingenieuren vorgenommen wurden.

Im Februar des Folgejahres versuchte die Kultusministerkonferenz, eine entsprechende gemeinsame Bedarfsübersicht für alle Sachgebiete der Kultusverwaltungen zu erstellen, der das Schema des "Ruckerplans" zugrunde gelegt wurde. Auf der anschließenden Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Februar bis 1. März 1957 in Wiesbaden, in der beide Erhebungen diskutiert wurden, wurde zwar die Notwendigkeit einer langfristigen Vorausschätzung anerkannt, die Veröffentlichung der ersten umfassenden Bedarfserhebung unterblieb jedoch angesichts der eruierten Bedarfszahlen. Deren Höhe schien zunächst erschreckend und geradezu utopisch. Eine Einschätzung, die sich bereits wenige Jahre später radikal änderte, da die Bedarfszahlen durch die tatsächliche Entwicklung der Kulturausgaben der Länder bestätigt wurden. Damit wurde die erste bundesdeutsche Bedarfserhebung wie der bayerische "Ruckerplan" auf Eis gelegt. Offensichtlich war die Zeit sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene noch nicht reif für derartige bildungspolitische Planungskonzeptionen.

Erst 1962 wurden die Anregungen der 1950er Jahre und die inzwischen im Ausland gemachten Erfahrungen umgesetzt und erneut eine Bedarfsfeststellung über die vordringlichsten Fragen des Schulwesens, der Lehrerbildung, der Wissenschaft und Forschung sowie der Kunst- und Kulturpflege einschließlich der Erwachsenenbildung durchgeführt und 1963 abgeschlossen. Das Ergebnis war die am 14. März 1963 veröffentlichte Bedarfsfeststellung der KMK für die Jahre 1961 bis 1970, die gewissermaßen den Auftakt des Planungszeitalters im bundesdeutschen Bildungswesen darstellte. Der Planungsgedanke, wie ihn etliche Jahre zuvor der bayerische Kultusminister Rucker initiiert hatte, hatte nun in der Bildungspolitik endgültig Fuß gefasst.

Bedeutung und Würdigung

Nicht nur die Einführung eines generellen Planungsverständnisses im Bildungswesen muss mit dem Namen Rucker verbunden werden, sondern auch die grundsätzliche konzeptionelle Fassung der späteren konkreten Einzelpläne. So wiesen diese wie bereits der "Ruckerplan" eine weitgehend offene Planungskonzeption auf, um insbesondere auf finanztechnisch bedingte Veränderungen entsprechend reagieren zu können. Dem Grundprinzip der offenen Planung sollte dann schließlich auch der Schulentwicklungsplan von 1963 folgen, der maßgeblich für den Ausbau der höheren Schullandschaft Bayerns bestimmend werden sollte. Die Bedeutung des "Ruckerplans" von 1956 liegt daher insbesondere in seiner geistigen Weichenstellung und Impulskraft. Darüber hinaus belegt der "Ruckerplan", dass die Diskussion um die Technologielücke nicht erst - wie in der Fachwissenschaft oft gemutmaßt - eine Folge des Sputnik-Schocks von 1957 oder des Mauerbaus von 1961 war. Zwar steigerten beide Ereignisse sicherlich die Angst der westlichen Staaten, vom technischen Fortschritt im Osten überholt zu werden; die grundsätzliche Debatte hierüber wie auch die Diskussion über die notwendige Umgestaltung des Schulwesens waren jedoch älter. Gleichzeitig gilt es damit aber auch den Anachronismus zu beseitigen, die Diskussion über den Bildungsnotstand in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) sei ein reines Produkt der 1960er Jahre. Zwar sollte die Formel von der bundesdeutschen "Bildungskatastrophe" des Bildungsexperten Georg Picht (1913-1982, Leiter der Forschungsstätte der Evangelischen Schulgemeinschaft in Heidelberg und Mitglied im Deutschen Ausschuss) tatsächlich erst in den 1960er Jahren ihren allgemeingültigen Schlagwortcharakter erhalten; die dazugehörende Diskussion hatte jedoch ihre Wurzeln bereits in den 1950er Jahren und ist maßgeblich mit dem Namen Rucker verbunden.

Literatur

  • Olaf Bartz, Der Wissenschaftsrat. Entwicklungslinien der Wissenschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1957, Stuttgart 2007.
  • Karl-Ulrich Gelberg, Die Viererkoalition, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 4. Band, 1. Teil: Das neue Bayern von 1800 bis zur Gegenwart, München 2. Auflage 2003, 817-837.
  • Norbert Lehning, Bayerns Weg in die Bildungsgesellschaft. Das höhere Schulwesen im Freistaat Bayern zwischen Tradition und Expansion 1949/50-1972/73 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 153), München 2006.
  • Winfried Müller/Ingo Schröder/Markus Mößlang, "Vor uns liegt ein Bildungszeitalter". Umbau und Expansion - das bayerische Bildungssystem 1950 bis 1975, in: Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hg.), Bayern im Bund. 1. Band: Die Erschließung des Landes 1949 bis 1973 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 52), München 2001, 273-355.
  • Bernhard Taubenberger, Licht übers Land. Die bayerische Viererkoalition (1954-1957), München 2002.

Quellen

  • Der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus (Hg.), Was will der Rucker-Plan? Erläuterungen zu dem am 8. November 1956 vorgelegten "Bedarfsplan für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre und des wissenschaftlichen und technischen Nachwuchses und dessen vorbereitende Ausbildungsstufen in Bayern", München 1957.
  • Karl-Ulrich Gelberg (Bearb.), Quellen zur politischen Geschichte Bayerns in der Nachkriegszeit. 1. Band: 1944-1957, München 2002.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Ruckerplan, Bedarfsplan zur Förderung von Wissenschaft und Forschung

Empfohlene Zitierweise

Norbert Lehning, Rucker-Plan, 1956, publiziert am 24.04.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Rucker-Plan,_1956> (16.10.2024)