Kommission für bayerische Landesgeschichte
Aus Historisches Lexikon Bayerns
1927 gegründete Forschungseinrichtung zur Geschichte Bayerns, die seit 1961/63 fest mit der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verbunden ist. Vorstände der Kommission sind im Regelfall die Inhaber des Lehrstuhls für bayerische Landesgeschichte an der Universität München. Die Kommission gibt wichtige Zeitschriften, darunter die Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (ZBLG), mehrere Schriftenreihen und Quelleneditionen heraus. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Grundlagen- und Langzeitforschung (u. a. Historischer Atlas von Bayern). Prägend waren die Kommissionsvorsitzenden Max Spindler (1894-1986) und Karl Bosl (1908-1993) sowie Andreas Kraus (1922-2012).
Geschichte
Nachdem bereits 1858 bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften eine Historische Kommission eingerichtet worden war, die auch die bayerische Geschichte mitbetreute, schien die Gründung einer eigenen landesgeschichtlichen Kommission zunächst nicht von besonderer Dringlichkeit. Sigmund von Riezler (1843-1927), der führende Landeshistoriker Bayerns um 1900, besaß eine persönliche Abneigung gegen jede Art von organisatorischer Verbindung. So dauerte es, nicht zuletzt als Folge des 1. Weltkrieges, bis 1927, ehe auf Initiative von Michael Doeberl (1861-1928), des damaligen Münchner Lehrstuhlinhabers für Bayerische Geschichte, auch im Freistaat eine staatlich geförderte Institution zur Erforschung der Landesgeschichte gegründet wurde. Die Kommission für bayerische Landesgeschichte sollte durch eine intensivierte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte Bayerns den föderalen Gedanken im Freistaat und im Reich stärken.
Nach 1933 stand dieses Ziel jedoch im Widerspruch zur nationalsozialistischen Ideologie, die die mehr als tausendjährige staatliche Tradition Bayerns ignorierte. Von der Vorstandschaft der Kommission waren in dieser Zeit Georg Leidinger (1870-1945) dem protestantisch-nationalen, Otto Riedner (1879-1937) dem katholisch-konservativen und Karl Alexander von Müller (1882-1964) dem neuen nationalen Lager zuzurechnen. Unter den Mitgliedern gab es sowohl Opfer als auch Aktivisten und Profiteure des NS-Regimes. Der Erlanger Historiker Bernhard Schmeidler (1879-1959) blieb trotz seiner 1935 erfolgten Entfernung aus dem Dienst aktives Mitglied der Kommission. Der Münchner Archivar Ivo Striedinger (1868-1943) wurde 1939 zum ordentlichen Mitglied gewählt, vom Ministerium wegen der Ehe mit einer Nichtarierin jedoch nicht ernannt. Dem Nationalsozialismus nahe standen hingegen Bartholomäus Eberl (1883-1960) und Josef Franz Knöpfler (1877-1963). Insgesamt konnte der wissenschaftliche Standard der Kommissionsveröffentlichungen in dieser Zeit gewahrt werden. Die Kommission gehörte nicht der Reichsschrifttumskammer an.
Die Nachkriegszeit wurde geprägt vom 1. Vorsitzenden Max Spindler (1894-1986), der, bestärkt von Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (SPD, 1887-1980), die staatspolitische Bedeutung der bayerischen Landesgeschichte betonte und die beiden Großprojekte "Historischer Atlas von Bayern" und "Historisches Ortsnamenbuch" in Angriff nahm. Unter der Vorstandschaft von Karl Bosl (1908-1993) öffnete sich die Kommission seit 1960 zunehmend Fragestellungen der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Heute sieht sie es als ihre Aufgabe, beide Traditionslinien unter Berücksichtigung aktueller Forschungsimpulse weiterzuentwickeln. Dem Aufschwung der Geschichtswissenschaft entsprechend wurde die Publikationstätigkeit in den 1960er und 1990er Jahren stark ausgeweitet. Seitdem erscheinen pro Jahr etwa 20 Bände.
Organisation
Die Kommission wurde 1927 durch ministerielle Verordnung errichtet und war der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zunächst nur in lockerer Form zur Abwicklung des vom Freistaat zugewiesenen Haushalts angeschlossen. Seit 1961/63 ist die Kommission ein Teil der Akademie. Die Tätigkeit der Vorstandschaft und der gegenwärtig 60 Mitglieder, bei denen es sich zumeist um die an den bayerischen Universitäten tätigen Landeshistoriker sowie um die Direktoren der Archive, Bibliotheken, Museen und Staatssammlungen handelt, ist ehrenamtlich. Führten die Vorsitzenden in den ersten Jahrzehnten die Amtsgeschäfte von ihrer Dienststelle aus, so verfügt die Kommission seit 1951 über fest angestellte Mitarbeiter, die im Nordflügel der Münchner Residenz untergebracht sind. Aufgabe der gegenwärtig sechs hauptamtlichen Wissenschaftler ist neben eigener Forschungstätigkeit die redaktionelle Betreuung der Kommissionspublikationen sowie die organisatorische und inhaltliche Begleitung der zahlreichen freien Mitarbeiter an den einzelnen Forschungsprojekten.
Die 1938 entstandene Landesstelle für Volkskunde beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege wurde der Kommission 1962 als "Institut für Volkskunde" angegliedert. Am Institut sind gegenwärtig drei wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt.
Zur Gesellschaft für fränkische Geschichte und zur Schwäbischen Forschungsgemeinschaft (Augsburg) unterhält die Kommission freundschaftliche Beziehungen.
Aufgaben
Hauptaufgabe der Kommission ist "die Förderung und Zusammenfassung der planmäßigen Erforschung und Bearbeitung der bayerischen Landesgeschichte" (Satzung § 2). Gegenstand ihrer Tätigkeit sind alle Epochen von der Vor- und Frühgeschichte bis zur Zeitgeschichte. Ihrem Selbstverständnis als Forschungseinrichtung entsprechend konzentriert sie sich dabei auf die Erstellung und Drucklegung wissenschaftlicher Grundlagenwerke.
Als zentrale Projekte werden der "Historische Atlas von Bayern" und das "Historische Ortsnamenbuch von Bayern" herausgegeben. Dazu arbeitet man eng mit den Lehrstühlen und Professuren für bayerische Landesgeschichte zusammen, wo die meisten Bände als Dissertationen erstellt werden. Das gilt besonders für das personell eng mit der Kommission verflochtene Institut für Bayerische Geschichte an der Universität München. In den drei Abteilungen Altbayern, Franken und Schwaben streben die Hauptunternehmen eine flächendeckende Beschreibung des staatsbayerischen Gebietes unter historischen, landeskundlichen und namengeschichtlichen Gesichtspunkten an.
Zudem betätigt sich die Kommission auf dem Gebiet der Quellenedition, wobei die Akzente zunächst im Mittelalter lagen, da die Kommission die bereits 1899 begründete Neue Folge der "Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte" von der Historischen Kommission übernahm. Verstärkt seit den 1990er Jahren werden Schwerpunkte aber auch in der Neuzeit und in der Zeitgeschichte gesetzt.
Zur Förderung der wissenschaftlichen Diskussion gibt die Kommission drei Zeitschriften heraus, die zu den führenden Organen ihres Faches zählen:
- Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (seit 1927)
- Bayerische Vorgeschichtsblätter (begründet 1921/22, 1931/32 von der Kommission übernommen)
- Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1950 begründet, 1962 mit dem Institut für Volkskunde übernommen)
Ein weiterer Arbeitsbereich ist die Veröffentlichung herausragender Untersuchungen zur bayerischen Geschichte in insgesamt 15 Reihen, deren bekannteste die "Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte" (seit 1929) ist.
Die Kommission betreibt Groß- und Langzeitforschung in allen Bereichen der Landesgeschichte. Sie veranstaltet in Abständen wissenschaftliche Tagungen und strebt die Bereitstellung von Arbeitshilfsmitteln für alle Interessierten an. In diesem Sinne öffnete sie sich auch frühzeitig den modernen Medien und ist führend an der Bayerischen Landesbibliothek Online (BLO) beteiligt.
Amtszeit | Lebensdaten | Weitere Funktionen | |
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Michael Doeberl | 1927-1928 | 1861-1928 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Otto Riedner | 1928-1929 (komm.) | 1879-1937 | Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, München |
Georg Leidinger | 1929-1945 | 1870-1945 | Direktor der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, München |
Albert Rehm | 1946 (komm.) | 1871-1949 | Professor für klassische Philologie und Pädagogik, LMU München |
Max Spindler | 1946-1959 | 1894-1986 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Karl Bosl | 1960-1977 | 1908-1993 | Professor für bayerische Landesgeschichte LMU München |
Andreas Kraus | 1978-1994 | 1922-2012 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Walter Ziegler | 1994-1998 | geb. 1937 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Alois Schmid | 1999-2014 | geb. 1945 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Ferdinand Kramer | seit 2014 | geb. 1960 | Professor für bayerische Landesgeschichte, LMU München |
Literatur
- Alois Schmid, "Fontes historiae Bavaricae". Die Editionstätigkeit der Kommission für bayerische Landesgeschichte, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Erlanger Editionen. Grundlagenforschung durch Quelleneditionen: Berichte und Studien (Erlanger Studien zur Geschichte 8), Erlangen/Jena 2009, 101-118.
- Alois Schmid, Die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 2005, München 2006, 53-60.
- Alois Schmid, Landesgeschichte in Bayern. Versuch einer Bilanz (Hefte zur bayerischen Landesgeschichte 4), München 2005.
- Wilhelm Volkert, Die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften, in: Wilhelm Volkert/Walter Ziegler (Hg.), Im Dienst der bayerischen Geschichte: 70 Jahre Kommission für bayerische Landesgeschichte 50 Jahre Institut für Bayerische Geschichte (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 111), München 2. Auflage 1999, 21-103.
Quellen
Weiterführende Recherche
Externe Links
Verwandte Artikel
- Gesellschaft für fränkische Geschichte
- Institut für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen (IKON)
Empfohlene Zitierweise
Alois Schmid, Kommission für bayerische Landesgeschichte, publiziert am 26.03.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kommission_für_bayerische_Landesgeschichte (14.12.2024)