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Ernährung (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Barbara Kink

Qualität, Quantität und Zusammensetzung der Nahrung war im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit vor allem eine Frage der sozialen Zugehörigkeit. Der kirchliche Kalender strukturierte die Essgewohnheiten für alle Bevölkerungsschichten. Sozial schwache Schichten hatten aufgrund der für Nahrungsmittel aufzubringenden Kosten oftmals Schwierigkeiten, sich angemessen zu versorgen. Durch das Witterungsgeschehen und Naturkatastrophen ausgelöste Hungerkrisen führten immer wieder zu Unterversorgung. Die jahrhundertelang nur wenig veränderten Ernährungsgewohnheiten wandelten sich erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und im Zuge der einsetzenden Industrialisierung.



Die Aufnahme von Nahrung zählt zu den existenziellen Grundbedürfnissen des Menschen. Diesem weiten Feld kann man sich aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen annähern, da Ernährung volkskundliche, religiöse, wirtschafts-, sozial- und alltagshistorische, soziologische, aber auch ökotrophologische Dimensionen besitzt. Als ernstzunehmender Forschungsgegenstand fand das Thema erst relativ spät Eingang in die Geschichtswissenschaft. Karl Lamprecht (1856-1915), der in seiner Zeit als Außenseiter der historischen Zunft galt, gab früh entscheidende kultur- und wirtschaftshistorische Impulse. Die französische Strukturgeschichtsschreibung nahm diese Fragestellungen auf und machte sie seit 1929 mit den "Annales" als Sprachrohr in weiteren Kreisen publik. In Deutschland rezipierte man die französische Kulturhistoriographie verstärkt erst nach 1968. Insbesondere die Ernährung spielte im Rahmen der Alltagsgeschichte und als Faktor der "longue durée" eine wichtige Rolle.

Ernährungsgewohnheiten von nicht industrialisierten und traditionellen agrarischen Gesellschaften weisen ein hohes Maß an Beharrungsvermögen auf. Dennoch hatten regionale Besonderheiten des Anbaus von Feldfrüchten und der Viehhaltung Einfluss auf die Ernährung. Abgesehen von einigen regionalen Besonderheiten - beispielsweise dem verstärkten Anbau von Knoblauch um Nürnberg, dem Anbau von Wein in fränkischen Gebieten oder von Hopfen in der Hallertau - orientierten sich Ernährungsmuster vor allem an den spezifischen Boden- und Klimagegebenheiten einer Region und nicht an Grenzen. Eine weitere Tatsache, die für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit generell gilt, ist: Weniger regionale als soziale Zugehörigkeiten entschieden über die Zusammensetzung, Qualität und Quantität der Nahrung, die auf den Tisch kam.

Quellen

Küchenmeisterey, erstes gedrucktes deutsches Kochbuch. Dargestellt ist ein Rezept für die Füllung von Krapfen und der Anfang eines Rezepts für Krapfenteig. (Bayerische Staatsbibliothek, Inkunabeldruck Inc.c.a. 464 m, fol. C III recto)

Es gibt eine Vielfalt von unterschiedlichen Zugangsweisen zur mittelalterlichen Esskultur: Die Bandbreite reicht von der Auswertung städtischer Latrinen (ein berühmter bayerischer Fund ist der Latrinenfund im ehemaligen Spitalbereich von Windsheim, den Hermann Heidrich [geb. 1949] ausgewertet hat) über literarische Zeugnisse oder Rezeptsammlungen bis zu aussagekräftigen zeitgenössischen bildlichen Darstellungen. So erfahren wir etwa im Versepos "Helmbrecht" Wernher des Gärtners, das im 13. Jahrhundert in Bayern entstanden ist, von einem bäuerlichen Festessen: "Ein Kraut, viel kleine geschnitten, feist und mager in beiden Sorten, ein gut Fleisch lag dabei, ein feister Käs, ferner eine feiste Gans am Spieße gebrachten, michel und groß, gleich einem Trappen, dann ein gebrachtenes und versottenes Huhn." Die sicherlich reichhaltigsten Auskünfte über das Ernährungsverhalten geben schriftliche Quellen wie klösterliche Speisepläne, Rezeptbücher – das erste gedruckte deutsche Kochbuch erschien etwa 1486 in Nürnberg anonym unter dem Titel "Kuchenmeysterey" –, Haushaltsbücher, Verpflegungsordnungen für Hospitäler, Ehaltenordnungen oder Übergabeverträge, in denen die Ernährung der Austrägler einen wichtigen Punkt bildete. Ein weiteres Beispiel ist die älteste deutsche Rezeptsammlung, das "buch von guter spise", das 1348 im Umfeld des Würzburger Bischofs entstanden ist. Auch in Predigten - u. a. Bertholds von Regensburg (ca. 1210-1272) - wird, wenn auch oft in überspitzter Form, die Ernährung thematisiert, wenn beispielsweise der bekannte barocke Prediger und Salzburger Stadtkaplan Christoph Selhamer (ca. 1635-1708) im ausgehenden 17. Jahrhundert von der Kanzel verkündete: "Ihr Bauern seid arm [...] euer gantze Kost besteht in ungeschmaeltznen Wasserschnallen [Wassersuppen], in saurem Kraut, in schwartzem häbernem, wohl auch gantz kleiernem Brod".

Getreide: wichtigster Kalorienlieferant

Der überwiegende Teil der Bevölkerung ernährte sich von den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die jeweils jahreszeitlich und lokal verfügbar waren. Getreide war der wichtigste Kalorienlieferant und wurde in Form von Brot, einer Vielzahl von Mehlspeisen ("Küchel" und "Nudeln") sowie Getreidebreien konsumiert. Dabei wurden in Bayern vor allem die weniger anspruchsvollen Getreidesorten Roggen (sog. Korn), Dinkel (sog. Feesen oder Kern) und Gerste angebaut und verzehrt. Gegessen wurde das ganze Korn. Stark ausgesiebte Feinmehlprodukte aus dem sog. Mundmehl wie Weißbrot, Semmeln oder süßes Feingebäck waren den adeligen und wohlhabenderen städtischen Konsumentenkreisen vorbehalten. Während der immer wieder auftretenden Hungerkrisen wurde das Brot mit gemahlenen Kastanien, Wurzeln, Rüben und kleingeheckseltem Stroh gestreckt.

Kraut und Rüben

Neben dem "täglich Brot" bzw. Getreide war es vor allem das durch Milchsäuregärung relativ einfach zu konservierende Sauerkraut, das als Vitamin-C-Spender eine wichtige Bedeutung in der Ernährung besaß. Die Weißkrautpflanzen, die bereits seit der Bronzezeit nachweisbar sind, zog man zunächst im Wurzgarten und pflanzte sie dann auf den zu den Dörfern gehörigen Krautgärten aus. Hans Sachs (1494-1576) schrieb 1560: "Bayerland hat die freyheit, isst kraut mit Löffeln alle zeit, all tag zwey kraut, mach ein jahr siben hundert kraut, darzu dreißig." Ebenfalls bereits seit dem 16. Jahrhundert sind in Bayern die sog. Bayerischen Rüben nachweisbar. Erbsen (Arbes), Linsen und Rettich gehörten zu den weit verbreiteten Gemüsesorten. Verschiedene Kohl- und Rübengemüse wie Lauch, gelbe Rüben, Kürbisse, Gurken, Fenchel und Linsen wurden von der Bevölkerung in ihren Hausgärten angebaut.

Eine weitere Konservierungsmethode, die im Mittelalter neben der Milchsäuregärung angewendet wurde, war das Trocknen von Lebensmitteln (dies etwa im Fall des gern konsumierten Stockfisches), das Räuchern (z. B. beim Schinken), das Dörren von Obst (etwa Äpfeln, Birnen, Weinbeeren), das Einsalzen, das Pökeln von Fleisch, das Einlegen von Obst in Form von Kompotten oder das Beizen in Essig oder Wein.

Fleisch und tierische Eiweiße: Butter, Käse, Schmalz

Der Fleischkonsum der Menschen war im Lauf des Mittelalters größeren Schwankungen ausgesetzt und hing nicht zuletzt mit der Entwicklung der Bevölkerungszahlen zusammen. So geht man bei den entsprechend niedrigen Bevölkerungszahlen im frühen Mittelalter und nach den großen Pestwellen im 14. Jahrhundert von einem relativ hohen Fleischkonsum (von bis zu durchschnittlich 100 kg Fleisch im Jahr pro Kopf) der Bevölkerung aus. Dies gilt jedoch nur für kurze zeitliche Phasen und war zudem regional begrenzt. Der Befund wird gestützt durch Quellen, die das Nahrungsmittelangebot in spätmittelalterlichen Spitälern wiedergeben. Bevorzugt konsumiert wurde fettes Schweinefleisch, das man dem mageren Rindfleisch vorzog, wobei das ganze Tier samt Innereien und dem heute beliebten "Kesselfleisch" Verwendung fand. Auch Hühner, Gänse, Lämmer und heimische Fischarten waren beliebte Nahrungsmittel. Tierisches Eiweiß in Form von Milch und Milchprodukten wie Rahm, Butter, Butterschmalz, Rührmilch und Topfen wurde vergleichsweise wenig konsumiert. Käse kam in Form von Frischkäse auf den Tisch. Als ernährungsphysiologisch äußerst wertvoll wurden generell alle Fett- bzw. Kalorienträger betrachtet. Der Schmalztopf war der wie ein Augapfel gehütete Schatz des Haushalts.

Ergänzung mit Nahrung aus Wäldern, Gewässern und Gärten

Insbesondere die Ressource Wald besaß eine wichtige Bedeutung als Nahrungsmittelspender. Man bezog Eicheln zur Schweinedechel (dazu trieb man die Tiere in den Wald zur Weide), Bucheckern, Pilze, Nüsse und Beeren aus ihm. Die freie Nutzung der Wälder und der Fischfang in den Gewässern bot denn auch immer wieder Konfliktstoff und war oftmals Ausgangspunkt lokaler bäuerlicher Erhebungen. Nur widerwillig nahm man hin, dass Wildschweine, Hirsche und Rehe eine reine Herrenspeise sein sollten. Auch Wachteln, Sperlinge, Reiher, Kraniche, Fasane und Rebhühner bereicherten die gehobenen Speisetafeln. Während man im bäuerlichen Milieu mit den Fischarten aus den heimischen Gewässern wie Hausen oder Forellen Vorlieb nehmen musste, waren Hecht, Aal und Barsch meist Herrenspeisen in der Fastenzeit. Aus dem Hausgarten bezog man Kräuter wie Petersilie, Schnittlauch oder Liebstöckel. Dennoch war der bäuerliche Haushalt nicht autark, sondern auf den Ankauf verschiedener Lebensmittel wie Salz angewiesen. Der herrschaftlichen Küche waren meist die extrem teuren, da aus fernen Ländern importierten Gewürze wie Pfeffer, Safran oder Zimt vorbehalten. Der Obstgarten lieferte je nach Saison die unterschiedlichsten Früchte, wobei Zwetschgen, Kirschen, Schlechen, Äpfel, Quitten und Birnen breite Verwendung fanden. Jedoch auch das Beerenobst wie Blaubeeren, Erdbeeren, Brombeeren und Himbeeren wurden frisch konsumiert, während Weintrauben in der Regel in Form von Wein genossen wurden. Auf die gehobene Tafel kamen importierte Früchte wie Feigen, Datteln, Limonen oder Pomeranzen. Gesüßt wurde in der Regel mit Honig; der enorm teure Zucker blieb den kapitalkräftigen Schichten vorbehalten.

Entwicklung der Mahlzeitenordnung

Speisenordnung für eine Woche am erzbischöflichen Hof in Salzburg aus der Regierungszeit des Herzogs Ernst von Bayern (reg. 1540-1554). (BayHStA Erzstift Salzburg, Lit. 170, fol. 1f.; Abdruck in Strauss, Speiseanordnung, 597f., hier: die Ordnung von Samstag und Sonntag)

Seit etwa dem 16. Jahrhundert setzte sich der uns heute geläufige Dreierrhythmus in der Nahrungsaufnahme durch (Frühstück, Mittag- und Abendessen) und löste die mittelalterliche Zweimahlzeitenordnung (Morgen- und Nachtimbiss) ab. Dies bedeutete in der Regel ein relativ karges Frühstück, ein reichhaltiges Mittagessen um die zeitlich je nach Jahreszeit schwankende Tagesmitte herum – die Einführung eines einheitlichen und genormten 24-Stunden-Tages erfolgte erst im 19. Jahrhundert – und ein Abendessen. Oftmals wurde zwischen den Mahlzeiten Brot gegessen. Reichhaltiger war das Nahrungsmittelangebot zu agrarischen Spitzenzeiten gemäß dem Grundsatz nach 2. Thess. 3,10: "Wer arbeitet, soll auch essen".

Kosten der Nahrungsmittelversorgung

Nicht nur der städtische Getreidekonsument musste einen erheblichen Teil seiner Einnahmen für das notwendige Getreide ausgeben - dies konnte, wie Ulf Dirlmeier nachgewiesen hat, bis zu einem Dreiviertel des verfügbaren Einkommens einer Familie beanspruchen –, sondern auch die anwachsenden unter- und nebenbäuerlichen Schichten waren auf den Ankauf von Getreide angewiesen. Die dörfliche bäuerliche Schicht war stark heterogen, Bauer war nicht gleich Bauer. Die verstärkte Söldenbildung (also der Bildung von kleinbäuerlichen Anwesen) vor allem im westlichen Altbayern seit dem 15. Jahrhundert ließ jenen Bevölkerungsteil anwachsen, der selbst nicht genügend bebaubaren Grund und Boden zur Verfügung hatte. Getreide wurde zum marktüblichen Preis je Scheffel bzw. Metzen im lokalen Umfeld auf Märkten bzw. im innerdörflichen Warenaustausch erworben. Der Getreidepreis war stark ernteabhängig und daher großen Schwankungen unterworfen.

Wandel im Zeitalter der Industrialisierung

Erst mit der in Bayern nur zögerlich und punktuell einsetzenden Industrialisierung, mit den somit verbesserten Transportmöglichkeiten und Anbaumethoden änderten sich die Ernährungsgepflogenheiten langsam. Einen großen Einschnitt bildete etwa die Einführung und Durchsetzung der Kartoffel im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, die rasch eine zentrale Rolle in der Lebensmittelversorgung einnahm.

Hungerkrisen

"Schmalhans" war in der Regel Küchenmeister. Mittelalterliche Skelettfunde dokumentieren in vielfältiger Weise die Folgen von Mangelernährung. Die Ernährungssituation vorindustrieller, vorwiegend agrarisch geprägter Gesellschaften war vom Ernteertrag abhängig. Die sog. Kleine Eiszeit beeinträchtigte vom 14. bis 19. Jahrhundert den Anbau von Nahrungsmitteln phasenweise beträchtlich. Insbesondere das 14. Jahrhundert gilt aufgrund der sich verschlechternden klimatischen Bedingungen als Krisenjahrhundert. Aber auch das Spannungsverhältnis zwischen wachsender Bevölkerung und gleichbleibendem Ernteertrag hatte enormen Einfluss auf den Nahrungsmittelspielraum.

Neben den vielen lokalen Hungerzeiten betrafen die Hungerkrisen der 1570er und 1690er Jahre nahezu das gesamte Herzogtum bzw. Kurfürstentum Bayern. Wie Wilhelm Abel (1904-1985) und Ernest Labrousse (1895-1988) nachweisen konnten, sank im 16. Jahrhundert die Kaufkraft aufgrund des stetigen Bevölkerungsanstiegs, mit dem die agrarische Produktion nicht mithalten konnte.

In der Regel entschied das jeweilige Witterungsgeschehen, ob das nächste Jahr ein mageres oder fettes wurde. Die vielen Witterungsbeobachtungen durch Lostage (also Tage, die für das zukünftige Wettergeschehen als wichtig und prognostizierend empfunden wurden) und das flehentliche Bitten um das "täglich Brot" sind Ergebnis der Erfahrungen des Hungers, die fast jede Generation machen musste. Nicht nur Witterungsunbilden wie ein zu nasses oder zu kaltes Frühjahr, zu trockene Sommer oder Hagelschauer, auch Verwüstungen durch adelige Treibjagden oder Kriege reduzierten die Ernteerträge. Die immer wiederkehrenden Hungerkrisen trafen vor allem jene Schichten existentiell, die mangels bebaubarem Grund und Boden auf den Zukauf von Nahrungsmittel angewiesen waren. Zyklische Hungerkrisen des "alten Typs" (type ancien) – gekennzeichnet durch die "große Teuerung" der Lebensmittel – gehörten bis Mitte des 19. Jahrhunderts zum Erfahrungshorizont der Menschen. Erst verbesserte Transport- und Anbaubedingungen verminderten das Auftreten von regionalen Hungerkrisen.

Die letzten großen Hungerkrisen in Bayern waren die aufgrund von Missernten ausgelösten (nahezu gesamteuropäischen) Hungerjahre 1771/72 und schließlich die im Gefolge der napoleonischen Kriege auftretende Hungersnot von 1817. Erhöhte Mortalitätsraten, das Anwachsen des Bettels und schließlich Hungerrevolten erforderten immer wieder obrigkeitliches Handeln und Fürsorgemaßnahmen, da Hunger auch zur Triebfeder revolutionärer Aktionen – wie etwa nach der Missernte von 1847 in einigen fränkischen Städten und in München – werden konnte.

Essen und Religion

Kalender und Praktika auf die Jahre 1368 - 1405. (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 32, fol. 5v)

Der kirchliche Kalender und die beiden großen Fastenzeiten vor den kirchlichen Hochfesten Weihnachten und Ostern strukturierten die Nahrungsgewohnheiten der gesamten Bevölkerung. Die Einhaltung der Fastengebote, insbesondere jene, die den Fleischkonsum betrafen, dürften für den überwiegenden Teil der Bevölkerung kein allzu großes Problem gewesen sein, da Fleisch wenn überhaupt nur an Festtagen auf den Tisch kam. Grundsätzlich fleischlos waren ungefähr 150 Tage im Jahr, nämlich der Freitag, der Samstag und in manchen Regionen auch der Mittwoch. Längere Abstinenz von fleischlichen Genüssen bedeuteten die vorösterliche 40-tägige Fastenzeit, die drei Bitttage vor Christi Himmelfahrt, die sog. vier Quatember und die Vorabende der großen Heiligenfeste. Vor den Fastenzeiten war es – soweit möglich – üblich, noch einmal über die Stränge zu schlagen, wie dies beispielsweise bei Fastnachtsfeiern und beim Reichen der Martinigans üblich war. Während der Fastenzeit wurde auf klösterlichen und adeligen Tafeln als Fleisch-Ersatz eine reichhaltige Auswahl an Fischen, Schnecken, Fröschen oder Bibern gereicht. Auch die exklusiven Mandeln und Reis galten in der Neuzeit als beliebte adelige Fastenspeisen.

Viele religiöse Festtermine (z. B. St. Martin, St. Nikolaus) erinnerten die Begüterten an das Gebot der christlichen Nächstenliebe und mahnten zum Teilen. Mehrere Heischetermine im Jahr – die meisten in der kalten, dunklen Jahreszeit wie etwa Allerseelen oder die Klöpfelnächte – boten den dörflichen und städtischen Unterschichten die Möglichkeit, durch sanktionierten Bettel ihren schmalen Speiseplan aufzubessern. Im Zusammenhang mit dem kirchlichen Festkalender standen auch jahreszeitlich gebundene Speisen wie Ostereier, Fastenbrezen, Krapfen, Seelenzöpferl oder Gebildebrote wie Christstollen. Alle kirchlichen Hochfeste und auch Feste im individuellen Lebenslauf zeichneten sich aus durch üppige, fleischhaltige und fette Nahrung (z. B. Schmalznudeln). Das gemeinschaftliche Essen galt als zentraler Festbestandteil.

Essen als soziales Distinktionsmerkmal

Ernährung eignete sich in besonderer Weise zur Demonstration des sozialen Status. Die Art und Weise der Nahrungsaufnahme - also wer welche Nahrungsmittel mit welcher kultureller Technik und in welchem sozialen Raum aß – erfüllte seit jeher nicht nur physiologisch-reproduktive Funktionen, sondern war hervorragend dazu geeignet, ständische Exklusivität zu demonstrieren. Vor allem das Essen in größerer Gemeinschaft diente nicht nur der Sättigung und der Deckung des täglichen Kalorienbedarfs, sondern war integraler Bestandteil adeligen Repräsentationsbedürfnisses.

Insbesondere zu Festzeiten bogen sich die Tafeln, nicht zuletzt, um den sozialen Anspruch und die ökonomische Leistungskraft des Gastgebers drastisch deutlich zu machen. Insbesondere die raffinierte Art der Zubereitung und Würzung mit importierten Gewürzen, die Reichhaltigkeit und die Exklusivität entfaltete eine starke Barrierewirkung. Auch die Verfeinerung der Tischsitten als ein zentraler Aspekt im Prozess der Zivilisation war Ausdruck eines erfolgreichen sozialen Distanzierungsprozesses. Dem individuellen Essbereich mit eigenem Glas, Besteck und Teller im Rahmen der gehobenen Tafel stand die gemeinsam benutzte Schüssel der unteren Schichten gegenüber.

Die ständischen Oberschichten verfügten zudem über Genussmittel wie besondere alkoholische Getränke und seit etwa dem späten 17. Jahrhundert über die extrem teuren und exklusiven Importwaren Kaffee, Tee, Tabak, Zucker und Schokolade. Alkohol wurde in Form von teuren ausländischen Weinen und Likören konsumiert, in der einfachen Bevölkerung zunächst in Form von Wein, dem aber das Bier seit dem 16. Jahrhundert den Rang ablief. Während dem Hochadel zunehmend Probleme in Form der klassischen Zivilisationskrankheiten wie Gicht, Rheuma und Fettleibigkeit erwuchsen, produzierte die Ernährung der unteren Schichten Mangelkrankheiten und Phantasien vom Schlaraffenland, in dem einem die Würste in den Mund wuchsen und der süße Brei schier nie ausging.

Literatur

  • Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, Göttingen 1972.
  • Rudolphus Arbesmann, Fasten, in: Reallexikon für Antike und Christentum. 7. Band, Stuttgart 1969, 447-493.
  • Rainer Beck, Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne, München 1993, 165-207.
  • Irgmard Biersack, Die Hofhaltung der "reichen Herzöge" von Bayern-Landshut (Regensburger Beiträge zur Regionalgeschichte 2), Regensburg 2006.
  • Christoph Courmeau, Essen und Trinken in den deutschen Predigten Bertholds von Regensburg, in: Imrgard Bitsch/Trude Ehlert/Xenja von Ertzdorff (Hg.), Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, Sigmaringen 1987, 77-83.
  • Ulf Dirlmeier, Untersuchungen zu Einkommensverhältnissen und Lebenshaltungskosten in oberdeutschen Städten des Spätmittelalters, Heidelberg 1978.
  • Hermann Heidrich, Bemerkungen zum Essen und Trinken im Spätmittelalter, in: ders./Andrea K. Turnwald (Hg.), Spuren des Alltags. Der Windsheimer Spitalfund aus dem 15. Jahrhundert (Schriften und Kataloge des Fränkischen Freilandmuseums 26), Bad Windsheim 1996, 52-66.
  • Gunther Hirschfelder, Europäische Esskultur. Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute, Frankfurt am Main u. a. 2001.
  • Alois Kammermaier, Von Kraut und Rüben. Ein Beitrag zur Geschichte der Volksernährung, in: Amperland 39 (2003), 281-284.
  • Andreas Kühne, Essen und Trinken in Süddeutschland. Das Regensburger St. Katharinenspital in der Frühen Neuzeit (Studien zur Geschichte des Spital-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesens 8), Regensburg 2006.
  • Thomas Meier, Ernährung im spätmittelalterlichen Südbayern: von Quellen, Widersprüchen und Vernetzungen, in: Ulrich Klein (Hg.), Küche - Kochen - Ernährung, Paderborn 2007, 259-268.
  • Ruth E. Mohrmann (Hg.), Essen und Trinken in der Moderne, Münster 2006.
  • Massimo Montanari, Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa, München 1993.
  • Gerald Müller, Hunger in Bayern 1816-1818. Politik und Gesellschaft in einer Staatskrise des frühen 19. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften III/812), Frankfurt am Main 1998.
  • Gert von Paczensky/Anna Dünnebier, Leere Töpfe, volle Töpfe. Die Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, München 1994.
  • S. Perry Schmidt-Leukel, Heiligkeit des Lebens. Über den Zusammenhang von Essen und Religion, in: ders. (Hg.), Die Religionen und das Essen, Kreuzlingen 2000, 9-20.
  • Ernst Schubert, Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2. Auflage 2010.
  • Hans-Jürgen Teuteberg/Günter Wiegelmann, Unsere tägliche Kost. Geschichte und regionale Prägung, Münster 2. Auflage 1986.
  • Ermann Weyrauch, Mahl-Zeiten. Beobachtungen zur sozialen Kultur des Essens in der Ständegesellschaft, in: Arthur E. Imhof (Hg.), Leib und Leben in der Geschichte der Neuzeit, Berlin 1983, 103-118.

Quellen

  • Helmut Brackert/Winfried Frey/Dieter Seitz, Wernher der Gartenaere. Helmbrecht. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung, Frankfurt am Main 6. Auflage 1983.
  • Berthilde Danner, Alte Kochrezepte aus dem bayrischen Inntal, in: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde 12 (1970), 118-128.
  • Trude Ehlert, Das Kochbuch des Mittelalters. Rezepte aus alter Zeit, Zürich u. a. 1990.
  • Hans Hajek (Hg.), Daz buch von guter spise (Texte des späten Mittelalters 8), Berlin 1958.
  • Gerold Hayer (Hg.), Das Kochbuch der Philippine Welser. 2. Bände, Innsbruck 1983.
  • Eveline Jourdan/Ursula Müller, Laßt uns haben gute Speis. 66 der ältesten Kochrezepte aus dem Mittelalter, Stuttgart 1984.
  • Simon Pickl, Das Kochbuch für Maria Annastasia Veitin. Kommentierte Edition einer Kochbuchhandschrift aus dem Jahr 1748 (Bayerische Schriften zur Volkskunde 10), München 2009.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Barbara Kink, Ernährung (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 01.08.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ernährung_(Spätmittelalter/Frühe_Neuzeit)> (28.03.2024)